Die Akte Tanner von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Interview mit dem Vampir ----------------------------------- Rally kam die Treppe hoch, und ging in den Verkaufsraum. May wartete dort bereits auf sie. Sie ass Pizza. "Hey, konntest du nicht auf mich warten?", fragte Rally. "Die wäre sonst nur kalt geworden", meinte May. "Und da wolltest du sie in deinem Magen wärmen, oder was?" Rally nahm sich selbst ein Stück. Befriedigt stellte sie fest, dass es noch einigermassen warm war. "Und? Hat er gesungen?", fragte May. "Mmm" Rally nickte, und schluckte. "Viel mehr weiss ich jetzt allerdings auch nicht. Dieser Stevenson, den Cogan zu erpressen versuchte, ist sein Boss. Oder zumindest gewesen." "Er hat versucht, seinen Boss zu erpressen? So ein Idiot." "Tja" Rally vernichtete den letzten Rest ihres Pizzastücks, und nahm sofort ein weiteres. "Die ganze Geschichte könnte aber von Vorteil für uns sein. Ich habe Cogan versprochen, ihn vor Stevenson zu schützen. Im Gegenzug hat er mir den Standort des Drogenlabors verraten." "Du hast doch nicht etwa vor..." "Wir könnten uns zumindest mal umsehen." Rally bis herzhaft in ihr neues Stück Pizza. "Das könnten wir auch der Polizei überlassen." Rally schluckte den Bissen hinunter. Sie schüttelte den Kopf. "Die Polizei wird das Labor nicht hochgehen lassen, nur weil Cogan behauptet, es sei dort. Dazu ist er zu unglaubwürdig. Und bevor ich seine Geschichte bestätige, will ich selbst wissen, ob sie stimmt." May schaute Rally misstrauisch an. Rally reagierte nicht. Seelenruhig ass sie den Rest des Pizzastücks. Als sie nach dem dritten, und letzten, griff, fragte sie: "Was ist eigentlich mit dem Gewehr?" May deutete auf einen Stapel Kataloge. "Die hab ich durchsucht", sagte sie. "Und?" "Nix." Das hatte Rally befürchtet. Sie verkaufte eigentlich nur Sport- und Jagdgewehre. Darum hatte sie nur wenige Kataloge von Sturmgewehren. "Ich habe gedacht, du kennst dich vielleicht besser aus", erklärte May. "Daher habe ich die Silhouette aufgezeichnet. Aber wo hab ich die bloss hingelegt..." Schliesslich fand May die Zeichnung wieder. Sie hatte die Pizzaschachtel darauf gestellt. Daher hatte es jetzt einige Fettflecken. Rally nahm die Zeichnung mit einem leicht vorwurfsvollen Blick entgegen. "Ach bevor ichs vergesse:", sagte May. "Ich glaube, der Schütze hat beim Weggehen den Kolben eingeklappt." Rally schob sich den Rest der Pizza in den Mund, kaute kurz und schluckte. "Ja", sagte sie schliesslich. "Diese Gewehre haben serienmässig einklappbare Kolben." "Du weisst, welches es ist?" "Ich denke schon. Komm mal mit." Sie gingen zum Lagerraum hinüber. Rally schaute sich kurz um, und nahm dann ein Gewehr vom Gestell. "Ja, genau das ist es!", rief May. "Wie hast du das so schnell herausgefunden?" "Ganz einfach. Das Gewehr hier ist durchaus bekannt. Die SWAT-Abteilung der Polizei verwendet es." "Der Schütze sah aber nicht wie einer vom SWAT aus." "Das war ganz sicher keiner. SWAT-Leute arbeiten niemals alleine. Aber das Gewehr ist vielleicht eine Spur. Ausserhalb der SWAT verwendet es kaum einer." "Tatsächlich? Warum denn? Die SWAT kauft doch sicher keinen Schrott." "Tja, weisst du, May, das Gewehr ist zwar sehr präzise, aber auch sehr pflegebedürftig. Das schreckt die meisten ab. Es ist eigentlich mehr ein Scharfschützen- als ein Sturmgewehr." Plötzlich verfinsterte sich Rallys Blick. "Moment mal", sagte sie. "Da stimmt was nicht." Dann fragte sie: "Wie weit entfernt war der Schütze?" May überlegte kurz. "Um die zweihundert Meter würde ich sagen. Du