Andys Jugendsünden II von LoveKills (In äußerst kreativer Zusammenarbeit mit BlackLightning. Der Kuchen und die jeweils zwei Cocktails im Wassermann waren schuld an dem, was ab Kapitel sechs passiert. XD Zum Glück) ================================================================================ Kapitel 1: Familienbande ------------------------ Kapitel 1 Familienbande 16.September 2006 Wieder war es ein Tag im Winter, an dem Andy nichts mit sich anzufangen wusste, und somit hing er seinen mehr als deprimierenden Gedanken hinterher, welche sich, wie so oft, nur um seine Mutter drehten. Immer dieselben Fragen, auf die er nie eine Antwort bekommen hatte und finden würde. Wieso hatte sie ihn weggegeben? Wieso war er im Internat gelandet, obwohl ihm das wohl das Leben gerettet hatte, wenn er bedachte, wen er dort getroffen hatte. Tobs, einen jungen Mann aus der Schwarzen Szene. Ein unglaublich kindliches und dennoch erwachsenes Wesen, zeichneten ihn aus. Eine wunderschöne Stimme, weder zu tief, noch hoch. Ein himmlischer Körper, der ihn immer wieder verzauberte. Hände, die ihn immer wieder in den Wahnsinn trieben. Lippen, die ihn alles vergessen ließen. Und Tobs´ Eigenschaften als Mensch. Liebevoll, verständnisvoll, liebenswürdig, aufgeschlossen. Alles gepaart mit einer guten Mischung aus kindischen und erwachsenen Zügen. Allerdings war eben dieser junge Mann nicht in seiner Nähe. Tobs war in der Uni. Studierte Sprachwissenschaften und war relativ wenig in der kleinen WG anzutreffen, welche sie sich mit ihren beiden besten Freundinnen, Krissy und Cynthia, teilten. Andy vermisste ihn. Die sanften, warmen, smaragdartigen Augen und die Haare. Ja, die Haare. Zum Undercut geschnitten. Eine Hälfte knallrot, die andere schwarz gefärbt. Seit Jahren trug er seine Mähne in dieser Art und Weise, doch das waren eben sein Markenzeichen, ebenso die Nieten, oder aber die Schellen, die an seinem Körper hafteten. Oder die Piericings an Unterlippe, Brustwarze und Genital, oder die beiden Tattoos, zwischen den Schulterblättern und dem Oberarm. Er liebte einfach alles an ihm und in diesem Moment, in dem Andy selbst auf der kleinen Couch saß, nach draußen in das Schneegestöber starrte und nachdachte, wie die letzten paar Wochen, wünschte er sich nichts sehnlicher, als das sein Leben neben ihm sitzen und ihn in den Arm nehmen würde. Einfach ein wenig aufbauen, ihn aus diesen tristen, traurigen Gedanken holen. Der Schwarzhaarige wusste selbst, dass es egoistisch war, wenn er sagte, es wäre ihm lieber, Tobs würde nicht studieren, doch er hielt es eben nicht ohne ihn aus. Ebenso wie er diese nachlassende körperliche Nähe vermisste. Früher, als sie noch zur Schule gingen, hatten sie sich überhaupt nicht zurückhalten können, wenn der jeweils andere in der Nähe war und nun? Sein Freund war, wenn er von der Uni oder der Arbeit kam, todmüde. Schlappte nur in die Dusche und schlief dann im Bett ein, ohne großartig viele Worte zu sagen, noch Andy an sich heran zu lassen. Also war ihm eben nichts anderes übrig geblieben, als selbst Hand an zu legen, obwohl er diese Art des ´Sex´´ nicht unbedingt gut hieß. Aber wenn er nun einmal heiß lief, konnte er seinen Kumpel ja auch nicht einfach ignorieren, schon gar nicht wenn Tobs nackt durch die Wohnung tapste und genau so auch im Bett lag. Seine mehr oder weniger schönen Gedanken wurden durch das klacken eines Schlosses unterbrochen. Er hörte, wie ein schwerer Schlüsselbund auf dem Küchentisch landete, ein lautes Gähnen und schon die schlurfenden Schritte seines Freundes, welche sich ihm näherten. „Hey…“ Tobs hatte nur leise gesprochen. Seine Stimme hörte sich sehr heiser an. Vielleicht hatte er wieder zu viel geraucht, wundern würde es Andy nicht sonderlich. „Wie war dein Tag?“ Der junge Mann ließ sich neben dem Schwarzhaarigen nieder, wollte ihm einen Kuss geben, doch Andy schob seinen Verlobten von sich. „Du solltest aufhören so viel zu rauchen.“, meinte er ein wenig brummelig. Er hatte absolut schlechte Laune. „Und mein Tag war genauso beschissen wie die letzten.“ Ein kurzes Fauchen und er ging in die Küche. Kaffee, ja er brauchte jetzt einen Kaffee. Zur Beruhigung, oder einfach um aus Tobs´ Nähe zu kommen? Er wollte keinen Streit vom Zaun brechen und bei seiner schlechten Laune würde das schneller passieren als ihm lieb war. Tobs kam ihm langsam hinterher. Stellte sich an die Spüle und seufzte kurz auf. „Wieso genauso beschissen wie die letzten Tage? Andy, was ist los mit dir? Du bist seit Tagen so grummelig drauf. Was ist passiert?“ Der junge Mann machte sich Sorgen. Andy war sonst immer die Lebendigkeit in Person gewesen und nun? Die letzten Wochen ließ er sich gehen, war nicht gut drauf und schien irgendetwas auf dem Herzen zu haben. „Was passiert ist?“ Etwas ungläubig blickte Andy drein. Er glaubte nicht recht, das Tobs es wirklich nicht ahnte. „Okay ich sage dir was passiert ist. Ich sitze hier zu Hause, alleine und versinke in den sumpfigsten Gedanken, die mich nicht mehr loslassen. Du studierst und hast absolut keine Zeit mehr für uns beide. Rauchst wie ein Schlot und…“ Er unterbrach sich selbst. Ließ den Satz unbeendet und starrte den jungen Rot-schwarzhaarigen vor sich an. „Und weiter?“ Tobs blickte mehr oder weniger emotionslos auf seinen Freund. Hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Eine typische Abwehrhaltung, die Andy fast schon auf die Palme brachte. Der Angesprochene stand am Küchentisch. Diese eisige Stimmung zwischen ihnen machte ihn nur noch anfälliger für düstere Gedanken. Er hasste es eigentlich, sich mit Tobs in die Haare zu kriegen, doch nun war es eben so weit, da konnte keiner etwas dagegen machen. „Und ich habe es satt, mit meinen eigenen Händen vorlieb nehmen zu müssen. Mir geht diese körperliche Nähe einfach verdammt ab.“ „Andy, ich studiere da…“ „Das ist es ja gerade!“ Er hatte ihm das Wort mitten drin abgeschnitten. „Du hast für nichts mehr Zeit! Weder für mich, noch für uns noch für irgendetwas anderes! Es kotzt mich an, nur noch neben dir her zu leben! Ich bin da, du siehst mich an und scheinst mich noch nicht mal wahr zu nehmen, geschweige denn zu checken, dass ich schon dermaßen geil bin, dass ich sogar nen Vibrator benutzen würde, würde es gar nicht anders gehen! Tobs ich hab keinen Bock nur noch zweitrangig in deinem Leben zu sein!“ Jetzt war es aus Andy heraus geplatzt. Die ganze aufgestaute Wut war draußen, doch das war noch lange nicht alles, was in ihm brodelte. In Tobs´ Augen blitzte es angriffslustig auf. Auch wenn er müde war, das würde er jetzt durchstehen, dafür was diese ´Diskussion´ einfach zu wichtig. „Das hört sich doch glatt so an, als sollte ich mich in deinen Augen entscheiden. Entweder für dich oder das Studium. Was für ein Scheiß, ganz ehrlich. Wie in einer alten Ehe, wo der Mann sich mehr um seinen Benz kümmert als um die Belange der eigenen Frau. Meine Güte Andy. Wir sind keine alten Knacker und mir ist dieses Studium verdammt wichtig, nicht umsonst mache ich das. Aber du bist mir genauso wichtig, schreib dir das mal hinter die Ohren. Und was die körperliche Nähe, angeht, wie du es nennst. Hör mir mal zu. Ich sitze Stunden in irgendwelchen Lesungen, hocke in Bibliotheken und versuche, mir irgendwelche Dinge in den Kopf zu pressen. Komme stink müde nach Hause und du verlangst allen Ernstes, dass ich mich mit einem Elan auf dich stürze, dass uns schwindlig wird? Herr Gott, hab du mal einen Tag, wo du nur am pauken bist und an gar nichts anderes mehr denken darfst! Du brauchst deine Diplomarbeit ja nicht schreiben! Versetz dich doch mal in meine Lage!“ Jetzt war auch der junge Mann lauter geworden als beabsichtigt. Sah seinen Freund betrübt, aber dennoch auf gewisse Weise wütend an. Fuhr sich fahrig über das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Schatz, du bist nicht zweitrangig in meinem Leben, du bist das Wichtigste überhaupt. Aber was soll ich machen? Sag mir was ich machen soll? Ausdauertraining, damit ich dich gescheit durchvögeln kann bis du keinen klaren Gedanken mehr fassen kannst? Das geht einfach nicht. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie dermaßen anstrengend das ist und es tut mir leid, dass das alles irgendwie auf der Strecke bleibt nur ich kann daran nichts ändern.“ Seine Stimme war versöhnlich. Ihm tat es ja wirklich leid, aber Andy musste auch irgendwie Verständnis für seine Situation zeigen. „Honey, das mit dem pauken kurz vor unserem Abi hast du auch auf die Reihe bekommen. Und ich kann mir nicht gerade vorstellen, dass Lesungen anstrengend sein sollen. Wie auch immer. Ich verlange nicht, dass du dich entscheidest, aber ich komme mir wirklich beschissen vor. Ich vermisse dich, alles an dir und das seit Wochen.“ Andy zog seinen Verlobten langsam in seine Arme. Seufzte nur kurz auf und vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge. „Ich wollte nicht laut werden. Ich versuche schon die ganze Zeit mich in deine Lage zu versetzen, aber es klappt nicht. Ich kann das alles nicht nachvollziehen. Ich wünschte einfach, es wäre wie damals in der Schule. Viel Zeit, schöne Stunden zu zweit und relativ wenig Stress.“ Tobs entfloh ebenfalls ein Seufzen. Schloss die Umarmung langsam. Seine Lider klappten nach unten und die Last auf seinen Schultern wurde langsam weniger. Dieses Gespräch hatten sie beide gebraucht. Es hatte ihnen zu viel auf der Seele gelegen. „Honey ich vermisse dich auch. Jeden Zentimeter, glaub mir.“ Ein kurzes Lächeln, welches schnell wieder verblasste. „Lesungen sind verdammt anstrengend, du musst so schnell mitschreiben, dass deine Finger zu rauchen anfangen. Ach Schatz, ich würde unendlich viel dafür geben, ein paar gemütliche Stunden mit dir zu verbringen.“ „Dann lass uns jetzt damit anfangen. Es ist Freitag, du musst das Wochenende über nicht zur Uni und die beiden Mädels sind auch irgendwo, nur nicht hier.“ Andy hatte leise geflüstert. War ein paar Schritte nach vorne gegangen und hatte seinen Liebsten ein wenig nach hinten gedrückt. Ihn aber fest im Griff. „Dass du müde bist gilt nicht als Ausrede.“ Er grinste kurz. Tobs gähnte tatsächlich leise auf. „Du willst mich jetzt noch flachlegen?“ Etwas gejammert, kamen diese Worte aus der Lunge des jungen Mannes. „Nein. Aber ich glaube, dass uns beiden ein schönes, heißes Bad ganz gut tut, oder? Und danach ins Bett und schlafen, hm?“ Andy schmunzelte. „Außerdem hört sich das so an, als wäre das sooo schrecklich, würde ich mit dir schlafen wollen.“ Er zog eine kleine Schnute und wurde unter einem kleinen Lachen in das Badezimmer gezogen. Ja, so gefiel ihm die ganze Sache schon viel besser. „Nein, es ist absolut nicht schrecklich, sonst hätte ich längst das Handtuch geworfen.“ Tobs kicherte kurz auf. Spürte diese sanften, dennoch leicht rauen Hände unter seinem Pulli auf dem Rücken. Seufzte wohlig. Ja, das hatte er wirklich vermisst. Umarmungen, sanfte Liebkosungen, auch wenn es nur ein leichtes Streicheln war, wie im Moment über seine Wange. Diese sanftmütigen Augen. Oh Gott, er hatte fast vergessen gehabt, wie schön diese Momente immer wieder für ihn, beziehungsweise für sie, war. „Schlafen hört sich herrlich an. Ich hoffe nur, nicht in der Wanne.“ Auch Andy genoss eben diesen Augenblick mehr als alles andere zuvor. Hier mit Tobs zu stehen. Ihn einfach nur halten zu können, zu dürfen, das bedeutete ihm schon die Welt. Er war froh, dass sie dieses Gespräch geführt hatten. Auch wenn es lauter geworden war. Das konnte man manchmal einfach nicht vermeiden, aber vielleicht würde sich ja nun endlich etwas ändern. Wer konnte das jetzt schon voraussagen? Er hoffte es zumindest. Mit luftigen, zärtlichen Berührungen entfernten sich langsam aber sicher die Klamotten der beiden Gothics, während die Wanne mit warmen, fast schon heißem Wasser voll lief und sie sich kurz darauf hineingleiten ließen. Aneinander gelehnt und genießend. Tobs hatte sich mit dem Rücken an seinem Verlobten geschmiegt. Ihre Hände miteinander verflochten und die Augen geschlossen. Ein leichtes Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als er seinen Gedanken aussprach. „Hast du echt nen Vibrator benutzt?“ Seine Stimme hörte sich leicht belustigt an. Er hätte keine Probleme damit, würde sich Andy somit Erleichterung verschaffen. Abgeneigt gegenüber einer Benutzung zu zweit war er keinesfalls. Er wollte alles irgendwann einmal ausprobieren. Die Röte in dem Gesicht des Schwarzhaarigen rührte sicherlich nicht nur von der Wärme des Wassers her. „Ähm… du hast mir keine andere Wahl gelassen.“, murmelte er leise. Vergrub sein Antlitz leicht in Tobs´ Halsbeuge. „Ich mein… das waren fast zwei Wochen ohne Sex. Es soll ja nicht so aussehen, als wäre ich notgeil oder sexgeil, aber ich mein… Ohne kann ich auch nicht und wenn… na ja…“ Er führte seinen Satz gar nicht zu Ende. Es war ihm so schon peinlich genug. Andy hatte ja gehofft, dass es nie soweit kommen würde, aber nun konnte und wollte er es auch nicht wieder rückgängig machen. Es hatte sich dafür einfach zu genial angefühlt. „Hmh… wenn ich nicht herhalten kann, muss halt etwas anderes her. Versteh ich.“ Tobs grinste wieder. Wandte sich etwas um und sah in das Gesicht seines Lieblings. Hob es sanft an, küsste ihn flüchtig auf die Lippen und zwinkerte. „Wir sind jung, Honey. Wir können so viel ausprobieren.“ Ein geschmunzeltes Schnurren. „Wir können ja mal im Spexter vorbeischauen.“ Sein Lachen war durch den ganzen Raum zu hören, als er das erschrockene ´wie bitte´ vernommen hatte. „Wieso nicht? Ist nicht weit von uns entfernt und na ja, danach machen wir noch einen kleinen Abstecher ins Bug´s und danach…“ Nun wurde sein Grinsen wirklich breit. Es zog sich über beide Ohren und es wurde nur noch weiter, als er das knallrote Gesicht seines Schatzes sah. „Und danach in den Ochsengarten, was sagst du?“ „Spexter okay, Bug´s auch, aber was zum Teufel willst du im Ochsengarten?!“ Seine Augen waren groß. Das warme Lächeln war einem erschrockenen Ausdruck gewichen. Nein, das fand er alles andere als lustig. Der Ochsengarten in München. Einer der nicht gerade wenigen Leder-Schuppen in München. Fast direkt gegenüber einer Schwulen-Sauna, einem Schwulen Restaurant. Eben im Glockenbachviertel der Hauptstadt. Das Schwulenviertel von München, welches sich doch ziemlich weit ausbreitete. In der Stadtmitte. Tobs lachte leise auf. Küsste Andy abermals sanft und schüttelte versöhnlich den Kopf. „Das war ein Joke. Ich würde da nicht reingehen. Zumindest nicht jetzt. Mir ist das nicht geheuer und auf Darkrooms steh ich im Moment auch nicht unbedingt.“ Es schüttelte ihn leicht. Er schmiegte sich fester in die Arme seines Verlobten. „Aber das mit dem Spexter… wir können doch morgen hingehen, oder? Wir haben eh nichts vor.“ Spexter. Dieser Laden war ihm erst aufgefallen, als er irgendwann einmal aus dem Bug´s, einem Laden für Gothics, gesehen und dann die Regenbogenflaggen entdeckt hatte. Er war neugierig geworden und hatte sich einfach mal das Schaufenster angesehen. Auf den ersten Blick hätte es ihn beinahe umgehauen. Dildos in allen Größen, Gleitgels, Kondome, Ledermasken, Chaps. Ja, das war eben das typische Schaufenster eines Schwulen-Sexladens. Aber dennoch, einen gewissen Reiz hatte es in ihm schon ausgebreitet. Vor allem, diese ganzen Läden lagen alle auf dem Weg zu seinem Job im Rainbow. Alles auf dem Weg. Buchläden, Sexshops an jeder zweiten oder dritten Ecke, Bars, Cafés, Discos. Eben ein Viertel, wo er sich richtig wohl fühlte. Und man traf nette Leute, gackernde Mädls, wenn man Arm in Arm durch die Straßen zog. „Man. Jag mir doch nicht so einen Schrecken ein. Wir können gerne irgendwo in eine dieser Dissen gehen, aber bitte nicht in den Ochsengarten. Darauf kann ich wirklich verzichten. Und einen Darkroom können wir uns selbst auch noch machen.“ Er grinste kurz neckisch auf. „Außerdem, die Homepage vom Spexter ist ziemlich genial. Ich glaub ich bestell mir da mal was“, überlegte der junge Mann laut vor sich her. „Chaps oder so. Sind geile Teile nur teuer.“ Er seufzte leise auf. Andy schüttelte daraufhin nur den Kopf. Kraulte seinem Liebsten leicht über die Brust und lächelte. „Da brauchst du dir nur den Arsch und den Schritt von deiner Lederhose raus schneiden, gescheit vernähen und du hast deine Chaps. Da brauchst du dann keine 160€ für ausgeben. Obwohl, dann brauchst du eine neue Lederhose und die sind auch nicht gerade billig.“ Tobs lachte nur leise auf. „Nein, das ist mir zu teuer. Aber…“ Seine Augen fingen zu glänzen an. Er kuschelte sich kichernd ein wenig weiter in Andys Arme. Hatte wieder dieses Grinsen im Gesicht. „Aber was?“ Andy ahnte nichts Gutes. Piekte seinen Liebsten leicht in den Bauch. „Untersteh dich auch nur an Masken oder an Slings zu denken.“ Tobs drehte sich nun vollständig zu seinem Schatz um. Zog eine Augenbraue nach oben und grinste. „Du kennst dich aus.“ Er zwinkerte flüchtig. „Nein… weder Masken noch Slings…“ Ein flüchtiger Kuss gegen Andys Lippen und das Funkeln in seinen Augen wurde stärker. „Jocks.“ Der Rothaarige biss sich kurz auf die Lippen. „Aus Leder… Oder essbar.“ Er lachte leise auf. Sah zu seinem Verlobten und erkannte nur ein fragendes Gesicht. „Wie der Tiefschutz bei Eishockeyspielern. Nur aus Stoff und ohne Einsatz.“ Sein Grinsen war das eines kleinen Jungen. Wieder nur ein Schulterzucken. „Schnell-Fick-Unterwäsche.“, half er ihm auf die Sprünge. „Ach so… jetzt. Okay.“ Andy lachte leise auf. Kraulte seinem Süßen wieder leicht über den Bauch. „Müsste man ausprobieren.“ Ein Gähnen drang an seine Ohren. Ein warmes Lächeln wurde in seinem Gesicht sichtbar. „Müde?“, fragte er sanft an Tobs´ Ohr. Spürte ein leichtes Nicken an seiner Schulter. „Dann lass uns raus gehen und ich massier dir noch den Rücken, hm?“ Grüne, müde Augen blickten in die blauen Andys. Wieder nur ein Gähnen und ein Nicken und Tobs erhob sich langsam aus der Wanne. Wickelte sich nur in einen Bademantel und schlappte schon mal in ihr Schlafzimmer. Plumpste auf ihr neu errungenes Fotoun und wäre beinahe eingeschlafen, hätte er nicht das Gewicht seines Liebsten auf seinem Hintern gespürt. „Du solltest dir wirklich überlegen, ob du noch weiter im Rainbow arbeiten willst. Das macht dich noch vollkommen mürbe mit der Uni noch dazu.“, meinte der Schwarzhaarige leise, während er Tobs´ Rücken entblößte und seine Finger mit einem gewissen Druck darüber gleiten ließ. Kleine Kreise zog und ein paar härtere Stellen etwas fester massierte. „Hmm… und die Miete? Die werde ich von dem bisschen Bafög nicht bezahlen können. Außerdem brauche ich den Ausgleich zur Uni einfach.“ Ein tonloses Brummeln war aus seiner Kehle gedrungen. Ein wohliges Seufzen folgte, als er die sanften Hände spürte. „Die könnte ich übernehmen. Das wäre kein Problem, ich will nur nicht, dass du noch wegen dem ganzen Stress einen Kollaps bekommst.“ Andy hauchte seinem Süßen einen kurzen Kuss gegen die Wange. „Wovon?“ Tobs lachte kurz freudlos auf. Andy hatte genauso wenig Geld wie er selbst, würde er nicht nebenher arbeiten gehen. Ein flüchtiges Grinsen war auf seinem Gesicht erschienen. „Ich hab immer noch was von dem damaligen Shooting und Terry hat eh gefragt, ob ich nicht mal wieder Lust hätte. Und es ist gutes Geld.“ Er hatte ziemlich leise gesprochen. Tobs drehte sich mit einem Ruck zu seinem Schatz um. Funkelte ihn an und schüttelte den Kopf. „Ich will nicht, dass du dir damit deinen Unterhalt verdienst. Ich finde es immer noch genauso billig wie damals und du hast weitaus mehr auf dem Kasten, als dich nackt irgendwo vor eine Kamera zu stellen, nur damit dich irgendwelche notgeilen Affen begaffen können.“ Ein Fauchen war ihm entflohen. Er seufzte kurz auf und schüttelte den Kopf. Drehte sich wieder auf den Bauch, schloss seine Augen und gähnte abermals leise auf. „Ich will jetzt nicht darüber diskutieren Honey.“ „Ach. Es billig finden aber selbst mitmachen. Das ist eine Mischung, die ich nicht ganz verstehe.“ Auch Andy hatte kurz gefaucht. Legte sich neben Tobs und zog ihn in seine Arme. „Sei mir nicht böse, okay? Es war nur eine Überlegung, was nicht heißt, dass ich es auch machen werde. Ich werde schon einen Weg finden an Geld zu kommen und wenn ich für dich hinter die Bar gehe, wäre es mir auch recht.“ Er küsste ihn flüchtig auf die Lippen. Legte die kuschelige Decke über sie beide und schloss nun ebenfalls die Augen. „Ich hoffe, dass es auch nur bei einer Überlegung bleibt.“, seufzte der junge Mann kurz auf. Schmiegte sich in die warmen Arme und warf kurzerhand seinen Bademantel aus dem Bett. „Unbequem.“, grinste er, als er Andys hochgezogene Augenbrauen sah. „Und da soll ich widerstehen können? Du bist echt gut.“ Allein als er den nackten Körper in der Wanne an seinem gespürt hatte, war ihm das Blut schon wieder in die südlicheren Regionen geschossen und jetzt war es so weit, dass es sich anstaute und das war mehr als unangenehm, wenn man keine Erleichterung bekam. „Ich bin kurz im Bad.“, meinte er kurz angebunden, wollte gerade aufstehen, als ihn Tobs zurückhielt. Kurz grinste und dann unter der Decke verschwand. „Tobs… Scheiße… Tobs hör auf.“, fluchte er laut auf. Verkrallte sich im Laken und schüttelte den Kopf. Das war vom einen Moment auf den anderen zu viel des Guten. Er konnte ihm doch nicht einfach einen blasen und das nach zwei Wochen Abstinenz. Das ging einfach nicht. Er würde das nicht durchhalten. Und so war es auch. Es dauerte noch nicht einmal eine Minute, da lag er mit leicht geöffnetem Mund da, hatte immer noch ein leises Stöhnen auf den Lippen und sah nur das grinsende Antlitz seines Verlobten über sich. „Wie fies kann man sein, wenn man müde ist.“ Er lachte kurz auf. Küsste ihn flüchtig und zog ihn wieder auf sich. „Sehr fies. Aber Andy… ich will jetzt wirklich schlafen.“, murmelte er leise gegen seine Brust. Hörte den langsam abflauenden Herzschlag, bis er wieder regelmäßig ging. Ihm entfloh abermals ein Gähnen und keinen Moment später wurde er von dem sanften Kraulen seines Schatzes ins Land der Träume geschickt. Eine Woche später wurde diese ganze Streiterei, zwar nicht von neuem gestartet, aber doch um einiges hitziger und tiefgehender. Allerdings war weder Tobs noch Andy daran schuld, sondern eine Person, die Zweitiger am liebsten aus seinem Leben verbannt hätte. Es war kurz vor Weihnachten, als es am späten Nachmittag an der Türe klingelte. Andy war gerade vollkommen dösig mit Tobs im Bett gelegen. An nichts weiter als an sie denkend und urplötzlich holte sie jemand aus den schönsten Streicheleinheiten. Mit einem gegähnten ´komme gleich´, rappelte er sich auf. Tobs ihm hinterher und sie traten an die Türe. Öffneten. „Scheiße…“, murmelte Andy nur leise. Ging einen Schritt zurück und schüttelte fast schon ungläubig den Kopf. „Das ist nicht wahr.“ Als hätte er eben einen Geist gesehen, stand er da. Große, starre Augen. Ein leicht geöffneter Mund. Doch so schnell dieses Entsetzen und Erschrecken in seinem Antlitz aufgetaucht war, verblasste es und verwandelte sich in reinste Wut. „Verschwinde! Verschwinde aus meinem Leben!“, brüllte der junge Mann durch den Hausflur. Mit einem letzten Blick auf die Schwarzhaarige in der Türe stürmte er, hellwach, zurück in ihr Schlafzimmer. Schlug den Eingang dessen mit einem lauten Knall zu und plumpste mit Tränen der Wut in den Augen, auf das breite Bett. Sein Gesicht lag in den Händen. Sein Herz pumpte so schnell wie lange nicht mehr. Was seine Mutter ihm noch nachrief, es hatte sich wie ´wie redest du mit deiner Mutter´ angehört, hatte er kaum mitbekommen. Er stellte die leise dudelnde Musik in dem Raum auf vollste Lautstärke. Legte sich quer über das Fotoun. Starrte an die Decke bis die Türe aufging und sein Verlobter mit einem leicht ärgerlichen Ausdruck im Gesicht darin stand. Der Rothaarige stellte erst einmal die Musik aus. Machte die Türe zu und setzte sich mit fast vorwurfsvollen Augen neben seinen Schatz. „Was sollte das denn?“, fragte er entrüstet. „Du kannst sie doch nicht einfach so anschreien.“ „Wieso nicht?“ Andy klang eher gelangweilt, als sonst etwas anderes. Er wollte nicht über diese Frau sprechen, die nach zig Jahren wieder aufgetaucht war und er wusste noch nicht einmal wie sie herausgefunden hatte, wo sie wohnten. „Sie ist deine Mutter.“ Tobs sah ihn immer noch etwas erschrocken an. Er hatte Andy selten so aus der Fassung geraten gesehen. Der junge Mann hatte zwar von Andys Vergangenheit gewusst, aber dass er so schlecht auf seine Mutter zu sprechen war, das hätte er nicht gedacht. Andy erhob sich langsam. Fuhr sich über das Gesicht und sah nach draußen in das Schneegestöber. „Das ist es ja!“ Er drehte sich mit einer schnellen Bewegung um. „Sie taucht hier auf, als wäre nie etwas gewesen! 14 verdammte Jahre hat sie nichts von sich hören lassen!“ Er schrie wieder. Ja, er hatte seine Stimme erhoben, stand mit vor Zorn verzogenem Gesicht im Raum und starrte seinen Freund wütend an, obwohl nicht er das Ziel dieser Wut war. Und schon jetzt tat es ihm leid, dass er seinen Frust an ihm ausließ. Nur langsam erhob sich der Rothaarige. Ging auf seinen Liebling zu und streichelte ihm, mit traurigen Augen, durch die leicht zerzausten Haare. Sah ihn einfach nur an und es vergingen einige Sekunden, bis er ihn dann in seine Arme zog. Ihn sanft an sich zog. „Honey, bist du wirklich so wütend? Ich finde es traurig. Traurig für euch beide. Einmal für dich, dass du so lang hattest auf deine Mutter verzichten müssen. Und für deine Mom, dass sie dich erst jetzt wieder sieht und auf ziemlich viel Widerstand trifft.“, flüsterte er leise. Versuchte irgendwie, seinen Freund dazu zu bewegen mit seiner Mutter, welche in der Küche alleine und verlassen saß, zu reden. Ihn auch zu beruhigen, denn noch immer strahlte Andy eine ziemlich zornige Aura aus. Tobs spürte, wie sein Gegenüber die sanfte Umarmung schloss. Sich ein wenig entspannte. „Ich kann ihr das nicht verzeihen, Tobs.“ Seine Stimme war brüchig. Leise und sehr rau. „Es waren 14 Jahre zu viel. Würdest du da deinen Widerstand von jetzt auf heute fallen lassen?“ Er ließ ihn langsam los. Küsste ihn zärtlich auf die Stirn, ehe er sich wieder auf das Bett legte. Mit dem Rücken zum Fenster. Die schlanken Beine an den Körper zog und den Schrank anstarrte, statt der Decke. Ein leises Seufzen war im Raum zu hören. Die Matratze drückte sich noch ein wenig weiter nach unten und die beiden Schwarzen lagen aneinandergeschmiegt da. „Ich habe ihn fallen lassen, wenn du dich an unser Abschlussjahr erinnerst.“ Tobs´ Finger der Rechten streichelten wieder die weichen Haare seines Schatzes. „14 Jahre sind eine lange Zeit. Trotzdem, deine Mom hat es nicht verdient, so behandelt zu werden. Genauso wenig wie du es verdient hattest, ohne sie aufzuwachsen. Aber Honey…“ Tobs schloss leicht seine Augen. Sprach sanft weiter und zog den jungen Mann vor ihm fester an sich. „Das ist wohl die beste Gelegenheit, diesen Zorn, die ganze Wut auf Glatteis zu legen. Das Kriegsbeil zu begraben. Sich auszusprechen. Und du erhältst die Chance, eine Mutter zu haben, ebenso wie sie einen Sohn.“ Ein leises Wimmern ließ den Erwachsenen erzittern. Andys Herz schnürte sich immer weiter zusammen. Natürlich hatte Tobs Recht und das wusste er auch. Er konnte seiner Mutter nicht böse sein. Das bisschen Wut, was in ihm herrschte war nichts im Gegensatz zu der Leere die er die ganzen Jahre über gefühlt hatte. Die Traurigkeit zu wissen, dass er seine Mutter vielleicht nie mehr sehen würde. Aber genau diese Gelegenheit war ihm jetzt gegeben worden. Und er hatte sie nicht wahrgenommen. Er könnte sich selbst dafür schlagen, doch er hatte nicht gewusst, wie er anders hätte reagieren sollen, als er seiner Mutter gegenüber gestanden war. „14 Jahre… 14 scheiß verdammte Jahre.“ Andys Stimme war nicht mehr als ein verletztes Flüstern gewesen. „Ich könnte alles sein. Wütend, stocksauer alles Mögliche… aber ich bin’s nicht.“ Nur langsam drehte sich der Schwarzhaarige um. Hatte die genässten Augen geschlossen und drückte sich fest gegen seinen Verlobten. „Ich kann’s nicht. Ich kann ihr nicht böse sein.“ Er fragte sich selbst wieso. Eine Antwort konnte er, wie so oft, nicht finden, aber er schätzte, dass es deshalb war, dass sie einfach da war. Dass sie anwesend und bei ihm war. „Ich weiß.“ Tobs lächelte leise. Küsste die kleinen Tränen in Andys Augenwinkeln weg. Streichelte ihm sanft weiter durch die Haare und schüttelte fast ungläubig den Kopf. Zuerst war er so sauer und jetzt lag er zusammengekauert da. Wie ein Häufchen Elend. „Geh zu ihr, Honey. Es ist wirklich an der Zeit, dass ihr euch aussprecht und euch… kennen lernt.“ Ein kurzer, zärtlicher Kuss entbrannte zwischen den beiden, ehe sie sich langsam aufsetzten. Andy fuhr sich mit zittrigen Händen über das Gesicht. Seine Wangen waren genässt und seine Augen waren wahrscheinlich ziemlich rot. Aber das scherte ihn im Moment überhaupt nicht. Eher fragte er sich, wie er zu ihr gehen sollte, wenn er noch nicht einmal wusste, wo sie war. Vielleicht war seine Mutter ja über die ganzen Jahre umgezogen? „Wie soll ich das machen? Ich hab keine Ahnung wo sie hin ist.“ Wieder dieser betrübte Ton. Leise Bitterkeit in der Stimme und Tobs konnte dabei nur sanft lächeln. Er kniete sich vor ihn auf den Boden. Trocknete mit seinen Fingern die letzten Tränenspuren. „Sie sitzt in der Küche.“, flüsterte er sanft. Erhob sich vollends und streckte seine Hände aus, um Andy in die Höhe zu ziehen. „Wie in der Küche?“ Er verstand gar nichts mehr. Er hatte gedacht, dass Tobs sie nicht hineingelassen hätte. „Sie sitzt jetzt in der Küche?“ Vollkommen erstaunt und verdattert blickte er in die warm strahlenden Augen seines Verlobten. „Jetzt geh schon.“ Ein leises Lachen und die beiden gingen, Andy mit ziemlich wackeligen Knien, in genanntes Zimmer. Die gleichen schwarzen Haare wie er. Warme Augen und leichte Fältchen an Augen und um den Mund. Sie war eben nicht mehr die Jüngste. Für Andy war die Zeit gerade jetzt stehen geblieben. Er stand einfach im Türrahmen und sah auf den Tisch. Sah das traurige Lächeln auf den schmalen Lippen seiner Mutter und ihm kamen fast schon die Tränen. Vor Rührung, Trauer und irgendwo doch ein wenig aus Wut, obwohl das nur ein minimaler Anteil seiner augenblicklichen Emotionen war. „Honey ich mach Kaffee, ja?“ Tobs hatte er nur wie durch einen dicken Nebelschleier gehört. „Ja… ja ist gut.“ Langsam, äußerst langsam ließ er sich seiner Mutter gegenüber auf einen der Stühle sinken. Wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Sein Herz raste schon wieder und schlug ihm in der Kehle. Bildete einen Kloß, der ihm das Schlucken erschwerte. Es vergingen ein paar Minuten. Grausames Schweigen in der Küche. Nur die Kaffeemaschine gluckerte ungehalten der eisigen Stimmung in dem kleinen Raum. „Du hast einen sehr netten Mitbewohner.