Jura Tripper 1 1/2 over von abgemeldet (~I'll find my day, maybe far and away... far and away~) ================================================================================ Kapitel 12: XXXIV. Egal was * XXXV. Werd? nicht zu schnell erwachsen * XXXVI. Auf Wiedersehen --------------------------------------------------------------------------------------------- XXXIV. EGAL WAS * XXXV. WERD' NICHT ZU SCHNELL ERWACHSEN * XXXVI. AUF WIEDERSEHEN ~~~ You'll be in my heart Words & Music by Phil Collins. Performed by Phil Collins & Glenn Close. Come stop your crying, it will be all right Just take my hand, hold it tight I will protect you from all around you I will be here, don't you cry For one so small, you seem so strong My arms will hold you, keep you safe and warm This bond between us can't be broken I will be here, don't you cry 'Cause you'll be in my heart Yes, you'll be in my heart From this day on Now and forever more You'll be in my heart No matter what they say You'll be here in my heart always Always Why can't they understand the way we feel? They just don't trust what they can't explain I know we're different, but deep inside us We're not that different at all And you'll be in my heart Yes, you'll be in my heart From this day on Now and forever more You'll be in my heart No matter what they say You'll be here in my heart always Always Don't listen to them, 'cause what do they know We need each other to have to hold They'll see in time, I know When destiny calls you, you must be strong I may not be with you, but you've got to hold on They'll see in time, I know We'll show them together You'll be in my heart Believe me, you'll be in my heart I'll be there from this day on Now and forever more You'll be in my heart No matter what they say You'll be here in my heart always Always ~~~ XXXIV. Egal was Es war der Streit. Es waren Worte, die durch einen Türspalt klangen. Obwohl die Tür vorgab, sie verbergen zu wollen, klangen sie kein bisschen gedämpft und sie brannten sich ins Gedächtnis ein. Auch wenn die Stimmung die Wachsamen nicht belügen konnte, waren solche Worte der erste wirkliche Beweis für ein Kind, dass seine Eltern vor der Scheidung standen. Ob es zu früh aus der Schule gekommen oder mitten in der Nacht aufgewacht und auf leisen Sohlen vorbeigeschlichen war, diese Worte zu hören, war der Anfang eines Endes. Es war keine Abweichung vom Normalen. Es war der Beginn einer neuen Normalität. Die beiden Kinder, die vor der Tür standen, hörten diesen Streit und sie spürten, was er bedeutete. Und auch wenn sie keine Geschwister waren und es nicht jedes eigene Eltern waren, machte es sie betroffen und unglücklich. Es war nicht richtig, diese Worte zu hören. Wie konnte es richtig sein, wenn selbst die Menschen, die sie ausgesprochen hatten, sie irgendwann bereuten? "Wir sollten vielleicht lieber gehen." "Ja, das sollten wir." Aber in diesem Moment flog die Tür auf. Schon einmal hatte Princess sie mit solcher Heftigkeit bewegt. Dass sie sie damals zugeschlagen hatte, änderte nichts an der Situation. "Liam!" Atemlos blieb sie stehen, eine Mutter, die sich und ihr Kind in einer sogenannten ?schlechten Gesellschaft' entdeckt und kurz davor ist, es wegzuholen. "Komm mit!" Sie nahm Liam bei der Schulter und schob ihn weg, weg von jener verräterischen Tür und allem, was dahinter war. Sive fing noch seinen Blick auf, er war bekümmert, genauso wie sie sich fühlte. Es war nicht gut, dass sie gerade jetzt gehen würden. Sie würden die Dinge nicht mehr im Auge behalten können. Aber war dieses Gefühl von Verantwortlichkeit nicht viel eher Anmaßung zu nennen?, dachte Sive und schauderte. Sie konnten die Zukunft nicht ändern - wie konnten sie sich da einbilden, mit der Vergangenheit sei es anders? Fast alles, was sie tun