meinst, auf diese Distanz..." Rally nickte. "Er hätte Cogan treffen müssen. Wenn er kein völliger Stümper war hätte er ihn treffen müssen." Am nächsten Morgen. Robert ging den Flur entlang. Er hasste das. Wenn irgendwas geklaut wurde, musste *er* Meldung machen. Wenn ein Deal platzte, musste *er* Meldung machen. Und jetzt diese Sache mit Cogan. Wer wurde geschickt, um dem Boss Bericht zu erstatten? Er natürlich. Robert atmete tief durch. Dann klopfte er an die Tür, die mit 'F. Stevenson' beschriftet war. "Herein!", hörte er Stevenson rufen. Er trat ein. Stevenson schaute in missmutig an. "Oh, je. Robert", meinte er. "In diesem Fall sind es wohl schlechte Nachrichten." Robert seufzte. Sogar der Boss war mittlerweile dran gewöhnt. "Ja", gab er zu. "Wir haben den Bericht über Cogan." "Ist er etwa entwischt?" "Nicht wirklich. Als wir gestern Nacht bei der Hütte ankamen, war Cogan verschwunden. Die Tür war von Schüssen durchlöchert, und in der Hütte roch es noch nach frischem Pulverdampf." "Also ein Feuergefecht." "Die Löcher in der Tür waren nach aussen ausgefranst. Sie stammen also vermutlich von Cogan selbst. Was uns aber beunruhigt, ist, dass die Fensterscheibe auch ein Loch hat. Die Scherben liegen innen, also kam der Schuss von aussen. Nur ein Schuss. Entweder hat Cogan sich sofort ergeben, oder er ist tot. Es hat allerdings kaum Blutspuren." "Tot?" Stevenson schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht. Ausser mir will niemand Cogan tot sehen. Sucht weiter nach ihm." "Ja, Sir", sagte Robert, und ging. Stevenson dachte nach. Er wusste von niemandem, der Cogan tot sehen wollte. Aber es fiel ihm auch niemand ein, der in fangen wollte. Eine Abrechnung vielleicht? Aus einem Konflikt, von dem er nichts wusste? Schon möglich. Dann durchfuhr es Stevenson: Es könnte die Polizei gewesen sein! Cogan könnte auf die Idee kommen, sein Wissen gegen Straffreiheit zu tauschen. Dann beruhigte er sich wieder. Sein Maulwurf hatte nichts in der Art gemeldet. Trotzdem war Stevenson beunruhigt. Er griff zur Gegensprechanlage. "Ja?", knarzte es aus dem Lautsprecher. "Hör zu, Tom. Wir könnten Ärger bekommen wegen dieses Verräters Cogan. Das Labor wird geschlossen. Sorg dafür, dass das Kerosin abtransportbereit ist." "Ziehen wir um?" "Nein. Aber ich will, dass alles vorbereitet ist, falls es dazu kommen sollte." "Aye, Sir!" Ausserhalb des Gebäudes, ein paar Blocks weiter die Strasse runter, sass Rally in ihrem Cobra. Sie war wieder allein. May hatte natürlich eine Szene gemacht. Aber Rally wollte diskret sein. Und Diskretion war nicht gerade eine von Mays Stärken. Sie fand das von Cogan bezeichnete Gebäude in einem kleinen Wohnquartier. Es war eine typische Arbeitersiedlung. Kaum jemand war auf der Strasse zu sehen. Um so mehr fiel das Gebäude auf: Die Rolläden waren überall unten, und eine bewaffnete, zivile Wache sass neben dem Eingang. Anscheinend hatte Cogan einen Volltreffer gelandet. Auch wenn Rally nur zu gern wüsste, woher er diese Information hatte. Sie nahm ein Fernglas, und betrachtete die Szenerie eingehend. Sie währe nicht so ruhig gewesen, wenn sie gewusst hätte, was hinter ihrem Rücken vor sich ging. 100 Meter hinter ihrem Rücken, um genau zu sein. Dort endete die Strasse nämlich in einer T-Kreuzung. Dahinter stand eine Bauruine, in der jemand Stellung bezogen hatte. Der Mann holte seinerseits ein Fernglas hervor, um damit den Cobra zu betrachten. Er erkannte Rally darin. Der Mann stellte das Fernglas auf den Boden, und rief jemanden mit seinem Handy an. "Posten 3 hier... Ja, sie