“, meinte die Schwarzhaarige Frau etwas verschüchtert. Sie fragte sich, warum dieser Rot-schwarzhaarige ihren Sohn mit ´Honey´ ansprach. War das wieder ein neuer Trend der heutigen Jugend geworden? Wirklich vorstellen konnte sie es sich nicht, da sie selbst Tag täglich mit diesen jungen Leuten zu tun hatte. In einer der Münchner Realschulen war ihr Arbeitsplatz als Deutsch- und Religionslehrerin. Andy blinzelte für einen kleinen Moment. Zog eine Augenbraue nach oben und schüttelte den Kopf. Sah kurz zu Tobs. Musste lächelnd. „Er ist nicht nur mein Mitbewohner.“, meinte er langsam. Ob er seiner Mutter erzählen sollte, dass sie verlobt waren? Dass sie seit sehr langer Zeit schon eine Beziehung führten? Der Rothaarige musste wohl Andys Unentschlossenheit gespürt haben, denn er legte ihm zaghaft seine Hände auf die Schultern. Man sah ihre Ringe, da Andy seine Linke mit der Tobs´ verhakt hatte. Dieselben am linken Ringfinger, eigentlich musste das doch zu verstehen sein, oder? „Wir sind…“ Andy blickte zu seinem Schatz. Ein lächelndes Nicken war zu sehen gewesen. „Wir sind verlobt.“ Er hatte leise gesprochen. War immer noch etwas über den Haufen gerannt und auch ein klein wenig unsicher. Der junge Mann sah das Gesicht seiner Mutter entgleisen. Er hatte es schon fast befürchtet, aber gehofft, dass sie das so hinnehmen würde. Wieso sollte sie das nach 14 Jahren auch interessieren? Ihr konnte es doch egal sein. Er war erwachsen, er führte sein langem schon sein eigenes Leben und dieses Leben war mehr als nur schön! Die Schwarzhaarige erhob sich. Ihre Hände zitterten und ihre Augen hatten sich zu einem Schlitz verengt. „Du hast… Du hast ihn Schwul gemacht!“, brüllte sie los und wäre Tobs beinahe an den Hals gesprungen, wäre Andy nicht rechtzeitig aufgestanden und hätte sich vor ihn gestellt. Nun hing seine Mutter ihm selbst am Kragen. Schüttelte ihn und sprühte nur so vor Wut. „Was fällt dir eigentlich ein ihn anzugreifen!“ Er schrie. Hielt die Hände seiner Mutter fest. „Du tauchst hier auf! Nach 14 Jahren! Und dann willst du mir auch noch vorschreiben mit wem ich zusammen zu sein habe! Nur weil er ein Mann ist! Sei doch froh, dass ich überhaupt jemanden in den letzten Jahren gehabt habe, an den ich mich hatte lehnen können!“ Er spießte die Frau vor sich beinahe mit seinen Augen auf. Diesmal war es wirklich die Wut, die aus ihm herausplatzte. Seine Mutter konnte das alles überhaupt nicht nachvollziehen. Wollte sich in ihr Leben einmischen! Aber das konnte sie gleich vergessen. „Wenn du nur hier bist um mir vorzuschreiben, wie ich zu leben habe. Um mir in MEIN Leben hinein zu pfuschen, dann verpiss dich. Verpiss dich und lass dich hier nicht mehr blicken. Zudem… ich hab Tobs den Antrag gemacht, falls du es wissen willst.“ Seine Augen, seine gesamte Präsenz sprühte nur so vor Wut. Und ihm war in diesem Moment mehr als egal, was er seiner Mutter an den Kopf warf. Nur langsam ließ er die Hände der schwarzhaarigen Frau los. Schüttelte den Kopf und seufzte kurz auf. „Andreas… verzeih mir.“, kam es leise von ihr. Die Augen seiner Mutter waren glasig und sie zeigte Reue. In ihrer Art zu sprechen. „Ich… natürlich, ich habe nicht das Recht mich einzumischen. Tobs, so heißen Sie?“ Der Angesprochene nickte nur langsam. „Es tut mir leid. Das war nicht rechtens.“ Sie streckte ihm vorsichtig eine Hand entgegen. Man konnte in ihrem Gesicht beinahe lesen, wie ihr die Last von den Schultern fiel, als Tobs die Entschuldigung angenommen hatte. „Der Kaffee ist fertig.“ Tobs wandte sich langsam um, stellte drei große Tassen auf den Küchentisch. Der Schock saß immer noch in ihm. Er hatte sich schon ziemlich in Andys Mutter geirrt. Hatte gedacht, dass sie das tolerieren würde. Aber wahrscheinlich war das nur der erste Schock. Er hoffte es zumindest. „Milch Zucker?“, fragte er an die Schwarzhaarige gewandt. „Milch, bitte.“ Sie lächelte ein warmes, freundliches Lächeln. Sah sich neugierig in dem Raum um. Nickte anerkennend. „Schön habt ihr es hier.“ Andy fuhr sich leicht durch die Haare. Sie waren immer noch ziemlich verstrubbelt, allerdings hatte nicht vor das jetzt noch zu ändern. „Was willst du hier? Und, woher wusstest du, das wir hier sind?“ Der junge Mann wollte endlich Antworten. Wollte wissen, wieso sie ausgerechnet jetzt, so kurz vor Weihnachten, in ihr Leben platzte. „Natürlich.“ Rosemarie, wie Andys Mutter mit richtigem Namen hieß, sprach leise. Ein wenig traurig. Der leicht bayrische Akzent in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Aber es passte zu ihr. „Ich habe deinen Onkel angerufen. Habe ihn gebeten mir zu sagen wo du bist. Ich wusste nicht, wo er dich hin gesteckt hatte und auch nicht, ob du dort überhaupt noch warst. Es war gar nicht so einfach deiner Rektorin klar zu machen, dass ich nichts böses von euch wollen würde und sie mir bitte eure Adresse geben sollte.“ Ein kurzes Lachen hallte von den Kacheln wider. „Was ich nur nicht verstehe… eigentlich haben Rektoren doch gar nicht die Adressen von Schulabgängern.“ Andy lächelte nun ebenfalls. Traurig. „Weißt du, Frau Misleuf war für mich mehr eine Mutter in den ganzen Jahren die ich dort gelebt habe. Und ich bin ihr wirklich dankbar für das, was sie für mich getan hat und deshalb haben wir uns entschieden gehabt ihr die Adresse zu geben. Aber das beantwortet immer noch nicht die Frage, wieso du mich unbedingt sehen wolltest. Was ist passiert, dass du so plötzlich auftauchst?“ „Das würde mich ehrlich gesagt auch interessieren.“, meinte Tobs. Ließ sich neben seinem Verlobten nieder, stellte noch Milch auf den Küchentisch und nahm Andy Hand leicht in die seinige. Rosemarie schwieg für einen Moment. Als müsste sie überlegen, was sie nun darauf antworten sollte. „Tobs, es ist schlimm für eine Mutter, ihren Sohn so lange Zeit nicht zu sehen. Ich kann es mir selbst nicht verzeihen.“ Die Frau blickte ihrem Sohn in die Augen. „Ich möchte dich um Verzeihung bitten. Deshalb bin ich hier. Wegen nichts anderem. Andreas, du musst mich an deinem Leben nicht teilnehmen lassen, aber…“ „Eine Entschuldigung, damit dein Gewissen bereinigt ist und du in Ruhe leben kannst, meinst du das?“ Andy lachte herzlos auf. Schüttelte ungläubig den Kopf. So dreist war seine Mutter? Das hätte er wirklich nicht gedacht. Aber vielleicht war es wirklich das Beste diese Entschuldigung einfach anzunehmen, und so weiter zu leben, wie vorher. Es würde sich, in seinen Augen, absolut nichts ändern. „Nein, so war das nicht gemeint. Aber wenn du es so sehen möchtest. Es tut mir wirklich unglaublich leid. Was ich getan habe, ist nicht zu verzeihen, das weiß ich, aber gib mir eine Chance. Gib mir die Chance eine bessere Mutter als vorher zu sein.“ In ihren Augen glitzerten kleine Tränen. Ihr ging es wirklich sehr nahe, dass ihr Sohn einen solchen Widerstand aufgebaut hatte. Abermals mischte sich Tobs ein. Drückte Andys Hand leicht, welche ein wenig zu zittern angefangen hatte. „Darf ich fragen, wieso sie Andy damals weggegeben haben?“ Ihn interessierten die Gründe genauso wie seinen Verlobten. Aber sein Schatz würde im Augenblick wohl nicht in der Lage sein, vernünftig mit seiner Mutter zu reden. „Hat er dir erzählt, wie alt ich war? Nicht? Ich war 17, als ich Andreas bekommen habe. Ungewollt, aber ich habe mich unglaublich gefreut, als ich den kleinen Knirps auf dem Arm gehalten habe.“ Sie lächelte mit einem leichten Rotschimmer, als wäre sie wieder in dieser Zeit. „Nur das Problem an der ganzen Sache war. Ich hab die zwei Monate Schule noch fertig gemacht und dann stand ich da. Mit einem Baby, mit einer Miniwohnung und einem Erzeuger, der mir bei jeder Gelegenheit die Hölle heiß gemacht hat. Der Typ ist nach einem halben Jahr gegangen, ich hatte keine Kohle, keinen Job. Ich hab mich die sechs Jahre irgendwie durchhangeln können, nur dann ging es nicht mehr. Andreas, hätte ich die Möglichkeit gehabt, hätte ich dich niemals weggegeben. Hätte ich das Geld für eine Wohnung gehabt, hätte ich es nie getan. Gott, wie soll man mit 23 überleben, wenn einem die eigenen Eltern noch nicht einmal aushelfen oder besser gesagt aushelfen können.“ Sie fuhr sich etwas durch die Haare. Hatte immer noch glasige Augen. „Das… das wusste ich nicht.“, gab Andy kleinlaut zu. „Natürlich wusstest du es nicht. Wie auch? Du hast von all dem kaum etwas mitbekommen. Glaub mir, ich wollte nur das Beste für dich. Ich hätte es sonst nie getan. Es ist unverzeihlich, ich weiß. Andreas, ich habe mich nach dir gesehnt. Du glaubst nicht, was für Vorwürfe ich mir die ganzen Jahre über gemacht habe. Was für Sorgen. Ich hab mich immer gefragt wie es dir gehen mag. Wie es in der Schule läuft, was eine Mutter eben fragt, würde das eigene Kind von der Schule nach Hause kommen. Ich wünschte mir wirklich, dass es vollkommen anders mit uns beiden gelaufen wäre. Geld, ein zu Hause.“ Sie seufzte betrübt auf. Sah ihren Sohn aus traurigen Augen an. „Aber wie ich sehe, hast du die Jahre gut überstanden.“ Rosi schenkte Tobs ein kleines Lächeln, als wolle sie Danke dafür sagen, dass er bei Andy war. Eben dieser erhob sich langsam. Ging zu der schwarzhaarigen Frau um den Tisch und ließ sich vor ihr langsam in die Hocke sinken. Nahm ihre zitternden Hände in seine eigenen. „Mom, ich hatte wirklich keine Ahnung, was du durchmachen musstest. Oder eher, was wir damals durchmachen mussten. Ich bin schlauer als vorher und…“ Er stockte für einen Moment. „Ich nehme die Entschuldigung gerne an. Weißt du, ich hab mich immer wieder gefragt, wieso das alles so passiert ist. Wieso du mich weggegeben hast, aber im Nachhinein… weißt du, wäre ich von dem Arsch von Onkel, entschuldige bitte, nicht in das Internat gesteckt worden, hätte ich Tobs nie kennen gelernt. Ich bin euch in diesem Sinne eigentlich dankbar.“ Es würde seine Zeit dauern, bis sie vollkommen vertraut miteinander umgehen könnten. Aber diese Zeit hatten sie ja nun. Und das mehr als genug. „Ich kann wirklich nur beteuern, wie leid mir das alles tut. Und vorher. Ich wollte euch nicht angreifen.“ Eine kleine Träne perlte über ihre rosigen Wangen. „Ich war erschrocken. Selbst darüber hab ich mir in der ganzen Zeit Gedanken gemacht. Und so plötzlich zu erfahren, dass du mit einem jungen Mann verlobt und glücklich bist… Es ist ungewohnt. Obwohl in vielen Schulen derartige Aufklärung betrieben wird… wenn es einen dann selbst betrifft, oder indirekt betrifft, ist es alles andere als einfach. Aber ich freue mich.“ Und das meinte sie ernst. Natürlich freute sie sich, wenn ihr Sohn glücklich war. Und das sah man den beiden an. Von welchem Geschlecht war ihr egal. Nur es war der erste Schock gewesen, der sie so hatte handeln lassen. „Die Aufklärung in den Schulen reicht nur oft nicht aus. Wir zwei haben es am eigenen Leib erfahren müssen.“, meinte Andy traurig. Erhob sich langsam, während er die Hände seiner Mutter los ließ. Sie kurz umarmte und sich dann wieder neben Tobs niederließ, welcher das Ganze ruhig beobachtet hatte. Nun ein kleines Lächeln auf den Lippen trug und seinen Freund flüchtig auf die Stirn küsste, als er sich wieder setzte. Nahm langsam seine Hand, welche auf dem Tisch lag. Tobs nickte nur leicht. Er konnte sich nur noch zu gut an die Sprüche erinnern, die sie oft zu hören bekommen hatten oder die Sache damals mit Marco und Arim. Er hätte sie am liebsten irgendwo aufgehängt. Oder blutrünstigen Löwen zum Fraß vorgeworfen. Allerdings war er sehr froh, dass sie das mit der Zeit hatten verarbeiten können. Schneller als er gedacht hätte, obwohl er ganz genau wusste, dass Andy diese Geschehnisse nie vollkommen aus seinem Kopf bekommen hatte. „Nein, die Aufklärung reicht wirklich nicht immer aus, nur mehr als zu versuchen, den jungen Menschen diese Toleranz und Akzeptanz zu vermitteln, können wir Lehrer nicht. Da müssen auch die Eltern mitspielen, sonst geht das zum einen Ohr rein und beim anderen wieder hinaus. Nur viele der Lehrer, ob nun im Fach Biologie oder Religion, können selbst nichts damit anfangen, kennen sich zu wenig aus oder es ist ihnen einfach zu peinlich darüber zu reden und das mit kichernden Jugendlichen zwischen 12 und 16. Selbst mir ist es damals, als wieder in den Medien von einem jungen Schwulen berichtet wurde, der wegen der ewigen Fopperei Selbstmord begangen hatte, nicht leicht gefallen, das Thema in meinem Unterricht auf zu greifen, allerdings sehe ich jetzt, wie wichtig das eigentlich erst ist, allein weil mein eigener Sohn davon betroffen ist.“ Die Schwarzhaarige lächelte dieses mütterliche Lächeln, was Andy warm ums Herz werden ließ, obwohl er doch zuvor noch so wütend gewesen war, dass er seine Mutter am liebsten mit einem Arschtritt zur Türe hinauskatapultiert hätte. Andy schmunzelte einen kurzen Augenblick. Sah Tobs an und grinste dann breit. Er hatte da so eine kleine Idee im Hinterkopf. „Das stimmt, die Eltern spielen da schon eine entscheidende Rolle. Man bekommt die Haltung von ihnen mit und macht sie sich zu Eigen. Nicht immer die schlaueste Methode. Aber Kinder können gar nicht anders.“ „Was grinst du so?“ Tobs legte den Kopf leicht schief. Er verstand es nicht so recht, schon gar nicht bei einem derart wichtigen Thema. „Den Blick kenne ich, was hast du jetzt wieder vor?“ Zu seiner Schwiegermutter in Spe gewandt, meinte er. „Seine Augen funkeln immer so, wenn er irgendetwas ausheckt. Ob das nun gut oder schlecht ist bleibt dahin gestellt.“ Er lachte kurz auf. „Ich hab nur eine Idee. Das ist wie mit den Zeitzeugen der Nazizeit. Die waren bei uns ja damals auch in der Schule, also, wie wäre es, wenn man ihnen nicht einfach nur Filmchen zeigt, oder Reportagen oder irgendwelche langweiligen Blätter darüber aushändigt, sondern Szeneleute in die Klassen steckt und die einfach mal erzählen lässt?“ Der junge Mann blickte in die sehr kleine Runde. Strahlte seine Mutter an, die einen mehr als nachdenklichen Blick aufgesetzt hatte, und Tobs, der eine Augenbraue nach oben gezogen hatte. „Ich mein jetzt nicht, was so im Bett abgeht sondern von dem ganzen Drum herum. Die wirklich Ahnung haben, auch von Früher, was die KZs angeht. Was die Gesetze angeht und wie sich die Szene von Jahrzehnt zu Jahrzehnt geändert hat. Ich mein von ´alt´ bis ´jung´. Ich fände so was als Schüler interessant. Das ist dann wenigstens nicht so schal und langweilig, sondern man bekommt wirklich was davon mit. Und wer Fragen hat, soll fragen.“ Tobs zog wieder nur eine Augenbraue nach oben. Andys Mutter blickte ihren Sohn etwas unschlüssig an. Wurde dann nachdenklich. Nickte dann nach ein paar Minuten des Schweigens. „Weißt du was, ich halte das für eine ausgezeichnete Idee.“ Sie nickte und spielte wie eine Jugendliche mit einer ihrer schwarzen Haarsträhnen herum. „Oh oh… ich werde das gleich unserem Rektor sagen.“ Sie lachte leise auf. Andy war jetzt schon gespannt, was aus dem Ganzen werden sollte. Er hatte doch ein wenig Bammel, obwohl. Es diente zur Aufklärung junger Menschen und zu Förderung von Toleranz und Akzeptanz. Also, zu befürchten hatte er nichts. Allein deshalb, weil er die Menschen nicht kannte. Er würde sich überraschen lassen. Kapitel 2: Schulbesuch ---------------------- Kapitel 2 Schulbesuch 06.01.2007 Es war kurz vor Weihnachten. Andy hatte schon fast aufgegeben, dass seine Mutter ihn noch wegen dieser Schulsache anrufen würde. Doch man sollte ja nie zu früh aufgeben. Denn es war ein Mittwoch, als Rosemarie anrief. Mit einer hellauf begeisterten Stimme. Wahrscheinlich glitzernden Augen und hibbelig wie ein kleines Kind vor Schulbeginn. „Unser Rektor hat dem zugestimmt. Aber er möchte, dass wir es vorerst bei einer Klasse belassen um zu sehen, wie es sich entwickelt. Nicht dass dann von irgendwelchen Eltern Beschwerden darüber kommen. Das muss ja nun auch nicht sein. Schatz, vielleicht erreichst du etwas.“ „Warte mal, nicht so schnell ich versteh dich ja kaum. Also, ich soll mich in einer Klasse stellen und ihnen einen Vortrag halten?“ Andy blickte etwas irritiert drein. Hob eine Augenbraue als er das gejauchzte ´Ja´ seiner Mutter hörte. „Und wann genau?“ „Gleich morgen. Ich hab um elf Uhr zwei Stunden Klassleiterstunde in meiner neunten. Wenn das ginge. Würde mich selbst schon auch mal interessieren.“ Sie kicherte mädchenhaft auf und wäre ihm wohl am liebsten um den Hals gesprungen, wäre sie bei ihm gewesen, als er ihr zusagte. „Morgen? Ach du liebe Zeit. Ja ist gut, ich bin dabei. Hoffe ja, ihr bekommt dann keine Beschwerden.“ Andy grinste in sich rein. Er würde seine Klappe nicht halten können, würde einer einen blöden Spruch ablassen. Rosi überlegte einen Moment. „Wieso Beschwerden, solange du beim Sex nicht auf jedes einzelne Detail eingehst, glaube ich weniger, dass da irgendwelche Beschwerden kommen werden.“ „Na ja, ich wird nur meinen Mund nicht halten, wenn jemand einen dummen Spruch ablässt auch wenn du drin sitzt. Ich bitte dich nur, dich im Hintergrund zu halten, okay? Auch wenn irgendwelche abfälligen Sprüche kommen.“ Andy überlegte einen Moment. Ja, das wäre wohl das Beste, sie dann einfach ein wenig in die Enge zu treiben. Vielleicht würden sie sich es dann zwei Mal überlegen, so etwas von sich zu geben. Seine Mutter hatte ihm zugestimmt. Der nächsten näherte sich immer schneller und Andy hatte nicht wirklich eine Ahnung, wie er überhaupt anfangen sollte. Er überlegte die ganze Nacht lang. Tobs neben ihm schlief schon seelenruhig. Irgendetwas würde ihm schon einfallen. Mit diesen letzten Gedanken, schlief auch er irgendwann ein. Wachte um kurz vor neun auf. Er hatte ja noch ein wenig Zeit. Jetzt stellte sich natürlich nur die Frage, was er anziehen würde. Nach einem Kaffee und einer heißen Dusche entschied er sich für seine Lederhose, ein eng anliegendes Shirt ohne Ärmel und seine Boots. Mit dem Ledermantel machte er doch dann einen recht seriösen Eindruck. Um zehn Uhr machte er sich dann auf den Weg in eine Münchner Realschule, Nähe der Münchner Freiheit. Ging die Treppen langsam in den ersten Stock empor. Die Sonnenbrille auf der Nase. Die Sonne draußen, hatte ihn dermaßen geblendet, dass er beinahe blind geworden wäre. Der ganze Schnee auf den Straßen, die helle Scheibe, wie sich ihre Strahlen in den Eiskristallen gebrochen hatten. Es war der herrlichste Tag in diesem Winter und würden diese Temperaturen anhalten, würden sie ein weißes Weihnachten haben. Seine Mutter hatte noch gemeint, sie würden sich vor dem schwarzen Brett treffen. Er kam sich ein wenig fehl am Platz vor, wenn er sich die ganzen kleinen Teenies ansah, die kichernd mit ihren Schultaschen und ihren Hüfthosen die Treppen nach unten kamen. Es war wohl gerade Pause. Ein junges Mädchen, er schätzte sie auf knappe sechzehn, kam nach unten. Springerstiefel, wild durch gestufte, nachschwarze Haare, leicht blässlich geschminkt. Sie rempelte ihre Freundin an. „Scheiße! Sind Sie nicht… ich meine… Oh mein Gott!!!“, quietschte sie los. Andy war erst einmal ziemlich schockiert. Was sollte denn das werden? Er verstand gar nichts. Der junge Schwarze zog langsam eine Augenbraue nach oben. Wartete darauf, dass die Kleine ihren Satz zu Ende führte. „Sind Sie nicht der Sänger von… ´The 69 Eyes´?“, fragte sie voller Erfurcht in der Stimme. Sah ihn mit großen Augen an. The 69 Eyes Eine Band, der schwarzen Szene. Manchmal Elektro- lastig, und dann diese rauchig, tiefe Stimme des Sängers. „Ich? Nein… ich bin ein einfacher Münchner.“, meinte er leise lachend. „Aber wenn ihr trotzdem ein Autogramm wollt.“ Er grinste sie lieb an. Lachte auf, als sie sich entschuldigend von ihm entfernten. „Oh Gott… wie peinlich.“, piepste sie ihre Freundin an. Ging schnellen Schrittes die Treppe nach unten, um ja von ihm weg zu kommen. Andy hingegen fand, dass das ein doch sehr gelungener Start war. Musste die ganze Zeit über grinsen und wurde dann irgendwann von seiner Mutter angesprochen, die ihn in ein kleines Nebenzimmer schleppte und ihn erst einmal vornweg aufklärte, wo sie mit ihrem Stoff aufgehört und was Andy bei ihrer Klasse alles zu beachten hatte. „Das sind manchmal richtig kleine Biester, aber ansonsten wirklich sehr nette junge Leute. Du machst das schon, nicht?“ Mit einem kurzen Blick auf ihre silberne Armbanduhr erhob sie sich. „Sonst meckern die Kleinen wieder, wenn ich zu spät komme.“ Sie lachte leicht auf. Der junge Gothic folgte seiner Mutter langsam zu ihrer Klasse. Und wen erkannte er? Die beiden jungen Mädchen, die ihn vorher angesprochen hatten. Er grinste ihnen einen kleinen Augenblick zu, eher er, nachdem die Klasse den Raum betreten und ihre Plätze eingenommen hatte, ebenfalls in das Zimmer trat. Andy hielt sich im Hintergrund, während die üblichen Begrüßungszeremonien stattfanden. Aufstehen, ruhig sein und im Chor begrüßen. Es war immer noch dasselbe. Irgendwie fand er das etwas beängstigend. Es würde sich wahrscheinlich niemals ändern. Er spürte die Blicke der gesamten Klasse auf sich. Wann bekam man auch mal einen 1.90 Meter großen, Gothic zu sehen, der sich einfach so mir nichts dir nichts, vor eine gesamte Klasse stellt? Und das mit einem Pokerface, sodass man wirklich nicht einschätzen konnte ob er nun zu brüllen oder zu grinsen anfangen würde. Unauffällig blickte er sich im Zimmer um. Es war… kahl. Weiße Wände mit schwarzen Fußabdrücken, Volleyballspuren und einer leicht vergilbten Decke. Die Pinnwand war auch in einem miserablen Zustand. Er hatte vollkommen überhört, dass seine Mutter ihn gerade vorgestellt hatte. Er sollte sich mal am Riemen reißen, wenn das hier etwas Gescheites werden sollte. „Ich würde bei Zeiten das Zimmer streichen.“, meinte er leise. Allgemeines Gelächter und ein paar klatschten. Die erste Barriere war überwunden. „Hatten wir sogar mal vor, nur uns Fehlt das Geld und die Schule unterstützt das auch nicht wirklich.“, meinte das junge Ding, dass ihn vorher angesprochen hatte. Der junge Mann grinste, sah seine Mutter an, die leise kicherte. „Was denn? Ich würde mich absolut unwohl fühlen. Okay gut, das ist in der Schule wohl kaum vermeidbar… aber das führt echt zu keinem guten Lernklima.“ Er zuckte nur die Schultern. Hatte nicht wirklich eine Ahnung, wo er überhaupt anfangen sollte. Die ganze Klasse lachte nun auf. Es dauerte ein paar Minuten, bis wieder allgemeine Ruhe herrschte. Langsam aber sicher machte sich Aufregung in dem jungen Mann breit. Er hatte noch nicht einmal eine Ahnung, ob seine Mutter ihrer Klasse überhaupt erzählt hatte, was heute eigentlich stattfinden sollte. „Okay… ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, ob ihr überhaupt wisst, was ich hier eigentlich will.“, gab er ehrlich zu. Setzte sich auf das Pult, während sich Rosi hinten an die Garderobe setzte, um das ganze Schauspiel im Blick zu haben und wenn nötig eingreifen könnte, wenn es irgendwie aus dem Ruder laufen sollte. Die junge Schülerin von vorher hob langsam ihre Hand. „Ja?“ Andy wusste noch nicht einmal wie sie hieß. „Ähm… nun. Uns wird selbst immer gesagt... Kappen runter und keine Sonnenbrillen im Unterricht.“, murmelte sie halblaut. Ihre Freundin blickte sie bestürzt an und kicherte hinter vorgehaltener Hand auf. „Oh, ja. Natürlich. Ich bin seit gut einem Jahr aus der Schule draußen, da vergesse ich das gerne mal.“ Mit einem herzlichen Lächeln nahm er seine Sonnengläser von der Nase. Behielt sie in der Hand, damit man das leichte Zittern seiner Finger nicht sehen konnte. „Aber kann mir jetzt jemand sagen warum ich hier bin? Ich mein, ich weiß es.“ Er blickte in die leicht irritiert dreinblickenden Gesichter der Jugendlichen. Langsam machte sich Ungewissheit in ihm breit. Ob das überhaupt so eine gute Idee war? Wieder hob sich, diesmal etwas schüchterner, die Hand eines ziemlich weiblich aussehenden, blonden Jungen, welcher nach einem Kopfnicken Andys redete. „Ähm, Sie sollen uns wahrscheinlich irgendwas… über Schwule sagen.“, meinte er kurz angebunden. „Jedenfalls denk ich mir das mal… immerhin nehmen wir das Thema gerade durch deshalb…“ Er führte seinen Satz nicht zu Ende. „Jaaa, die kleine Schwuchtel weiß natürlich bescheid… geh doch gleich raus, dir wird hier eh nichts Neues beigebracht.“, lachte ein Typ mit dunkelbraunen Locken höhnisch auf. Andy zuckte zusammen. Blinzelte fast schon verstört. Und das fängt jetzt schon an… ich will gar nicht wissen, wie das in den fünften und sechsten abläuft. Oh je… Seine Mutter wollte schon die Stimme erheben, doch Andy schüttelte nur kurz den Kopf. „Also, ich möchte hier erst mal ein paar Sachen loswerden. Ich will nicht gesiezt werden. So alt bin ich nun auch wieder nicht. Andy reicht vollkommen aus. Und zweitens…“ Er ging mit langsamen Schritten auf den Braunhaarigen zu. Er ging vor dessen Tisch in die Hocke und legte seine Arme verschränkt auf seine Bank. Sah ihm direkt in die Augen. „Ohh… Emanuel bekommt jetzt schon Ärger.“ Ein anderer lachte leise auf. Andy grinste dabei nur kurz auf. Eines seiner fiesen Grinsen. „Und ich bin schwul. Willst du mir jetzt ins Gesicht spucken?“ Der eben noch gelacht hatte, war verstummt. Es schien, als wäre niemand mehr im Raum, so ruhig war es. Man hörte gar nichts mehr. Kein Murmeln, kein Atmen, man hätte eine Nadel auf den Boden fallen, hören können. Der junge Schwarzhaarige erhob sich gemächlich. Spürte sein Knie kurz knacken und drehte sich einmal um die eigene Achse. Ging mit einem leicht grimmigen Ausdruck wieder nach vorne zum Pult. „Und zweitens…“, fing er abermals an. „Ich will solche Ausdrücke kein einziges Mal mehr hören. Weder Schwuchtel, noch Tucke, Schwanzlutscher und was euch noch so tolles einfallen würde.“ Er blickte Emanuel an. „Oder was meinst du, wäre es dir lieber, würde ich dich als ´Scheiß-Hete´ bezeichnen? Wäre doch mal was, wie du mir so ich dir.“ Der Angesprochene lief rot an. Hielt Andys bohrendem Blick nicht stand, sah stattdessen auf seine Finger, welche auf dem Tisch lagen. „Schön, dann haben wir das schon mal geklärt.“ Er ließ seinen Blick wieder über die Klasse schweifen. Überall sah er bedrückte Gesichter. Ja, so hatte selbst er immer ausgesehen, wenn jemand Anschiss bekommen hatte. Irgendwie hatte er sich das immer zu Herzen genommen. „Du, wie heißt du?“, fragte er den Blondhaarigen, der ihm vorher die Antwort gegeben hatte. „Ich? Ähm… Basti.“, meinte er schüchtern. Knete seine Finger leicht durch. Andy nickte. Lächelte ihn aufmunternd an. „Gut Basti. Deine Vermutung war vollkommen richtig. Nur ich bin nicht hier, um euch ellenlange Vorträge zu halten. Ich bin damals in der Schule auch halb eingeschlafen, außerdem bleibt da am wenigsten von hängen.“ „Woa geil!“, quietschte das eine Mädchen von vorher. „So a la Queer as Folk, ja?“ Sie bekam große, glänzende Augen. „Nein, eigentlich eher weniger.“ Es fragte sich wirklich, wieso sich eine junge Frau Queer as Folk ansah. Er verstand es nicht wirklich. Einfach um zu ´lernen´, sich daran aufzugeilen, oder weil sie es einmal zufällig gesehen hatte. Obwohl, es lief meistens sehr spät in der Nacht. „Ich leite keine Art AG ich will nur ganz gern versuchen, euch ein wenig Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben zu vermitteln. Versteht ihr? Wir haben es gerade eben selbst gehört.“ Wieder schweifte sein Blick durch die jungen Menschen. Basti saß ein wenig zusammengesunken in seiner Bank, horchte aber auf, als er allein das Wort ´Toleranz´ hörte. „Die fehlt hier bei einigen.“, grummelte er leise vor sich hin. Dennoch laut genug, damit es Andy und die gesamte Klasse verstanden hatte. „Das denke ich auch.“ Andy nickte leicht. „Basti, was geht dir durch den Kopf, wenn du solche Sprüche hörst?“ Er sah ihn an. Wandte sich dann wieder diesem Emanuel zu. „Mir tut es in der Seele weh, so etwas zu Ohren zu bekommen.“ „Ich würde solche Leute, ganz gerne irgendwo aufhängen… oder ihnen die Fresse einschlagen.“, meinte er. Sah Emanuel Kopf schüttelnd an und blickte stur auf die schwarz-grüne Tafel. „Hey, soll das ne Drohung sein?!“ „Wenn du es so auffassen willst, gerne.“ Basti sah ihn ruhig an. Drehte sich wieder weg und blickte in Andys Augen. Hochgezogene Augenbrauen und es sah aus, als würde er auf seinen Lippen herumkauen. „Gut, ich will hier keine Drohungen oder Ähnliches zu hören bekommen.“ Er seufzte kurz auf. „Das ist verständlich. Frage an alle, was ging euch vorher durch den Kopf, als ihr das gehört habt?“ Andy blickte Emanuel an. Er sank langsam in sich zusammen. Vielleicht checkte er ja langsam, was er damit eigentlich bezweckte. „Ich find’s fies.“, meinte die Schwarzhaarige von vorher. „Ich mein… Schwule sind auch nur Menschen.“ „Conny hat Recht. Hier auf der Schule sagen das so viele… manchmal würde ich echt ganz gern was sagen, aber irgendwie…“ Die Freundin Connys zuckte leicht die Schultern. „Danach wird man noch verprügelt, nein danke.“ Eine Rothaarige hatte in die Klasse gerufen. „Na super! Also nimmst du es lieber in Kauf, dass Schwule und Lesben die nächsten hundert Jahre noch diskriminiert werden, nur weil du dir zu fein bist, und Angst um deinen Arsch hast, um Partei zu ergreifen! Das ist doch lächerlich!“ Ein Mädchen mit kurz geschorenen, wasserstoffblonden Haaren hatte sich eingemischt. Zeigte der älter aussehenden Klassenkameradin den Vogel. „Okay okay…“ Andy hob die Hände. „Du, wie heißt du?“ Er deutete auf die Banknachbarin Connys. Das fing ja schon mal nicht schlecht an. Jetzt durfte er nur nicht den Faden verlieren und so wie es aussah, machten sich diese jungen Leute doch mehr Gedanken um diese Themen als er angenommen hatte. „Anke.“, murmelte sie kleinlaut. Lief etwas rot an. „Anke. Du würdest gern etwas sagen, aber wieso tust du es dann nicht?“ Er lächelte sie freundlich an. Es war kein Verhör, es war nur der Weg zu einer Stoffsammlung, wie man solche Sprüche und die Herabsetzung von Homosexuellen, unterbinden oder darauf reagieren konnte. „Keine Ahnung.“ Anke zuckte überfordert die Schultern. Lehnte sich an die Heizung hinter ihr und blickte an die unschöne Wand der anderen Zimmerseite. „Wie es scheint, machen sich eine ganze Menge von euch Gedanken darüber.“ Allgemeines Murmeln ließ die Luft vibrieren. „Okay dann sammeln wir doch einfach mal ein paar Sachen die euch zu dem Thema insgesamt einfallen. Zu Toleranz, wie man sie unterstützen und weitergeben kann, zu Schwulen insgesamt. Sagt mir einfach Stichworte, ich schreib sie an die Tafel und wer Fragen hat, fragen.“ Andy hatte die weiße Kreide schon in Fingern. Schrieb eifrig darauf los. „Pink.“, sagte der eine. „Rosa Winkel.“ Ein anderer. „Bareback.“, murmelte Basti leise in die Klasse hinein. „Was soll das denn sein?“ Emanuel sah Basti und Andy fragend an. „Ja, das ist eine gute Frage. Wer kann sie beantworten?“ Der Gothic blickte in die Runde. Entweder wusste es wirklich keiner, oder niemand traute es sich zu sagen. Basti allerdings hob abermals die Hand. „Jupp.“ Andy grinste. Er hatte irgendwie leicht das Gefühl, dass er in Basti ein Szene-Mitglied vor sich sitzen hatte. „Ungeschützten Verkehr zu haben bedeutet es im Allgemeinen, also ist nicht nur ein Begriff in der Schwulenszene.