konnten, war nun getan und das war trotz allem ein gutes Gefühl. Nur noch eines blieb. Die Worte hinter der Tür hatten sie abgelenkt, aber jetzt wusste sie wieder, weshalb sie gekommen war: Um sich zu verabschieden. "Papa?" fragte Sive in den Raum hinein. Eben noch hatte sie geglaubt, ihre Scheu überwunden zu haben, aber jetzt war sie doch wieder da und schwang in ihrer Stimme mit. Sie zögerte, weiter zu gehen, ohne dass sie herein gebeten worden war. Eben noch war ihre größte Sorge gewesen, dass er traurig sein würde, dass sie ging, aber hier und jetzt war wieder alles ins Gegenteil verkehrt: vielleicht würde er erleichtert sein. Es war so schwierig, andere zu verstehen. Vielleicht hatte sie wieder alles falsch gemacht, falsch verstanden. Sive ging einen Schritt rückwärts, zauderte, trat wieder vor. Warum antwortete er nicht? Verstand er nicht, wie wichtig es war? Als sie schon fast am Boden festgewachsen war in ihrer Unschlüssigkeit, hörte sie ihn endlich sagen: "Sive. Was ist?" Er hörte sich auf irgendeine Art erschöpft an, aber auch gutmütig genug, ihr das nicht zeigen zu wollen. Natürlich merkte sie es doch. Aber für Sive reichte dieser Versuch aus, denn er zeigte ihr, dass sie willkommen war. Sie stand neben ihm, bevor das Schweigen fiel. "Was ist?" hatte er gefragt und ihr die erste Antwort damit leichter gemacht. Die folgenden würde sie dafür kaum über die Lippen bringen. Dass sie willkommen war, hieß, dass er nicht damit rechnete, dass sie gehen würde. "Ich wollte mich von dir verabschieden." sagte sie. God starrte sie an. Sie glaubte fast, das ?Jetzt?' von seinen Lippen ablesen zu können. "Ja, jetzt" wollte sie sagen, doch die Worte steckten in ihrem Hals und wollten nicht heraus. Es tat ihr leid, aber es musste sein. Sie waren Zuschauer und keine Teilnehmer. Sie durften das nicht vergessen. Sive nickte bloß und sah zu Boden, wie ein Kind, das bei einem Fehler ertappt worden ist. So hörte sie die Worte auch nur und sah sie nicht, die Worte, die bewiesen, dass die Zeit, die sie hier verbracht hatte, nicht umsonst gewesen war, trotz allem, was passiert war und passieren würde. "Das... tut mir leid. Du wirst mir sehr fehlen, Sive," und hier machten die Worte eine ziemlich auffällige Pause, bevor sie noch leiser wurden, als sie ohnehin schon waren, "ehrlich gesagt... wünschte ich, ich könnte mit dir mitkommen... und... und so was wie dein großer Bruder sein. Ich weiß, dass das totaler Schwachsinn ist und sowieso nicht geht, aber..." ?Aber' blieb in der Luft hängen mit dem Wissen, dass es eigentlich etwas anderes war, dass noch hatte folgen sollen, als das, was er dann tatsächlich sagte: "Aber ich bin glücklich, dass du bei mir warst. Du wirst mir fehlen. Ehrlich gesagt... ehrlich gesagt fehlst du mir jetzt schon..." "Aber du mir doch auch!" rief Sive aus und jetzt musste sie doch heulen, gerade weil sie sich zum hundertsten Mal vorgenommen hatte, es nicht zu tun [und ich ebenfalls -___- Sive nicht heulen zu lassen, meine ich] "Aber du mir doch auch." murmelte sie bestätigend, die Stimme noch immer kaum zu gebrauchen, streckte sich und umklammerte seine Schultern, sodass er gezwungen war, in die Hocke zu gehen. "Ich.... ich will dich nicht alleine lassen," erklärte sie unbeholfen, weil ihr irgend etwas an ihrer Aussage verdreht vorkam, denn wer war hier eigentlich das Kind? Aber Verdrehtheit war und blieb irgendwie die vertrauteste Denkweise für Sive. Ihr Herz fühlte sich so übervoll an, dass sie spürte, wenn sie richtig auspackte, würde es eine Überschwemmung geben. Wie immer, wenn sie etwas mitnahm, hatten sich ihre Finger fast von selbst zu dem Lederband um ihren Hals vorgetastet, an dem ihr Schmuck, der Marmorelefant ihrer Mutter, hing, "ich..." Mit festem Griff schlossen sich ihre Finger um den Anhänger, spannten