ist eingetroffen... Ja... Verstanden." Der Mann legte auf. Dann öffnete er einen grossen Koffer, den er bei sich trug. Darin war ein Gewehr. Eine Spezialanfertigung. Er wusste, dass er so schnell keine zweite Chance erhalten würde. Daher ging er sehr sorgfältig vor. Zuerst wählte er den Standort, um das Gewehr aufzustellen. Dann nahm er ein Magazin, und prüfte, ob es die richtige Munitionsart enthielt. Er schaute nochmals zum Wagen. Um einen sicheren Schuss anzubringen, würde er erst das Rückfenster zerstören müssen. Er entfernte die oberste Patrone des Magazins, und ersetzte sie durch eine SH-Kugel. Das weiche Geschoss würde das Fenster zersplittern, aber nicht durchdringen. Schliesslich lud er das so präparierte Magazin. Dann brachte er das Gewehr in Anschlag, und entsicherte es. Erst ganz am Schluss öffnete er die Abdeckung des Zielfernrohrs. Rally lehnte sich zurück. Das sah ihr nach einem hübschen Ziel aus, um der Kerosinindustrie einen schmerzhaften Stich zu versetzen. Vielleicht konnte sie Roy, einem befreundeten Polizeioffizier, sogar eine Beförderung verschaffen. Irgend etwas blitzte im Rückspiegel auf. Verwundert sah sie genauer hin. Sie erkannte den typischen Wiederschein eines Zielfernrohrs. "Scheisse!", rief sie. Ihre Hand fuhr zum Zündschlüssel. Der Starter heulte auf. Rally hörte noch, wie das Rückfenster zersplitterte. Dann wurde alles schwarz. Ihre Hand fiel leblos herunter. Die Zeit hatte noch nicht einmal gereicht, den Motor zu starten. Auf dem Tisch standen zwei dampfende Kartonbehälter. Den dritten hatte May gerade Cogan vorbeigebracht. Es war chinesischer Fastfood. Wie immer, wenn May das Essen bestellte. Die Jahre in Chinatown hatten eben doch ihre Spuren hinterlassen. May selbst stand etwas abseits am Telefon, und schielte sehnsüchtig zum Essen herüber. "Mann Rally, nimm endlich ab. Ich hab Hunger", murmelte sie. Schliesslich hängte sie auf. "Jetzt reichts. Wer nicht will, der hat schon." Als Rally erwachte, sass sie gefesselt in einem Stuhl. Ihr war so übel, dass sie glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen. "Narkosenachwirkungen", stellte sie fest. Sie versuchte, sich zu bewegen. Dass erwies sich aufgrund der Fesselung als schwierig. Wirklich bewegen konnte sie nur den Kopf. Aber sie konnte immerhin feststellen, dass sie den Körper wieder unter Kontrolle hatte. Bis auf den rechten Arm. Der fühlte sich seltsam dumpf an. Wie wenn ihn jemand in Watte gepackt hätte. Rally versuchte, den Ablauf zu rekonstruieren. Zuerst hatte sie gehört, wie das Rückfenster des Cobra zersplitterte. Dann hatte sie noch kurz gefühlt, wie etwas in ihre rechte Schulter eindrang. Das musste ein Betäubungsgeschoss gewesen sein. Der Treffer war wohl nahe am Nacken, sonst wäre das Projektil von der Panzerweste aufgefangen worden. Alles in allem sehr Profimässig. Nachdem Rally gesehen hatte, wie auffällig Stevensons Labor war, hatte sie ihn erst als Anfänger eingestuft. Sie hatte ihn wohl unterschätzt. Die Übelkeit wurde allmählich unerträglich. Rally würgte. Ihr Mund füllte sich mit säuerlicher Magenflüssigkeit. Angewidert schluckte sie sie wieder runter. Sie atmete schwer. Erleichtert stellte sie fest, dass es etwas besser ging. Sie schaute sich um. Das Zimmer war ein Büro. Ein Einzelbüro. Ein Pult mit Stuhl, ein Wandschrank, eine Lampe. Und der Stuhl, auf dem Sie sass. Mehr gab es nicht. Sie schaute die Möbel etwas genauer an. Alles sehr elegant und teuer. Und dann ein Spannteppich. Richtig weich. Gute Qualität. Rally stutzte. Warum konnte sie den Teppich