“, meinte er selbstbewusst. „Richtig, der Kandidat hat 100 Punkte.“ Die Klasse lachte leise. „Und was bekommt er dafür?“, fragte ein Junge, dessen Haare wie das Fell von A und B Hörnchen aussahen. „Weiß nicht, kannst du einen Elefanten gebrauchen? Hab zufällig einen zu Hause stehen. Oder… ich glaub ich hab noch nen Kaugummi.“ „Ich mag keine Kaugummis.“, verneinte Basti grinsend. Lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück und langsam gefiel ihm der Unterricht sogar. „Ach ja, Clubs.“ „Jupp, Clubs gibt’s eine ganze Menge.“ „Ähm, wegen der Toleranz… In die Klassen gehen, die Eltern sollen sich mal informieren und die Lehrer sollen nicht so ein Trara draus machen und denken, dass wir noch viel zu jung sind. Voll der Unsinn.“ Conny hatte sich wieder in die Diskussion eingebracht. „Schreib ich auf…“ Andy kritzelte weiter. Quietschte immer mal wieder unabsichtlich mit der Kreide. „Sex.“ Warf wieder jemand in den Raum. „Welchen?“, fragte Emanuel. Lachte laut auf und die Klasse kicherte mit, selbst Basti konnte sich nicht zurück halten. „Insgesamt.“ Der A-B- Hörnchen Junge zuckte grinsend die Schultern. „Du kennst dich aus, was?“ Basti sah Emanuel mit einem Schmunzeln an. „Weißt mehr, als du eigentlich zugeben willst.“ Er blickte wieder kurz zu Andy. „Anal und oral.“ Er wurde noch nicht einmal rot. Basti machte Andy langsam Angst. Diese Nüchternheit, mit der er sprach. Faszinierend. Er selbst hätte das in dem Alter nicht gekonnt. Er lief ja selbst jetzt noch rot an, wenn Tobs ihn mit irgendwelchen anzüglichen Sprüchen aufzog. Auch das schrieb er an die Tafel. Musste das noch irgendwo hinquetschen. Er hatte kaum noch Platz. „Andy, wann hattest du das erste Mal richtig Sex?“ Basti hob eine Augenbraue. Er grinste für einen Moment. Der Angesprochene legte den Kopf schief. Tippte sich an die Lippen und überlegte. „Gott… keine Ahnung. Das ist schon zu lange her… ich glaub mit… ähm.“ Er fuhr sich durch die Haare. „Mit 17 oder so. Früher auf jeden Fall nicht. Kommt halt auch drauf an, was du unter richtigem Sex verstehst.“ Er zwinkerte. „Und wann bist du mit deinem Freund zusammen gekommen?“ Wieder eine Frage von dem Blondhaarigen. „Wer sagt dir denn dass ich vergeben bin?“ Seine Mutter hinten an der Wand lachte leise. Schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Soll ich ihn das nächste Mal mitbringen? Für praktische Vorstellungen.“ Er grinste anzüglich. „Bist du denn vollkommen verrückt? Dann kannst du dich gleich Einknasten lassen.“ Rosemarie erhob sich langsam. „Das war ein Scherz, Tobs hat viel zu viel mit der Uni zu tun. Und ja, ich bin vergeben und das… seit ich sechzehn bin.“ Basti hob eine Augenbraue. „Und dann erst ein Jahr später? Versteh ich nicht.“ Die gesamte Klasse war ruhig. Wieder hätte man eine Nadel fallen hören können. Andy sah sich um. Seine Mutter hatte sich wieder gesetzt. Schaute auf ihre Uhr. Wahrscheinlich würde der Unterricht bald vorbei sein. „Stell dir mal vor, du hättest eine Freundin..“ Er wurde unterbrochen. „Ja bloß nicht… danke ich verzichte.“ Basti verzog das Gesicht. Schüttelte nur den Kopf und Andy war klar, was das zu bedeuten hatte. Der Kleine machte wirklich kein Geheimnis aus seinem Schwulsein. „Okay, dann keine Freundin. Aber das ist ein einfacheres Beispiel. Würdest du dann beim ersten Mal auch gleich mit Kamasutra ankommen?“ Die Klasse brüllte vor Lachen. Basti saß mit großen Augen da und Conny hing kieksend auf ihrem Stuhl. Hatte Lachtränen in den Augen und konnte sich gar nicht mehr einkriegen. Andy schmunzelte nur. Sah dann Bastis langsames Kopfschütteln. „Na eben, das ist dasselbe mit dem Sex bei uns gewesen. Gut, wenn du ne schnelle Nummer willst, kannst du in nen Darkroom gehen, okay, braucht man noch nicht mal, aber wenn du in einer Beziehung bist. Glaub mir, da geht dir erst mal durch den Kopf, wie du das eigentlich anstellen willst.“ Conny lachte immer noch. Ihre Wimperntusche lief die Wangen hinunter. Ihr Kopf lag auf dem Tisch, ihre Schultern zuckten auf und ab. Ihre Augen waren schon ganz rot. „Es ist doch so, dass du in einer frischen Beziehungen niemanden vergraulen willst und wenn du dann ankommst von wegen ´Boa komm lass uns doch endlich..´, dann kann man eigentlich davon ausgehen, dass der andere nicht mehr lange an deiner Seite ist.“ Andy sah Conny etwas irritiert an. „Brauchst du einen Arzt, oder geht es auch so? Nicht dass du uns noch umkippst.“ Sie wedelte gigelnd mit der Hand. „Die ist immer so.“ Emanuel zuckte die Schultern. Nahm das alles ziemlich gelassen hin. Andy war doch nicht so schlimm, wie er es sich vorher noch gedachte hatte. „Na dann. Haben wir das geklärt.“ Er sah, wie seine Mutter aufstand. Mit einem breiten Lächeln zu ihm nach vorne kam. „Andreas, ich muss dich leider unterbrechen. Die Stunde ist gleich vorbei. Und ich glaube nicht, dass diese Rasselbande noch länger hier bleiben will.“ Ein großes Murren ging durch die Klasse. Andy lachte leise. „Das ist wohl ein eindeutiges Nein. Ich hab es auch immer gehasst, wenn man uns länger in der Klasse behalten hat. Ich hätte den Leuten echt die Rübe einschlagen können.“ „Ähm... Andy?“ Basti hatte leicht die Hand gehoben. „Jupp?“ Er war absolut guter Laune. Diese eineinhalb Stunden hatten einen Zweck gehabt, es hatte Spaß gemacht und wie es schien, waren diese Jugendlichen nicht einmal abgeneigt. „Kommst du mal wieder?“ Er lief für einen kurzen Moment rot an. Sah an ihm vorbei an die Tafel. Andy überlegte einen Moment. Sah seine Mutter an die nur die Schultern zuckte. „Keine Ahnung, wenn, dann werdet ihr das spätestens dann wissen, wenn ich wieder hier stehe. Nein im Ernst. Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe doch, hat Spaß gemacht.“ Basti nickte nur. „Na dann… man sieht sich.“ Genau in diesem Moment läutete die Schulglocke. Die gesamte Klasse packte schnellstens ihr Zeug zusammen und verschwand einer nach dem anderen aus dem Raum. Conny winkte ihm noch grinsend zu und ging kichernd mit ihrer Freundin in den Gang. „Wow, deine Klasse hat was.“ Andy setzte sich wieder auf das Pult. Seine Mutter saß auf dem Lehrerstuhl und überlegte einen Moment. „Dieser Emanuel… ich glaub, er ist gar nicht so ein intolerantes Bürschchen.“ Der junge Mann fuhr sich leicht durch die Haare. Rosi sah ihn ernst an. Lächelte dann aber. „So darfst du nicht reden. Sie wissen es nicht anders.“, gab sie leise zu. „Nein, es sind wirklich sehr liebe junge Menschen und ich hätte nicht gedacht, dass manche von ihnen schon so eine, ja doch, reife Einstellung haben. Das hat mich etwas gewundert. Ich kenne manche von ihnen schon seit vier Jahren und dennoch.“ Sie legte ihrem Sohn eine hand auf die Schulter. „Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt, ich denke, dass Herr Pietsch uns noch sehen will um zu erfahren wie es gelaufen ist.“ Herr Pietsch war der Direktor der Realschule. „Wir werden ihm das schon Schmackhaft machen. Also mir hat es Spaß gemacht und sie haben recht gut mitgearbeitet. Finde ich.“ Er kratzte sich kurz an der Schläfe und grinste seine junge Mutter dann breit an. „Na dann… jetzt gleich oder nicht?“ „Ich glaube Herr Pietsch ist im Augenblick in einer Besprechung. Aber ab 14 Uhr müsste er wieder da sein. Wenn du noch so lange warten möchtest, kannst du das tun. Oder ich mache einen Termin aus und rufe dich wieder an.“ „Nein ich werde gemütlich einen Kaffee trinken gehen. Coffee Company dürfte hier in der Nähe sein. Da gibt’s guten Kaffee. Und ich komm einfach noch mal vorbei. Willst du mit, oder hast du Aufsicht bei den kleinen Schrazen beim Mittagessen?“ Ein leises Lachen der beiden Erwachsenen. „Red nicht so über die Kleinen. Sie sind wirklich ganz lieb. Aber du hast Recht, ich habe Aufsicht. Dann treffen wir uns wieder am schwarzen Brett?“ „Ich war in dem Alter auch nicht besser.“ Er zuckte kurz die Schultern. Nickte dann. „Ja, am schwarzen Brett. Bis nachher.“ Andy gab der Schwarzhaarigen einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, und verschwand dann auch schon mit Brille auf der Nase aus dem Zimmer. Die Unterredung mit Herrn Pietsch, einem Mittvierziger mit Braunen, kurz geschnittenen Haaren und buschigen Augenbrauen, verlief, zu Andys eigener Überraschung, ohne großartige Erklärungsversuche und ohne auf Überredungskünste zurückgreifen zu müssen. Der Rektor war, kaum dass Andys angefangen hatte zu erzählen, davon begeistert, was genau besprochen wurde. Er war vollkommen der Meinung, dass so etwas schon lange hätte passieren müssen. Und somit hatte Andy seinen neuen Job angetreten. Kurvte durch die gesamte Oberstufe, sprich neunte und zehnte Klassen und brachte ihnen nahe, Toleranz aufzubringen. Diskriminierende Sprüche sein zu lassen und etwas zu sagen, würden sie mitbekommen, dass so etwas auf dem Pausenhof oder der Schule insgesamt, gesagt wurde. Den Rest, mussten nun nur noch die Lehrer und Eltern machen. Er war unglaublich happy darüber, das machen zu dürfen. Es machte ihm Spaß, er lernte eine ganze Menge junger, neugieriger Menschen kennen, die an seinen Lippen hingen und manchmal doch noch einen Denkanstoß brauchten. Mit Tobs und ihm klappte es auch von Tag zu Tag besser. Die Streitereien wurden von Mal zu Mal weniger. Der Sex immer besser, doch die Stunden miteinander oft weniger, da beide Parteien oftmals zu ausgelaugt waren, um noch viel zu unternehmen. Allerdings brachte das ihrer Beziehung und der Liebe zueinander, keinen Abbruch. Im Gegenteil. Beide waren beschäftigt, hatten etwas zu erzählen und hingen nicht faul in der Gegend herum. Allerdings wurde gut ein Jahr später, alles auf eine sehr harte Probe gestellt. September und Oktoberfest… irgendwie brachte das nicht die gewünschte Wirkung mit sich, wie eigentlich erhofft. Kapitel 3: Choleriker --------------------- Kapitel 3 Choleriker 1.Oktober 2006 September. Die Sonne brannte auf Bayerns Hauptstadt. Der Herbst hat mittlerweile Einzug gehalten und taucht das ansonsten grüne Blattwerk in wundervolle rot-, gelb- und orange Töne. Die Tage werden von Mal zu Mal kürzer und in zwei Monaten würde der Winter beginnen. All diese Dinge gingen Tobs während er in einer dieser langweiligen Lesungen in der Uni saß, durch den Kopf. September. Wiesn Auftakt ist auch bald, ging es ihm durch den mit Sprachen voll gepumpten Kopf. Die Wiesn. Früher einmal ein Fest mit Hintergrund. Heute geht es nur noch um Kommerz, Geld und zur Schau stellen. Und natürlich ums Saufen. Viele brachten dieses 18-tägige Ereignis mit Bierzelten und unzähligen Tagen im Vollrausch in Verbindung. Eigentlich schade, wie er fand, aber dagegen machen konnte man so oder so nichts. Tobs lebte nun schon seit knapp sechs Jahren in München. Hatte hier seine große Liebe gefunden und betrachtete diese Großstadt als sein wahres Zuhause und dennoch. Er war in diesen sechs langen Jahren noch nie auf dem Oktoberfest gewesen. Fast schon eine Schande, aber er hatte sich immer geweigert dorthin zu gehen. Zu viele Betrunkene, die einen anpöbelten. Überhaupt. E war ein lautes, großes Fest wo es wirklich nur um Geldmachen ging. Und dennoch. Er wollte dieses mal auf alle Fälle auf die Theresienwiese und er hoffte, dass er Andy dazu überreden konnte, mit zu kommen. Sie hatten so oder so schon lange nichts mehr zusammen unternommen. Chronischer Zeitmangel. Elendige Müdigkeit. Er sah es als Chance, ihre Beziehung, die mit der Zeit immer routinierter geworden war, neu aufleben zu lassen und ihr wieder etwas mehr Schwund zu verleihen. Mit diesen Gedanken und der Hoffnung Andy überzeugen zu können, ging um 17 Uhr eines Freitages, auch diese Lesung und sein Tag an der Uni zu Ende. „Tobias, warten Sie bitte einen kleinen Moment?“ Sein Prof. hielt ihn am Saalende auf, ehe er durch die Türe treten konnte. „Haben Sie kurz Zeit? Ich möchte etwas mit ihnen besprechen.“ Ein leises Seufzen drang aus seiner Kehle. Er wollte endlich nach Hause. Andy würde wohl wieder total ausflippen, wenn er schon wieder zu späte zum Essen kommen würde. „Eigentlich weniger, aber wenn es wichtig ist?“ Und mit einem Nicken begann ein halbstündiges Gespräch, was Tobs noch in der U-Bahn zu denken aufgab. „Schatz?“ Tobs hängte Lederjacke an die Garderobe, die Tasche schmiss er kurzerhand aufs Bett. „Essen ist im Ofen.“, kam es mürrisch aus dem Wohnzimmer. Andy war wohl schon wieder sauer. Er braucht endlich einen gescheiten Job. Abermals leise seufzend ging er zu seinem Schatz, welcher mit geschlossenen Augen ausgestreckt auf der Couch lag. Der Rothaarige kniete sich auf den Boden. Hauchte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. „Das Essen ist im Ofen.“ Wieder dieses Knurren. „Ich hab dich schon gehört. Tut mir leid, dass ich dich hab warten lassen.“ Tobs tat es wirklich leid. Er hätte auch viel lieber mit ihm zu Abend gegessen, denn wie es den Anschein hatte, hatte sein Herzblatt schon einen vollen Magen. „Hm…“ Andy öffnete langsam die Augen, als er Tobs´ weiche Hände durch seine Haare streicheln spürte. „Hast du dich verfahren oder hat dich schon wieder jemand nach dem Weg gefragt?“ Die Ironie war nicht, auch wenn man positiv dachte, aus seinen Worten zu streichen. „Was soll dieses vollkommen unnötig, ironische Getue?“ Tobs nervte dieser Sarkasmus mit der Zeit immer mehr. „Mein Professor wollte noch etwas mit mir besprechen.“ Mit diesen Worten erhob sich der junge Student und ging in die Küche. Der Appetit war ihm gehörig vergangen. Ein Schulbuch vor sich liegend und sich, wieder einmal, Notizen machend, saß der Rothaarige in dem Essraum. Hatte gehofft vernünftig mit Andy über das, mit seinem Prof. Besprochene, reden zu können, aber das würde er sich wohl für morgen aufheben müssen. Falls er es bis dahin nicht schon wieder vergessen hatte. Denn schon wieder war er so mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er nicht wirklich bemerkte, dass sein Verlobter zu ihm gekommen war. „Was hatte er denn so Wichtiges mit dir zu besprechen?“ Es klang fast so, als wollt er damit andeuten, dass Tobs nur eine Ausrede gesucht hatte. „Hallo, hörst du mir überhaupt zu?“ Andys Stimme hatte schon wieder diesen scharfen Zug angenommen. „Wie?“ Tobs sah von seinen Notizen auf. Blickte etwas verwirrt drein. Klappte, nachdem der Schwarzhaarige seine Frage wiederholt hatte, sein Buch zu. Insgeheim hatte er gehofft, dass Andy zu ihm kommen würde. „Wegen nächstem Jahr.“ Der junge Mann seufzte leise auf. Er hasste es, wenn zwischen ihnen diese angespannte Stimmung herrschte. „Was ist mit nächstem Jahr?“ Wieder diese typische Abwehrhaltung. Verschränkte Arme, starrer Blick, unberechenbar scharfe Stimme. „Er hat…“ Eigentlich hatte er Andy zuerst wegen des Wiesn-Besuchs fragen wollen, allerdings musste er wohl auch das verschieben. „Er hat mir angeboten, noch einmal für ein Jahr nach England zu gehen. Zum Studieren.“ Mit leicht glasigen Augen und zittrigen Händen fuhr er sich über das Gesicht. „Ach wie toll und du hast natürlich sofort zugesagt.“ Tobs reichte es. Diese Anschuldigungen und voreiligen Schlüsse, manchmal auch versteckt, gingen ihm auf die Säcke. „Das habe ich nicht gesagt und jetzt pass auf was du sagst. Ich habe deine ewigen Anschuldigungen satt. Ich hör´ mir das nicht länger an.“ Nun hatte auch der junge Student seine Stimme erhoben. „Anschuldigungen. Es stimmt doch! Oder etwa nicht!? Gedanklich hast du doch schon deine Koffer gepackt! Also sag nicht es wären Anschuldigungen, wenn es so oder so dazu kommt!“ Wieder diese undurchdringlich dunkle Aura, welche sich um Andy gelegt hatte. Tobs erhob sich langsam. Würde sein Freund nicht langsam eine Stufe herunterfahren, könnte er nicht garantieren, dass er ihm nicht noch den Hals umdrehte. „Hör auf mich anzuschreien.“, fauchte der Rothaarige erzürnt auf. „Das habe ich nicht gesagt. Weder dass ich gehe, noch dass ich nicht gehe.“ Seine Stimme war schneidend. Aber leise. Es glich fast schon einem Flüstern. Seine Augen bohrten sich in die Lapislazuli seines Schatzes. Andy starrte zurück. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt und es sah fast schon so aus, als würde er Tobs an die Kehle springen wollen. „Ich weiß dass du gehen wirst! Wieder das gleiche Geplänkel von wegen ´Das ist meine Chance´.“ Er hatte ihn tatsächlich nachgeäfft. Tobs konnte das irgendwie nicht so ganz glauben. Diese ganze Sache drohte wirklich zu eskalieren. Und wenn es dazu kommen sollte, sollte es so kommen. „Woher willst du das wissen?“ Er knirschte leise mit den Zähnen. „Und dieses eine Jahr… hätte ich dieses Jahr nicht fahren dürfen oder können, wäre mir die Chance zu diesem Studium vielleicht verwehrt geblieben, vielleicht solltest du mal daran denken.“ Wieder das leise Fauchen seinerseits. Der Schwarzhaarige knurrte auf. „Vielleicht! Du sagst es doch selbst! Vielleicht hättest du das Studium nicht machen können! Du hättest es eventuell trotzdem machen können, auch ohne dieses beschissene Jahr dort oben!“ „Beschissen, sagst du. Du hast keine Ahnung, wie es in England war. Also red nicht von Sachen von denen du keine Ahnung hast. Und du solltest auch mal daran denken, dass ich es aus ´Sicherheitsgründen´ getan habe. Ich hätte mir in den Arsch gebissen, hätte ich es ohne dieses Jahr im Ausland nicht machen können. Du weißt ganz genau, wie viel mir das bedeutet.“ Tobs platzte gleich der Kragen. Er musste sich wirklich zusammenreißen, nicht auch noch zu schreien an zu fangen. Aber auf dieses Niveau wollte er sich nicht herablassen. „Aber weißt du was das eigentliche Problem bei dir ist?“ Sein Gegenüber blitzte ihn zornig an. Andy war wohl so weit, ihm gleich eine zu knallen. Er sollte es wagen und er hätte seine Stiefel im Schienbein. Tobs erhielt keine Antwort. Schüttelte den Kopf und war etwas erstaunt über Andys plötzliche Stummheit. „Dass du einfach Schiss hast. Du hast Schiss wieder ein Jahr alleine zu sein. Schiss, dass ich mir irgendeinen oben in England angeln könnte und vielleicht gar nicht mehr zurückkomme. Das ist dermaßen egoistisch, dass es mir schon die Haare aufstellt.“ Das lustige daran war allerdings, dass Tobs seine Haare natürlich immer noch zum Undercut geschnitten trug und, wie immer, senkrecht nach oben aufgestylt hatte. „Ich bin egoistisch!“, platzte es urplötzlich aus Andy heraus. „Ich bin egoistisch! Was bist du denn dann?! Sag mir mal was du dann bist, verdammt noch mal! Ich soll für deine Situation Verständnis zeigen, aber du selbst gibst dir noch nicht einmal Mühe dich in mich hinein zu versetzen! Aber ich bin egoistisch! Fass dir lieber mal an die eigene Nase bevor du andere anscheißt!“ Mit diesen letzten Worten und einem vernichtenden Blick stapfte der junge Mann aus der Küche, schlug die Schlafzimmertüre hinter sich zu und drehte die Musik auf. Tobs blieb mit seiner eigenen Wut in der Küche zurück. Starrte vollkommen perplex vor sich hin und fragte sich schon wieder, wie es nur immer wieder zu diesen Streitereien kommen konnte. Langsam hatte er wirklich das Gefühl, dass sie das ganze letzte Jahr über nur gestritten hatten. Wieso? Das fragte er sich selbst die ganze Zeit schon. Und nur wegen Lappalien, die nicht einmal einen kleinen Wutausbruch wert waren. Er verstand es wirklich nicht. Mit einer Tasse Tee und einem voll gepumpten Kopf setzte er sich auf die Couch. Dachte weiterhin über die Geschehnisse des letzten Jahres nach und konnte seine Tränen irgendwann nicht mehr aufhalten. Das war einfach zu viel. Zu viel Stress, Sorge und Wut auf einmal. Er hatte einfach das Gefühl, dass sie sich langsam aber sicher auseinander lebten und das war von Anfang an schon seine Befürchtung gewesen. Aber er liebte Andy dennoch. Trotz der Auseinandersetzungen in letzter Zeit. Oder spielte er sich doch nur etwas vor? Konnte es tatsächlich sein, dass er sich selbst belog? Das glaubte er nicht. Dafür tat es ihm viel zu weh, so von Andy angeschrieen zu werden. Mit einem Arm über den Augen und die Beine angewinkelt, lag Tobs auf dem Rücken. Zerbrach sich den Kopf über die möglichsten Sachen. Wie es weiter gehen sollte, wie sie das überhaupt wieder auf die Reihe bringen sollten, doch er kam auf keinen Nenner. Er kam einfach auf keine Lösung. Und genau das machte ihn noch viel fertiger und als Andy dann auch noch in der Türe stand und ihn harsch anmachte reichte es ihm vollkommen. „Andy, wenn du wieder Streit suchst, dann such dir jemand anderen, ich hab keine Lust mir dein Geschreie noch länger anzuhören.“, murmelte Tobs leise in die Dunkelheit des Zimmers hinein. „Ich suche keinen Streit, ich möchte mit dir reden wie ein zivilisierter Mensch.“ Andy hörte sich allerdings nicht danach an, als könnte er vernünftig mit jemandem reden. Tobs sah seinen Verlobten abschätzend an. Lachte leise auf und erhob sich. Schüttelte nur den Kopf. „Wie ein zivilisierter Mensch. Das will ich sehen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. Wartete gespannt auf den Ausbruch, der mit Sicherheit noch kommen würde. Es war nur eine Frage der Zeit. In den Augen des Schwarzhaarigen glimmte es wieder gefährlich auf. Auch vorher schon war das ein Anzeichen dafür gewesen, dass er wohl gleich explodieren würde. Andy seufzte kurz auf. „Tobs, bitte überleg dir noch mal, ob du wirklich nach oben fliegen willst, oder nicht.“ Es war eine leise Bitte gewesen. Tobs allerdings sah darin mehr eine Drohung als eine Bitte. Es klang fast so, als würde er sonst mit ihm Schluss machen, würde er sich dafür entscheiden. „Andy, ich brauche darüber nicht viel nachdenken. Ich werde fliegen.“, gab er nur von sich. Er würde dabei bleiben, egal, wie es sich zwischen ihnen entwickeln würde. „Ich hab’s dir doch gesagt. Es war kein Vorwurf, sondern nur die Wahrheit. Glaubst du echt ich kenn dich so schlecht, als dass ich das nicht gewusst hätte?“ Er zeigte Tobs den Vogel. Schüttelte fast schon höhnisch lachend den Kopf. Tobs sah ihn ausdruckslos an. „Und ob es eine Unterstellung war. Du stellst etwas in den Raum wo du gar nicht weißt, ob es so ist. Und ich habe mich nicht vorher schon dafür entschieden sondern gerade eben. Und wenn es dir nicht recht ist, bitte…“ Tobs sah nur, wie Andy ein paar Schritte auf ihn zu trat. Seine Augen funkelten schon wieder so gefährlich und die Aura um ihn herum war immer noch die gleiche, bedrohliche. „Ach so ist das also. Dir ist es in dem Sinne scheiß egal, was ich dazu sage.“, stellte der junge Mann fest. „Andy du hast deinen Senf schon dazu gegeben, und ich brauche dich nicht um deine Erlaubnis bitten. Schon gar nicht, wenn du darauf reagierst, als würdest du jeden Moment in die Luft gehen und das bist du vorher. Darauf hab ich keinen Bock mehr. Und wenn es dir so vorkommt, als wäre es mir scheiß egal was du dazu sagst… dann hast du damit vollkommen Recht. Es ist mein Leben, Andy. Es ist meine Zukunft und die werde ich mir nicht von dir kaputt machen lassen, nur weil du zu viel Schiss hast noch mal ein Jahr alleine hier in Deutschland zu sitzen.“ Tobs hatte ihm seine Meinung gesagt und das klipp und klar. Was jetzt kam, konnte er nicht ahnen. Es herrschte einen Moment eisiges Schweigen. Sie blickten sich in die Augen. Starr, fast ausdruckslos. Die Spannung zwischen ihnen war zu spüren, zu fühlen, sie war greifbar. Tobs´ Herz raste vor Anspannung. Seine Hände zitterten und er wäre beinahe einen Schritt zurückgewichen, als sein Freund abermals einen auf ihn zu tat. Vielleicht hätte er es auch machen sollen, denn von einen auf den anderen Moment spürte er einen brennend heißen Schmerz im Gesicht. Sein Kopf dröhnte, seine Wange pochte. Sein gesamter Körper zitterte. In seine Augen schossen Tränen. „Ich mache also deine Zukunft kaputt! Es ist dein Leben, natürlich und ich bin ein scheiß verdammter Teil davon! Falls du das vergessen hast und das seit fast fünf verdammten Jahren! Und es ist verdammt noch mal auch mein Bier wohin du gehst!“, brüllte Andy durch die Wohnung. Erhob abermals die Hand gegen seinen Freund. Tobs Hörte das alles schon nicht mehr. Er starrte nur gerade aus. Mit tränenden Augen. Geröteten Wangen auf denen sich langsam aber sicher Andys Ring Abdrücke abzeichneten. Scheiße…, dachte er nur bei sich. Trat einen Schritt nach vorne, ging, ohne seinem Freund auch nur eines Blickes zu würdigen an ihm vorbei in den Gang. Zog seine Springer an und die Lederjacke. Hörte nur das geschrieene ´Wo willst du hin´, nahm seinen Schlüssel auch noch und verließ mit einem ´Fuck you´ die kleine WG. Tobs irrte durch die Stadt. Wusste nicht einmal wo er war. Vollkommen mit den Gedanken woanders. Er konnte sich wirklich nicht erklären, wie das alles hatte passieren können. Der wohl größte Streit ihrer Geschichte und wohl die handgreiflichste überhaupt. Er war nur froh, dass Andy ihm nicht auch noch gefolgt war. Sonst hätte er wahrscheinlich wirklich noch die Polizei gerufen. Wie lange er mit hängendem Kopf und angezogenen Schultern durch die Münchner Innenstadt lief wusste er nicht. Er wusste nur, dass er irgendwann vorm Spexter stand und nicht wusste, was er machen sollte. Gut 10 Minuten stand er dort. Rauchte eine Zigarette nach der anderen um sich irgendwie zu beruhigen und wurde von so einigen Kerlen angesprochen, die gerade auf den Weg in die nahe gelegenen Clubs waren. „He, Kleiner, was machst du denn hier?“ Diese Stimme. Tobs war so unendlich froh sie zu hören, dass ihm fast ein Wimmern entflohen wäre. „Hey.“, murmelte er leise. Blickte einem in Chaps und Harnis gekleidetem Glatzkopf hinterher, welcher mit seinem Freund im Ochsengarten verschwand und wandte den Blick wieder Boris zu, welcher mit einem jungen Mann an seiner Seite vor ihm stand. Richtete seinen Blick in den dunklen Himmel, während er sich fertig mit den Nerven an das Schaufenster des Sexshops lehnte. Boris sah ihn ein wenig fragend an. Sorge mischte sich in seinen Gesichtsausdruck, als er die dünnen Tränenspuren in Tobs´ Gesicht entdeckte. Die roten Wangen konnte er wegen des schlechten Lichts nicht sehen. „Tobs, was ist los mit dir. Und jetzt sag bloß nicht es wäre nichts.“ Setzte sein Chef noch dran. Ging einen Schritt auf ihn zu. Versuchte mit ihm in Blickkontakt zu treten. Sah knallrot unterlaufene Smaragde, aus denen sich immer mehr Tränen lösten. Stumme Perlen, die dem Gothic über das Gesicht rannen. „Was ist passiert?“, fragte Boris leise. Zog Tobs mit einem Arm an sich und spürte wie sich der junge Schwarze kraftlos an ihn klammerte. Nun wimmerte Tobs wirklich auf. Krallte sich an seinen Chef und ihm war es scheißegal, was wer von ihm hielt. Auch egal, was Boris´ Begleitung dazu sagte. Er konnte einfach nicht mehr. Und er wollte auch nicht mehr. „Er hat… er hat mich geschlagen.“, kam es tonlos und brüchig von ihm. Er rutschte langsam an der Fensterscheibe hinunter auf den Boden. Blieb dort reglos sitzen und starrte mit roten, verquollenen Augen auf das weiß-blaue Bug´s – Schild. „Wiederhol das bitte.“ Boris ließ sich langsam in die Knie sinken. Drehte Tobs´ Gesicht zu sich und sah ihm in die Augen. Merkte wie er leicht zusammenzuckte, als er seine Wangen berührte. „Das kann ich nicht glauben.“, meinte er ehrlich. „Ich auch nicht.“ Tobs war es immer noch ein Rätsel. Eine Sache, die ihm nicht in den Kopf gehen wollte. Und dennoch, es war passiert. Zwei Mal. Hintereinander. Er hatte keinen blassen Schimmer, was Andy geritten hatte. Aber so hatte sein Herz bisher in seinem ganzen Leben noch nicht geblutet. „Ben… ich glaube das Carmen´s muss heute auf mich verzichten. Tut mir wirklich leid.“, meinte er leise zu der jungen Begleitung, die etwas bedrückt dastand und nicht wusste, was er tun sollte. „Steh auf, du holst dir nur eine Blasenentzündung.“ Er zog Tobs kurzerhand an den Armen in die Höhe. „Wirf wegen mir nicht deine Pläne über den Haufen.“ Der Rothaarige winkte ab. Sah in die kleine Runde und drehte sich um. „Viel Spaß.“, meinte er leise. Ging Richtung Sendlinger Tor davon. Eigentlich die Richtung aus der er gekommen war. „Tobs, bleib stehen oder ich aaarhh…“ Boris schien einem kleinen Anfall nahe zu sein. „Jetzt… bleib… schon stehen. Du Sturkopf.“ Er hielt seinen Barkeeper mit aller Kraft am Arm zurück. Drückte ihn wieder an sich. „Denk nicht so einen Mist. Du bist wichtiger, als irgendein Club.“ Boris blickte ihm fest in die Augen. „Komm mit, ich mach dir einen Kaffee und dann erklärst du mir erst mal, wie Andy dazu kommt dich zu schlagen.“ Mit diesen Worten und einem kleinen Schulterzucken von dem Rothaarigen, machten sich die beiden auf dem Weg zu Boris´ Wohnung in der Nähe des Gärtnerplatzes. Eine kleine, schnuckelige zwei Zimmer Wohnung mitten in der Innenstadt. Schön eingerichtet, mit Balkon, an dem übergroß eine Regenbogenflagge im Wind wehte. Das Wohnzimmer, ein mehr oder weniger großer Raum. Hell gehalten. Helle Möbel, Sofa, selbst der Fernseher und die Musikanlage waren in diesen Farben. Eigentlich eher unpassend für einen bunten, schrägen Vogel wie Boris. „Setz dich.“ Der Chef des Rainbow bugsierte seinen Barkeeper auf eines der gemütlichen Sofas. Drückte ihn darauf und verschwand wieder in der Küche um Instant-Cappuccino zu machen. „Hab leider keinen Kaffee mehr da, aber Koffein ist trotzdem drin.“ Boris grinste kurz, setzte sich dann neben Tobs, der wie ein Schluck Wasser in der Kurve da saß, vor sich herstarrte und fast den Tasseninhalt verschüttete, da seine Hände so zu zittern anfingen. „Verdammtes Arschloch.“, fauchte der junge Mann dann plötzlich auf. Nahm einen kräftigen Schluck, merkte noch nicht einmal mehr, wie er sich die Zunge verbrannte und erhob sich. Schritt auf dem wuschelig, Latte Macchiato- farbenen Flokatiteppich auf und ab. „Choleriker… Fuck hey.“ Der Blondhaarige erhob sich langsam. Drückte Tobs wieder auf die Couch und kniete sich vor ihn. Legte beruhigend seine Hände auf dessen Knie. „Was ist passiert? Wie kommt Andy darauf dir eine rein zuhauen?“ Tobs zuckte kurz die Schultern. Sah an Boris vorbei aus dem Fenster. „Ich weiß es nicht. Ich mein, es ist doch meine Sache, ob ich wieder hoch nach London fliege oder nicht. Was hat er sich denn da einzumischen? Vor allem wenn er mir nur noch irgendwelche Unterstellungen an den Kopf wirft. Ständig in die Luft geht und man sich gar nicht mehr ohne Gezicke mit ihm unterhalten kann. Er hat seinen Senf dazu gegeben und ich hab ihm nur gesagt… dass es mir scheißegal ist, was er davon hält. Zwei Ohrfeigen… Vollkommen verrückt der Kerl.“ Ein hysterisches Lachen drang aus seiner Kehle. Zwei Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln und schon war es zu spät. Er rutschte vom Sofa auf seine Knie, fiel seinem Chef und besten Freund um den Hals und wimmerte wie ein ausgesetzter Hund. „Tobs… hey.