sich, "ich...." Bevor er oder sie etwas dagegen einwenden konnten, zog Sive ihn sich über den Kopf und hängte ihn God um den Hals. Blitzschnell erhob sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Stirn. "Egal was du machst, du bist immer mein Papa." Und dieser Code schloss alles ein, was sie noch in 108 Seiten hätte sagen können, Cross, Wendy, Brian, die anderen, ganz Noah und die Zukunft. Ohne etwas zu sagen, griff er schließlich nach dem Anhänger wie sie zuvor. Eine angedeutete Bewegung, ein Ausdruck und Sive glaubte mit einer seltsamen Mischung aus Wehmut und Zufriedenheit zu erkennen, dass er ihn annehmen würde. Dann ein plötzliches Anspannen der Hand, so fest, dass sie sich die Delle richtig vorstellen konnte. Das lächelnde Ding hing wieder zwischen ihnen. "Nicht...?" fragte sie leise. Schon wieder hatte er diesen nervigen Frag-mich-nicht-Blick drauf. "Du brauchst ihn doch noch." Zögernd streckte Sive ihre kleine Hand aus und nahm ihren Elefanten wieder an sich. Um ein paar Fingerabdrücke reicher. "Es wird nicht für lange sein. Nur 18 Jahre. 18 winzige Jährchen...." versuchte sie ihn zu trösten, während sie ihn wieder umhängte und dabei den Kragen betrachtete, der jetzt schon ganz nach ihr roch und der doch so bald schon wieder Silence gehören würde. "18 ist mein halbes und dein doppeltes Leben." gab er zurück und Sive konnte sich nicht helfen, irgendwie fühlte sie sich beobachtet. "Aber es ist morgen und heute und gestern und immer und überall!" "Wann hast du eigentlich rechnen gelernt?" "Immerhin weiß ich, was Koordinaten sind!" entgegnete sie frech aus einer Eingebung heraus. "Cross ist tot, oder?" fragte er auf einmal, als das Sonnenlicht sich zu zerstreuen schien. "Cross lebt.... heute und morgen und gestern. Das heißt, er kann leben, aber nur, wenn wir ihm dabei helfen. Auch du." erwiderte Sive, rätselhaft oder bloß gestört und vor allem mit zwei großen, großen blaugrünen Kinderaugen. "In deinem Kopf ist heute und morgen und gestern, Zauslöckchen." "Bäh!" Sive streckte ihm die Zunge raus, und obwohl es in dieser vergangenen Gegenwart das erste Mal war, war es wie der Chlorgeruch ein weiteres Puzzleteil neuer alter Normalität, das sich löste und sie mit sich nahm. XXXV. Werd' nicht zu schnell erwachsen Durch einige Türen und surrealistisch beleuchtete Gänge schob Princess ihn noch vor sich her, ohne dabei ein Wort zu sagen. Obwohl er ahnte, dass ihre Gedanken noch immer ein paar Türen zurück beschäftigt waren, lag ihre Hand fest auf seiner Schulter. Ihre Augen waren zu Boden gerichtet, doch sie zeigten keinen abwesenden Blick. Princess schien einer unsichtbaren Spur zu folgen und er sollte das auch tun. In Liam machte sich mehr und mehr das Gefühl breit, dass er gerade ein Missverständnis erlebte, das es nötig hatte, aufgeklärt zu werden. Behutsam verlangsamte er seine Schritte, um Princess in ihrer Hast ein wenig zu stoppen. Als er glaubte, das in etwa erreicht zu haben, wandte er den Kopf und teilte ihr über die Schulter mit: "Ich kann nicht länger mit dir gehen, Mama." In plötzlichem Aufmerken hoben sich ihre niedergeschlagenen Lider und Liam sah prompt: Sie hatte überhaupt nicht zugehört. Was hatte er gesagt? Was hatte er gemeint? "Ach so," erwiderte Princess schließlich unter verlegenem Lachen, "ich soll meine Hand von deiner Schulter nehmen. Tut mir leid, natürlich. Ich wollte - " "Nein, Mama," sagte er nachdrücklich und nahm die Hand, die sie verwirrt weggezogen hatte, "ich muss gehen. Wir gehen. Zurück." "Zurück?" echote Princess. So unerwartet war die Woge des Bedauerns, die plötzlich von seiner Mutter ausging, dass sich unwillkürlich etwas in ihm verkrampfte. "Ja, leider." lenkte er ein, ein Versuch, das ganze als Nebensache abzutun und sie aufzumuntern, wie er es immer tat. Angestrengt