fühlen? Natürlich. Sie trug keine Schuhe. Und überhaupt... die Kleider die sie trug... das waren doch nicht ihre Strassenkleider. Das war ein schwarzer Pyjama. "Die haben mich umgezogen!", schoss es ihr durch den Kopf. Sie fühlte, wie ihr Herzschlag beschleunigte. Ihr wurde etwas schwindlig. Sie drückte die Augen zu, und zwang sich zur Ruhe. Allmählich normalisierte sich der Herzschlag. Rally öffnete die Augen wieder. Dann fiel ihr noch etwas auf: Der Raum war völlig fensterlos. Das ging irgendwie nicht auf. Von der Möblierung her gehörte das Büro einer wichtigen Person. Das eine solche freiwillig auf ein Fenster verzichtete, sah Rally zum ersten mal. Eine Tür hinter Rallys Rücken öffnete sich. "Ah, sie sind erwacht", sagte jemand mit ruhiger Stimme. Rally konnte den Kopf nicht weit genug drehen, um die Person zu sehen. "Mr. Stevenson?", fragte sie. "Nicht doch", meinte der Mann leicht amüsiert. Rally war verwirrt. Wer könnte es dann sein? Sie wusste keine Antwort. "Sie fragen sich vermutlich, wer ich bin, und wo sie sind", sagte der Mann, und ging nach vorne. Rally konnte jetzt den Rücken sehen. Wer immer es war, er hatte einen seltsamen Kleidungsstil. Er trug eine weisse Jacke, eine weisse Hose... ja sogar die Schuhe waren weiss. Was Rally aber am meisten auffiel waren die schulterlangen, schneeweissen Haare. "Mein Name ist Hal Vector", fuhr der Mann fort. "Man nennt mich auch 'der Vampir'. Ich bin der Geschäftsführer der 'Vector Problemlösungen GmbH'." "Der Vampir also?", fragte Rally schnippisch. "Haben Sie darum Angst vorm Sonnenlicht?" Vector hielt im Schritt inne. "Bitte?", fragte er. "Na, ich sehe doch, dass sie keine Fenster haben." Das schien Vector weiter zu amüsieren. "Gut beobachtet, Miss Vincent", sagte er. "Nun, ich habe nicht gerade Angst vorm Sonnenlicht, aber..." Er setzte sich auf den Stuhl hinter dem Pult. "...ich muss schon vorsichtig sein." Rally war erstaunt. Vectors Haut war ebenfalls völlig weiss. Der einzige Kontrast waren seine beinahe leuchtend roten Augen. "Sie sind ein Albino", sagte sie. "Ganz Recht", antwortete Vector. "Mir fehlt die natürliche Pigmentierung. Daher kann ich nicht einfach so ans Sonnenlicht. Ich hätte sofort einen Sonnenbrand." "Ja, das ist mir bekannt", meinte Rally. "Aber zusammen mit Ihrer Grösse verleiht es Ihnen eine gewisse, natürliche Autorität, nicht wahr? Ich meine, Sie haben schon eine imposante Statur. Ich würde Sie etwa auf 2 Meter schätzen." "1 Meter 96", bestätigte Vector. "Sie scheinen die Dinge ja schnell zu durchschauen. Fast schon wie er... Na gut. Ich denke, die Frage, wer ich bin, ist damit wohl geklärt. Zur Frage, wo Sie sind: Das hier ist mein Büro im Geschäftssitz meiner Firma." "Ehrlich gesagt, mich würde es mehr interessieren, warum ich hier bin. Ihr Scharfschütze hätte mich ohne weiteres töten können. Aber er hat mich statt dessen hergebracht. Sie wollen also irgendwas von mir." Rallys Stimme wurde unvermittelt schärfer. "Ausserdem würde ich gerne wissen, warum man mich umgezogen hat." Aufgrund der Aufregung beschleunigte Rallys Herzschlag wieder, und es wurde ihr wieder schwindlig. Aber diesmal würde sie nicht so rasch nachgeben. Erst wollte sie eine Antwort. "Ach, das hatte ich ja fast vergessen", meinte Vector. "Keine Sorge. Es wurde von Frauen erledigt. Wir haben ein paar in unserer Organisation." Rally war mit der Antwort nicht zufrieden. Sie schaute Vector weiter mit einem stechenden Blick an. "Hören Sie, Miss Vincent. Das Betäubungsmittel im Projektil war ziemlich stark. Es hat zu einer sofortigen Entspannung