“ Ach du Scheiße… Andy braucht sich hier erst gar nicht mehr blicken lassen, sonst ist er dran. Verdammt. Boris fluchte leise in sich weiter. Versuchte irgendwie seinen Kumpel zu beruhigen. Anscheinend saßen diese Wunden einfach viel zu tief, was nur zu verständlich war. Wie konnte Andy es wagen auch nur die Hand zu erheben, geschweige denn auch nur daran zu denken! Boris lag so etwas absolut fern. Er konnte diese absolut absurden Gedankengänge nicht nachvollziehen. „Beruhige dich… tief durchatmen und dann erzähl mir mal ganz der Reihe nach was passiert ist.“, meinte Boris einfühlsam. Er würde kein Wort verstehen, wenn alles so durcheinander war. Allerdings reichte ihm schon die Erkenntnis, dass Andy seinen mittlerweile wohl Ex-Verlobten, geschlagen hatte. Tobs brauchte einige Zeit, bis er sich wieder beruhigt hatte. Bis er seine Augen, die vom Weinen ganz geschwollen waren, wieder gescheit öffnen konnte und bis er überhaupt seinen Mund aufmachen konnte, ohne wieder in Tränen auszubrechen. Bestimmt eine halbe Stunde saßen sie einfach schweigend nebeneinander. Tranken mittlerweile ihren dritten Cappuccino, bis Tobs irgendwann so weit war, dass er all das, was an diesem Tag passiert war, erzählen konnte. Zu guter letzt rannen ihm stumme Perlen die Wangen hinunter, auf der sich nun mehr als nur deutlich zwei breite Ring-Striemen weiß von der ansonsten knallroten Haut abzeichneten. Wahrscheinlich würden sie die nächsten Tage blau anlaufen. Der junge Student wollte erst gar nicht wissen, was seine Kommilitonen dazu sagen oder über ihn denken würden. „Er hat doch überhaupt kein Recht mir vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.“ Verwirrt und verstört fuhr sich der Rothaarige über das genässte Gesicht. „Und dass er noch so ausflippt. Ich versteh das alles einfach nicht.“ Seine Stimme war irgendwann nur noch als leises, brüchiges Flüstern zu vernehmen gewesen. Boris schüttelte leicht den Kopf. Erschüttert von dem eben gehörten. „Nein, er hat nicht das Recht dir etwas zu verbieten, obwohl ich es schon verstehen kann. Ich mein, ich würde es auch ungern sehen, wenn mein Schatz einfach für ein Jahr wegfliegen würde. Obwohl das noch lange kein Grund ist und wenn er anfängt, dir irgendwelche Vorwürfe zu machen und dann auch noch so ausflippt, dann brauchst du dich wirklich nicht schuldig zu fühlen. Das hat er selbst verbockt.“ Langsam zog er Tobs in seine Arme, da dessen Lippen schon wieder leicht zu beben angefangen hatten. „Du hast nur deine Stellung verteidigt und dich gewehrt und das noch nicht einmal körperlich. Ich wüsste nicht, wie ich reagiert hätte, aber es ist gut, dass du gegangen bist. Wahrscheinlich wäre es nur noch schlimmer eskaliert.“ „Ich fühle mich nicht schuldig.“ Tobs hatte nur leise gemurmelt. Legte seinen Kopf leicht gegen Boris´ Schulter. Fühlte geborgen und verstanden. Er wusste, wieso er Boris als seinen besten Freund bezeichnete. „Wahrscheinlich hätte er mich nur noch weiter zur Schnecke gemacht.“ Seine Zähne gruben sich fest in seine Unterlippe. „Ich hab echt keine Ahnung, was ich jetzt machen soll…“ „Inwiefern machen?“ Es gab viele Dinge, worüber sich Tobs nun Gedanken machen sollte. Ob ihre Beziehung überhaupt noch eine Chance hatte, wo er eventuell wohnen sollte, wie es mit seinem Studium weitergehen sollte. Wie er Andy am besten aus dem Weg gehen sollte, wenn sie doch immer in den gleichen Clubs unterwegs waren. Tobs sah ihn kurz an. Starrte dann wieder geradeaus auf den Schrank. „Wo ich hin soll. Ich werde dort nur noch hingehen, um mein Zeug zu packen. Was mit Andy ist… soll er bleiben wo der Pfeffer wächst.“ Boris nickte langsam. Er konnte Tobs schon verstehen. Nur gleich Schluss machen? Er wusste nicht, ob das nicht etwas zu überstürzt war. Aber in Anbetracht der Tatsachen war es vielleicht nicht schlecht, das Ganze vorerst auf Eis zu legen. Vor allem, er hatte die letzten Wochen und Monate ja mitbekommen, wie sich ihre Beziehung verändert hatte. Wie Andy immer öfter ausgeflippt ist. „Du willst das echt auf Eis legen?“, fragte er langsam. Wusste nicht, wie Tobs darauf reagieren würde und auch noch mit ihm zu streiten, das wollte er nicht. „Was soll ich denn sonst machen?“ Hilfe suchend sah er seinen Kumpel an. „Mich weiter von ihm zur Schnecke machen lassen? Irgendwann würde er mich sogar noch krankenhausreif prügeln.“ Wieder ein paar Tränen, die ihm über die geschundenen Wangen liefen. „Ich mein… ich liebe ihn. Ich liebe ihn über alles, aber… das geht einfach zu weit. Ich kann nicht immer nur an andere denken.“, flüsterte der junge Student am Boden zerstört. „Dass du an die anderen denkst, verlangt niemand.“ Boris seufzte kurz auf. „Ich werde nicht versuchen, dich umstimmen zu wollen. Aber lass dir das Ganze erst einmal durch den Kopf gehen. Jetzt ist alles noch so frisch, du bist aufgewühlt. Lass es erst einmal sacken, bevor du vorschnelle Entscheidungen triffst, in Ordnung? Und bis sich die Wogen wieder einigermaßen geglättet haben, bleibst du hier. Ich kann dir zwar nur die Couch anbieten, aber ich denke, das ist besser als bei euch im Moment.“ Er küsste ihn flüchtig auf die Stirn. Tobs schloss für ein paar Minuten die Augen. „Ich werde es irgendwie versuchen. Aber ich geh… nicht mehr zurück. Ich werde mir was Eigenes suchen, solange ich noch in Deutschland bin. Spätestens im nächsten Semester bin ich weg…“ Er fuhr sich über das Gesicht. „Kannst du… mitkommen, wegen meinen Sachen?“ Der junge Student hatte wirklich Angst, dass Andy irgendwie wieder ausflippte. Ihn noch weiter verprügelte. Zuzutrauen war es ihm. „Natürlich.“ Boris hätte ihn so oder so, nicht alleine dorthin gelassen. Das war einfach zu unsicher. Und zu zweit hätten sie auf jeden Fall mehr Chancen, würde Andy wieder ausflippen, als Tobs alleine. „Tobs, du brauchst dir nicht extra ne eigene Bude suchen. Du kannst so lange hier bleiben wie du willst und du es aushältst. Ich bin eh die meiste Zeit im Rainbow, also kannst du auch in Ruhe lernen und Ben ist auch nur am Wochenende da.“ „Ben? Ach so, dieser Blonde Typ vorher?“ Tobs grinste leicht. Es freute ihn, dass Boris anscheinend jemanden gefunden hatte. So lange er nicht noch weiter an Marcel hing. „Ja, er ist wirklich ein lieber Kerl.“ Boris bekam leicht glitzernde Augen. Er kicherte verhalten und drückte Tobs noch einmal an sich. „Gut, dann holen wir morgen Früh gleich dein Zeug, ja?“ Tobs nickte nur langsam. Er hatte keine Ahnung, ob Andy morgen in der Früh in der WG war. Und wenn, dann würde er ihn getrost ignorieren, soweit es natürlich ging. „Gut, dann, hole ich dir schnell eine Decke und ein Kopfkissen und dann haust du dich aufs Ohr, damit du wieder zu Kräften kommst.“ Boris lächelte, klopfte seinem Kumpel kurz auf die Schulter. Verschwand und kam dann mit einer sehr flauschig aussehenden Decke und einem weichen Kopfkissen wieder. „Mehr hatte ich leider nicht da. Wenn du noch was brauchst, einfach rufen.“ Tobs nahm die beiden Dinge entgegen. Starrte sie an und sah wieder auf. „Ich weiß nicht, wie ich dir das danken kann.“, murmelte er etwas schüchtern. „Aach was.“ Ein kurzes Lachen von Boris´ Seite. Er schüttelte nur den Kopf und ging dann aus dem Zimmer, nur um einen Augenblick später unter der Dusche zu verschwinden. Tobs lag mit den Gedanken bei den Geschehnissen und machte kein Auge zu. Somit war es nicht verwunderlich, dass er am nächsten Morgen kaum aus seinen verquollenen Augen sehen konnte und die tiefen Augenringe machten seinen Anblick nicht unbedingt besser. Ebenso wenig wie die zerzausten Haare und die verschmierte Schminke. Als die beiden um halb zehn, nach einem ausgiebigen Frühstück, bestehend aus Kaffee und Toast, zu der kleinen WG gingen, hatten beide keine Ahnung, ob Andy nun da war oder nicht. Tobs war nur froh, dass er seinen Schlüssel noch mitgenommen hatte. Denn jetzt auch noch klingeln zu müssen, das wäre wohl das peinlichste gewesen, was er sich hätte vorstellen können. Zu ihrem Glück, war weder Andy, noch Krissy noch Cynthia zu Hause. Somit konnten sie sich frei in der Wohnung bewegen, ohne großes Geschrei eines gewissen Mannes und dummen Fragen der zwei Frauen. Der junge Student kramte seine Reisetasche unter dem Bett hervor. Schmiss all das, was er für die nächsten Tage und Wochen brauchte hinein und hinterließ noch einen kleinen Zettel, den er Cynthia und Krissy auf den Schreibtisch legte. Wo er war, das schrieb er nicht. Er meinte nur, dass er für die nächste Zeit nicht kommen, er ein Dach über dem Kopf haben würde und sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Was mit Andy war, das schrieb er nicht. Das sollte er ihnen schon selbst erklären. Er würde vor ihnen keine Stellung dazu nehmen. Keine zwei Tage später war es auch schon soweit. Es klingelte. Tobs seufzte leise. Starrte weiter auf die vollkommen schwarze Mattscheibe. Ließ sich die Ohren mit etlichen Dimmu Borgir Songs zudröhnen. Rief Boris nur zu, dass er nicht da wäre, würde jemand für ihn an der Türe stehen, obwohl das kaum sein konnte, da niemand wusste, dass er hier war. Boris öffnete mit einem schlechten Gefühl im Bauch, welches sich bestätigte, als er Andy leicht bedrückte und dennoch zornige Miene im Hausgang erblickte, die Türe. „Ist er hier?“ Rauer Tonfall. Dunkle, verrauchte Stimme und kaum Farbe im Gesicht. „Wer?“ Boris dachte nicht im Traum daran, Andy hinein zu lassen. Nicht nachdem was passiert war. „Tobs. Wer sonst hört in dieser Wohnung Dimmu?“ Er sah aus, als würde er gleich in die Luft gehen. „Nein, er ist nicht hier.“, log Boris. Verzog dabei keine Miene. Stand mit verschränkten Armen zwischen den Angeln. Dachte sich nur, dass Andy Tobs so schnell nicht mehr zu Gesicht kriegen würde. Wurde allerdings von dessen harten Worten in die Realität zurückgeholt. „Ich möchte nur mit ihm reden. Ich weiß, dass er hier ist.“ Andys lockere Haltung veränderte sich langsam zu einem fast steifen Stehen. „Du kannst mir nicht verbieten ihn zu sehen.“ „Das könnte ich nach der Scheiße, die du vorgestern abgezogen hast sehr wohl, vor allem weil es meine Wohnung ist. Allerdings hab ich Tobs vor zwei Tagen das letzte Mal gesehen.“ Der Blondhaarige hielt an seiner Aussage fest. „Ich habe keine Ahnung wo er ist.“ „Das glaubst auch nur du.“ Andy seufzte leise auf. Trat einen Schritt auf Boris zu und schob ihn, ohne viel Kraftaufwand, zur Seite. Trat ein und ging geradewegs in Richtung des Zimmers, aus der die Musik hämmerte. „Arschloch! Das ist Hausfriedensbruch!“ Der Barbesitzer war außer sich vor Wurt, ließ die Wohnungstüre offen und stürmte dem ´Verlobten´ Tobs´ hinterer. „Raus aus meiner Wohnung oder ich vergesse mich!“ Würde Andy nicht in der nächsten Minute verschwinden, würde er sich nicht scheuen, die Polizei anzurufen. Andy allerdings überhörte ihn getrost. „Tobs, können wir reden?“ Seine Stimme klang versöhnlich. „Andy, wenn du nicht sofort abzischst, hast du erstens meinen Fuß im Arsch und zweitens ne Anzeige auf dem Hals.“, knurrte Boris. Er würde gleich vollkommen ausflippen. Er sah Tobs, wie er sich langsam aufsetzte, die Musik einen Tick leiser stellte und gelangweilt auf Andy blickte. „Boris kannst du uns vielleicht kurz alleine lassen?“, bat er seinen Kumpel leise. Dieses eine Mal würde er sich ihm noch stellen und danach war die Sache für ihn gegessen. „Vergiss es.“ Boris stand wie angenagelt da. Er hätte nicht gedacht, dass Tobs zu diesem Gespräch bereit war. Ein kurzes Seufzen aus dem Mund des Rothaarigen und er schaltete den Lärm vollends aus. „Ich weiß nicht, ob du ´reden´ kannst.“, meinte er nur zu Andy, welcher Zähneknirschend im Raum stand. Eisiges Schweigen hatte sich in dem Wohnzimmer des Barbesitzers ausgebreitet. „Ich sage dir eines, Bürschchen, wenn du ihn auch nur ansatzweise anrühren solltest, polier ich dir die Fresse.“, fauchte Boris und verschwand in der geräumigen Küche, wo er sich mit einem Kaffee auf die Eckbank setzte. „Was willst du noch von mir? Dich entschuldigen, dafür ist es zu spät.“ Tobs saß weiterhin auf dem Sofa. Hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Gähnte für einen Moment. Er musste raus. Brauchte frische Luft und eine Zigarette. Andy seufzte leise. Seine Anspannung, hatte es den Anschein, fiel langsam. „Es ist nie zu spät, Tobs.“, meinte er leise. Sanft. Sie versuchte ihn zu umschmeicheln, doch darauf fiel der junge Student nicht rein. Er erhob sich langsam. Starrte ihn an und schüttelte verständnislos den Kopf. „Glaubst du allen Ernstes, dass ich dir das hier“, er deutete auf seine leicht bläulichen Wangen. „Verzeihe. Denkst du wirklich, dass ich alles mit mir machen lasse?“ „Tobs… das war eine Kurzschlussreaktion. Ich wollte das nicht. Glaub mir das. Ich weiß auch nicht… was da passiert ist.“ Andy klang mehr als hilflos. Tobs ging langsam der Kragen auf. „Eine Kurzschlussreaktion!“, schrie er. „Ich kann dir ganz genau sagen was da passiert ist! Du hast mir zwei Mal dermaßen eine rein gehauen, dass mir der Kopf nur so gedröhnt hat! Schau dir den Mist doch mal an! Und ich soll glauben dass du das nicht wolltest?! Erzähl das irgendwem, aber nicht mir!“ Er sprühte im Augenblick nur so vor Wut. Am liebste hätte er diesem Kerl die Zähne aus dem Mund geschlagen. Aber auf dieses Niveau wollte er sich erst gar nicht herablassen. Er schüttelte nur den Kopf. Hätte beinahe zu lachen angefangen. Das war doch lächerlich, was Andy hier abzog. Andy sah ihn verletzt an. „Schatz, ich schwöre dir, das wird nie mehr vorkommen.“ „Hör auf mich so zu nennen!“, fauchte der junge Student. „Du kannst mir schwören was du willst. Mich interessiert es einen Scheißdreck. Und es wird natürlich nicht mehr vorkommen, weil du in deinem Leben nicht mehr die Chance haben wirst, so etwas zu tun. Du kannst deine cholerischen Anfälle an irgendjemand anderem auslassen. Aber sollte ich davon Wind bekommen, dass es Cynthia oder Krissy sind, dann steh ich vor der Türe und dann ist der Teufel los, das kann ich DIR schwören.“ „Was soll das heißen!“ Andys ach so bereuende Fassade bröckelte in sich zusammen. „Was willst du mir damit sagen?!“ „Das was es heißen soll! Du kannst mir gestohlen bleiben, das soll es heißen! Ich habe absolut keine Böcke mir das noch länger anzutun und antun zu lassen!“ Seine Wut steigerte sich immer noch weiter, je länger er dieses Gesicht vor sich sah. Ein Gesicht, dass er selbst jetzt noch liebte und dennoch. Anders ging es einfach nicht. Er würde auf die Dauer nicht glücklich werden. „Du kannst das… doch nicht einfach alles hinschmeißen wegen eines kleinen Fehlers.“ Andy sah ihn nun wirklich bestürzt an. Tobs lachte auf. Fuhr sich über das Gesicht und zeigte ihm den Vogel. „Andy, du hast mich geschlagen. Was ist das für eine Beziehung, wenn man nicht einmal vernünftig miteinander reden kann? Und das seit Wochen, nein Monaten? Mir reicht es einfach.“ Er sprach leise. Würde er noch länger dastehen, würde er wahrscheinlich in Tränen ausbrechen. Tobs musste sich so oder so schon stark am Riemen reißen. „Es tut mir leid! Kannst du mir das echt nicht glauben?“ Andy sah aus, als würde er jeden Moment zu heulen anfangen. Jetzt wusste er wenigstens, wie Tobs sich gefühlt hatte. „Nein Andy, diesmal kann ich dir das nicht glauben. Geh jetzt bitte. Was gesagt ist… ist gesagt.“ Tobs drehte sich nur langsam zum Fenster um. Er kämpfte wirklich mit sich. Mit seine Tränen, mit seinem Gewissen, dass es wieder er war, der Andy den Laufpass gab und er rang damit, sich ihm nicht einfach um den Hals zu werfen. Man hörte Andy richtig ausatmen. „Ich liebe dich, Tobs. Du weißt, dass ich ohne dich nicht kann.“ „Dann wirst du es lernen müssen. Geh jetzt!“ Der Student drehte sich ruckartig um. Deutete mit einem wütenden Gesichtsausdruck zur Türe. Wie konnte er wagen, ihm das an den Kopf zu knallen. Er würde ihn lieben. Na ganz klar! Verarschen konnte er sich selbst mehr als nur gut. „Andy du hast ihn gehört.“ Boris war wieder aufgetaucht. Schob Andy langsam zur Türe. „Lass mich los, verdammt.“ Andy tobte schon wieder. Sein Gemüt war alles andere als konstant. „Tobs bitte! Ich liebe dich!“ Es war nur noch als leiser Hall im Hausgang zu hören gewesen. Die Türe knallte und Tobs sackte an der Heizung zu Boden. Es ist vorbei… alles ist vorbei. Ging es ihm durch den Kopf. Seine Augen waren leicht genässt. Er wusste nicht, wo ihm im Augenblick der Kopf stand. Er wusste nur, dass er darüber so schnell nicht wegkommen würde. Er hegte eben noch Gefühle für Andy, das ging nicht so schnell nur noch weiter mit ihm leben, das konnte er nicht. Das würde ihn auf Dauer vollends kaputt machen. „Tobs? Ist alles in Ordnung?“, frage Boris vorsichtig. Es sah nämlich alles andere als das aus. „Sieht es denn danach aus?“ Tobs blickte auf. Legte den Kopf an die warme Heizung. Seufzte für einen kleinen Moment auf. „Es ist vorbei… man, ich glaub´s nicht.“ Boris runzelte die Stirn. „Vorbei? Bist du dir sicher, dass du das alles aufgeben willst?“ Er setzte sich im Schneidersitz vor seinen Kumpel. Fuhr sich durch die Haare, als er das monotone ´ja´ vernommen hatte. Das war also die ´Romanze´ die so viel versprechend ausgesehen hatte. Kapitel 4: Sommerhimmelblau --------------------------- Kapitel 4 Sommerhimmelblau 06.Januar 2007 „Oh man… ich brauch Bewegung.“, grummelte Tobs leise auf. Die roten Striemen von Andys Ringen waren mittlerweile fast nicht mehr zu sehen. Nur noch ansatzweise. Allerdings waren die innerlichen Wunden um einiges größer als die äußerlichen. Das waren sie immer. Nur dieses Mal war es wirklich schlimm. „Boris… wollen wir weggehen?“ Der junge Rothaarige schlappte gähnend in die Küche. Sah seinen Chef mit seiner Flamme am Herd knutschen und klopfte einmal hart an die Türe. Legte den Kopf kichernd schief. „Was?“ Boris war vollkommen verwirrt, ebenso wie Ben, der stark errötend am Herd lehnte und ertappt aus dem Fenster blickte. „Ich will tanzen gehen, kommt ihr mit? Irgendwohin wo…“ Tobs grinste wieder nur. „Wo man jemand gescheiten abschleppen kann. Bewegung eben.“ Ein eindeutig zweideutiges Grinsen wurde auf seinen Zügen sichtbar. Boris hob nur leicht eine Augenbraue. Fuhr sich durch die langsam länger gewordenen, blonden Haare. Schüttelte etwas den Kopf. „Du willst dir tatsächlich einen angeln?“ Der Barbesitzer konnte das, nach knapp einer Woche, nicht wirklich glauben. Tobs zuckte nur die Schultern. Lehnte sich weiterhin an den Türrahmen. „Wieso sollte ich auf irgendwen warten? Ich hab Andy klipp und klar gesagt, dass ich auf ihn keinen Bock mehr habe.“ Er konnte den leicht betrübten Unterton aus seiner Stimme leider nicht verbergen. Wieder nur ein Schulterzucken. „Na ja, ich geh auf jeden Fall weg. Wer mitkommen will, bitte gerne.“ Der junge Mann streckte sich noch einmal und verschwand leise vor sich hingähnend im Bad. „Tobs…“ Boris seufzte leise. Lehnte seinen Kopf leicht gegen Bens Brust und ging dem Gothic nach ins Badezimmer. „Du hast dich wirklich entschieden, was?“ Der Barbesitzer sah ihn ein klein wenig abschätzend an. Sein Blick trübte sich, als er das traurige Gesicht seines Barkeepers erblickte. „Boris, ich hab wirklich keine Lust, mich noch länger von Andy anschreien oder schlagen zu lassen. Das brauch ich mir wirklich nicht geben. Und ich werde mich demnächst nach irgendeiner Bude umsehen. Ich kann dir nicht ewig am Rockzipfel hängen.“ Mit langsamen, aber sitzenden Bewegungen, wurde aus den labbrig herunterhängenden Haaren eine Frisur, die irgendwann, sollte Tobs´ Mähne noch länger werden, an die Zimmerdecke zu stoßen drohte. Der Angesprochene seufzte wieder nur kurz auf. Stand am Waschbecken und betrachtete seinen Kumpel dabei, wie er einen kleinen Kajalstrich nach dem anderen zog, Kontaktlinsen einsetzte und irgendwann fertig gestylt vor ihm stand. „Ich hab dir doch gesagt, dass du so lang bleiben kannst wie du willst. Du gehst mir nicht auf die Nerven und hängst mir nicht am Rockzipfel, ich mein du bist so oder so nur abends nach der Uni zu Hause, oder im Rainbow. Also sehen wir uns eigentlich die wenigste Zeit. Bin ganz froh einen ´Mitbewohner´ zu haben.“ Der Blondhaarige lachte leise auf. „Wie gesagt, du kannst gerne hier wohnen. Kommt billiger.“ Er legte ihm für einen kleinen Moment seine Hand auf die Schulter. Lächelte leicht, während er einen kleinen Augenblick überlegte. „Ich komm mit. Beeeeeeeen!“, rief er aus dem Badezimmer zu seiner Schnecke, welche immer noch leicht rot im Gesicht, am Herd stand. „Ja, was ist denn?“ Also wenn noch mehr Leute hier im Bad stehen, wird es ein wenig sehr eng, ging es ihm innerlich schmunzelnd durch den Kopf. „Kommst du mit?“ „Wohin?“ Ein kurzes Gähnen und ein leises Kichern von Tobs, welcher noch einmal prüfte, ob es auch nicht zu viel Spray in den Haaren war. Ben sah die beiden an. Tobs zuckte leicht die Schultern. Keine Ahnung, „Ins Soul.. oder Carmens oder… N.Y. Wie ihr wollt.“ Boris und Ben blickten sich einen kleinen Moment lang unschlüssig an. Fuhren sich beide, fast gleichzeitig, als wäre es eine einstudierte Bühnenaufführung, durch die kurzen Haare. „Soul.“, sagten beide aus einem Munde. Sie waren wohl schon so aufeinander abgestimmt, dass sie sogar dasselbe dachten, sprachen und taten. Unheimlich, kam es dem Rothaarigen in den Sinn. „Gut, dann ab ins Soul. Mal gucken was da heute so Tolles los ist.“ Somit war das beschlossene Sache. Tobs schlüpfte noch flott in Ärmel loses Shirt und seine Lederhose. Die Springer waren natürlich nicht zu vergessen, ebenso wenig wie die Lederjacke. Man konnte immerhin nicht wissen, wie sich das Wetter noch veränderte. Boris und Ben waren fast im Partnerlook angezogen. Enge, knallbunte Hosen, ebenso knackige Oberteile und… Tobs hätte fast der Schlag getroffen, weiße Cowboystiefel. „Wir treffen uns dort, okay? Ich muss noch schnell wohin. Kann gut eine Stunde dauern. Ich komme einfach nach.“ Er grinste flüchtig. Erhielt beidseitiges Nicken und die kleine Gruppe machte sich gemütlich auf den Weg. Das Soul City lag in der Nähe des Karlsplatzes. Die Müllerstraße entlang, am Sendlinger Tor vorbei die Sonnenstraße Richtung Odeonsplatz. Vielleicht eine halbe Stunde war man von Boris´ Wohnung zum Soul unterwegs. Tobs allerdings hatte noch etwas vor. Das war eine kleine Kurzschlussreaktion gewesen. Und somit stand er keine zehn Minuten, nachdem sie aufgebrochen waren, vor ´Arafat´. Arafat war ein Piercing- und Tattoostudio. Ein relativ verrückter Kerl war dort Besitzer. Im Gesicht tätowiert und gepierst, aber nett wie man es vielleicht nicht erwartet hätte. Allerdings redete er gerne mal sehr viel und lange. Doch das verkürzte die Zeit, während sich Tobs das nächste Gebilde stechen ließ umso schneller. Und das zweite, was er sich gedacht hatte, ließ er sich auch noch stechen. Diesmal aber an die linke Seite der Hüfte. Mit einem Pflaster auf der noch leicht wunden Stelle an der rechten Halsseite verließ er das Studio und machte sich mit einem zufriedenen Grinsen auf den Weg in den Club näher der Handwerkskammer. Die Schlange hinunter in den ´Untergrund´ war gut fünf Meter lang. Bis auf den Gehweg standen sie an. Tobs freute sich schon. Er war richtig euphorisch. Tanzen, endlich tanzen, vielleicht einen netten Kerl abschleppen. Das würde, so hoffte er zumindest, eine sehr schöne, auslaugende Nacht werden. Ben und Boris waren schon kräftig am tanzen, wenn man es denn überhaupt noch tanzen nennen konnte. Die beiden verschlangen sich schon halb auf der Tanzfläche. Tobs hingegen war erst einmal zur Bar verschwunden. Hatte sich einen leckeren Cocktail bestellt und wippte leicht mit dem Kopf im Takt der Musik. Es war zwar nicht wirklich sein Ding, aber tanzbar war das Gedudel auf jeden Fall. Seine Lederjacke lag über einem der Barhocker. Er selbst stand mit dem Rücken zur Tanzfläche und unterhielt sich gerade mit dem Barkeeper. Bis er irgendwann eine Hand an seiner Hüfte spürte. Reagierte anfangs nicht darauf, bis er dieses Bärengrollen neben seinem Ohr hörte, die sich einen Wodka Redbull bestellte. „Was macht ein Lederkerl wie du in so einer Location?“ Das dunkle Brummen versetzte Tobs einen leichten Schlag, der ihn kurz erzittern ließ. „Lederkerl?“ Er drehte sich um. Zog eine Augenbraue nach oben, als er den Kerl ansah, dem diese dermaßen dunkle Stimme gehörte. Ere war vielleicht 1.80 groß, und sie passte absolut nicht. Wasserstoff blondierte, Korkenzieher Locken, welche ihm locker ins Gesicht hingen. Nur ein klein wenig mit Gel, oder sonst etwas Ähnlichem im Form gebracht. „Ich bin sicherlich kein Lederkerl.“, verneinte der junge Student grinsend. Sein Outfit mochte viele Leute täuschen. „Bist du dir da sicher?“ Etwas verwirrter Blick. Herrlich leuchtende grün-braune Augen, die ihn musterten. „Ich wäre mir da allerdings nicht so sicher.“ Seine Hand lag immer noch um Tobs´ Hüfte. Der Angesprochene nickte leise lachend. „Oh ja, ich bin mir absolut sicher. Nur weil ich in Leder rumlaufe, muss das nichts heißen. Das machen mehr als die Hälfte in der Schwarzen Szene.“ Er zwinkerte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass dieser Typ geschminkt war. Zwar nicht auffallend, aber wenn man ihn sich näher betrachtete. Wimperntusche, etwas Make-up... Tobs war an einen Metro-sexuellen Schwulen gelangt. Allein diese Einsicht veranlasste ihn breit zu grinsen. Das war ihm bisher auch noch nicht passiert, allein deshalb, weil viele von seinem Stil abgeschreckt wurden. „Schwarze Szene? Ach… ein kleiner Gothic, ja?“ Die Mine des Blonden hellte sich noch weiter auf. Er rückte ein Stück näher. Legte den Kopf etwas schief. „Dein Outfit könnte man schnell missverstehen.“ „Tja, das ist dann nicht mein Problem.“ Tobs nippte an seinem Flying Kangaroo. Lehnte sich entspannt an die Theke und betrachtete das aal-glatte Gesicht seines Gegenübers. Der Ziegenbart passte nicht so ganz zu ihm, aber gut. Er würde nur zu gerne mal daran ziehen, mal sehen was passierte, allerdings hielt er sich zurück. Der junge Student wollte ihn ja nicht sofort wieder vergraulen und vielleicht hatte er ja doch mehr drauf, als seine Nägel maniküren zu lassen. „Hm, wie Recht du hast.“ Er lauschte kurz. Grinste dann plötzlich noch etwas breiter. „Willst du tanzen?“, raunte er kurz an seinem Ohr. Tobs lauschte der Musik. Zog eine Augenbraue nach oben und schüttelte leicht angewidert den Kopf. „Wenn es nicht so krasser Techno wäre, ja, aber darauf, lässt sich nicht tanzen. Außer du verstehst das Herumgezappel als tanzen.“ Er grinste, als er Boris und Ben wieder sah. Der Student musste sich wirklich ein Lachen verkneifen. Sein Gegenüber zog die Brauen zusammen. Legte den Kopf schief und lachte dann tatsächlich leicht. „Verstehe, deine Musik geht wahrscheinlich in eine vollkommen andere Richtung. Schade aber gut. Darf ich deinen Namen erfahren?“ Er bewegte sich nur leicht im Takt von Scooter. Sah Tobs dabei in die Augen und entdeckte ein leichtes Grinsen darauf. „Ja.“, meinte dieser nur. Leerte sein Glas und bestellte sich noch ein Wasser. Er wollte sich nicht vollständig mit Alkohol zudröhnen. Er wurde erwartend angesehen, aber der Blonde hatte nur gefragt, ob er ihn erfahren würde, wenn er nicht fragte, wie er hieß, dann würde er ihm auch keine Antwort geben. „Und wie lautet dieser?“ Dieses Grollen in der Stimme. Irgendwie ein wenig unheimlich und dennoch anziehend. „Tobs.“, gab der Rothaarige von sich. Kicherte kurz auf. „Und wie lautet der deinige?“ Tobs zupfte kurz an dem engen Oberteil des vor ihm stehenden. Knallrot… gibt einen guten Kontrast zu der schwarzen Hose… steht auch nicht jedem, ging es dem jungen Mann durch den Kopf. „Samuel. Tobs… ist das eine Abkürzung?“ Sein Gesicht näherte sich dem des Rothaarigen. Verführerische schmale Lippen. „Sam, also.“ Er grinste. Wich ihm nicht aus. Blickte weiter in seine Augen. „Ja, eine Abkürzung.“ Er hoffte nur, dass er ihn nicht bei seinem vollständigen Namen ansprach. Da würde er wohl erst mal ausflippen. Tobs hasste es, wenn man ihn Tobias nannte. Bei seinen Eltern mochte er es noch nicht einmal, aber bei ihnen war nicht ganz so schlimm. Sams Lippen näherten sich denen Tobs´ noch ein kleines Stück weiter. Nur noch eine Blattbreite trennte sie vor einem Kontakt. „Von Tobias, schätze ich, hm?“ Er legte den Kopf etwas schief. Tobs zuckte kurz zusammen. Zog Sam an seinem Oberteil an sich heran und knurrte nur leise. „Nenn mich nie wieder so. Sonst läufst du Gefahr, mein Knie zwischen den Beinen zu haben.“ Denn genau das stand zwischen Sams Beinen. Er bräuchte es also nur kurz an zu heben und er würde ihn wohl nie wieder so nennen, wenn sie sich treffen würden. „Was bekomme ich dafür?“ Ein leicht anzügliches und herausforderndes Grinsen zierte die sanften Gesichtszüge. Der Student überwand den kaum vorhandenen Abstand ihrer Lippen. Leckte mit der Zungenspitze kaum merklich über die vollen seines Gegenübers. Hauchte sanft dagegen und blickte ihm unschuldig in die Augen. „Das dürfte für den Anfang genug sein, oder?“, schnurrte er lächelnd. Wieder nippte er an seinem Wasser. Hörte ein gutes Lied und zog sein Gegenüber einfach mit sich auf die Tanzfläche. Irgendwie freundete er sich immer mehr mit den Songs an, die im Augenblick auf den Musiksendern im Fernsehen liefen. Sunrise Avenue, waren eine dieser Bands. Guter Song, gute Lyrik, genialer Beat und absolut tanzbar. Der Text passte im Augenblick besser zu seiner Situation als er gedacht hatte. Find a new one, to fool Leave and don't look back, I won't follow We have nothing left, It's the end of our time Ja, es war tatsächlich vorbei. Mit eben diesem minimalen Kuss. Out of my life, Out of my mind Out of the tears we can't deny We need to swallow all our pride And leave this mess behind Out of my head, Out of my bed Out of the dreams we had, they're bad Tell them it's me who made you sad Tell them the fairytale gone bad Andy war raus aus seinem Leben. Hatte dort nichts mehr verloren. Er hatte keinen Bock mehr. Nein, er würde ihn endgültig vergessen. Keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden und leben. Und das tat er in diesem Moment. Bewegte sich grazil gegen Sam, welcher ihn wieder an sich gezogen hatte und ebenfalls kein schlechtes Taktgefühl besaß. Sich mit ihm bewegte. Ihm dabei in die Augen sah. Tobs´ waren leicht glasig. Die Gedanken an das Geschehene taten weh. Verdammt weh und wenn er sich nicht zusammen riss, würde er hier auf der Stelle noch zu heulen anfangen. Er spürte eine sanfte Hand seine Wange streicheln. Kleine Furchen waren das einzig Raue an ihnen. „Ist alles in Ordnung?“, flüsterte Sam fast schon zärtlich gegen seine Lippen. Er nahm Tobs das Kopfnicken nicht ab. Scheiß doch auf Andy… Herr Gott… fauchte Tobs in sich. Wieder brandete ein Kuss zwischen ihnen auf. Diesmal leidenschaftlicher. Ausdauernder und zärtlicher. Sam verstand es zu küssen. Tobs Zunge neckisch und eindringlich zu umspielen, ohne zu viel Speichel aus zu tauschen. Nichts war schlimmer, als ein vor Speichel triefender Kuss. „Es ist alles okay.“ Tobs lächelte leicht, als er ihren Kuss beendet hatte. „Lass uns wohin gehen, wo es etwas ruhiger ist, okay?