fast aller Muskeln geführt. Auch derjeniger, die sie... üblicherweise auf dem stillen Örtchen benutzen. Glauben Sie mir. Sie hätten nicht in Ihren Strassenkleidern hier sitzen wollen." Rallys stechender Blick machte einem leicht Überraschten Platz. Sie errötete etwas. "Ausserdem sehen sie hübsch aus in dem Pyjama." Rally errötete weiter. Dann setzte sie wieder einen wütenden Blick auf. "Sie...", begann sie. Weiter kam sie aber nicht, denn das Schwindelgefühl wurde übermächtig. Schwer atmend versuchte Rally, sich wieder zu beruhigen. "Vorsicht, Miss Vincent. Die Nachwirkungen werden noch eine Weile anhalten." Das Schwindelgefühl wich wieder von Rally. Sie stellte fest, dass sich Schweissperlen auf ihrer Stirn gebildet hatten. Sie fasste sich, und sagte: "Na schön. Verraten Sie mir jetzt, warum ich hier bin?" "Selbstverständlich", antwortete Vector. "Ich habe da nämlich ein kleines Problem. Es geht um Stevenson." "Das habe ich mir beinahe gedacht." "Tja. Was wissen Sie über ihn?" Rally wollte mit den Achseln zucken, aber die Fesselung liess das nicht zu. "Nicht all zu viel", sagte sie schliesslich. "Er scheint der Boss eines Syndikats zu sein, das im grossen Stil mit Kerosin handelt. Ich hab bis gestern noch nichts von ihm gehört. Ist wohl neu im Geschäft." Vector nickte. "Ja, stimmt alles. Ich will sie mal weiter aufklären. Stevenson war früher mal ein hohes Tier bei einer Handelsfirma. Er hat seine Position missbraucht, und war dumm genug, sich erwischen zu lassen. Damit hat er sich so ziemlich alle Karrieremöglichkeiten verbaut. Also hat er versucht, ein eigenes Syndikat zu gründen. Er war sogar ganz erfolgreich. Alles in allem ist er aber nur ein kleiner Fisch. Natürlich", erklärte Vector grinsend, "glaubt er der Hecht im Karpfenteich zu sein." Rally musste ebenfalls grinsen. Irgendwie war das am Anfang immer so. Auch sie hatte sich am Beginn ihrer Karriere für *die* Schützin und *die* Prämienjägerin gehalten. Bis sie mal tüchtig auf die Schnauze fiel. Vector fuhr fort: "Wie dem auch sei. Als Gordi verschwand, und die primäre Kerosinquelle mit ihr, hielt Stevenson es für eine gute Gelegenheit, zu den Grossen aufzusteigen. Über einen Strohmann liess er sich etwas Kerosin besorgen. Es gelang ihm, den Stoff zu analysieren. Dann hat er das Zeug kilogrammweise hergestellt, tüchtig gestreckt, und schliesslich eingebunkert. Anschliessend hat er geduldig gewartet, bis der Markt ausgetrocknet, und der Strassenpreis entsprechend hoch war. Jetzt verkauft er die Ware. Weil er sie nicht mühsam importiert, sondern selbst hergestellt hat, kann er sie billig abstossen. Die Qualität ist zwar schlecht, aber das interessiert bei diesen Preisen niemanden. Er hat gute Chancen, den Markt an sich zu reissen." "Und jetzt seht ihr eure Felle davonschwimmen. Alles klar." "Nein." "Nein? Aber was..." "Mein Firma ist normalerweise nicht in den Drogenhandel involviert. Eigentlich ist es uns völlig egal, wer den Markt beherrscht." Vector machte eine rethorische Pause. "Die Aufgabe meiner Firma ist es, Probleme zu beseitigen." Rally ging ein Licht auf. "Ach sooo ist das. Sie meinen, ihr macht gegen die Bezahlung die Drecksarbeit für die anderen Syndikate." Sie erntete dafür einen vernichtenden Blick von Vector, aber damit konnte man Rally nicht beeindrucken. "Ein Punkt für mich", dachte sie. "Wenn Sie es so sehen wollen", brummte Vector schliesslich. "Wie auch immer", meinte Rally. "Sie haben den Auftrag bekommen, Stevenson samt Syndikat aus dem Weg zu räumen, nicht wahr?" "So ist es." "Und was hat das mit mir zu tun?" "Idealerweise gar nichts." Vector fixiert Rally. "Ich nehme an, Sie wissen bereits um die Erpressung von Stevenson durch Cogan. Sonst hätte mein Schütze sie wohl kaum bei seinem Drogenlabor aufgegriffen." "M-Hm", sagte Rally, und nickte. "Aber hat Cogan ihnen auch verraten, woher er die Information hat?" "Nein." "Nun, er hat die Information von mir." Diesmal war Rally wirklich verblüfft. Sie konnte ihr Erstaunen nicht verbergen, wie sie am befriedigten Gesichtsausdruck von Vector ablesen konnte. "Ich will Ihnen mal was über Cogan erzählen", fuhr Vector fort. "Er wurde bereits früh von Stevenson angeheuert, und agierte als Mittelsmann zwischen dem Syndikat und den Strassendealern." "Ach darum hatte er 10 Kilogramm bei sich." "Ach sie meinen, als er damals von der Polizei geschnappt wurde? Ja, da hatte er gerade eine frische Lieferung erhalten. Kennen Sie übrigens die Umstände der Verhaftung?" "Er ist in einer Strassensperre hängengeblieben." "Ja", meinte Vector belustigt. "Sie haben seinen Wagen durchsucht, weil er seinen Führerschein nicht dabei hatte." Rallys Augen weiteten sich. "Oh, mein Gott. Wie kann man nur so behämmert sein." Sie schüttelte den Kopf. "Stevenson war sicher sauer." "Und wie. Aber er hatte alle Hände voll zu tun, und auch nur wenige, professionelle Schläger. Also hat er Cogan einfach rausgeschmissen. Und er hat ihm natürlich das verlorene Kerosin in Rechnung gestellt. Cogan fühlte sich aber ungerecht behandelt. Er war so richtig sauer auf Stevenson. Dazu kommt noch, dass Cogan den Stoff nie direkt beim Labor erhalten hatte. Er wusste also nicht, wo das Labor war. Das alles machte ihn perfekt für meinen Plan." Rally nickte. "Verstehe. Sie haben ihm also den Standort des Labors verraten, in der Hoffnung, dass er Stevenson erpresst. Aber wozu?" "Es war mein Plan, das Kerosin mitlaufen zu lassen, und danach die Polizei die Hauptarbeit erledigen zu lassen. Das Problem ist, dass die Polizei fast täglich irgendwelche Geheimtipps über Drogenlabors, -verstecke usw. bekommt. Hätten wir die Information einfach so zugespielt, oder Cogan bei der Polizei singen lassen, wären sie wahrscheinlich gar nicht erst nachschauen gegangen. Oder sie wären so auffällig vorgegangen, dass Stevenson genug Zeit gehabt hätte, zu verschwinden. Also überlegte ich mir etwas dramatischeres. Ein Informant von mir machte Cogan ausfindig. Wir übermittelten Cogans Aufenthaltsort an Stevenson. Der schickte einen Killer. Weiter sah der Plan vor, dass nach Cogans Tot ein unserer Organisation angeschlossener Notar der Polizei einige kompromittierende Papiere übergab. Dabei sollte er sagen, dass er von Cogan den Auftrag habe, diese Papiere der Polizei zu übergeben, falls Cogan etwas zustossen sollte." "Was für ein Schmierentheater", sagte Rally. "Sie wollten einen Menschen töten, nur um Ihre Geschichte plausibler zu machen?" "Um ein Syndikat zu zerschlagen", berichtigte Vector. "Warum auch nicht? Es sind schon Leute für weniger umgebracht worden. Für viel weniger. Dass Sie noch leben, Miss Vincent, haben Sie einem meiner Informanten zu verdanken." Rally blickte Vector fragend an. "Ich habe Cogan von ihm überwachen lassen. Er hat Sie gesehen, als Sie Cogan verhafteten. Und seither hat er Sie beobachtet. Jeder andere hätte nur Ihren Wohnort gemeldet. Aber das liess seine Berufsehre nicht zu. Er musste natürlich herausfinden, *wer* Sie sind. Das hat Ihnen das Leben gerettet." Rally blickte immer noch verwundert. Was war den so besonders an ihr? "Rally Vincent, einer der bekanntesten Prämienjäger