“ Der Student ging langsam wieder zur Bar. Nahm einen Schluck Wasser, ehe er sich seine Lederjacke über die Schulter warf und zu den kleinen gemütlichen Ledersesseln in der Lounge ging. Dort war es um einiges ruhiger. Die Musik war gedämpft, man konnte sich in normaler Lautstärke unerhalten und sich nicht anbrüllen. „Hey, wait!“ Sam kam mit schnellen Schritten zu ihm. Lachte kurz auf und legte ihm, ohne zu fragen, seinen Arm um Tobs´ Hüfte. „I’m sorry.“ Er grinste. Lehnte sich, ohne weiter darüber nachzudenken, an den jungen Mann, welcher sich auf eines der Sofas gesetzt und den jungen Studenten einfach mit sich gezogen hatte. In dieser Art kleiner Lounge war es um einiges angenehmer. Das dumpfe hämmern des Basses war hier nicht ganz so krass zu hören und man konnte sich, ohne sich an zu schreien, unterhalten. „Tobs…“ Sam sah ihn für einen Moment an. Lehnte sich zu ihm und knabberte sich leicht über seine Wangenknochen hin zu seinen Lippen. „Ich hab immer gedacht, dass ihr Gothics, nichts von Techno haltet.“, flüsterte er. Drückte Tobs Gesicht leicht zu sich und sah ihm in die Augen. „Ich kann Techno auch nicht leiden.“ Der Student grinste. Biss Sam in den linken Zeigefinger, der leicht an seiner Wange ruhte. „Aber ich wollte tanzen und das richtig. Du verstehst?“ Sam benetzte seinen Mund leicht mit Speichel. Nickte. „Ja. Gezielt auf Körperkontakt, hm?“ Er schnappte etwas verspielt nach Tobs Lippen, welcher aus Jux ein wenig zurück wich. Er wollte ihn nur ein wenig necken. „Ganz genau.“ Seine Stimme nahm einen immer rauer werdenden Ton an. Sein Lächeln verwandelte sich langsam aber sicher in ein Grinsen. „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte er frech heraus. Er schätzte ihn auf die 24, was er ihm auch mitteilte. „Nicht ganz.“ Sam schüttelte den Kopf. „Setz noch zwei Jahre drauf und du hast mich.“ Er zwinkerte schmunzelnd. Küsste Tobs flüchtig. „Und dein wertes Alter?“ Tobs überlegte einen Moment. Legte seine Rechte provozierend auf Sams Oberschenkel. „Noch knackige 22. Und weißt du was? Ich will noch was zu trinken.“ Der Rothaarige war schon dabei sich zu erheben, doch Sam drückte ihn nur zurück auf das Sofa. „Was kann ich dir bringen?“ „Was süßes… mit Sahne.“ Er zwinkerte. Er überließ Sam die Entscheidung. Hauptsache diese beiden Sachen wurden erfüllt. Alles andere war ihm im Grunde genommen egal. Und keine fünf Minuten später war Sam mit einem komisch weißlich aussehenden Cocktail wieder zurück. „Sieht komisch aus.“ Argwöhnisch betrachtete der Student sein Getränk. Nippte leicht daran und bekam leuchtende Augen. „Lecker.“ Sam lächelte herzlich. „Flying Kangaroo.“, meinte er. Nahm selbst einen Schluck von seinem Caipirinha. Lehnte sich entspannt zurück. „Hier lässt sich’s aushalten. Was machst du beruflich?“ Der Blonde drehte sich zu Tobs, welcher etwas abwesend vor sich hin starrte. Abermals an seinem Strohhalm ziehend antwortete Tobs. „Ich arbeite als Barkeeper im Rainbow und studiere Sprachwissenschaften.“ Er grinste einen Moment. Er mochte nicht unbedingt wie ein Student aussehen. Oft sagte man ja, dass Studenten Öko-mäßig herumliefen, weil sie sich nicht mehr leisten konnten. Gut, Tobs hatte jetzt auch keinen Geldscheißer, aber er konnte sich immerhin etwas zu essen kaufen. „Sprachwissenschaften?“ Sam hob beide Augenbrauen. Sah ungläubig drein. „Nicht schlecht. Sprachbegabt… ich hatte damit immer leichte Probleme. Zumindest mit Latein, Spanisch, Französisch. Ich konnte die Sprachen nie leiden und Deutsch ist so oder so kompliziert.“ „Es geht. Ich hab Englisch anfangs auch nicht leiden können, aber dann hab ich mein Abi drin geschrieben. Also… hat sich relativ schnell geändert. Dann auch noch ein Austauschsjahr, nach London.“ Tobs lächelte, als er an diese Zeit dachte. „War nicht einfach aber sehr schön. Und nächstes Semester geht es zum studieren nach England… Mal schaun wo sie mich hin stecken.“ Der junge Mann lachte leise. „Hob dann eine Augenbraue. Legte den Kopf etwas schief. „Deutsch und schwer?“ „Du, wenn du in England aufgewachsen bist, ist Deutsch schwer zu lernen.“ Sam grinste für einen Moment. „Du gehst echt nach England zum studieren? Ist ja genial.“ Tobs nickte. „Ich hab allerdings keine Ahnung wohin. Das wird mir erst noch gesagt und wenn es geht… dann würde ich dort zu ende studieren. Mich hält hier nichts mehr.“ Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. „Ja, für einen Ausländer, sag ich jetzt mal, ist Deutsch tatsächlich sehr schwer.“ „Wieso hält dich hier nichts mehr? Gott, Deutsch. Man hört meinen Dialekt vielleicht ein wenig heraus, aber diese ganzen Fäll, die Grammatik. Da blickt man doch nicht durch.“ Sam lachte laut auf. Schüttelte schmunzelnd den Kopf. Er fragte sich manchmal heute noch, wie er das hinbekommen hatte. Tobs schüttelte langsam den Kopf. Ihm war tatsächlich kein Dialekt aufgefallen. „Nein, mir ist kein Dialekt aufgefallen. Wie lange lebst du denn schon in Deutschland. Oder ich will es mal so ausdrücken, wie lange ´lernst´ du Deutsch schon?“ Er hatte es extra in Anführungszeichen gesetzt. Man lernte immerhin sein gesamtes Leben lang. „Wieso mich hier nichts mehr hält…“ Tobs blickte zu den paar Leuten, die in der Lounge saßen. „Was will ich mit jemandem, mit dem man sich nur noch streitet?“ Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Sam zog fragend beide Augenbrauen nach oben. Sah etwas ungläubig drein. „Das ist wahr. Und was machst du, wenn du in England oben nicht zu Ende studieren kannst? Ich wünsche dir natürlich, dass es klappt, aber man kann nie wissen.“ Er nahm die Hand seines jüngeren Gegenübers. Ging nicht weiter auf Tobs Fragen ein, das hier war jetzt im Moment wichtiger. Vielleicht konnte er ihn ja für sich gewinnen. Immerhin, wenn er mit seinem Freund Schluss gemacht hatte. Obwohl das ja auch nicht unbedingt nett war, aber einen Versuch war es immerhin wer. Der junge Student zuckte nur leicht die Schultern. Sah auf ihre Hände und konnte sich ein flüchtiges Schmunzeln nicht verkneifen. Es sah mehr als komisch aus eine fremde Hand in der seinigen zu sehen. „Ich weiß es nicht. Ich wird mir wohl eine eigene Bude suchen. Kann meinem Kumpel ja nicht mein restliches Studentendasein auf der Pelle sitzen. Außerdem ist das Sofa auf Dauer keine Lösung.“ Er grinste Sam an. „Ich lass mich einfach überraschen.“ „Hmh, jetzt schon so groß zu planen, würde wohl nichts bringen. Aber ich könnte dir bei der Wohnungssuche helfen, wenn es wäre. Ich hab da so meine Kontakte und Vitamin B ist nie schlecht.“ Sam zwinkerte. „Vitamin B? Das stimmt. Connections sind wirklich nie schlecht. Hast du die Kontakte von der Arbeit her?“ Tobs wusste nicht woher dieses unbestimmte Gefühl kam, aber er wurde den Gedanken nicht los, dass Sam noch etwas vorhatte. Nur was? Das konnte er bei weitem nicht sagen. Sam nickte. „Ja, als Innenarchitekt kommt man schon rum. Ist allerdings auch nicht einfach, für einen Promi zu arbeiten. Mal Hü mal Hot… zum kotzen. Aber das ist halt die Branche, damit muss man leben und man lernt eine ganze Menge Leute kennen. Unter anderem auch Wohnungsmakler.“ „Nicht schlecht. Aber Promis sind doch so oder so recht wählerisch, denk ich mir jetzt mal. Ich werde eventuell drauf zurückkommen, danke.“ Tobs nickte. Nuckelte an seinem Cocktail und grinste vergnügt vor sich hin. Der Abend, beziehungsweise diese Nacht war atemberaubend. Sam hatte ein gutes Taktgefühl, wenn sie zusammen tanzten. Obwohl es Tobs etwas komisch vorkam, dass Sam gut einen Kopf kleiner war als er. Aber es kam ja nicht auf die Größe an. Der Innenarchitekt konnte dermaßen genial küssen, dass Tobs sich irgendwann hinsetzen musste, da ihm sonst noch die Beine unter dem Körper weg geknickt wären. Vielleicht lag es auch an dem Feuchtigkeitsmangel. Er brauchte etwas zu trinken, aber keine Alkohol mehr, sonst würde er noch einen Blackout bekommen. Betrunken war er nicht. Angeheitert, mochte er es auch nicht nennen. Er war einfach rundum zufrieden und dementsprechend gut drauf. Und die schönen Stunden im Soul mit Sam, brachten ihn sogar dazu, die Sache mit Andy zu verdrängen. Tobs Kopf fühlte sich leer an. Vollkommen luftig, leicht. Als wäre er ohne jegliche Materie. Vielleicht lag es an der kleinen, hellblauen Pille, die Sam ihm angeboten hatte. Tobs hätte in seinem gesamten Leben nicht daran gedacht, Ecstasy zu nehmen. Nein, das war für ihn vollkommen abwegig gewesen. Aber wahrscheinlich war sein Alkoholspiegel doch schon etwas höher gewesen und der Drang, diesem Blondling, vor ihm, gehören zu wollen, war zu stark gewesen. Mittlerweile hatte er einen unglaublichen Drang sich irgendwie zu bewegen. Kein Wunder also, dass er herum hibbelte, als sie vor der schneeweißen Türe zu Sams Haus standen, an die der junge Gothic keinen Moment später gedrückt wurde. Mit einem heißeren Knurren trafen ihre Lippen aufeinander. Lösten sich wieder voneinander und die beiden Erwachsenen stolperten durch die eben geöffnete Türe in Tobs´ Rücken. „Was zu trinken?“ Sam grinste ihn mit seinem Zahnarzt-Grinsen an. Der kleine Ziegenbart lud geradezu dazu ein, leicht daran zu ziehen, doch der Rothaarige unterdrückte dieses Bedürfnis. Grinste nur und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, sonst kipp ich wohl um. Oder… doch ein Wasser.“ Er lachte leise auf, als ihm der Hochgewachsene die Lederjacke abnahm. Ein Frösteln ließ Tobs´ Körper erzittern, als er diese unglaublich sanften Hände spürte. Durchzogen von ein paar Furchen an den Fingerspitzen. Sam stand hinter ihm. Ließ seine Lippen über die nackten Schultern seines Gegenübers gleiten. Grinste noch ein wenig breiter. „Du glühst ja richtig. Vielleicht sollte ich dich ein wenig abkühlen, hm?“ Leises Schnurren mit dieser fast schon unheimlich tiefen Stimme, die wie das Grollen eines hungrigen Bären in seinen Ohren klang. „Hn…. Vielleicht wäre das keine schlechte Idee.“ Der junge Student biss sich kurz auf die Lippe. Allein dieses kurze Streicheln brachte alles in ihm zum Glühen. „Das glaube ich auch.“ Sams Grinsen wurde noch breiter. Tobs stolperte mit ihm, durch die Küche in das riesige Schlafzimmer, seiner neuen Bekanntschaft, hinterher. Durch die Dunkelheit konnte er allerdings nicht wirklich viel sehen. „Wou, nicht so hastig.“ Der Student lachte auf, als er fast schon grob auf das ewig große Bett gedrückt wurde, welches fast mitten im Raum, wie ein Altar in das Zimmer ragte. Sam leckte sich leicht über die Lippen. „Schön hier bleiben. Ich komme gleich wieder.“, grollte er gegen die seines jungen Gegenübers. „Ich wüsste nicht, wohin ich gehen sollte…“ Tobs grinste. Sah Sam hinterher, welcher wieder in der Küche verschwand und irgendwo herumkramte. Es knackte und knirschte Angst einflößend. Tobs war mehr als gespannt, was Sam da herumraschelte. ~~~~ Anmerkung: Soul City, Carmens, N.Y Club und den Araft gibt es wirklich! Könnt ja mal nachsehen. XD Kapitel 5: Depression --------------------- Kapitel 5 Depression 12. Februar 2007 Andy stand vor der Coffee Company am Gärtnerplatz. Hielt seinen Latte Macchiato in Händen und zog tief an seiner Zigarette. Ihn hatte es schon wieder an diesen Platz gezogen. Den Platz, an dem vor ein paar Tagen die Geschichte ihren Lauf genommen hatte. Und sie hatte alles andere als in einem Happy End geendet. Das konnte doch alles gar nicht wahr sein. Diese Aussprache war wirklich nicht so verlaufen, wie er es sich erhofft hatte. Er hatte wirklich gehofft, dass Tobs ihm verzeihen würde. Jeder machte doch mal einen Fehler, oder? Und er bereute ihn! Das tat er wirklich. Aber irgendwie… er konnte Tobs schon verstehen. Sie hatten sich gezofft, wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Und allein diese Erkenntnis tat weh. Aber er hatte früher schon die Befürchtung gehabt, dass so etwas irgendwann einmal passieren würde. Nur Andy hatte Angst. Er hatte wirklich Angst. Angst um Tobs, dass er sich irgendwen anlachte, der ihm nicht gut tat. Der ihn ausnutzte, in irgendwelche Kreise brachte, aus denen er alleine nicht mehr hinaus kommen würde. Angst davor allein zu sein. Würde er Krissy und Cynthia davon erzählen. Wahrscheinlich würden sie sich auch noch auf Tobs´ Seite schlagen. Er konnte es schlecht sagen, aber das Gefühl ließ nicht nach. Ebenso hatte er Angst davor, seine Wut, seine Enttäuschung an jemand anderem, der überhaupt nichts dafür konnte, aus zu lassen. Das würde er sich selbst nicht verzeihen können. Mit eben solchen Gedanken, einem gebrochenen Herzen und unbändiger Wut auf sich selbst, ging er mit hängenden Schultern die Cornelius Straße entlang, bog in die Müllerstraße links ab und trabte zum Sendlinger Tor. Andy war so in Gedanken vertieft gewesen, dass er nicht merkte, wie er in jemanden hinein rannte. Er blickte kurz auf und sah in ein bärtiges Gesicht. Abgetragene Klamotten und… Birkenstocksandalen. „Junger Mann… sie sehen schlecht aus.“, meinte dieser Typ mit salbungsvoller Stimme. „Das brauchen Sie mir nicht unter die Nase reiben.“ Andy sah ihn abschätzend an. Pustete ihm den Zigarettenrauch ins Gesicht. Er wollte schon wieder gehen, da stellte sich dieser Kerl ihm einfach in den Weg. Hielt ihm einen Zettel unter die Nase. „Was will ich damit?“ Der Birkenstock-Typ lächelte. „Sie sehen aus, als wüssten Sie nicht, an wen sie sich wenden sollten… Vielleicht finden Sie Ihren Sinn des Lebens ja in Gott.“ Er verabschiedete sich und ging weiter. Andy zog eine Augenbraue nach oben. „Na ganz toll…“, grummelte er. Steckte diesen komischen Zettel in seine linke Gesäßhosentasche und ging weiter. Allerdings mit etwas besserer Laune. Dieser Kerl war zwar seltsam aber auf der anderen Seite lustig gewesen. Wieder zu Hause plumpste der junge Mann auf einen Stuhl in der Küche. Ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken und schloss die Augen. Sein Kopf dröhnte. Wieder kam ihm das vorherige `Gespräch´ mit Tobs in den Kopf. Hätte er diesen Mist doch erst gar nicht gemacht, dann wäre es nie so weit gekommen. Nur jetzt zu bereuen, war zu spät. Tobs war ihm aus den Händen geglitten, ebenso wie die Situation. Und genau das, machte die seinige nicht besser. Er wusste nicht, was er machen sollte. Wie er es anstellen sollte, dass Tobs ihm verzieh. „Oh man… und dann auch noch diese hässliche, kotzgrüne Hose… wie kann man so etwas überhaupt anziehen?“ Die Türe wurde zugeschubst und zwei lachende Frauenstimmen waren zu hören. „Oh Andy… alles in Ordnung?“ Krissy war mit Cynthia vom Shoppen zurück. „Hmm…“ Ein lautes Grummeln, und die Arme des Gothics baumelten leblos an den Seiten seines eingesunkenen Körpers herab. Die beiden jungen Frauen luden ihre Taschen im Flur ab. Cynthia machte schon einmal Kaffee, während Krissy sich neben ihren besten Freund setzte und mit ihm auf Augenhöhe ging. Sprich, den Kopf ebenfalls auf die Tischplatte legte und zu grinsen anfing. „Meine Güte, du siehst ja schlimm aus.“, meinte sie wahrheitsgemäß. „Danke, das hat mir heute schon dieser Zeugen Jehovas Typ gesagt.“ Andy hatte leise aufgeknurrt. Fuhr sich durch die Haare. Seine Finger zitterten. Cynthia lachte auf. Verschluckte sich an dem frischen Kaffee und stand keuchend und prustend zugleich in der WG-Küche. „Die haben uns heute auch schon angesprochen. Aua… mein Hals.“, jammerte sie leise auf. Krissy beäugte ihren Kumpel aufmerksam. Sie hatte ihn zwar schon öfter so zerknautscht und in sich zusammen gesunken gesehen aber nur dann, wenn irgendetwas mit Tobs vorgefallen war. Man hatte die Spannungen zwischen den beiden schon seit längerem spüren können. Die Streitereien waren kaum zu überhören gewesen. „Andy, was ist mit Tobs?“, fragte sie gerade heraus. Es war klar, dass der Gothic nicht von jetzt auf gleich mit der Sprache herausrücken würde. Schon gar nicht, würde er von sich aus den ersten Schritt machen und erzählen. Der junge Mann schwieg. Schloss nur die Augen und schüttelte den Kopf. „Oh man…“ Die Braunhaarige fasste sich an die Stirn. „Du hast dich kein Stück verändert. Lass dir nicht immer alles aus der Nase ziehen, Herr Gott. Und du kannst mir nicht weismachen, dass mit euch beiden alles okay ist. Ich kenn dich einfach schon zu lange um zu wissen, das da was nicht stimmt.“ Krissy verschränke die Arme von der Brust. Bedankte sich bei Cynthia mit einem kurzen Kopfnicken für den Kaffee und trat Andy wütend vors Schienbein. „Andy…“ Sie hatte einen drohenden Unterton in der Stimme. „Cynthia und ich haben eure ständigen Streitereien durchaus mitbekommen. Wir wohnen immerhin zusammen, falls du das vergessen haben solltest. Und der Brief von Tobs? Verdammt was soll das! Erst streitet ihr euch, dass die Fetzen nur so fliegen, dann haut Tobs ab, sagt noch nicht einmal wo er ist und du bringst dein Maul nicht auf! Jetzt rede verflixt noch mal!!“ Ihre Faust knallte auf den Tisch. „Was glaubst du denn was los ist!“ Andys Augen funkelten schon wieder so gefährlich auf. Er musste sich beruhigen. Er durfte seine Wut nicht an den beiden Mädls auslassen. Das war absolut nicht in Ordnung. „Das hab ich dich gefragt.“ Krissy atmete tief durch. Sie hatte nicht schreien wollen, aber sich machte sich eben Sorgen. Sie hatte noch zu gut in Erinnerung, was bei dem letzten Streit der beiden beinahe passiert war. Der Schwarzhaarige fuhr sich fertig durch die Haare. Über das Gesicht. „Wir haben uns gestritten.“, meinte er leise. Er konnte das jetzt nicht sagen. „Das war mir schon fast klar. Und jetzt? Wieso ist Tobs abgehauen?“ Sie nahm einen kleinen Schluck von dem heißen Gebräu in der roten Tasse. „Ich hab… hab es übertrieben. Meine Sicherungen sind total rausgeknallt.“ Seine Augen schmerzten. Sein Kopf drohte zu bersten und sein Herz schlug in seiner Kehle. Cynthia setzte sich an seine linke Seite. „Und das soll genau heißen?“ Ihre Stimme war um einiges freundlicher. Er schüttelte den Kopf. „Ich… hab ihn geschlagen.“, gab er leise zu. Seine Stimme versagte ihm und durch seine geschlossenen Augen drangen Tränen. Er hörte nur ein erschrockenes, noch wütenderes ´Du spinnst doch total´. Andy hatte ja geahnt, dass sie sich auf Tobs Seite stellen würden. „Krissy… jetzt warte doch erst mal ab, was überhaupt der Auslöser war.“ Cynthia sah die beiden vor sich an. Sie wollte sich jetzt noch kein Urteil darüber bilden. Sie kannte die Umstände immerhin nicht. „Wie kam es dazu?“ Die Schwarzhaarige erhob sich kurz und gab auch ihrem Kumpel eine Tasse schwarzen Kaffee. Vielleicht beruhigte ihn das etwas. „Es ist einfach… alles aus dem Ruder gelaufen.“ Er atmete tief durch. Blickte in das dunkle Gemisch vor sich. „Tobs ist schon wieder zu spät gekommen… sein Professor hätte ihn aufgehalten.“ Er lachte hohl auf. Mittlerweile nahm er es ihm wirklich ab. „Er geht wieder nach England… zum studieren.“ „Aber das kann dich ja wohl kaum dazu veranlasst haben ihm eine rein zu hauen.“, meinte Krissy, etwas freundlicher. „Ich hab ihm Vorwürfe gemacht… er hat mir unterstellt, dass ich… dass ich Schiss hätte, hier wieder ein Jahr ohne ihn zu sein.“ „Hatte Tobs Recht?“ Krissy zog die Augenbrauen nach oben. Sie sah, dass es Andy schwer fiel, das Geschehene noch einmal zu erzählen, nochmals zu durchleben. Aber sie wollten auch wissen, was eigentlich los war. „Ja verdammt.“ Andy fuhr sich über die Augen um seine Tränen zu entfernen. „Ich mein… wie würdet ihr euch fühlen, würde euer Freund ein ganzes Jahr lang nicht da sein? Ich hab den ganzen Scheißdreck schon mal mitgemacht… oh man… Scheiße.“ Wieder nur ein Kopfschütteln seinerseits. Er hatte überreagiert. Vollkommen. „Und was ist jetzt? Hast du mit ihm reden können? Weist du überhaupt wo er ist?“ Die beiden Frauen sahen ihn erwartungsvoll aber auch mitfühlend an. „Ja, er ist bei Boris untergekommen. Und… ich war vorher bei ihm.“ Er musste eine Ladung Tränen hinunter schlucken. Sich sammeln, bevor er weiter reden konnte. „Es ist aus… und diesmal endgültig.“, gab er leise von sich, ehe er sich erhob und in ihrem Schlafzimmer verschwand. Lange stand er einfach nur an die Türe gelehnt da. Hatte die Augen an die Decke gehaftet und seinen Tränen freien Lauf gelassen. Er hatte es vermasselt. Absolut vermasselt. Tobs hatte ihm klar gemacht, dass es vorbei war. Dass er ihn nicht mehr sehen wollte, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Und er konnte es verstehen. Ja, verdammt, er konnte es gut verstehen! Er würde auch nicht mit jemandem zusammen leben wollen, der einen schlug. Anschrie… total die Beherrschung verlor! Und ihm tat es leid. Es tat ihm scheiß leid, aber das konnte er Tobs noch nicht einmal mehr sagen. Beziehungsweise, dieser würde es ihm nicht mehr glauben. Hatte es ihm nicht geglaubt. Das gesamte Zimmer roch noch immer nach ihm. Selbst die Bettwäsche, roch noch nach diesem sonderbaren Duft. Andy hatte die ganzen Jahre nicht erfahren, was es war. Tobs hatte daraus tatsächlich ein Geheimnis gemacht. „Andy? Darf ich rein?“, fragte Krissy vorsichtig. Sie wollte ihn nicht auch noch „Ja…“, murmelte der junge Mann leise in sein Kissen hinein. Lag auf dem Bauch auf dem breiten Bett und starrte aus dem Fenster. Hing seinen Gedanken hinterher. Seine beste Freundin schloss die Türe leise hinter sich und setzte sich neben ihn auf das Bett. Schwieg für ein paar Augenblicke. „Was willst du jetzt machen?“ „Keine Ahnung… was soll ich denn noch großartig machen? Ich hab mit ihm geredet, er hat mir klar und deutlich gesagt, dass er… keinen Bock mehr hat. Was soll ich also deiner Meinung nach machen?“ Andys sah sie verzweifelt an. Knautschte sein Kissen noch weiter zusammen und stopfte es sich irgendwie unter den Kopf, damit er sich besser mit Krissy unterhalten und sie dabei auch ansehen konnte. Wieder schwieg sie einen kleinen Moment. Blickte Andy an und zuckte leicht die Schultern. „Ich weis nicht. Vielleicht… solltest du ihm etwas Zeit geben. Ihn dann noch mal um ein Gespräch bitten. Vielleicht hilft das ja. Ich würde es euch wünschen.“, flüsterte sie betrübt. Andy nickte langsam. Setzte sich auf und schlang seine Arme um die Beine. „Vielleicht sollte ich das machen. Aber er hat… eindeutig gesagt, dass er mir nicht glaubt, dass es mir Leid tut. Und das tut es… ich mein… ich hab Scheiße gebaut. Richtige Scheiße, aber… er hat sich auch nicht in meine Situation hinein versetzt. Er sagt immer, ich solle doch Verständnis für ihn zeigen, aber er zeigt keines für mich.“ Krissy nickte leicht. „Ich denke, dass es für ihn auch schwer ist, zu gehen und dich ein Jahr nicht zu sehen. Aber du weist, wie wichtig ihm das Studium ist. Und vielleicht… hat er deshalb gesagt, dass du Schiss hast, damit… na ja, dass du ihm zeigst, dass er dir wichtig ist. Ich kann nicht in ihn hineinsehen.“ „Ich weis, dass es ihm wichtig ist. Aber er hatte überhaupt keine Zeit mehr. Dann noch als Barkeeper im ´Rainbow´. Das hat ihm total den Rest gegeben, du hast ja selbst gesehen, wie fertig er danach immer war. Wie sollte ich ihm denn zeigen, dass er mir wichtig ist, wenn er mich kaum noch an sich ran gelassen hat?“ „Andy, wieso muss es immer Sex sein, um dem Partner oder der Partnerin zu zeigen, dass er/ sie einem wichtig ist? Es gibt so viele Dinge. Candle Light Diner oder irgendwie so etwas.“ Andy seufzte für einen Moment leise. „Krissy, Tobs ist von der Arbeit gekommen, hat ein ´Hallo Schatz´ gebrummelt und halb tot ins Bett gefallen. Er hat sich noch nicht mal ausgezogen. Wie soll ich denn da bitte ein Candle Light Dinger veranstalten? Mit mir selbst?“ Ein kurzes Kichern der beiden war zu hören gewesen. „Und selbst wenn er nicht gleich eingeschlafen ist… kein Kuscheln… es ist…“ Andy schüttelte nur den Kopf. „Seit Wochen nichts mehr gelaufen?“, half seine beste Freundin ihm weiter. Drückte ihn dann an sich, als sie nur das betrübte Nickten gesehen hatte. „Gib ihm etwas Zeit. Rede noch mal mit ihm, du weist wo er ist.“ Die Braunhaarige küsste ihn flüchtig auf die Stirn. „Danke…“ Andy war wirklich froh, dass die beiden Verständnis für ihn hatten. Immerhin gehörten zu so einer Eskalation zwei dazu nicht nur einer. Andy würde wirklich noch einmal mit Tobs reden. Er wollte diese Sache aus der Welt schaffen. Und würde Tobs dann sagen, dass er nicht mehr wollte, dann würde er ihn ziehen lassen. Aber im Streit auseinander zu gehen, das wollte er nicht. Allerdings war es dem jungen Mann nicht bewusst, dass er dazu vielleicht gar keine Chance mehr bekommen würde. ~~ Klein aber fein Kapitel 6: Entscheidung ----------------------- Kapitel 6 Entscheidung 15. Februar 2007 Tobs hatte nicht schlafen können. Sein Kopf tat weh. Er kam absolut nicht zur Ruhe, obwohl er sich dermaßen ausgepowert hatte. Vielleicht lag es an dem Ecstasy, das Sam ihm noch im Soul gegeben hatte. Sam lag übrigens seelenruhig in seinem Bett. Hatte einen absolut entspannten Gesichtsausdruck und hatte sich irgendwie in seine Bettdecke gekuschelt, dass man nur noch dessen Kopf sehen konnte. Mit einem leisen Ächzen erhob sich der junge Student. Blickte mit einem Schmunzeln die Schale an, in der noch vor einer guten Stunde ein Haufen Eiswürfel gewesen waren, welche mittlerweile zu Eiswasser geschmolzen waren. Tobs kramte aus seiner Hosentasche seine Zigaretten heraus. Ging, so leise wie möglich, auf die, an das Zimmer angrenzende, Terrasse. Setzte sich dort auf einen der gemütlichen Korbstühle. Ließ seine Seele ein wenig baumeln, während er den blauen Rauch der Kippe in die sternklare Nacht blies. Ob das so eine gute Idee war? Tobs wusste es nicht. Er wusste im Augenblick gar nichts. Er wusste nur, dass diese Nacht mit Sam dermaßen aufregend gewesen war, wie er es tatsächlich lange, vor allem nicht mit Andy, erlebt hatte. Dass das alles so hatte ausgehen müssen, wollte nicht so ganz in seinen Kopf hinein. „Du wirst nur krank, wenn du nackt in der Kälte sitzt.“, meinte ein sanft klingendes grollen hinter dem jungen Mann. Tobs hatte ein leicht trauriges Lächeln auf den Lippen, die stark an der Marlboro zog und den Rauch abermals in einem dünnen Strahl in die Dunkelheit blies. Er schüttelte kurz den Kopf. „Ich muss ein wenig ausdampfen.“ Sein Grinsen war aus den Worten deutlich heraus zu hören gewesen, welches allerdings schnell wieder verblasste. Selbst nach dieser Nacht, war Andy nicht aus seinem Kopf verschwunden. Zumindest die Geschehnisse nicht. Es war einfach noch zu frisch, selbst die Ringabdrücke waren noch zu sehen, auch wenn es nicht mehr wehtat. Aber er hatte mit jemand, nicht mehr vollständig, Fremden die Nacht verbracht. Mit Sam ein Bett geteilt und wirklich verdammt guten Sex gehabt. Facettenreich, intensiv. Das war kein kurzes ´Einmal-drüberrutschen-und-abhauen-´ Ding gewesen. „Wieso? Ist dir so heiß?“ Sam hatte seine Arme um Tobs´ Schultern gelegt. Küsste ihn leicht auf die Wange. „Ich frage mich immer noch, wie diese Abdrücke an deine Wange kommen.“ Tobs hatte Sam das nicht unter die Nase reiben wollen. Das hätte nur die Atmosphäre zerstört und diese war unglaublich gewesen. Ein Prickeln hatte in der Luft gelegen. „Wenn du mich berührst steigt mir die Hitze in den Körper.“ Tobs drehte den Kopf leicht. Grinste sein Gegenüber leicht an. „Meinungsverschiedenheiten gehen halt nicht immer ganz glimpflich aus.“ Er hauchte einen kurzen Kuss gegen Sams Lippen. „Ich hatte mir schon fast gedacht, dass es um eine Streiterei ging…“ Sam drückte den Jüngeren weiter an sich. Legte sein Kinn auf Tobs´ Schulter. „Muss aber ziemlich heftig gewesen sein, wenn du sogar ein Pflaster an dieser Stelle trägst.“, meinte er etwas lächelnd. Prügeleien war er schon immer aus dem Weg gegangen. Aber dass es so heftig werden konnte, hatte man zwar oft gehört, aber wirklich vorstellen hatte er sich das nie wirklich können. Tobs nickte langsam. Er wollte Sam nicht gleich auf die Nase binden, dass er sich frisch hatte tätowieren lassen. Mit einem kurzen Schnippen war die Zigarette über den Gartenzaun geflogen. „Lass uns reingehen, okay?“ Sam ließ Tobs los. Zog ihn in seine Arme, als sie wieder im Innern des Hauses waren und sah ihn an. „Hast du deshalb so betrübt vor dich hingestarrt, als wir getanzt hatten?“ Tobs konnte ihm genau in dem Augenblick nicht in die Augen sehen. Sam hatte eine sehr gute Menschenkenntnis, wie es schien. Und irgendwie machte er ihn, mit dieser Art und Weise ihn zu durchschauen, nervös. „Sam, ich kann Schlägereien nicht leiden. Ich hab nur darüber nachgedacht, wie es eigentlich soweit hatte kommen können. Tja, was hätte ich machen sollen? Mich einfach verprügeln lassen? Danke nein.“, flüsterte er leise. Küsste sein Gegenüber zärtlich und blickte ihm wieder in die Augen. „Ich hab über dein Angebot nachgedacht… Es wäre super, wenn ich, während ich in England oben studiere, bei dir wohnen könnte.“ Sams Augen leuchteten auf. Er drückte den jungen Studenten nur noch fester an sich und nickte schnell. „Natürlich! Du bist immer willkommen!“ Er sah total euphorisch aus. Als hätte er die ganze Zeit schon Pläne über ihr Zusammenleben ausklamüsert. „Oh Gott… wie ich mich freue…“ Er drückte seine Lippen fest, aber kurz, gegen Tobs´ und lachte laut auf. Fuhr über den breiten Rücken vor sich und legte dann den Kopf schief. „Du bist eiskalt…“ Und ehe es sich Tobs versehen hatte, stand er unter einer herrlich warmen Dusche. Einen wunderschönen Körper an sich lehnen spürend und den dazu gehörenden Mann, der ihn warm anlächelte. Ihn sanft mit, nach Lavendel, duftendem Duschgel einrieb. Langsam von den Händen über die Schultern glitt. Zur Brust kam und einen klitzekleinen Stopp einlegte. Grinste. „Sam… ich bin scheiß müde.“, murmelte Tobs mit entspannt geschlossenen Augen. Es fühlte sich gut an, aber auf eine zweite Runde hatte er jetzt keine Kraft und die Lust fehlte ihm auch. „Das sehe ich.“ Er küsste ihn flüchtig. Packte sich selbst in einen Bademantel und reichte auch seinem Gast einen. Bugsierte ihn schnurgerade wieder ins Schlafzimmer. „Ich hoffe du kannst jetzt schlafen…“ Tobs drehte sich mit dem Gesicht zu Sam. Zog ihn in seine Arme und nickte. „Das hoffe ich auch, danke.“ Tatsächlich war Tobs nach dieser kleinen Unterhaltung und der Zigarette, ebenso wie der angenehmen Dusche keine paar Minuten später eingeschlafen. Dafür war das Erwachen am nächsten Morgen der reinste Horror. Er blinzelte, wusste zwar wo er war, doch als er einen Blick auf Sams Wecker warf, sprang er auf und stand erst einmal in voller Panik im Schlafzimmer. Stolperte halb, als er sich die Hose anziehen wollte. „Scheiße… Fuck…“, fluchte der junge Mann vor sich hin. Wurde dann nur um die Hüfte gepackt und wieder zum Bett gezogen. „Hey… was ist denn?“, murmelte Sam gegen sein Steißbein. Tobs drehte sich mit entsetzt weit geöffneten Augen um und knurrte kurz auf. Sam sah ihn mit treuem Blick von unten herauf an. Legte auch noch den Kopf schief. „Wieso hast du mich nicht geweckt? Fuck… ich komm zu spät zu meiner Vorlesung…“ Er wäre beinahe ausgeflippt. Er wusste noch nicht einmal, wie er von hier aus zur S-Bahn kommen sollte. Und wenn er das nicht wusste, wie sollte er, um Gottes Willen, von Grünwald nach München rein kommen? Sam schmunzelte leicht. Hauchte einen sanften Kuss gegen Tobs´ Bauchnabel und zog ihn mit sich auf das Bett. Tobs stützte sich neben dessen Kopf ab und sah ihn an. „Süßer… es ist Sonntag.