der Stadt, ist eine Frau, knapp über 20, und führt einen kleinen Waffenladen. Ich muss zugeben, dass ich recht überrascht war, als ich den Bericht erhielt. Jedenfalls sind Sie zu bekannt, als das ich Sie einfach aus dem Weg räumen könnte." Das war es also. Vector liess Rally nur am Leben, weil er befürchtete, jemand könnte einen genaueren Blick auf die Sache werfen. Rally war klar, an welch seidenem Faden ihr Leben hing. Vector hatte mit Sicherheit Mittel, sie auszuschalten, ohne das irgendeine Spur zu ihm führte. Es war nur eine Frage des Aufwands. "Wie dem auch sei", begann Rally mit etwas unsicherer Stimme, "wenn es nur darum geht, Cogans Geschichte glaubwürdig zu machen, hätten Sie mich einfach weitermachen lassen können. Ich hatte vor, seine Angaben bei der Polizei zu bestätigen." "Und Ihnen hätte die Polizei geglaubt?", fragte Vector. "Ich habe meine Beziehungen", erwiderte Rally vieldeutig. "Ja, ich weiss. Aber ich führe trotzdem lieber meinen neuen Plan durch." "Und was soll ich dabei tun?" "Nicht sehr viel. Erstens: Ich existiere nicht, und dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Zweitens: Behalten Sie Cogan noch zwei, drei Tage in Arrest. Unser Notar wird dann sagen, Cogan sei verschwunden. Liefern Sie Cogan einfach erst, nachdem Stevenson verhaftet wurde. Drittens, und das ist sehr wichtig: Lassen Sie sich nicht mehr bei Stevenson blicken. Unser Maulwurf hat berichtet, dass Stevenson wegen der Sache mit Cogan nervös ist. Er hat seine gesamten Kerosinvorräte abtransportbereit gemacht. Noch so eine Sache, und er verschwindet." Vector sagte nichts weiter. "Das ist alles?", fragte Rally nach einer Weile. "Ja", war die knappe Antwort. Rally wunderte sich ein wenig, warum Vector solch ausschweifende Erklärungen abgegeben hatte. "Wenn die Sache vorbei ist, was geschieht dann mit mir?" "Sie sind für uns jetzt natürlich ein Sicherheitsrisiko. Aber solange sie kooperieren, werden wir darüber hinwegsehen. Es liegt also an Ihnen." "Das klingt nicht sehr überzeugend." "Sie können natürlich auch ablehnen", sagte Vector in einem bedauernden Tonfall. Er öffnete eine Schublade, nahm daraus eine Spritze, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war, und legte sie auf den Tisch. "Das Gift ist nicht nachweisbar", erklärte er. "Ausser, man sucht explizit danach." "Schon gut, ich habe verstanden", maulte Rally. "Dann sind wir uns einig?", fragte Vector. Rally sagte nichts. Sie nickte nur kurz, wobei Sie sich Mühe gab, Vector so vorwurfsvoll wie irgend möglich anzuschauen. Vector, freilich, durchschaute das Spiel. Er lächelte, und nahm eine zweite Spritze aus der Schublade. Sie war identisch mit der ersten, ausser, dass sie mit einem blauen Ring gekennzeichnet war. Dann kam er auf Rally zu. "He, Moment mal!", rief sie. "Das ist nur ein Schlafmittel", beruhigte sie Vector. "Sie werden sich gründlich ausschlafen, und morgen Vormittag erwachen. Bis dahin sollten auch die Narkosenachwirkungen verflogen sein." Vector setzt die Spritze an Rallys linkem Unterarm an. Reflexartig verspannte sie sich. "Lockerlassen, sonst tuts weh", sagte Vector. "Sie haben leicht reden", warf Rally ein. Vector seufzte, und setzte die Spritze am rechten Unterarm an. Er wusste natürlich, dass Rally diesen noch nicht ganz unter Kontrolle hatte. Tatsächlich fühlte Rally noch nicht einmal die Injektion. Nur die Müdigkeit wurde plötzlich stärker. Rally liess sich einfach übermannen, und schlief ein. Sie wusste, dass es sinnlos war, dagegen anzukämpfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)