“, murmelte er gegen die Lippen des Studenten, welcher die Augen noch weiter aufmachte und sich dann mit einem lauten Seufzen auf sein Gegenüber sinken lies. „Oh man…“, jammerte Tobs leise auf. „Hättest du das nicht sagen können, bevor ich aufgestanden bin?“ Ein leises Lachen drang aus ihren Kehlen. Ein Gähnen aus Tobs´ und er schmiegte sich in die warme Umarmung von Sam. Küsste leicht über sein Ohr bis hin zu seinem Hals. „Hmm… du schmeckst gut.“, murmelte er wieder etwas schläfrig. Sam lächelte. Kraulte dem Jüngeren etwas über den Rücken. „Ich bin selbst eben erst aufgewacht, ich hätte dir das gar nicht früher sagen können.“ Er kicherte kurz auf. Trippelte mit seinen manikürten Nägeln auf Tobs´ Schulterblättern herum. Strich mit seinen schmalen Lippen leicht über seinen Hals bedacht darauf, nicht über das Pflaster zu fahren. Er wollte Tobs keine Schmerzen zufügen. Und so wie es den Anschein hatte, war das nicht unbedingt eine leichte Verletzung. „Ich mach uns Frühstück, okay?“ „Hm… Stimmt auch wieder.“ Tobs nuschelte leise. Lächelte vor sich hin. Sam wusste, und das nach einer Nacht, wie er ihn zum Glühen brachte. „Du bist mein Frühstück.“, grinste der junge Mann. Saß keine Sekunde später auf Sams Becken. Stützte sich wieder neben seinem Kopf ab und sah ihn einfach nur an. Er lachte auf. Fuhr über die trainierten Arme seines Gegenübers. „Davon wird man aber nicht fett.“ Sams Lächeln wurde breiter. Das Leder auf seiner nackten Haut scheuerte ein wenig. Aber wenn er sich den Mann, der darin steckte, ansah, dann ging ihm das so ziemlich am Arsch vorbei, sollte er irgendwann wund gescheuert sein. „Wird ja wohl gut sein.“ Tobs lachte auf. Wuschelte Sam kurz durch die Haare und küsste ihn dann zärtlich. „Nicht dass ich noch dick werde, wenn ich dich vernasche.“ Er grinste breit. „Oh ja… urplötzlich hast du fünf Kilo mehr auf den Rippen.“ Sam witzelte herum. Pfriemelte an den drei Hosenknöpfen herum und fuhr von vorne in eben diese. „Du bist so weich.“, murmelte er leicht betört von diesem Kuss. Das veranlasste Tobs nun tatsächlich zum Schmunzeln. Biss ihm flüchtig auf die Lippe und grinste ihn dann nur noch an. „Und du… süße wie Zucker.“ Tobs hatte wohl den Verstand nicht mehr ganz beisammen. Er hätte sich nie im Leben vorstellen können, mit einem Metro-Sexuellen-Schwulen das Bett zu teilen. Und dann auch noch solch eine verdammt heiße Nacht zu erleben. Das war schon einen Gedanken wert. „Da könnte ich wirklich noch zu nehmen.“ Er grinste ihn breit an. „Dann lass uns was Gesundes frühstücken.“ Sam lächelte. Tobs nickte langsam. Setzte sich neben Sam, damit sich dieser erst einmal etwas anziehen konnte. Dieser Hintern… dachte sich Tobs mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, als sich sein ´Gastgeber´ vor ihm anzog. Ein Traum. Sam drehte sich um. Sah das Lächeln seines Begleiters und grinste ihn kurz an. Hielt ihm eine Hand hin. „Kommst du?“ „Äh ja, sorry.“ Tobs nahm Sams Hand. Erhob sich langsam und ging ihm hinterher in die Küche. Gestern - oder war es doch schon heute gewesen? – hatte er nicht viel von ihr mitbekommen. Es war ein großer, sehr heller Raum. Ein Tresen ging um eine Ecke, davor standen Barhocker und dahinter war die Küchenzeile. Man merkte einfach, dass Sam Innenarchitekt war. Und er hatte wohl einen Sauberkeitsfimmel. Denn es war fast schon unnatürlich sauber. Nach einem wirklich ausgewogenen Frühstück, es gab frisch aufgebackene Semmeln, Schinken, Käse, Trauben und Marmelade, machten sich die beiden auf den Weg. Sam fuhr ein dubkelblaues BMW-Cabrio, in dem sich Tobs fühlte, als würde er auf einer gemütlichen Couch sitzen. So viel Platz hatte man. Für die Füße. Es war einfach ein herrliches Gefühl. Der Blondling brachte Tobs noch bis zur Haustüre. Da der Student allerdings keinen Hausschlüssel besaß, zumindest noch nicht, klingelte er. Verabschiedente sich mit einem langen, sanften Kuss von seinem Begleiter und lächelte ihn an. „Du meldest dich?“, fragte Tobs leise nach. Stand im Türrahmen und sah ein festes Nicken. „Aber natürlich. Deine Nummer habe ich. Ich freu mich auf ein baldiges Wiedersehen, mein Hübscher.“ Er zwinkerte keck, und verschwand auch schon wieder in seinem Auto. Brauste davon, während Tobs mit einem breiten Lächeln, gesättigt und einfach nur glücklich nach oben und in die Küche ging. „Bin wieder da.“, meinte er leise. Hängte seine Jacke an die Garderobe an der Türe und zog seine Stiefel aus. „Boris?“ Boris kam schlappend aus dem Badezimmer. In einen weißen Bademantel gehüllt, auf dessen Rücken ein riesen großeses Playboybunny abgebildet war. Tobs wären beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Er hätte im Leben nicht erwartet, dass Boris SO etwas anziehen würde. Sein Chef und bester Freund grinste ihn wissend an. „So wie du aussiehst, hattest du eine verdammt heiße Nacht. Aber was hast du mit deinem Hals gemacht?“, fragte er fast schon entsetzt über das Pflaster. Tobs schmunzelte nur. „Ja, meine Nacht war besser als die letzten paar… ääääähm, Monate zusammen.“ Er lachte leise auf. „Das Pflaster, ja… Ich sagte ja, ich hatte noch etwas zu erledigen. Warte, ich mache es ab.“ Der Student ging in die Küche. Zog mit spitzen Fingern die weiße Mullbinde ab und grinste. „Und? Was sagst du?“ Boris ging näher ran. Legte den Kopf unnatürlich schief und seufzte kurz auf. „Dass du deinen Körper so verunstaltest.“, meinte er leise. „´Before yesterday´.“, wiederholte er langsam. „Sieht nicht schlecht aus, aber meinst du nicht, dass das an der Stelle zu auffällig ist?“ Er sah ihn lange an. Sah das Lächeln und Tobs´ glitzernde Augen und schüttelte nur kurz den Kopf. Er umarmte ihn leicht. Küsste ihn kurz auf die Schultern. „So lange du glücklich bist.“, flüsterte Boris und setzte sich auf einen der Küchenstühle. Tobs zuckte leicht die Schultern. „Kurzschlussreaktion.“ Er zwinkerte für einen Moment. „Und jetzt erzähl mal mein Lieber. Wieso war diese eine Nacht besser als die letzten paar Monate zusammen?“ Ein anzügliches Grinsen erschien auf seinen Lippen. Tobs ließ sich ihm langsam gegenüber nieder. Blickte einen Augenblick aus dem Fenster und kicherte dann kindlich auf. „Oh Gott Boris… was glaubst du, was man alles mit Eiswürfeln machen kann? Scheiße… ich hab gedacht ich falle noch in Ohnmacht.“ Seine Augen fingen noch mehr zu leuchten an. Sein Grinsen war breit und sein Blick in die Ferne gerichtet. „Eine Menge, aber erzähl du es mir. Was hat dieser Blondling mit dir angestellt? Oder besser du mit ihm?“ „Er hat mich eiskalt verführt. Ist, als wir bei ihm waren, mit einem riesigen Kübel voller Eiswürfel in das Schlafzimmer gekommen.“ Tobs sprach wie in Trance. Leise, langsam aber wohl wissend, was er sagte. „Wir haben uns gegenseitig ausgezogen. Ganz langsam und gemächlich, obwohl ich so scheiße scharf war. Ich hab gedacht, ich zerspring noch unter diesen Fingern, diesen Händen. Weich, durchzogen von einzelnen, kleinen, feinen Furchen. Eigentlich nicht weiter der Rede wert, aber wenn sie dich dann massieren. Ganz langsam an den Schultern angefangen, über den Rücken. Den Hintern… Du bist so oder so schon heiß, bist fast am kochen und dann diese Eiswürfel. Hat meinen gesamten Körper damit eingerieben, aber wirklich jeden Zentimeter. Ganz sanft, langsam. Gott, ich hatte einen Ständer, dass ich’s mir fast schon selbst hätte besorgen müssen.“ Seine Wangen waren leicht gerötet. Aber er sprach weiter. Nicht wissend, dass Ben in der Küchentüre aufgetaucht war. „Dann… hat er einen in mir versenkt. Immer noch mit dieser quälenden Langsamkeit. Hat ihn immer weiter geschoben, mich weiter massiert, ich hab gedacht, der Würfel kommt mir noch zum Hals raus… dann hat er einen zweiten versenkt… einen dritten. Meinen Rücken dabei unablässig geküsst. Meinen… Hintern… jeden Millimeter mit seinen Küssen bedeckt. Hat immer wieder irgendwelche Worte geflüstert. Englische Worte… anheizend. Mit dieser grollenden Stimme. Ich habs nicht mehr ausgehalten, als er mir zwischen die Beine ist. Gott… seine Hände haben mich wirklich in den Wahnsinn getrieben. Ich hatte noch nie im Leben zwei Orgasmen innerhalb von fünf Minuten. Und der dritte… scheiße war das geil in ihm. Heiß, eng… und dieses Stöhnen…“ Tobs Lippen waren trocken, als er wieder daran zurück dachte. Seine Sehnsucht nach diesem Menschen wuchs immer weiter, je mehr er sich die Geschehnisse ins Gedächtnis zurück rief. Er verstummte mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen. Boris hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt. Saß mit leicht geöffnetem Mund auf dem Stuhl. Blickte dann leicht nach links zur Türe und sah Ben mit einem so roten Kopf, dass er gedacht hätte, er würde ihm gleich zerspringen. „T… Tobs… ich bin mal eben… im Badezimmer.“, murmelte er brüchig. In seinen Lenden hatte sich dermaßen viel Blut gesammelt, dass er allein von dieser Erzählung einen Ständer bekommen hatte. „Was?“ Tobs blinzelte einen Moment und sah die beiden Männer an. Hatte nicht mitbekommen, dass Ben noch dazu gekommen war. Hatte einfach alles um sich herum ausgeblendet. Er hatte Boris eben nicht einmal gehört. Wunderte sich ein wenig, warum die beiden zusammen im Badezimmer verschwanden, aber ihm konnte es nur recht sein. Der junge Mann dachte noch lange an diese heiße Nacht zurück. Seufzte immer mal wieder leise auf. Es war schon fast abends, als ihm wieder einfiel, was er Boris noch zu sagen hatte. Dieser machte gerade einen ganzen Pott Spaghetti. Stand leise summend am Herd, während Ben im Wohnzimmer saß und las. „Boris?“ Tobs sah ihn lächelnd an. Man sah, dass der junge Mann glücklich war. Und er gönnte es ihm. Nach allem, was er mit Marcel hatte durchmachen müssen freute er sich nur noch mehr, dass er sein Glück gefunden hatte. „Ja? Was gibt’s denn?“ „Ich werde… in zwei Wochen fliegen.“, meinte er leise. Hatte ein leicht trauriges Lächeln im Gesicht. Er würde ihn vermissen. Er würde Boris und Ben, Krissy und Cynthia wirklich unheimlich vermissen. Aber sie würden in Kontakt bleiben, soviel stand fest. „Wie? Ach so, nach England. Du wirst mir fehlen… zwei Semester, also ein ganzes Jahr… dich nicht zu sehen.“ Boris seufzte leise auf. Rührte in der Tomatensoße herum. Würzte noch einmal nach. Tobs fuhr sich kurz über das Gesicht. „Ich… werde oben… mein Studium beenden.“ Tobs hatte nur Geflüstert. Es tat ihm weh, Boris dann, mehr oder weniger, alleine zu lassen. Vor allem tat es ihm leid, dass sein Chef auch noch einen neuen Barkeeper für das Rainbow suchen musste. Der Blonde hielt in all seinen Bewegungen inne. Drehte sich in Zeitlupe um und starrte ihn einfach nur an. „Vier Jahre?“ Man hatte ihn kaum verstanden. „Wie… wieso gleich vier Jahre?“ Tobs stand langsam auf. „Boris, mich hält hier wirklich absolut nichts mehr. Du, Ben, Krissy und Cynthia. Ihr seid die Einzigen, obwohl ich euch eh nicht oft sehen würde, würde ich hier fertig studieren. Und Sam… er hat in England… ein kleines Häuschen. Er hat mir angeboten, die Zeit über und wenn ich will für länger, bei ihm ein zu ziehen. Bei ihm zu wohnen. Weißt du, Sam ist einzigartig. Auch wenn ich ihn wirklich nicht lange kenne, aber wieso… wieso sollte ich das nicht ausnutzen? Ich mein… mir würde zwar das Studentenwohnheim bezahlt werden, aber wieso dorthin gehen, wenn ich es besser haben kann? Ich weiß, das hört sich link an. Aber die Zeit mit Sam, auch wenn sie bisher nur sehr kurz war, war einfach unglaublich. So Intensiv und er ist… er tut mir gut.“, gab Tobs leise zu. Drückte Boris sacht an sich. „Boris… ich will nicht hier bleiben. Ich will den Großteil von hier einfach nur vergessen.“ „Ja… das hört sich link an. Verdammt link.“, gab der Barbesitzer zu. Schloss die Umarmung und schüttelte den Kopf. „Ich kann verstehen, dass du das vergessen willst. Aber deshalb gleich in ein anderes Land ziehen? Überleg es dir gut. Du wirst hier immer willkommen sein. Die Couch wird immer für dich frei sein, das weißt du. Und ich will hier auch nicht Moralapostel spielen und dir im Wege stehen. Aber lass es dir noch mal durch den Kopf gehen. Das ist wirklich eine große Entscheidung.“ Boris küsste ihn flüchtig auf die Stirn und ließ ihn los. „Danke Boris. Du weißt, dass mir das alles sehr viel bedeutet. Alles was du für mich tust und getan hast. Dafür bin ich dir sehr dankbar. Mehr, als ich eigentlich sagen kann. Aber… ich brauch nicht mehr lange überlegen.“ Er lächelte warm. Boris seufzte leise. Rührte kurz in der Soße um. „Tobs, das ist für mich selbstverständlich. Dafür hat man gute Freunde.“ Der Ältere lächelte ebenfalls. „Ich werde dich nicht aufhalten und wenn du glücklich bist und wirst, dann habe ich nichts dagegen. Und wenn, würde das eh nichts bringen.“ Ein kurzes Grinsen schlich sich auf seine Züge. „Probier mal.“ Tobs nippte etwas an dem Kochlöffel mit der Soße. Überlegte einen Moment. „Noch ein bisschen Pfeffer, dann ist es perfekt.“ Mit diesen Worten holte er schon einmal Teller und Besteck aus den Kästen und deckte den Tisch. „Ben! Kommst du essen?!“, rief Boris in das Wohnzimmer. „Hmmm… komme gleich.“, brummte der Angesprochene. Klappte das Buch zusammen und kam in die Küche geschlappt. „Jetzt wars grad so spannend.“, meinte er gespielt schmollend. Küsste ihn kurz auf die Wange und nahm Platz. Somit war Tobs´ endgültige Entscheidung gefallen. Er würde mit Sam nach England gehen. Bei ihm einziehen und dort sein Studium absolvieren. Ein wundervoller Gedanke, wie Tobs fand. Nicht darüber nachdenkend, dass vielleicht doch nicht alles Gold war, das glänzte. Kapitel 7: Versöhnungsversuch ----------------------------- Kapitel 7 Versöhnungsversuch 03. März 2007 Andy seufzte leise auf. Trank seinen Kaffee aus und erhob sich langsam wieder. Dieser BMW ist ja noch nicht mal wirklich schön, dachte er sich nur Kopf schüttelnd. Erhob sich. Zündete sich eine Zigarette an und machte sich wieder auf den Weg zurück in die kleine WG. Tobs war also tatsächlich mit diesem blonden Lackaffen mitgegangen. Er hatte ihn zurück gebracht. Dieser Bonze! An diesen Kerl würde er Tobs nicht verlieren! Niemals. Nur was ihn so schockierte war allein die Tatsache, dass Tobs jetzt schon wieder jemanden an der Angel hatte. Klar, Tobs wusste, dass er verdammt sexy aussah. Und dann noch die richtigen Klamotten, machten das Bild des perfekten Lovers vollständig. Vor allem Tobs war kein schlechter Kerl. Andy gestand sich ein, dass er wirklich Angst hatte, Tobs vollständig zu verlieren. Aber wie sollte er ihn jetzt noch erreichen? Wie sollte er mit ihm reden? Ans Handy würde er nicht gehen, außer er würde seine Nummer nicht mit senden, aber das Risiko, dass Tobs dann erst recht nicht ran ging, wollte er nicht eingehen. Und er traute sich nicht wirklich ihn anzurufen. Allein deshalb weil er ihn wohl wieder anschreien würde. Er musste noch einmal mit den beiden Mädls reden. Anders würde er das einfach nicht auf die Reihe bekommen. Oder er fragte seine Mutter. Sie könnte ihm sicherlich auch helfen. Zu Hause angekommen klopfte er an der Türe zu Krissys und Cynthias Zimmer. „Komm rein.“ Krissy saß auf ihrem Bett und hatte ein Buch in der Hand. Cynthia war anscheinend in der Arbeit. „Was gibt’s?“, fragte sie freundlich. „Ich brauch deinen Rat. Wie immer.“ Er grinste für einen Moment. Setzte sich neben sie und starrte aus dem Fenster. „Tobs hat einen Neuen.“, murmelte der junge Mann. Ein kurzes Kopfschütteln und ein Seufzen der Frau. „Jetzt schon? Oh, dann muss es ihm echt Ernst mit der ganzen Geschichte sein. Und was willst du jetzt machen?“ „Das wollte ich dich eben fragen. Ich will ihn nicht verlieren, auch wenn es vielleicht aussichtslos ist. Ich kann es immerhin versuchen. Und… an diesen blonden Lackaffen gebe ich ihn nicht ab… das lass ich nicht zu. Gott… so ein schleimiger Bonzen-Kerl. Blond gelockt… Gott… der sah schlimm aus.“ Eine Gänsehaut wanderte über seine Arme. Krissy zog leicht eine Augenbraue nach oben. Kicherte. „Eifersüchtig?“ Ein neckisches Grinsen zierte ihre weiblichen Züge. Knuffte ihm leicht in die Schulter. „Ich weiß nicht, was du großartig machen könntest. Noch mal mit ihm reden, wie gesagt, aber ich weiß nicht, ob er dir noch mal zuhören würde. Oder du rufst ihn an… oder die, mehr oder weniger, unpersönlichste Art und Weise wäre ein Brief in dem du dich erklärst.“ „Ein Brief… das ist wirklich mehr als nur unpersönlich.“, murmelte Andy leise. „Vielleicht… vielleicht frag ich Boris einfach mal. Tobs hat donnerstags nie Schicht.“ Er fuhr sich leicht übers Kinn. „Boris? Wieso Boris? Auch wenn er jetzt bei ihm wohnt, wird er dir wohl auch nicht wirklich sagen können, was du machen sollst.“ Krissy knabberte an einem Bleistift, den sie gerade zur Hand hatte, herum. Eine dumme Angewohnheit seit der Schule, die sie einfach nicht mehr loswurde. „Na ja… vielleicht weiß er ja irgendwas. Allein wegen diesem komischen blonden Bonzen Typen.“ Es gruselte ihn bei der Vorstellung, der Kerl würde seinen Tobs anfassen. Das wollte er sich gar nicht weiter vorstellen, sonst würde ihm wohl noch irgendwann schlecht werden. „Wie du meinst.“ Krissy zuckte nur die Schultern. Sie wusste weder, was Andy Tobs noch sagen wollte, noch ob Boris ihm dabei helfen konnte. „Jepp, meine ich.“ Andy lächelte. Küsste sie flüchtig auf die Wange und sprang auf die Beine. Machte sich, schon zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Weg in Richtung Gärtnerplatz. Kam am Rainbow an und fuhr sich kurz über das Gesicht. Der junge Mann wusste nicht ob er hoffen sollte, das Tobs da war oder nicht. Mit einem komischen Gefühl im Magen trat er durch die, mit einer Regenbogenflagge verhängte, Türe. Sein Blick fiel sofort zur Bar und wer stand dort? Tobs, mit einem jungen Mann flirtend, während er Cocktails mixte. Er hatte nie darauf geachtet, aber Tobs sah dabei dermaßen sexy aus. Die Armmuskeln spannten sich bei jedem Schütteln an. Sein Herz rutschte ihm in die Hose. Er wollte nicht hier in der Bar mit Tobs aneinander geraten. Nicht mit ihm streiten oder laut werden. Vielleicht konnte er ihn für ein kurzes Gespräch nach draußen oder in das Hinterzimmer bitten. Kaum hatte er die ersten paar Schritte getan sprang ihm Boris mehr oder weniger in den Weg. Sah ihn argwöhnisch an. „Zettel hier keine Streit an, Andy. Ich will dich nämlich wirklich nicht rauswerfen oder dir Hausverbot erteilen müssen.“ Er klopfte ihm auf die Schulter. „Keine Sorge. Ich will nur noch mal in Ruhe mit ihm reden.“ Andy brachte ein leichtes Lächeln über sein sonst eingefrorenes Gesicht, was ihn schon wieder so zornig aussehen ließ, obwohl er das eigentlich gar nicht war. Boris nickte nur, entließ den jungen Mann, welcher geradeaus zur Bar weiter ging. Sich an den Tresen setzte und erst einmal abwartete. Es schien fast so, als würde Tobs ihn ignorieren. Er konnte ihn gar nicht übersehen haben und so voll war es nun auch wieder nicht. Nach fast endlosen Minuten ließ sich der Student dazu herab zu ihm zu kommen. „Das gleiche wie immer?“, fragte er nur. Als würden sie sich nicht kennen. Desinteressiert und mit monotoner Stimme. „Nein… ein Glas Wasser…“ Andy seufzte kurz auf. „Kann ich mit dir reden?“, fragte er leise. Sie brauchte nicht jeder zu hören. Tobs stellte ihm ein Glas Mineralwasser mit einer Scheibe Zitrone vor die Nase. „Andy, es ist alles geklärt. Ich habe keinen Bedarf, mir dein Gerede noch mal an zu hören. Und du siehst, dass ich zu tun habe.“ Mit eben diesen Worten verschwand Tobs für einen Moment hinter dem Vorhang und kam mit einem großen Eimer Eiswürfel zurück. Sah verträumt die Zange an, mit der er sie in das Glas tat und grinste vor sich hin. Und das bekomm ich so oft ich will…dachte sich der Student nur, ehe er einem seiner Stammgäste seinen Cocktail reichte. Andy seufzte leise vor sich hin. Starrte die kleinen Bläschen an, die sich ihren Weg an die Wasseroberfläche kämpften, nur um kurz darauf zu verweilen und dann zu zerplatzen. Wie ein Traum. Und obwohl der junge Mann so in Gedanken vertieft war, hörte er das Gespräch zwischen Tobs und Boris mit. „Wann geht dein Flieger?“, fragte Boris seinen Kumpel. Tobs überlegte einen kleinen Moment. „Montag um 14 Uhr. Sam holt mich ab.“ Er grinste flüchtig. „Dann brauchst du noch deine restlichen Sachen, oder? Soll ich dir irgendwie tragen helfen?“, murmelte er leise, während er das nächste Bier zapfte. Tobs schüttelte den Kopf. „Nein. Ich brauch nicht mehr als meine Klamotten, meine Schulsachen und meine CDs. Alles andere ist eigentlich unwichtig.“, winkte er ab. „Wir bekommen das schon hin und wenn es ist, dann kannst du mir meinen Kram immer noch nachschicken. Porto übernehme ich natürlich.“ Der Student blickte auf die Uhr über der Bar. „Ich mach Feierabend. Hab noch was vor.“ Wieder dieses Grinsen und dann auch noch das Glitzern in den Augen. Andy drehte sich der Magen um, als er das Lächeln erblickte und dann auf Augenhöhe hellblonde Korkenzieherlocken ausmachte. Dieser Drecksack… Der Schwarzhaarige musste sich wirklich beherrschen, diesem Bonzen keine rein zu hauen oder Tobs zu fragen, was er mit so einem Lackaffen eigentlich wollte. Und schon waren die beiden verschwunden. Tobs mit diesem Lackaffen. Irgendwie konnte er das nicht ganz glauben. „Boris?“ Er hielt den Barbesitzer am Ärmel fest. „Ist ihm das Ernst?“, fragte er leise nach. Boris brachte, ohne auf die Frage vorerst ein zu gehen, das Bier einem Kunden und ließ sich dann neben Andy sinken. Sah das betrübte Gesicht und seufzte leise auf. „Wem? Tobs? Wie es den Anschein hat. Er sah… letztens sehr glücklich aus, als er zurückgekommen ist.“ „Hm, das hab ich gesehen.“ Andy fuhr sich durch die Haare. „Hat Tobs noch irgendwas gesagt, nachdem… ich gegangen war? Ich mein…“ Boris überlegte einen Moment. „Andy ich will dir keinen Vorwurf machen, aber Tobs auch nicht Recht geben. Ihr habt beide richtig Scheiße gebaut und keiner will es sich wirklich eingestehen. Ihr habt beide euren Sturkopf. Tobs braucht seine Zeit einfach. Und vielleicht ist das eine Jahr in England genau das Richtige. Andy… ich weiß nicht, ob es ihm mit Sam ernst ist. Ich hab keine Ahnung und es interessiert mich in dem Sinne auch nicht. So lange er nicht unglücklich ist, ist mir egal, was er mit ihm macht… na ja gut, nicht ganz egal… aber lassen wir das mal. Ich denke mal sehr stark, dass Tobs nicht mit dir reden will, oder kann. Wie auch immer. Wenn du ihm noch was sagen willst… dann ja, es mag sich doof anhören, aber ein Brief wäre das Einfachste. Und wenn du willst, dann kannst du ihn mir geben und ich schieb ihn Tobs unter, dann kannst du dir sicher sein, dass er auch ankommt.“ Boris seufzte leise auf. Legte Andy eine Hand auf die Schulter. „Ich bin weder auf deiner noch auf Tobs´ Seite, das sollte dir klar sein. Mach einfach das Beste draus, klar?“ Er grinste ihn kurz an. „Das wird schon.“ Mit diesen letzten Worten verschwand der Besitzer auch schon wieder hinter dem Tresen. Andy legte fünf Euro auf den Tresen, hatte sein Glas noch nicht mal zur Hälfte geleert, aber er konnte und wollte hier nicht noch weiter herum sitzen. Boris hatte gesagt, er würde ihm den Brief unterschieben. Auch er meinte, dass ein Brief das Beste wäre. Also musste er sich nur überlegen, was er hinein schreiben würde. Es war zwar einfach es sich aus zu denken oder seine Gefühl in diesem Sinne in Worte zu fassen, nur es auf Papier zu bringen, war eine Hürde, die Andy zu Hause eine schlaflose Nacht bereitete. Andy überlegte schon wieder. Wie sollte er anfangen? Hallo Schatz… Der erste Papierbogen landete auf dem Boden. Hallo mein Süßer… der zweite gesellte sich dazu. Sei mir gegrüßt... und noch einer bedeckte den Fußboden. „Andyyy… so schwer kann das ja wohl nicht sein.“, fluchte er leise auf. Schlug sich leicht gegen die Stirn und entschied sich nach ein paar Minuten für ein einfaches ´Hallo Tobs´. Der Rest ging ihm relativ gut von der Hand. Er wusste, was er ihm schreiben wollte. Eher, er schrieb ihm das, was er ihm eigentlich hatte sagen wollen. Noch am gleichen Tag, rannte er schon fast, zu Boris in die Bar zurück. Drückte ihm den Briefumschlag mit Inhalt in die Hand und verschwand mit einem herzlich gelächelten Danke. Boris hatte Wort gehalten. Tobs war am packen gewesen und hatte ihm den Umschlag, während Tobs gerade nicht im Zimmer war, zwischen zwei Röcke geschoben. Er würde den Brief auf jeden Fall finden. Es war Samstag, als das Schloss ging. Andy saß gerade in der Küche. Mit einem Kaffee vor sich stehend und in einer Zeitschrift blätternd, während im Hintergrund irgendwelche Radiomusik dudelte, auf die er sich nicht weiter konzentrierte. Ebenso wenig wie er nicht merkte, wer da eigentlich durch die Türe gekommen war. „Ich hol nur schnell meine restlichen Sachen.“, kam es gebrummt vom Eingang. Eigentlich hatte Andy es ahnen müssen, allein bei dem ersten Schritt, den Tobs in die Wohnung getan hatte. Das Scheppern war nicht zu überhören gewesen. Andy seufzte nur leise auf. Erhob sich und sah Tobs an. Wie er da im Flur stand. Wie ein regloser, schwarzer Schatten. Mit Lederhose, Boots, Lederjacke und dem Irokesen. Immer noch zweifarbig und etwas, was ihm erst auffiel, als er sich von ihm wegdrehte und zu ihrem Zimmer ging. Dieser kleine Augenblick hatte gereicht. Schon wieder ein Tattoo? Direkt am Hals? Er hatte es zwar nicht lesen können, aber dass sich Tobs am Hals hatte tätowieren lassen, wunderte ihn ein wenig. Vor allem weil es so auffällig war. Man konnte es gar nicht übersehen, nicht einmal dann, wenn er eines seiner Halsbänder trug. Ein ohrenbetäubendes Quietschen war zu hören gewesen. Ein leises Lachen und Andy sah nur, wie Krissy sich um Tobs´ Hals geworfen und ihn fast zu Boden geknuddelt hatte. „Du bist wieder hier? Oh man… ich hab dich so vermisst! Wie geht es dir?“, löcherte sie ihn sofort mit Fragen. Andy kam sich fehl am Platz vor. Vor allem, das Tobs nicht auf den Brief reagierte, das ging ihm erst recht gegen den Strich. Entweder hatte er ihn nicht gelesen oder es getan und es interessierte ihn einfach nicht. „Mir geht’s gut… aber ich hohle nur schnell meinen restlichen Kram.“, murmelte er leise. Küsste seine beste Freundin leicht auf die Stirn und lächelte sie entschuldigend an. „Ich schreib euch auf jeden Fall. „Was? Ohh…“ Sie sah betrübt drein. „Wie lange wirst du denn bleiben?“ Andy hörte nur noch Tobs´ Gemurmel, irgendetwas von vier Jahren, und er schlug die Haustüre hinter sich zu. Schuhe hatte er nicht anziehen brauchen und den Schlüssel hatte er eh schon in der Hosentasche gehabt. Und somit war er einfach aus der Wohnung verschwunden. Er hatte es in Tobs´ Nähe jetzt nicht ausgehalten. Er hatte ihn ignoriert, war nicht auf sein Geschriebenes eingegangen und dann auch noch das. Vier Jahre würde er weg bleiben. Das konnte doch wirklich nicht wahr sein! Andy wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Er wusste nicht, was er denken sollte. Ob er nun Boris verantwortlich machen sollte, dafür, dass Tobs nicht auf den Brief reagiert hatte, oder diesen blonden Lackaffen, der ihm seine Freund wegnahm. Oder war es mittlerweile doch schon sein Ex-Freund? Das Wochenende verging schneller als er gedacht hatte. Es war Montag… die Zeit verrann wie im Zeitraffer. Es wurde 14 Uhr und Andy wusste nun endgültig, dass Tobs nicht mehr für ihn zu erreichen war. Kapitel 8: Kaffeejunkie ----------------------- Tobs gähnte leise auf, als er an diesem Morgen aufstand. Schlappte die Marmortreppe hinunter in die Küche. Kaffee, war das erste, an das er denken konnte. Er musste wach werden. Sam hatte ihn mal wieder ziemlich auf Trab gehalten, die letzte Nacht. Und das in der Nacht vor seinem ersten Tag an der Uni. Mit einem kleinen Stück Bagel im Mund und der Kaffeetasse in der Hand saß er in der geräumigen Wohnküche und blätterte in der ´Sun´ herum. Wirklich Interessantes gab es in der Zeitung nicht zu lesen, nur dass mal wieder in einem kleinen Supermarkt eingebrochen wurde, aber das schien hier wohl zur Tagesordnung zu gehören. Sam kam frisch geduscht in den Raum. Küsste den Größeren leicht auf die nackte Schulter und nahm sich eine Packung Orangensaft aus dem Kühlschrank. Kaffee würde er ja nie im Leben trinken, das ließ die Haut, in seinen Augen, viel zu schnell altern. Er wollte, wie er es Tobs immer sagte, mit 30 nicht aussehen, als sei er schon 40. Sam war eben eitel und das nicht zu knapp. „Wann musst du in der Uni sein?“, fragte der Blondling, während er seinen Blackberry aus der Hosentasche zog und seine Termine für den heutigen Tag checkte. „Hm…“ Tobs blickte auf die Uhr über der Türe. Streckte sich einmal genüsslich und gähnte kurz. „Halb zehn, hab ich meine erste Vorlesung.“ Er hatte also noch gut eine Stunde Zeit. Sam nickte langsam. „Gut, dann kann ich dich fahren, wenn du magst. Ich muss in dieselbe Richtung.“ Er blickte auf und lächelte sein Zahnarztlächeln. „Ja, das wäre super, dann mach ich mich schnell fertig…“ Mit diesen Worten ging er gemächlich nach oben. Zog ein paar Klamotten aus seiner Reisetasche. Er war erst vor zwei Tagen angekommen und hatte seine gesamten Sachen noch in seiner Tasche. Vielleicht kam er ja am Wochenende dazu, sie in den Schrank zu räumen. Die Haare wieder mal im selben Look nach oben aufgestellt, bekleidet mit seiner Lederhose und einem normalen schwarzen T-Shirt kam er wieder nach unten. Die Tasche über der Schulter und der Lederjacke über dem Arm. Die Schellen, die sonst immer an ihm herumklimperten, hatte er, bis auf zwei an seinen Schuhen, abgemacht. „Können wir?“, fragte er vom Flur aus und packte noch flott seinen Schlüssel ein. Ja, er hatte von Sam sogar einen Schlüssel bekommen, wie nobel. Keine fünf Minuten später saß er in einem schwarzen Benz und kam sich einfach fehl am Platz vor. Er konnte diese fetten Schlitten einfach nicht leiden, nur das Geld für einen Führerschein und dazu noch für ein eigenes Auto, hatte er nur nicht. „Es wird heute etwas später werden. Du brauchst nicht auf mich zu warten.“ Sam lächelte und hielt vor dem Uni-Campus an. Tobs nickte. „Wir sehen uns.“ Auch er lächelte flüchtig, ehe er ausstieg, auf das Dach klopfte und Sam auch schon davon brauste. Mit staunenden Augen versuchte er so viel von dem Gelände zu erhaschen, wie er in den fünf Minuten nur konnte, ehe er in das beschriebene Haus trat, wie es auf seinem Zettel stand. Zweiter Stock, dachte sich Tobs. Ich hätte wohl andere Schuhe anziehen sollen. Mit den Boots war Treppensteigen, selbst nach Jahren der Übung, noch ein ziemlicher Kraftakt. Er ging die Treppe langsam nach oben gestiegen. Einen MP3-Stöpsel im Ohr. Es war ein ziemlich altes Gebäude. Stuck an der Decke, Bilder von alten Uniabsolventen hingen an den Wänden. Der Junge Mann war gespannt, wie es in den Hörsälen aussehen mochte. Wahrscheinlich würden sie auf kleinen Holzbänken sitzen, wo die Tische schon mit angebracht waren und einem die Knie irgendwo bei den Ohren hingen, da die Bänke so niedrig waren. So war es zumindest bei ihm in der Schule damals im Chemieunterricht gewesen. Das allererste was er sah, als er im zweiten Stockwerk angelangt war, war eine junge Frau, die hibbelnd an ihrem Starbucks Becher nuckelte. Von einem Bein auf das andere trat und leicht nervös dreinblickte. „Hi.“ Die junge Frau grinste ihn über den Pappbecher hinweg an. „Hi.“ Tobs lächelte etwas verhalten zurück. Er war immerhin schon mal nicht der einzige Schwarze auf der Uni. „Ick bin so uffjerejt.“, murmelte sie vor sich hin. Der berlinerische Akzent war kaum zu überhören. Noch nicht mal sein fränkisch war das erste Jahr, als er nach München gezogen war, so heftig gewesen. „Iris, nice to meet you.“ Und genauso froh wie er darüber war, dass er nicht der einzige Goth war, war er darüber, dass er noch jemanden kennen gelernt hatte, der auch aus Deutschland kam. „Ich bin Tobs.“ Er grinste breit, als er das ebenso überraschte Gesicht seines Gegenübers erblickte. „Dit hätt ick ja etz net jedacht.“ Sie zwirbelte an einem ihrer Zöpfe rechts und links über den Ohren, ehe sie wieder an ihrem Becher zu nuckeln begann. „Boa, ick liebe dieset Zeug.“ Ein leises Lachen. Fast das gleiche hatte er gesagt, nachdem er das erste Mal bei der Coffee Company am Gärtnerplatz in München gewesen war. Der Kaffee beziehungsweise Latte Macchiato war mit nichts anderem zu vergleichen. Iris erinnerte ihn ein wenig wie die Forensikerin von Navy CIS. Die gleichen Zöpfe, dunkelrote Lippen, ein Tattoo am Hals. Dieselben Plateaustiefel und selbst der Minirock war derselbe. Sie war ihm sympathisch, das konnte er selbst nach den paar Minuten schon sagen. „Bist du schon lang in England?“, fragte Tobs gerade heraus. Nahm seinen Stöpsel aus dem Ohr und stellte sich an die Wand und blickte sich weiterhin um. Dieses Gebäude war gigantisch. Der ganze Uni-Complex war fast schon wie ein kleines, eigenes Städtchen. „Ick glob… ey ick wes´s nimma.“ Sie hatte den Plastikschnabel des Bechers im Mund und hatte ein Auge überlegend geschlossen. „Zwei Jahre, glob ick. Ick will jar nüsch mehr zurück.“ Sie grinste freundlich und mit glitzernden Augen und sah noch ein paar andere Studenten die Treppe zu ihnen nach oben kommen. „Ey, die sehn janz schön schnieke aus, wa?“ Tobs lachte leise. Er fand ihren berlinerischen Dialekt zum schießen genial. Es passte irgendwie so gar nicht zu ihr. „Ja, kommen wohl alle aus ziemlich geldigen Familien.“ Der Rothaarige zuckte die Schultern. „Jeldig? Was´n dit?“ Iris sah ihn aus großen, fragenden Augen an. Nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee. „Hu?“ Tobs zog eine Augenbraue nach oben. Er hatte mittlerweile schon ein paar bayrische Worte in sein Vokabular aufgenommen, ohne dass er es bemerkt hatte. „Achso, ja wenn eine Familie viel Geld hat, ist sie ´geldig´, das sagt man in München so.“ „Ohh, München. Na dit sind die janz feinen, wa?“ Sie lachte von Herzen auf und trat dann durch die eben geöffnete Türe in den übergroßen Hörsaal. Tobs hinterher, welcher sich schon mal in die zweite Reihe nach vorne setzte. Iris neben ihm. Er hätte sich die Hörsäle anders vorgestellt. Klein, verkommen, so wie bei ihm damals in einigen Sälen. Mit voll geschmierten Bänken. Und da sollte noch mal jemand sagen, dass Studenten erwachsen genug wären, um das nicht zu tun. Ein ziemlicher Trugschluss, wie Tobs fand. Aber hier war es sauber, die Wände waren wohl gerade erst neu gestrichen worden. Der Prof war ein Mittdreißiger, ziemlich flippig, nicht wie einer seiner alten Professoren, mit Halbglatze, Nickelbrille und mit Tweedjacken bekleidet. Tobs erste Vorlesung, die ganze vier Stunden dauerte, kam ich gar nicht einmal so lange vor. Obwohl der Stoff relativ trocken war, brachte es dieser Professor wirklich so rüber, dass der ´Unterricht´ ein einziger Lachzirkus wurde. Es machte Spaß und man lernte noch etwas dabei. So, machte das studieren Spaß. „Du, Iris, weißt du, wo man hier tanzen gehen kann? Ich mein, irgendwelche Schwarz-Schuppen?“ Tobs lag ausgestreckt auf der tiefgrünen Wiese. Iris saß neben ihm und nuckelte schon wieder einmal an einem Becher Kaffee. Starbucks hatte sich, mit seiner Lage direkt gegenüber dem Uni-Complex, ziemlich viel Kundschaft angelacht. „Schwarze Schuppen. Nein, ick bin selten uff Achse. Ick muss lernen.“ Sie lächelte aufmunternd. „Wennste Netz in deiner Bude hast, dann guckste da einfach nach.“ Tobs nickte. Er wollte nämlich die Londoner mal ein wenig aufmischen. Ob jetzt in der Schwarzen- oder der Schwulen Szene. Nur Iris konnte ihm da wohl weniger helfen. „Und Gay Bars? Hast du da was gesehen?“ „Was?“ Nun war sie wirklich etwas erstaunt. Blickte ihren neuen Kommilitonen irritiert an und überlegte dann tatsächlich angestrengt. „Ähm ja, warte mal. Da gibbet dit ´The Admiral Dincan´ inner ´ 54 Old Compton Street´. Aber mehr kann ick dir och nich sagen. Außer du sucht ne Leder- oder Fetisch Bar.” Sie grinste kurz, als sie das schmunzelnde Kopfschütteln Tobs´ sah. „Gut, dann muss ich Sam mal fragen, ob er mit kommt.“ Tobs gähnte leise auf. Streckte sich kurz und setzte sich dann auf. „Ist der Kaffee echt so lecker?“, fragte der junge Mann mit hochgezogener Augenbraue. „Boa, ick sag dir eens. Wennste eenmal probiert hast, dann kannste nimma uffhörn.“ Und schon wieder hing sie an dem Starbucksbecher. Iris wurde ihm immer sympathischer. „Gut, dann lass uns mal rüber gehen, ich brauch etwas Koffein, sonst schlaf ich in der nächsten Vorlesung ein.“ Somit machten sich Tobs und seine neue Freundin auf den Weg zu Starbucks. Und wer hätte das gedacht? Tobs fand, dass der Latte Macchiato wirklich nicht schlecht war. Vor allem der Milchschaum war nicht von schlechten Eltern. Und mit dem Koffein, das er intus hatte, überlebte er auch locker die nächste Vorlesung, nur als er dann zu Hause war, fielen ihm, als er sich auf die Couch gelegt hatte, die Augen zu, als wären sie aus Blei. Kapitel 9: Absturz ------------------ Kapitel 9 Absturz 29. September 2007 Die Sonne stand schon relativ tief am Horizont. Blitzte nur noch vereinzelt durch die Dächerwand von München. Ihre Strahlen, sanft und golden, kamen dennoch zu Andy, welcher mit angezogenen Knien an einer hohen Eiche an der Isar saß, durch und wärmten ihn wenigstens äußerlich, was die innerliche Kälte und Leere jedoch nicht wettmachte. Seine Gedanken drehten sich. Sein Kopf schmerzte schon und sein Herz blutete. Blutete wie noch nie in seinem Leben zuvor. Und das nur wegen einer Person. Einer Person, die ihn vor nicht all zu langer Zeit verlassen hatte. Vollständig war er von ihm gegangen. An einen Ort, wo er ihn nicht mehr erreichen konnte. Tobs war in England. Er war hier. War allein zurück geblieben und das Einzige was er von Tobs noch besaß, waren Erinnerungen. Erinnerungen die schmerzten. Die sein Herz aufs Neue noch mehr bluten ließen. Erinnerungen an schöne Zeiten. An Zeiten, an denen sie so kurz vor dem Aus gestanden hatten und Erinnerungen an den Tag, als dieses Aus sie endgültig eingeholt hatte. Er würde ihn niemals vergessen können. Diesen einen Tag, an dem sein Leben regelrecht den Bach runter gegangen war. Und was tat er seither? Entweder er lag im Bett, heulte sich die Augen aus dem Kopf, ging in irgendwelche Bars und dröhnte sich mit Alkohol zu oder er jammerte Krissy etwas vor. Sie hatte ihm schon gesagt, dass er endlich zu einem Psychologen gehen sollte, aber Andy konnte sich damit nicht anfreunden, oder sich überhaupt aufraffen, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen. Er hatte keine Lust, seine Sorgen einem wildfremden Menschen anzuvertrauen. Der junge Mann glaubte auch nicht daran, dass dieser Psycho-Dock irgendetwas an seinem Zustand ändern könnte. Allerdings sah er mittlerweile ein, dass er etwas tun musste. Er wollte gar nicht wissen, wie seine Leber, nach diesem Alkoholkonsum, aussehen mochte. Der erste Termin bei seinem neuen Psychologen war überstanden. Und was hatte er gesagt? Dieser ganze Mist brachte nichts. Zumindest hatte er Tabletten bekommen, die ihm anscheinend helfen sollten. Er war zumindest nicht abgeneigt diesen kleinen Pillchen gegenüber. Krissy war, seit Andy seine wöchentlichen Sitzungen bei seinem Psycho-Dock hatte, um einiges besser gelaunt. Auch Cynthia war wieder der Sonnenschein schlechthin, obwohl sie Andy immer noch nicht davon hatte überzeugen können, wieder einmal mit ihr weg zu gehen. Einfach mal tanzen, seinen Frust rauslassen. Das würde ihm mit Sicherheit gut tun. „Andy! Jetzt mach mal hin! Ich hab keine Lust erst um zwölf im Titanic zu sein!“, brüllte die junge Frau durch die WG. Andy war jetzt schon seit einer geschlagenen Stunde in seinem Zimmer. Kramte und suchte, schmiss seine Anziehsachen um sich und fluchte so halsbrecherisch, dass sich Cynthia schon gedacht hatte, dass er sich irgendetwas gebrochen hätte. „Mensch, jetzt lass mir doch kurz meine Zeit. Es ist doch erst halb neun! Und vor neun geht da ja eh nichts ab! Also hetz mich nicht so!“ Andy grummelte vor sich hin. Zog einen seiner Röcke an, Armbänder, Oberteil aus Netz und seine Boots. Schminken wollte er sich nicht. Somit trat er um zwanzig vor Neun aus seinem Zimmer. „Gehen wir?“ Cynthia stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Nein, Dödl. Wir fahren mit der Tram, ich spinn doch nicht und laufe zu Fuß mit den Hacken.“ Sie zeigte ihm lachend den Vogel. Nahm ihre Handtasche, Andy seinen Geldbeutel und schon machten sich die beiden auf den Weg zum Sendlinger Tor. Die 27er Tram würde sie fast direkt vors Titanic City am Kurfürstenplatz bringen. Es war kurz vor neun, als die beiden vor dem Eingang zum Underground standen. Die Tür war geschlossen, aber die ersten Industrial Klänge drangen dennoch schon zu ihnen hoch. Cynthia öffnete den Eingang, sah zwei Typen in Schwarz. Wie auch nicht anders zu erwarten. Der eine dürrer als der andere. Und Groß war natürlich auch immer Ansichtssache, aber so, wie die Beine des Blondhaarigen Riesen in den Raum ragten wusste sie, dass sie klein war. Zumindest gute 25 Zentimeter. Sie bezahlten ihre fünf Euro, bekamen noch ein kleines Schnäpschen dazu und schon ging es, die mit Grablichtern beleuchtete Treppe nach unten in den Club. Der lärm schwoll immer mehr an und als sie durch den Plastik-vorhang schritten, befanden sie sich auch schon auf der Tanzfläche und direkt ihnen gegenüber war anscheinend das Mischpult, verkleidet mit einem großen, schwarzen Kreuz. Ebenfalls mit Grablichtern beleuchtet, wie auch die unzähligen Kronleuchter an der Decke mit rot flackerndem Licht erhellt waren. Am Mischpult stand schon ein Berg von Mann, mit kahlem Schädel, tippte etwas in einen Laptop ein und schon spielte das nächste Lied ein. ´Das knallrote Gummiboot´. Waren sie hier im falschen Film? Ein paar Gestalten standen direkt neben diesem Menschen ohne Haare und hatten anscheinend ihren Spaß. Lachten sich halb scheckig und tanzten dazu. Na wenn sie meinten. Es wurde noch besser. Schlager! Dieser komische Kerl spielte Schlager! Und die Gaudi der Schwarzgekleideten auf der kleinen Erhöhung neben dem Mischpult erreichte ihren Höhepunkt. Nach dem dann endlich der letzte 80er gespielt wurde, ging es mit dem eigentlichen Programm weiter. Der Kahlkopf hatte wohl einen Faible für Electronische Musik. Von EBM, TBM und Industrial konnte er wohl nicht genug bekommen, ebenso auch die Tanzenden. Es waren zwei. Zwei Leute auf der Tanzfläche, die die Beine und Arme schwangen, als gäbe es kein Morgen mehr. Es sah absolut faszinierend aus. Andy hatte bis dato noch niemanden so exzessiv und versunken in ihrer Welt, tanzen sehen. Der kleine Club im Herzen von München füllte sich bis 24 Uhr nicht unbedingt, doch die Leute, die da waren, hatten ihren Spaß. Die Musik war abwechslungsreich und die DJs verstanden ihr Handwerk einfach. Die Tanzfläche, war für ihre Größe, immer gut gefüllt. Bei etwas ausgehörten Liedern war die Fläche immer noch voll, oder aber völlig überfüllt, wenn eines der Lieblingslieder der Besucher gespielt wurde. Aber so sollte es auch sein. Auf das Publikum eingehen, ihnen einen schönen Abend bescheren und als DJ selbst dabei Spaß zu haben. Andy selbst war nicht der Typ, der viel tanzte, aber er musste sich endlich wieder richtig auspowern. Seine Gedanken ausschalten, sich gehen lassen um einfach wieder richtig Spaß haben zu können und das mit weniger Alkohol, als in den sämtlichen Kneipen, in denen er herumgestromert war. Cynthia kritzelte wild auf der Wunschliste herum und das Beste war, die Musikmacher hielten sich tatsächlich daran. Andy hatte es schon so oft erlebt, dass die DJs das spielten, was sie hören wollten und sich absolut nicht nach den Wünschen der Besucher richteten. Und so konnte es leicht vorkommen, das man sich in einem Club nach einiger Zeit wahnsinnig zu langweilen anfing, weil vielleicht ein drei Stunden ein Lied gespielt wurde, was man wirklich hören wollte. Nicht so im Titanic. Hier war es das Ziel, die Menschen mit einem glücklichen Lächeln und vom Tanzen ausgepowert nach Hause zu entlassen. So war es auch gegen drei Uhr morgens. Andy und Cynthia machten sich langsam aber sicher, verschwitzt und mit brennenden Füßen und Muskeln, auf den Weg nach Hause. Der junge Mann fiel mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht in sein Bett und war keine paar Minuten eingeschlafen. Die nächsten Mittwoche waren nun mit Titanicbesuchen verplant und Andy vergaß in diesen Nächten immer wieder, was passiert war. Nur wenn er dann aufwachte und sich umsah holte ihn die traurige Erkenntnis ein, dass Tobs nicht da war. Nicht mit ihm feiern konnte. Seine Freude nicht mit ihm teilen konnte und wohl mit diesem komischen, blonden Lackaffen, irgendwo in England, Sex hatte, seinen Spaß in irgendwelchen Clubs hatte und ihn einfach vergessen hatte. Genau diese Gedanken waren es, die ihn wieder in dieses Loch trieben. Die Therapiestunden schlugen absolut nicht an. Die Psychologin hörte ihm zu, versuchte ihn mit Entspannungsübungen und komischen Sprüchen dazu zu verleiten, seinen Schmerz zu verarbeiten und ihn aus einem objektiven Blickwinkel zu betrachten. Das Einzige, was an der Therapie gut war, waren die Tabletten. Andy hielt sich an die Packungsbeilage und nahm anfangs genau so viel, wie er sollte nur da die Therapie nicht half hatte er irgendwann den Gedanken, dass es besser werden würde und er verdrängen könnte, wenn er mehr nahm. Es klappte. Es klappte sogar sehr gut, nur die Mischung, Antidepressiva und Alkohol, vertrugen sich nicht unbedingt. Mehr als nur einmal wachte er neben Männern auf, die er nicht kannte oder nicht wieder erkannte. Er wusste auch nicht, was in diesen Nächten passiert war. Er wusste nur, dass er jedes Mal nackt aufgewacht war und dass seine Knochen geschmerzt hatten. Der Schluss war der, dass er tatsächlich One-Night-Stands am laufenden Band hatte, sich aber nicht im Geringsten daran erinnern konnte. Aber im Nachhinein war es ihm auch egal. Er fühlte sich befriedigt und konnte einfach nur vergessen, was passiert war. Aber war dieses Vergessen wirklich so gut? War es gut für ihn, Tobs zu vergessen? Ihn aus seinem Leben zu streichen und dem zu frönen, was ihm Spaß machte? Nein, es war weder gut noch schlecht für ihn. Er sah das gelassen. Tobs hatte ihn doch auch aus seinem Leben gestrichen. Also wieso sollte er dasselbe nicht auch machen? Und so passierte es auch. Andy traf sich mit Männern, die er keine zwei Tage kannte. Schlief mit ihnen und hatte seinen Spaß. Nur was er dabei vollkommen vergaß war, sich selbst. Er brach seine Therapie ab und handelte sich somit einen wahnsinnig ausartenden Streit mit Krissy und Cynthia ein. Doch die Antidepressiva nahm er trotzdem weiter ohne Rücksicht auf das, was sein Körper sagte. Er rauchte wie ein Schlot. Er trank, von Kaffee bis hin zu Alkohol, eindeutig zu viel. Seine Laune war besser denn je, ausgelöst durch die Tabletten, doch sein Körper reagierte. Seine Nieren taten ihm weh, er hatte manchmal unerträgliche Magenschmerzen, Übelkeitsanfälle und Kreislaufprobleme. Es interessierte ihn nicht. Und da sein Hungergefühl durch den vielen Kaffee und die Zigaretten irgendwann nicht mehr zu finden war, aß er auch nichts mehr, was seinem Geldbeutel nur zu Gute kam. Sein Magen war etwa auf die Größe eines Tennisballs zusammengeschrumpft. Bei der kleinsten Gabel Nudeln wurde ihm schon schlecht. Und bevor er diese Übelkeit noch öfter zu spüren bekam, ließ er das Essen einfach stehen. Sein Äußeres veränderte sich, ebenso wie sein Gemüt. Er wurde dünner, schmaler im Gesicht. Seine Haut hatte einen ungesunden, weiß-gelblichen Ton angenommen, seine Fingernägel waren von dem vielen Nikotin ebenfalls gelb geworden. Er sah einfach ungesund aus. Doch genau das machte sich der ein oder andere zu seinem Vorteil. Terry tauchte nach einiger Zeit in einer Studentenkneipe auf, in der Andy seit gut einem Monat verkehrte. Der junge Mann hatte seinen normalen Pegel mittlerweile wieder erreicht. Seine Gedanken waren vollkommen verdunstet. Er grinste mit glasigem Blick und unterhielt sich mit einem Kneipenbesucher, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht auf Sex aus, er wollte einfach nur Spaß haben, sich, mehr oder weniger, normal unterhalten und das ein oder andere Bierchen zischen. Dass er Terry, der damals die Fotos von ihm und, wem gleich noch? Er wusste nicht mehr, wer die andere Person war, die auf den Fotos mit drauf war. Oder er hatte es einfach verdrängt. Allerdings schien sein Inneres nicht wirklich erpicht darauf zu sein, sich wieder zu erinnern. Also spülte er das komische Kribbeln in den Fingerspitzen mit dem nächsten Schluck Bier hinunter. Terry. Blond, schmal gut aussehend, stand neben ihm. Die blau lackierten, künstlichen Nägel auf seiner Schulter blinkten ihn gefährlich an und dann diese Frage. „Andy, du schaust schlecht aus. Und da ich ja eine nette junge Frau bin.“ Terry lachte ihn mit einem typischen – du weist es besser – Blick an und führte seinen Satz zu Ende. „habe ich es mir zum Auftrag gemacht, dich etwas aufzumuntern. Kommst du mit? Ich will dir etwas zeigen.“ „Aber ich bin doch grad…. Ach egal.“ Er stellte die mittlerweile leere Bierflasche auf den Tresen, hängte sich seine Lederjacke über die Schulter und folgte Terry, mit sicheren Schritten, aus der Spelunke. Andy Körper war den Alkohol schon so gewohnt, dass er nicht einmal mehr torkelte, obwohl des sechsten oder siebten Bieres. Seine Sprache war auch noch normal. Kein Lallen, kein Lispeln. Die normalen Zustände eines Alkoholikers, der das Glück hat, keinen Aggressionen zum Opfer zu fallen. „Weist du, ich bin gerade dabei einen Film zu drehen. Und ich wollte dich eigentlich nur Fragen, ob du mitmachen wollen würdest? Wie wär’s?“ Terry lächelte sein übliches, antrainiertes Lächeln. „Ich weis nicht. Worum geht’s denn?“ Die beiden schlenderten in Richtung des nächsten Taxistandes. „Eine tragische Liebesgeschichte.“ „Solang keine Frau mitspielt.“ Andy lachte auf und schüttelte den Kopf. Die Nacht war kühl und sein Kopf tat, wegen des Temperaturunterschieds von der Kneipe und der frischen Luft, ein wenig weh. „Ach Andy. Du weist doch, dass ich dich sonst gar nicht gefragt hätte, oder?“ Terry knuffte ihm in die Schulter. „Also bist du dabei?“ Ihre Augen fingen zu glänzen an und das strahlende Lächeln wurde breiter. „Jepp. Solang die Gage stimmt immer.“ Andy grinste. „Wann und wo soll ich da sein? Und was ist mit dem Drehbuch?“ „Am besten du kommst übermorgen gegen 13 Uhr ins Fotostudio, wenn du noch weist wo es ist. Dort bekommst du deine Instruktionen und dann geht’s los. Ich freu mich.“ „Ja, ich weis schon noch wo ich hinmuss. So weit kann ich noch denken.“ Mit einem kleinen Kuss auf die Wange, verabschiedete sich der junge Mann, stieg in eines der Taxen ein und lies sich nach Hause fahren. Der nächste Tag kam und ging. Ebenso wie der nächste Mann, mit dem Andy im Bett gelandet war. Doch diesmal blieb der Blackout aus. Anscheinend hatte der junge Mann nicht genügend getrunken gehabt. Oder der Sex war zu gut zum vergessen gewesen. Es war elf Uhr, als sich der junge Mann aus der Wohnung seiner Bettbekanntschaft machte. Er wusste noch zu genau, wo Terrys Fotostudio war und er war sogar pünktlich. Was ihn mittlerweile schon etwas irritierte. Denn Pünktlichkeit stand seit etwa einem halben Jahr nicht mehr sonderlich groß in seinem Verhalten. Das Fotostudio sah bei weitem nicht mehr so aus wie damals. Die Scheinwerfer waren geblieben, aber anstatt der Spiegelreflexkamera war eine Videokamera aufgebaut, die den Anschein machte, als sei sie ziemlich teuer gewesen. Die üblichen Requisiten, wie das Bärenfell oder der kuschelige Kissenhaufen waren gegen ein Eisengestell mit Matratze ausgetauscht worden. Die Metallstreben bildeten einen Baldachin, von dem allerdings keine vorhänge herunterhingen. Es schien kahl, lieblos und kalt. Was allerdings die Handschellen und Kondome dort zu suchen hatten, konnte Andy nicht wissen. Er hatte zwar so eine Ahnung, aber die Vorstellungskraft fehlte ihm im Augenblick. „Und, gefällt es dir?“ Terry stand neben ihm und blickte zufrieden auf den Aufbau. „Hier.“ Ein Glas Wasser schob sich dem Schwarzhaarigen unter die Nase, welches er annahm und daraus trank. „Hm, na ja. Sieht doch etwas ungewöhnlich für ein normales Filmset aus, oder? Aber gut, ich weis ja nicht was ihr euch gedacht habt. Wo sind denn die anderen Schauspieler?“ Er hatte dieses Wort in Anführungszeichen gesetzt, denn er glaubte nicht, dass sich Terry richtige Schauspieler, die schon mehr Erfahrung hatten, leisten konnte. „Schauspieler? Es kommt nur noch einer und das war es dann.“ „Einer? Was soll das denn für ein Film werden?“ Andy fuhr sich durch die Haare. Seine Hände kribbelten ungewohnt, ebenso wie seine Beine. Er wurde hibbelig. Nahm noch einen Schluck Wasser, um seine Nervosität zu lindern. „Ich sagte doch, ein Liebesfilm.“ „Terry, was sich hier für eine Handlung abspielen soll, ist mir schon klar. Aber daraus wird ja wohl kaum der gesamte Film bestehen, oder?“ Andy sah ihn argwöhnisch an. Sein Blick huschte zur Türe als dort ein junger Mann auftauchte. Etwa 5 Jahre älter als Andy selbst. Gut aussehend, muskulös gebaut. Nur das Schlimme war, der Gothic erkannte ihn auch noch. Er war vor etwa zwei Stunden aus dem Bett eben dieses Mannes aufgestanden. Andy wäre am liebsten im Boden versunken. Er erinnerte sich noch zu gut, was dieser Kerl mit ihm in der vorigen Nacht angestellt hatte und allein bei dem Gedanken daran staute sich ihm das Blut in der Hose. Scheiße, das kann jetzt nicht wahr sein. „Doch, genau daraus besteht unser kleines Filmchen.“ Terry grinste breit. Sah in das Gesicht des Schwarzhaarigen und zeigte seine Zähne. Es sah fast schon aus wie ein hämisches Grinsen. „Geht es dir nicht gut?“, fragte er an Andy gewandt. „Ich weis nicht recht. Nur die Nervosität.“ Er musste sich bewegen. Andy hatte keine Ahnung, woher auf einmal diese Energie herkam, aber er hatte das dringende Bedürfnis sie loszuwerden. Irgendeine auspowernde Aktivität zu betreiben. „Also Andy, das ist Martin.“ Stellte Terry die beiden einander vor. „Ich weis.“ Die beiden Männer lächelten sich kurz an und schüttelten sich die Hände. Ein fester, männlicher Händedruck. Ein Kopfnicken. „Wie ihr kennt euch? Na Zufälle gibt es, oder?“ Die Transe lachte herzlich auf. Manche Zufälle sollte es lieber nicht geben, dachte sich Andy dem so einige Bilder der letzten Nacht wieder in den Sinn kamen. Mittlerweile war dem jungen Mann auch klar, was das hier für ein Film werden würde. Ihm war etwas unwohl bei der ganzen Sache. Sich vor einer Kamera so zu präsentieren, in einer solchen intimen Situation, war für ihn immer unvorstellbar gewesen. Allein der Grund, dass sich Menschen diese Filme ansahen, ihn vielleicht auch noch erkennen würden, das war für ihn immer Punkt gewesen, es nicht zu tun obwohl es ihn schon gereizt hätte, sich beim Sex mal zu filmen. Diesmal allerdings war es ihm egal, wer ihn sah. Sollten sie es doch. Dann würde er, zumindest dachte er das, die Aufmerksamkeit bekommen, die ihm zustand. Vielleicht würde er mit noch mehr Kerlen in die Kiste springen, noch viel besseren Sex haben und das nur wegen eines Filmes. Eigentlich billig, aber was sollte es? Es machte Spaß und Martin hatte wirklich Ahnung. Er fühlte es wohl, wo er Andy berühren musste, damit er zu schreien anfing. Diese Punkte hatte der junge Mann selbst noch nicht von sich gekannt. Und Dinge, die er in seinem gesamten Leben noch nicht ausprobiert hatte, wurden nun Teil davon. Es fühlte sich gut an, es fühlte sich richtig an und sein Filmpartner war einfach super. Wenn Andy eine Pause brauchte, dann machten sie eben Pause. Was der Schwarzhaarige allerdings nicht wusste war, dass sein Körper immer abhängiger davon wurde. Warum das so war, konnte er sich nicht wirklich denken. Er nahm keine Drogen und keine Aufputschmittel, keine Aphrodisiaka. Wahrscheinlich war er einfach von natur aus scharf auf diesen Menschen. Andy merkte nicht mehr, wie er sich veränderte. Vom Wesen her, physisch und psychisch. Krissy und Cynthia bemerkten diese Veränderungen allerdings sehr wohl. Es war ein paar Wochen später, als sich die beiden Frauen zusammen setzten um das ein oder andere zu besprechen. „Wir müssen mit ihm reden. So kann es nicht weitergehen.“ Krissy fuhr sich fahrig über das Gesicht. Sie machte sich Sorgen um ihren besten Freund. Sie erkannte ihn einfach nicht wieder. Er war, seit sie sich kannten, noch nie unzuverlässig gewesen. Er war ruhig geblieben, hatte es Stress gegeben und was war jetzt? Bei jeder kleinsten Gelegenheit fuhr er aus der Haut, schrie sie an, beleidigte sie und sah es noch nicht einmal ein, sich zu entschuldigen. „Was sollen wir ihm denn sagen? Das er sich ändern muss? Dass er endlich wieder essen soll, dass er aufhören soll zu trinken? Krissy, wir sind nicht seine Mutter. Wir und auch sonst keiner, hat das Recht ihm zu leben wie er es möchte. Natürlich kann es so nicht weitergehen. Aber was willst du denn machen?“ Cynthia zog langsam an ihrer Zigarette. Der Kaffee vor ihr dampfte und roch beruhigend herb. „Natürlich können wir ihm nicht verbieten zu leben. Nur, ich halt das nicht mehr aus. Er schreit mich an, und ich hab mittlerweile wirklich Angst, dass er irgendwann so ausflippt wie bei Tobs und mich oder dich schlägt. Der Alkohol hat ihn total kaputt gemacht und er merkt es nicht einmal. Es interessiert ihn glaub ich auch nicht. Vielleicht sollten wir ihm ein Ultimatum stellen. Entweder er ändert sich, oder er muss hier raus. Ich seh´ es auch nicht ein, ihm ständig seinen Dreck hinterher zu räumen. Wie sein Zimmer aussieht will ich gar nicht erst wissen.“ „Nein, da hast du Recht. Aber du kannst davon ausgehen, dass er wieder in die Luft gehen wird, wenn wir ihm dieses Ultimatum stellen. Vielleicht sollten wir uns mit seiner Mutter mal in Verbindung setzen. Vielleicht weis sie, was wir machen können?“ „Das ist glaub keine schlechte Idee. Ich denke, sie kommt wohl besser an ihn heran.“ Es war gegen 22 Uhr abends, als die Türe ging und Andy schlurfend die WG betrat. „Andy?“ Krissy trat in den Flur hinaus. Sie erschrak sich nicht einmal mehr, als sie ihn sah. Die Augenringe und das Klappergerüst von einem Mann machten ihr mittlerweile keine Angst mehr. „Ja? Was ist denn? Ich bin müde und möchte eigentlich nur noch ins Bett.“ Andy gähnte herzhaft. „Wir müssen etwas mit dir besprechen, es ist wichtig. Hast du noch eine Viertelstunde?“ „Ja, wenn es denn sein muss.“ Mit hängenden Schultern betrat er die Küche und wunderte sich tatsächlich, dass seine Mutter mit den Beiden jungen Frauen an dem Tisch saß. Trüb lächelnd als sie ihren Sohn sah und mit einer Tasse Tee vor sich stehend. „Was machst du denn hier, Mom?“ „Deine Freundinnen haben mich gebeten her zu kommen.“ Sie erhob sich und nahm ihren Sohn liebevoll in den Arm. Sie hatte sich, nach Cynthias Beschreibung, nicht vorgestellt, dass es so schlecht um ihren Sohn bestellt war. „Worum geht es denn? Und warum holt ihr meine Mutter? Könnt ihr nicht allein mit mir sprechen?“ Andy fühlte sich betrogen. Von seinen besten Freundinnen und von seiner Mutter sowieso. Krissy hatte es schon geahnt. Dieses Gespräch würde wohl eher in lautem Schreien enden. Sie seufzte leise auf und begann mit zitternden Gliedern das Gespräch. „Cynthia und ich haben uns heute zusammengesetzt und besprochen was wir machen können. Andy so kann es nicht weitergehen.“ „Wie kann es nicht weitergehen?“ Andy hatte keine Ahnung, was das alles sollte. Er wusste nicht, worauf sie hinauswollte. „Mit dir. Ich glaube, dass es dir nicht einmal mehr auffällt, wie du uns behandelst. Du merkst nicht, wie du dich veränderst.“ „Verändert? Wie soll ich mich denn verändert haben?“ Unterstellungen. Wo er hinkam wurde ihm irgendetwas unterstellt. Cynthia nahm nun das Wort in die Hand. „Du bist total abgemagert, schaust, wenn ich es mir erlauben darf, einfach nur noch beschissen aus. Du trinkst, wie ein Fass ohne Boden und merkst nicht mehr, was in deiner Umgebung eigentlich abläuft. Wenn man versucht, normal mit dir zu sprechen, fängst du sofort zu schreien und zu brüllen an. Andy, Krissy und ich haben mittlerweile wirklich Angst, dass du uns eine runterhaust, wenn wir etwas sagen, was du wieder in den falschen Hals bekommst.“ „Wie bitte? Was ist daran so schlimm, wenn ich mal ein Bier trinke? Und nur weil ich auf meine Linie achte, unterstellst du mir, dass ich abgemagert bin! Das ist doch echt lächerlich. Und du weist ganz genau, dass ich nie in meinem Leben meine Hand gegen euch erheben würde!“ Solche Anschuldigungen brauchte er sich nicht anhören. „Und warum zieht ihr meine Mutter da mit hinein? Was hat sie denn mit dem allen hier zu tun? Gar nichts!“ „Du merkst es nicht. Du fängst schon wieder zu brüllen an.“ Krissy schüttelte den Kopf. „Andy du musst irgendwas dagegen unternehmen! Du stirbst uns, wenn du so weiter machst, noch völlig unter der Hand weg!“ Krissy war den Tränen nahe. „Du merkst gar nicht, wie du dich selbst kaputt machst. Du bist nicht mehr du selbst und du brauchst Hilfe. Und zwar professionelle.“ „Ich brauche keine Hilfe! Und ich brauche auch niemanden, der mir den Arsch abwischt! Ich bin alt genug um mein Leben selbst bestimmen zu können! Ihr habt kein Recht darauf, mir in mein Leben hineinzupfuschen! Und hört auf meine Mutter hier hineinzuziehen! Ich kann auf eure Hilfe wirklich verzichten!“ „Das glaube ich nicht.“ Rosemarie hatte das Wort ergriffen. „Andreas du hast dich wirklich sehr verändert. Ich erkenn dich kaum wieder. Und die beiden haben wirklich Recht. Du brauchst Hilfe.“ „Ich brauche keine Hilfe, verdammt noch mal! Und halt du dich aus meinem Leben raus! Du warst eine halbe Ewigkeit nicht für mich da und auf einmal interessiert es dich, was bei mir los ist? Hör auf so heuchlerisch zu sein!“ Andy schüttelte den Kopf. Er glaubte es nicht. Anscheinend verschwor sich die ganze Welt gegen ihn. Und seine Mutter, die sich nie um ihn gekümmert hatte, kam gerade jetzt angekrochen. Er fasste es nicht. „Leckt mich doch alle….“, fauchte der junge Mann auf. Warf den drei Frauen noch einen vernichtenden Blick zu und wollte gerade zur Türe hinaus, als Krissy noch einmal zu sprechen begann. „Gut, wenn du keine Hilfe annehmen willst und keine Anstände machst, irgendetwas an deinem Zustand zu ändern, dann kannst du davon ausgehen, dass du hier nicht länger bleiben kannst.“ „Wie bitte? Du willst mich rauswerfen!“ „Ja. Und ich habe das gute Recht dazu. Immerhin steht mein Name im Mietvertrag. Und ich kann dich rausschmeißen, wenn ich es für nötig halte. Und so wie es momentan ist, halte ich es für absolut nötig. Also, entscheide dich. Entweder du packst innerhalb der nächsten zwei Wochen deine Sachen, oder du änderst was an deiner momentanen Situation.“ Sie hatte das Ultimatum ausgesprochen. Sie hielt die Luft an. Sie machte sich auf jegliches kontern bereit. „So mutig. Ich bin ganz erstaunt von dir, Krissy. Aber weist du was, ich zieh hier lieber aus, bevor ich mir so einen Schrott von euch noch länger anhören muss.“ Andy drehte sich auf dem Absatz um und knallte die Türe seines Zimmers hinter sich zu. Dann sollen sie mich rauswerfen. Auch schon egal. Keine Woche später war es tatsächlich soweit. Andy zog aus. Wohin? Zu niemand Geringerem als Terry. Seinem Chef, wenn man es so nennen wollte. Nur was er sich damit einhandelte, war ihm in dem Augenblick gar nicht bewusst. Kapitel 10: Suche ----------------- Langeweile. Langeweile war etwas, das Tobs in den Tod nicht ausstehen konnte. Auf seine Bücher, hatte er allerdings auch keine Lust. Sam war irgendwo, nur nicht hier und er musste nicht arbeiten. Im Fernsehen lief auch nichts und das Wetter war, mal wieder, unter aller Sau. Er hätte noch nicht einmal joggen gehen können, ohne sich eine Erkältung zu holen. Er ging jede Möglichkeit durch, die ihm noch blieb. Fitnessstudio hatte schon geschlossen, in seinem Stammclub war auch nichts los, joggen, war bei diesem Dreckswetter auch nicht drin. Fernsehen wollte er nicht und lesen erst recht nicht. Also gut, irgendetwas muss es doch geben, was man um die Uhrzeit und bei dem Wetter machen kann, überlegte der junge Student. Vielleicht sollte er seine Kommilitonin anrufen. Vielleicht hatte sie ja eine Idee und wahrscheinlich konnte sie ihn auch aufmuntern. Tobs griff in seiner Not zum Telefon. Mensch, geh schon dran… oder bist du schon wieder so auf Kaffee, dass dus nicht klingeln hörst? „Jupp?“, meldete sich Iris vergnügt am anderen Ende. Sie war gut drauf. Ob es am Kaffee lag oder vielleicht doch an etwas anderem, konnte er jetzt noch nicht sagen. „Hey Iris, ich bin’s.“ Tobs verkniff sich ein Gähnen. „Hast du heut Abend schon was vor? Ich langweil mich grad zu Tode.“ Eine kurze Pause entstand. „Ähm, nu klar. Ick kenn da nen schnuggeligen Schuppen in der City. Ist zwar ´nur´ ein Pub, aber zum abschießen und Spaß haben, reichts.“ Sie lachte ihr fröhliches Lachen und nun hatte Tobs wirklich das gute Gefühl, dass er nach diesem Abend wirklich wieder gut drauf sein könnte. „Jo, dann würd ich sagen, gehen wir doch dahin. Wann und wo wollen wir uns treffen?“ Hmhm… was zieh ich denn an? „Würd sagen so inner Stunde am ´Piccadily Circus´. Brauchen nur ein paar Stationen miter Bahn fahren, dann sind wa da.“ „Gut gut, dann bis später. Danke!“, verabschiedete sich Tobs noch, ehe er auflegte und keinen Moment später in seinen Klamotten herumwühlte. Er wollte nicht unbedingt overdressed gehen, aber ein bisschen was hermachen wollte er dennoch. Vielleicht würde er ja doch noch einen netten Typen abschleppen können. Ob er nun eine Affäre, Beziehung – wie auch immer man das mit Sam nennen wollte – hatte, war ihm mittlerweile absolut egal. Sam war nicht der, für den er ihn gehalten hatte. Scheiß Image… Scheiß Kundschaft… Tobs war einfach froh, wenn er sein Diplom in den Händen hielt und wieder nach Deutschland zurück konnte. Langsam aber sicher hielt er es hier in diesem Haus nicht mehr aus. Sam war ein… eingebildeter Lackaffe. Ja, das traf den Nagel auf den Kopf. Hauptsache das Image stimmte. Hautpsache, keiner dachte auch nur ansatzweise dass er schwul sein könnte. Um Gottes Willen! Tobs kotzte es an. Er hatte sich sogar seine Haare schneiden müssen! Lange ging das nicht mehr gut. Er hatte sich selbst verraten und das für diesen Kerl. Mit angekratzten Nerven und schlechter Laune, triefnassen Klamotten und einer Zigarette zwischen den Lippen wartete er auf Iris. Die Menschen huschten mit Regenschirmen an ihnen vorbei, die Lichter der Autos waren verschwommen in der Dunkelheit auszumachen. Kein Wunder, dass man hier schlechte Laune bekommt. „Hey Kleena!“, rief die junge Frau schon von weitem. Kam auf ihren Plateau-Stiefeln angelaufen und grinste ihn breit an, während sie, wieder mal, an einem Kaffeebecher nuckelte. „Hey Iris.“, nuschelte er und umarmte sie flüchtig. Scheiße, sie ist größer... „Also, lass uns gehen, bevor du dich noch auflöst… aber… STOPP!“, rief sie plötzlich aus. Blieb auf einer Stufe, zur Ubahn hinunter, stehen und starrte ihren Freund entsetzt an. „Wo, zum Teufel, sind deine Haare abgeblieben!“ „Beim Friseur.“, seufzte Tobs leise und winkte sie zu sich hinunter. „Erzähl ich dir im Pub, ich will nicht noch nasser werden, als ich es schon bin.“ Tobs zog sie an einer Hand hinter sich her und sie schafften es gerade noch so in die nächste Ubahn, bevor sie die Türen schloss. Sie brauchten von ihrer Haltestelle aus keine zehn Minuten zu Fuß, um an ihr Ziel zu gelangen. Es war eine unscheinbare, dunkelbraune Fassade, dessen Putz sich langsam aber sich ablöste. Sie traten durch die dunkelgrüne Türe, gingen die Treppe nach unten und gelangten in einen kleinen, süßen Pub. Zu Tobs Linken war eine lange, einfach gehaltene Bar, zu seiner Rechten befanden sich kniehohe, runde Tische auf denen grüne Kerzen in ´Jack Daniels´ Flaschen steckten. Die Stühle, so dachte Tobs, mochten nicht gerade bequem sein. Schon gar nicht für Leute, die etwas größer als 1,80 waren. Die Knie würden ihm wohl halb an den Ohren hängen, würde er sich dorthin setzen. In einem kleinen Nebenraum gab es einen Billardtisch und Dartscheiben. Es waren nicht viele Leute. Nur zwei oder drei saßen an der Bar, tranken Cidre, Irish Coffee oder Ähnliches. Iris und Tobs suchten sich einen Platz an einem der runden Tische, relativ weit hinten in einer Ecke. Sie wollten ungestört reden können und durch die leise Musik würde man sie mit größter Wahrscheinlichkeit belauschen. Tobs hatte auf Mithörer nicht unbedingt Lust. Die beiden bestellten sich jeweils einen Pint Cidre und ließen sich seufzend auf die Stühle sinken. Tobs hatte Recht behalten. Seine Knie stießen ihm fast an die Ohren. „Also jetzt erzähl. Wieso sind deine Haare ab?“ Iris starrte ihn halb entsetzt, halb belustigt an. Es war ungewohnt, den jungen Mann mit kurzen, schwarzen Haaren zu sehen, wo er doch mit rot-schwarzem Undercut in England angekommen und sie sich so kennen gelernt hatten. Tobs blickte sie trübe an. Schüttelte den Kopf und seufzte lauthals auf. Nahm einen Schluck von seinem Getränk und begann zu reden. „Image.“, meinte er grummelnd. „Das bloß niemand schlecht über Sam denkt. Mir geht das mittlerweile dermaßen auf den Keks.“ Iris hob ungläubig eine Augenbraue. „Wieso wegen Sams Image? Muss ich das verstehen? Ihr seid doch eh so gut wie nie zusammen unterwegs, oder?“ „Nein, sind wir nicht. Er will ja nicht mitkommen oder ist zu beschäftigt oder mit Kunden unterwegs. Ach schlag mich tot. Ich hab keine Ahnung was in diesem Hirn los ist.“ „Dann solltest du ihn einfach mal mitschleppen. Ist doch beschissen, wenn man sich nur zu Hause sieht, oder? Immer die gleiche Umgebung. Er sollte wirklich mal raus aus diesem täglichen Trott. Dann würde es euch beiden wohl besser gehen, oder?“ „Klar ist es beschissen. Zumindest mir würde es besser gehen.“ Tobs stützte seinen Kopf in eine Hand, zündete sich eine Zigarette an und atmete den Rauch tief ein. „Aber wohin soll ich denn mit ihm gehen? In Pubs will er nicht, weil ihm das zu, wie soll ich sagen…“ Er schnippte mit den Fingern und versuchte das richtige Wort zu finden. „Primitiv?“, räumte Iris grinsend ein. „Ja, genau. Zu primitiv. Aber ich hab auch keine Lust, in irgendein super nobles Restaurant zu gehen. Und in Clubs bekommst du ihn ja gleich zwei Mal nicht rein. Was ich persönlich nicht verstehe, weil wir uns in einem kennen gelernt haben. Widerspricht sich völlig. Aber wahrscheinlich, weil ihn in München weniger Leute gekannt haben. Was weis ich.“ Er zuckte deprimiert die Schultern. „Und das mit den Haaren… ich hätt’s nicht machen sollen. Nicht dass es mir nicht gefällt, aber es ist ungewohnt. Sieht viel zu… brav aus.“ Tobs rollte mit den Augen und erntete daraufhin nur ein Kopfnicken und lautes Kichern seiner Freundin. „Eindeutig zu brav. Hm… vielleicht solltest du dich noch mal Piercen lassen.“ Iris überlegte und blickte Tobs ins Gesicht. Deutete dann auf seine linke Augenbraue. „Da würde eines hinpassen. Oder an die Nasenwurzel.“ Einen Moment herrschte Schweigen, dann grinste sie link und zupfte Tobs am Ohrläppchen. „Tunnel. Tunnel würden eindeutig richtig gut zu der Frisur aussehen. Und dann noch eines an der Augenbraue.“ Eine Augenbraue Tobs’ schwang nun in die Höhe. Nasenwurzel kam für ihn nicht in Frage. Er fand das nicht unbedingt ästhetisch. Geweitete Ohrlöcher würden ihm da schon mehr zusagen und die Augenbraue ebenfalls. „Ich glaube… ja, das ist ne gute Idee. Und dann kann ich mein Tattoo gleich noch nachstechen lassen.“ Er nickte zustimmend. „Nur ich hab immer noch keine Lösung wegen Sam gefunden. Was kann ich denn noch machen, außer ihn ausm Haus zu bekommen?“ „Sport?“, schlug Iris vor. „Fitnessstudio?“ „Fitness? Nein, da könnte man ja zu schwitzen anfangen.“ Tobs verdrehte die Augen. „Obwohl’s ihm im Bett auch nichts ausmacht.“, fügte er leise hinzu und lachte auf. „Aber es wäre einen Versuch wert.“ „Na, dann weist du ja, was du zu tun hast.“ Iris zwinkerte, blickte in ihr Glas und rümpfte die Nase. „Leer. Nicht gut.“ „Dito. Noch mal das Gleiche?“, fragte Tobs und erhob sich, als er das Nicken seiner Freundin wahrgenommen hatte. Der junge Mann hatte nicht mitbekommen, dass sich der Pub langsam aber sicher gefüllt hatte. Die Bar war gut besetzt, ebenso die kleinen Tische. Er platzierte sich zwischen zwei Typen an der Bar und wartete darauf, dass die Bedienung zu ihm kam. „Hey.“, kam es von rechts. Die Stimme war relativ tief gewesen und Tobs blickte neben sich. Erblickte einen lächelnden jungen Mann mit kurz geschnittenen, wasserstoffblonden Haaren dessen schräges Pony mindestens ein viertel des Gesichtes verdeckte und einem breiten, weißen Lächeln. „Hey.“, gab Tobs lächelnd zurück. Er fragte sich, wie lange die Bedienung noch brauchen würde, doch anscheinend würde es noch etwas brauchen, denn sie schien ziemlich hitzig in ein Gespräch vertieft zu sein. „Du bist nicht oft hier, oder?“ Der Blondschopf neben ihm, hatte ihn wieder angesprochen. Tobs schüttelte den Kopf und antwortete auf Englisch: „Nein, bin zum ersten Mal hier drin. Aber ist ganz nett.“ „Ja, wenn nicht gerade Soccer läuft.“ Ein Zwinkern aus braunen, freundlichen Augen. „Magst du Soccer?“ „Nein. Mir ist das zu doof. 20 Leute, die einem Ball hinterher rennen.“ Er grinste. „Bin da eher für Sport, der den ganzen Körper trainiert, als die Beine.“ „Ja. Ja das sieht man. Bist du in einem Studio angemeldet, oder machst du das so für dich?“, fragte der andere weiter und fasst sich an den Kopf. „Tut mir leid. Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Charly.“ Er reichte Tobs die Hand. „Aber Chacha reicht.“ Tobs konnte sich auf diesen Spitznamen ein Grinsen nicht verkneifen. Er nahm die Hand freundlich an und stellte sich ebenfalls vor und nahm dann das unterbrochene Gespräch wieder auf. „Nein, ich bin in noch keinem Studio angemeldet. Hab nicht wirklich Zeit, mich an feste Trainingspläne zu halten. Studium und Job machen das fast schon unmöglich.“ „Schade. Ich kenn da ein ganz nettes Studio in der City. Hat 24 Stunden geöffnet und da kannst reingehen, wann immer du möchtest. Es sind immer Trainer da, die dich beraten und unterstützen würden. Und die Kursangebote sind klasse.“ „24 Stunden geöffnet? Das hört sich ja schon mal sehr gut an.“, überlegte Tobs laut. „Aber die Kurse werden wohl trotzdem an gewisse Zeiten gebunden sein.“ Er lächelte und zog es tatsächlich in Erwägung, sich dieses Fitnessstudio mal näher anzusehen. „Ja, die Kurse leider schon.“ Chacha lächelte wissend. „Aber man könnte mit Sicherheit auch mal eine Ausnahme machen. Ich bin einer dieser Kursleiter, musst du wissen. Und es lässt sich immer irgendwie arrangieren.“ Tobs hob überrascht eine Braue, bestellte inzwischen zwei weitere Pint und wandte sich dem Blonden wieder zu. „Das ist ja super. Was für Kurse leitest du denn? Brauch den Ausgleich. Immer nur Laufen, Bankdrücken und Gewichte heben, ist auf Dauer auch nicht so spaßig.“ „Hauptsächlich Yoga. Aber auch Pilates und Step-Aerobic. Wenn du Lust hast, schau doch einfach mal vorbei. Ich würd mich freuen dich in einem der Kurse wieder zu sehen.“ Mit einem Blick hinter sich meinte er noch: „Ich glaub deine Begleitung wird langsam ungeduldig.“ Chacha lächelte. „Ich geb dir jetzt mal meine Nummer und wenn du willst, kannst du dich ja melden und wir können Weiteres besprechen, was meinst du?“ Tobs sah ebenfalls zu Iris, die mit beiden Händen darauf aufmerksam machte, dass sie ihr Getränk endlich haben wollte. „Ja, das hört sich nach einer Idee an. Wann kann man dich denn am besten erreichen?“ Chacha sagte ihm noch, dass er gegen 20 und 22 Uhr am besten zu erreichen wäre und gab ihm dann seine Handynummer. „Also dann, ich wünsch dir einen schönen Abend und… hoffentlich bis bald.“ Wieder ein Lächeln. Tobs bedankte und verabschiedete sich und kam zu Iris zurück an den Tisch. „Wer war das denn?“ Iris beäugte den Blonden argwöhnisch, sah dann zu Tobs und lachte laut auf. „Oh man…“ „Was denn? Chacha ist nur Kursleiter beim Yoga unter Anderem.“, meinte Tobs und wusste nicht, was Iris plötzlich so lustig fand. „Er hat dir seine Nummer gegeben. Tobs… der Kerl steht eindeutig auf dich.“ „Was?! Niemals. Komm hör auf.“ Tobs winkte ungläubig ab und schüttelte, zur Unterstreichung seiner Meinung, fest den Kopf. Iris hingegen grinste einfach weiter. Trank hin und wieder einen Schluck Cidre und versuchte nicht, sich über Tobs lustig zu machen, was ihr allerdings mehr schlecht als recht gelang. Der Abend zog sich und zog sich. Tobs war ein wenig mehr als nur angeheitert und saß gackernd auf seinem kleinen Stühlchen. Iris sah ihren Kumpel an und konnte selbst nicht mehr an sich halten. „Weist du…“, griente Tobs und fuchtelte mit seiner Hand vor Iris Gesicht herum. „Wenn… wenn dieser Blonde da… ah ja, Sam. Genau, wenn Saaaam, meint, er müsse mich umkrempeln…“ Er grunzte und verdrehte die Augen gen Himmel. „wenn er das mein… dann soll er doch. Bekommt er eeeh nicht hin.“ Er schüttelte fest den Kopf. „Nee, sag ich dir. Hab ich keinen Bock mehr drauf. Nö.“ Mittlerweile hatte der junge Mann seine Arme vor der Brust verschränkt und schob beleidigt die Unterlippe nach vorn. „Tobs… Wieso ziehst du eigentlich nicht aus?“, fragte die Schwarzhaarige gerade heraus. Sie verstand nicht, warum sich ihr Freund das überhaupt antat. Natürlich, kostenlos wohnen war schon eine feine Sache, aber diesen ganzen Stress konnte Tobs nun mal nicht gebrauchen. Dafür war das Studium so oder so schon stressig genug. „Tja…“ Der Angesprochene zuckte nur die Schultern. „Gute Frage… vielleicht weil ich dann immerhin was zum ficken hab.“ Ein noch breiteres Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ob ihn jemand hörte, interessierte ihn schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Iris hatte gerade einen Schluck genommen und prustete den Inhalt ihres Mundes über den gesamten Tisch. Die Kerze ging aus und sie brach fast ab vor lachen. Sie hielt sich den Bauch, kiekte und hatte Lachtränen in den Augen. „Scheiße… Tobs.“ Sie winkte ab und versuchte sich zu beruhigen und klar zu sprechen. „Du bekommst hier mindestens zwei Drittel der Kunden um den Finger gewickelt, wenn du es wolltest.“ „Will ich aber nicht… schau sie dir doch an.“ Tobs wandte den Kopf. Ließ seinen Blick durch den Pub schweifen und tippte sich an die Unterlippe. „Na gut, ein oder zwei Schnuckel sind schon dabei…“ „Ja dann auf auf… lass dich von mir nicht vom Baggern abhalten.“ Sie grinste. Der junge Mann hingegen zog nur eine Augenbraue nach oben. Wollte sie ihn hier gerade zum ´fremdgehen´ anstacheln? Obwohl… fremdgehen würde er ja noch nicht einmal. Immerhin war selbst Sam nur eine Art Affäre. „Scheiße, du hast Recht.“ Sein Grinsen wandelte sich von angetrunken in wölfisch. Ja, jetzt war er eindeutig auf Beutesuche und er würde sie fassen und zerlegen. In der Luft nicht unbedingt, aber wo anders auf jeden Fall. „Du brauchst glaub ich nicht auf mich warten.“ Er zwinkerte seiner Freundin zu, nahm einen tiefen Schluck und erhob sich. „Werde ich auch nicht. Tu mir nur einen Gefallen und schreib mir eine SMS, wenn du aus dem Laden hier raus bist, ja? Will mir keine Sorgen machen.“ Sie lächelte, leerte ihr Glas und zog ihre wasserfesten Klamotten wieder an. „Na dann… Schürzenjäger. Viel Spaß.“ „Daaanke. Und ich schreib dir.“ Tobs küsste die junge Frau vor sich auf die Wange und machte sich auf den Weg zur Bar, wo ein ziemlich lecker aussehender Typ saß. Zumindest sah er von hinten nicht schlecht aus. Und zur Not konnte man ihm ne Decke über den Kopf legen, dann brauchte er zumindest das Gesicht nicht zu sehen. Tobs machte sich nicht wirklich Sorgen um seine Gedanken. Im Gegenteil. Er war in der Blüte seines Lebens. Er war jung, sah verdammt gut aus… also wieso nicht an Frischfleisch ranmachen, wenn es nur darauf wartete? Wie gesagt, so getan. Den Typen an der Bar, Tobs hatte sich nicht einmal seinen Namen gemerkt, abzuschleppen, war keine große Sache gewesen. Tatsächlich hatte er ihm nicht einmal eine Decke über den Kopf stülpen müssen, da ihn sein Gefühl, was das gute Aussehen seines Gegenübers anbelangte, nicht getäuscht hatte. Sam hatte gesagt, dass er die nächsten zwei Tage auswärtig zu tun haben würde. Tobs hingegen konnte DAS nur recht sein. Ihm war sein eigenes Bett, oder besser gesagt, das Bett von ihm und Sam, bei weitem lieber, als irgendeines von einem Typen, den er nicht einmal wirklich kannte. Dass Tobs seiner Affäre ´fremdging´ musste diese ja nicht erfahren. Und dann auch noch im eigenen Bett. Der Student konnte sich bei dem Gedanken ein leises Kichern nicht verkneifen und das Grinsen wich die gesamte Nacht nicht aus seinem Gesicht. Sein Gegenüber hatte ihn schon etwas argwöhnisch betrachtet, aber nicht weiter nachgefragt. Wie hätte Tobs ihm das auch erklären sollen? Ihm wäre mit Sicherheit schon irgendetwas eingefallen, aber wozu anlügen? Mit einem noch breiteren Grinsen als im Pub, stieg er am nächsten Morgen aus der Dusche. Das Handtuch um die Hüfte gewickelt stand er in der Küche und machte Kaffee. Zog genüsslich an seiner Zigarette und drehte den Kopf, als er Schritte auf den Fliesen hörte. „Kaffee?“, fragte er lächelnd. Holla, hab ich wirklich einen guten Fang gemacht, dachte sich der Student und grinste nur wieder. „Oder Lust auf ne zweite Runde?“ „Beides.“ Alan schmunzelte und nahm dankend den dampfenden Kaffee an. „Schön hast du’s hier, aber wie kann sich ein Student so was leisten?“ Ein Schulterzucken des jungen Mannes und mit einem leisen ´klonk´ waren die beiden Tassen auf dem schwarzen Tresen zum stehen gekommen. „Uninteressant.“, meinte Tobs nur, ehe er sein ´Mitbringesel´ ins Wohnzimmer bugsierte und ihn auf die Wohnlandschaft drückte. „Oder willst du über so was jetzt nachdenken?“, schnurrte er an Alans Ohr, während er ihm wieder gekonnt das T-Shirt über den Kopf zog und sich über diese weiche, breite Brust hermachte. „Uninteressant.“, keuchte sein Gegenüber und die nächste Runde, von insgesamt vier, hatte begonnen. Mit einem seligen Lächeln lag Tobs gegen Nachmittag in der Badewanne. Eine Packung Schokoladen-Eis stand am Wannenrand und der Suppenlöffel lag an seinen Lippen. Daran könnt ich mich gewöhnen, ging es ihm durch den Kopf, während er die letzten Stunden Revue passieren lies. Tobs hatte verdammt guten Sex, Sam bekam von alle dem nichts mit und sein stupides Leben, verwandelte sich plötzlich in eine Art modernes Moulin Rouge. Kapitel 11: Mutterliebe ----------------------- Die heiße Sommersonne schien erbarmungslos auf die Freistaat hinab. Nur ein hellgelber Sonnenschirm spendete ein wenig Schatten. Die Menschenscharen drängten sich durch die Münchner Innenstadt. Versuchten an ihre Ziele zu gelangten. Lautes Gelächter war überall zu hören und die hell gekleideten Gestalten strahlten pure Fröhlichkeit und Zufriedenheit aus. Er beobachtete diese Leute. Mit einem innerlich zerrissenen Herzen. Wie konnten diese Menschen nur so durch und durch zufrieden durch die Gegend laufen? Was brachte sie dazu, jegliche Sorgen zu vergessen? Lag es tatsächlich nur an dem Sommerwetter? Oder doch an denen, mit denen sie sich trafen? Freunde, Eltern, Lebenspartner? Oder hatten diese Leute keine Sorgen? Verlief ihr Leben vielleicht genau so, wie sie es sich immer erträumt und gewünscht hatten? Nein, das konnte er sich auch nicht vorstellen. Aber irgendetwas musste es doch sein. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so ausgelassen durch die Stadt geschlendert war. Schon gar nicht mehr, wer dabei gewesen war. Alles schien so verschwommen. So unendlich weit weg, dass es ihm nicht gelang, die Erinnerungen zu greifen, geschweige denn zu halten und wiederzugeben. Es tat weh, sich nicht erinnern zu können. Ihm fehlte ein zu wichtiges Kapitel in seinem Leben und er wusste nur eine Möglichkeit, wie er dieses wieder bekommen würde. Doch genau das, war schier unmöglich. Der Latte Macchiato war mittlerweile schon kalt geworden, aber das machte ihm nicht weiter etwas aus. Wenn man danach ging, sollte kalter Kaffee immerhin schön machen. Allerdings würde das bei ihm wohl nicht mehr helfen. Eingefallene Wangen, dürre Gestalt. Gelbliche Finger und Fingernägel. Dunkle Augenringe und aufgeplatzte Lippen. Die Klamotten hingen ihm vom Leib, als würde er schwarze Kartoffelsäcke tragen. Ob er ein schönes Bild abgab? Er konnte es nicht wirklich sagen. Er hatte den Blick für Ästhetik verloren ebenso den Blick für sich selbst. Er nahm sich nicht mehr wahr. Er wollte sich nicht mehr wahrnehmen, aus Angst, er würde vor Schreck einen Herzinfarkt erleiden. Das Essen war sein Feind geworden. Der Alkohol und die Drogen zu den einzigen Freunden, die ihn verstanden. Sie waren einfach da, wenn er sie brauchte. Sie stellten keine dummen Fragen und sie halfen ihm zu vergessen. Sie ließen ihn aushalten, was in seinem Alltag passierte. Dinge, die kein Mensch wirklich erleben wollte. Er hatte sich entschieden, die Geschichte durch zu ziehen, egal wie lange sie dauern sollte. Zumindest konnte er von dem Geld, welches er damit verdiente, leben. Und die Typen die er notgedrungen traf, waren auch in Ordnung. Und wenn nicht… war es auch egal, immerhin hatte er seine tollen, bunten Freunde, die ihm halfen, Gute Mine zum bösen Spiel zu zeigen. Eine Frau mittleren Alters kam mit kleinen, trippelnden Schritten auf ihn zugeeilt. Ein Mann im gleichen Alter ging neben ihr her. Sie hatte hellrot gefärbte Haare, eine weibliche Figur mit Rundungen an den Stellen, wo sie hingehörten. Der Hühne von Mann, hatte einen leichten Bauchansatz, einen Vollbart und graumelierte Haare. Arme und Beine wie Baumstämme und einen klaren, aufmerksamen Blick. „Andreas!“ Die Frau winkte ihm lächelnd zu. Eilte heran und als Andy sich erhob, nahm seine Mutter ihn freudestrahlend in die Arme. „Schön dich zu sehen, mein Junge.“ „Hey Mom.“, nuschelte Andy mit rauer, monotoner Stimme. Er schloss Rosie in die Arme und atmete ihren sonnigen Duft ein. Ein minimaler Teil seiner innerlichen Dunkelheit machte einem winzigen Sonnenstrahl platz, als auch Uwe ihn kurz an sich drückte. Seine Familie stand da. Sie waren da und standen hinter ihm, wie niemand sonst es tat. Bei ihnen fühlte er sich sicher. Verstanden. „Hallo Andy. Wie geht’s dir?“, fragte der Mann an der Seite seiner Mutter. „Ich steh noch.“, meinte Andy mit einem ironischen Lächeln und setzte sich. Die Kellnerin kam, nahm die Bestellungen der beiden Neuankömmlinge auf und für einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen. Die Zigarette fand den Weg in Andys Mundwinkel und seine Mutter betrachtete ihn mit wachsender Sorge. Die zitternden Hände waren ihr nicht entgangen, ebenso wenig die gläsernen, roten Augen ihres Sohnes. „Wenn du mich weiterhin so stirnrunzelnd ansiehst, bekommst du noch mehr Falten.“, meinte Andy leise und lächelte ein schiefes Lächeln. Rosie allerdings konnte den Spaß nicht mit ihrem Sohn teilen. „Entschuldige.“ Rosie schüttelte den Kopf und wartete mit ihrer Antwort, bis die Kellnerin wieder verschwunden war. Ein Steak mit Kartoffeln und ein Seelachs hatten den Weg auf den Tisch gefunden. Andy drehte sich beim Anblick des Essens regelrecht der Magen um und hätte er sich nicht am Riemen gerissen, hätte er sich auf offener Straße erbrochen. „Möchtest du nichts essen?“, fragte Uwe und knuffte den jungen Mann neben sich kameradschaftlich an die Schulter. „Du brauchst doch etwas Gescheites in den Magen.“ Der mörderische Blick des Schwarzhaarigen war den beiden Erwachsenen nicht entgangen. „Uwe… lass es.“, murmelte Rosie seufzend. „Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?“ Die Antwort, dass essen völlig überbewertet wurde, musste die ältere Frau erst einmal verdauen. „Wohnst du eigentlich immer noch bei diesem… schrägen Vogel?“, frage Uwe nun etwas vorsichtiger. Er wollte sich immerhin nicht den Hass des Sohnes seiner Lebensgefährtin einhandeln. Andy schüttelte den Kopf. Zog an der nächsten Zigarette und trank einen Schluck Kaffee. „Nein, ich bin ausgezogen. Mir reicht’s, dass ich ihn in der Arbeit schon immer sehe. Hab da was Nettes gefunden. Ein wenig außerhalb.“, meinte Andy und der Stolz war deutlich aus seiner Stimme zu hören gewesen. „Bei Pasing in der Nähe. Ein bisschen was über 50 Quadratmeter. Und teuer ist die Wohnung auch nicht. Ihr könnt gerne mal vorbei kommen.“, bot der junge Mann aufrichtig lächelnd an. Betrachtete die beiden Gesichter vor sich und dachte sich ebenfalls einen Funken Stolz in den Augen seiner Mutter gesehen zu haben. „Sehr gerne. Und ich bin froh, dass du da weg bist.“, lächelte Rosie und legte ihre Hand auf den Unterarm ihres Sohnes. „Aber… ich glaub das muss noch etwas warten.“ Andys Herz zog sich in seiner Brust zusammen. Er wollte keine Schwäche zeigen, er konnte es sich nicht leisten, aber er musste! Wenn er nicht draufgehen wollte MUSSTE er Schwäche zeigen. Ob er somit den Respekt von Uwe und seiner Mutter verlor… das Risiko musste er unweigerlich eingehen. „Das ist ja kein Problem. Wann immer du Zeit hast. Wir kommen dich gerne besuchen.“ Andy schüttelte den Kopf. Seufzte schwer und musste innerlich mit sich ringen, mit der Wahrheit heraus zu rücken. „Es kann sein… dass es noch ein oder sogar zwei Jahre dauern kann. Ich weis es nicht.“, murmelte er kleinlaut. „Dann dauert es eben so lange.“ Uwe betrachtete den jungen Mann von der Seite aus. „Was liegt dir bloß auf der Seele?“, fragte er eher zu sich selbst, als an Andy gewandt. Andys Hände hatten mittlerweile noch schlimmer zu zittern angefangen. Er brauchte seinen Stoff. Er knibbelte mit den Zähnen an der Nagelhaut seiner Finger herum und ließ den Blick schweifen. Er konnte sich hier nicht vor all den Leuten ´E´ (Ecstasy) reinpfeiffen, aber er hielt es langsam nicht mehr länger aus. „Ich… ich… brauch eure Hilfe.“, nuschelte der Schwarzhaarige kleinlaut. Kramte in seiner Manteltasche herum und legte ein kleines durchsichtiges Tütchen auf den runden Tisch. Blickte seiner Mutter in die Augen. Er wollte es nicht aussprechen. Er konnte es nicht aussprechen. Rosie allerdings machte nicht die geringsten Anstalten, ihrem Sohn diese Last von den Schultern zu nehmen. Er sollte es sagen. Er musste es sagen, sonst hatte alles, was noch kommen wollte, keinen Sinn. Andy blickte sich gehetzt um. Wenn er nicht langsam mit der Sprache herausrückte, wusste er selbst, würde er hier noch etwas zertrümmern. Er hatte Entzugserscheinungen. Er schwitzt, ihm war kalt. Alles auf einmal. Er brauchte die nächste Dosis. JETZT! Aber wenn er es jetzt tat, würde alles, was ihm auf der Seele lag, in weite, weite Ferne rücken und das, was er sagen wollte, würde an die letzte Stelle seines Lebens treten. Das konnte er nicht riskieren. Er wollte es nicht mehr riskieren! „Ich muss…“ Andy stoppte. Schloss die Augen um sich zu beruhigen. Um seinen rasenden Puls zu senken. „Ich muss von dem Scheißdreck runter.“ Sein Blick war nun hilfesuchend an seine Mutter gerichtet. „Ich schaff das nicht allein.“ Er war den Tränen nahe. „Ich will nicht draufgehen, verstehst du?“, flüsterte er. Seine Stimme brach fast. „Das wissen wir und du wirst nicht sterben. Hast du mich verstanden?“ Rosie blickte ihrem Sohn fest und entschlossen in die Augen. „Wir sind bei dir, egal, was passiert.“ Sie nahm die Hand ihres Kindes und drückte seine knochigen Finger. Senkte ihre Stimme noch weiter und lächelte mit feuchten Augen. „Wir kriegen dich aus dieser Scheiße raus, hörst du?“ Andy blieb die Stimme im Halse stecken. Er nickte nur. Sah seine Mutter an und wusste, dass dieser Albtraum irgendwann ein Ende nehmen würde. Nur wann? Wann konnte er wieder mit Freude durchs Leben gehen? Wieder aufrichtig lachen? Sich wieder im Spiegel ansehen, ohne ein Etwas zu sehen, was er nicht kannte? Wie lange würde es dauern, bis dieses ganze Gift aus seinem Körper war? Wie lange würde es dauern, wie die Wunden auf seiner Seele verheilt waren? Würden ihn die bleibenden Narben immer wieder erinnern? Würde er überhaupt je wieder der werden, der er noch vor zwei Jahren gewesen war? Freundlich, lebensfroh, zugänglich, liebenswert? Diese Frage konnte ihm tatsächlich nur die Zeit beantworten, die ins Land ziehen würde. Monate. Jahre. Vielleicht mussten sogar Jahrzehnte vergehen, bis er wieder der Alte war. Aber was er mit Sicherheit wusste war: Egal, was passieren würde. Egal welchen Weg er gehen musste und welche Hürden er bewältigen musste. Er würde es nicht allein tun. Und diese Gewissheit, ließ diesen winzig kleinen Sonnenstrahl in seinem Innern verweilen und ihm zumindest eine Last von den Schultern nehmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)