verrenkte er sich die Gesichtsmuskeln, nur um das Lächeln, das zu seinem Markenzeichen geworden war, hervorzuzaubern, aber er wollte und wollte es nicht finden. Es war nicht ehrlich gemeint, war ihm doch ganz und gar nicht nach lächeln zumute. Das Liam-Lächeln konnte nur ehrlich sein. Er hätte so gern ehrlich gelächelt, während er sich einfach nur traurig fühlte. "Ja..." brachte er schließlich viel zu leise heraus. "Liam..." sagte sie zu ihm, mit einer solchen Fürsorge, Anteilnahme, Mitgefühl - kurzum: Liebe, dass es ihn irgendwo wieder fast hinweg spülte. Sie stand einfach nur so da, wie ein kleines Mädchen, das nicht abgeholt worden war, am Bahnhof zum Beispiel, den Strohhut auf dem Kopf und das Körbchen mit selbstgepflückten Erdbeeren in der Hand. Ein sonderbares, absurdes Bild und alles, was Liam in diesem Moment sah. Er konnte selbst nicht mehr benennen, was er erwartet hatte. Händeringen, Klagen, Bitten - Princess tat nichts dergleichen. Sie sah ihn bloß an. "Liam!" rief es von hinten. Ohne dass er es hören, gar sehen musste, wusste er, da stand Boss auf der Matte. Mochte es Zufall, Schicksal, Pech oder passend sein - hinter ihm, das war sein Vater. Vor ihm, das war seine Mutter, noch immer das selbe Bild. Nun, außer dass der Strohhut langsam begonnen hatte, sich an der Krempe aufzulösen. Sie standen einander gegenüber. Liam stand zwischen ihnen. Er konnte sie beide zugleich sehen, wenn er es wollte, und doch verriet es ihm gar nichts. Es war wie dieses Spiel, bei dem sich zwei Menschen über den Kopf eines Dritten hinweg einen Ball zuwarfen und der Mittlere versuchen musste, ihn zu fangen. Es war ein schwieriges und ermüdendes Spiel, denn den Ball zu fangen war schwer und aussichtslos. Selbst wenn man einmal Glück hatte, landete man letztendlich doch wieder in der Mitte, immer wieder. Liam hatte ihn niemals gefangen. Ewig in der Mitte, in der friedlichen Schusslinie, konnte er sie beide sehen, den Ball hoch über seinem Kopf, aber er war ratlos. Neesans Angst war der Rand, Sheerlas das Zurückbleiben, Sives die Gegenseite. Seine Angst war die Mitte. Das war die Wahrheit: Er war ratlos. Er war dabei, sich von ihnen zu verabschieden, aber er wusste noch immer nicht, was sie von ihm erwarteten, wusste es weniger denn je. Vielleicht würde er es nie wissen. "Liam?" Es rief nicht mehr, es fragte. Liam wünschte sich, dass Princess Boss die Antwort geben würde, wohl wissend, dass dies seine Aufgabe war und blieb. Wie war das noch? Sive, Neesan, Sheerla? Manche Dinge mussten gesagt werden. Na los. "Ich gehe zurück. Es... es ist leider so." Zum dritten Mal nahm seine psychische Modelliermasse Abwehrstellung ein, als er sah, wie sich Boss' Miene veränderte. Boss sagte: "Schade." War das alles? Hatte Liam aufgeatmet oder geseufzt? "Das ist wirklich schade. Ich hätte dir gern noch so Vieles gezeigt. Aber ich verstehe, dass du zurück musst. Du sehnst dich doch sicher auch nach zuhause, nicht wahr?" Tat er das? Vor langer Zeit hatte er es einmal getan. Jetzt fühlte er sich, als hätte er völlig den Kopf verloren, genauso wie wenn sein Vater ihn hochhob und herumwirbelte. Auf einmal wusste er nicht mehr, was oben und unten war, sah nicht mehr links, rechts, mittendrin. Es gab zu viele Seiten. "Boss hat recht. Wir dürfen nicht so egoistisch sein und dich da behalten wollen. Obwohl ich.... trotz allem...." Der Rest des Satzes verschluckte sich, weil Princess schniefte. Ja, tatsächlich: Sie schniefte und zog die Nase hoch. Bestürzt fing Liam an, in seiner Tasche zu wühlen, aber er fand nichts, mal abgesehen von ein paar versteinerten Knöchelchen, die natürlich zum Verleiher gehörten. Das frisch gebügelte Taschentuch, das er sonst immer in der Hosentasche hatte, lag unbefleckt in seiner Schwimmtasche in einer fernen Umkleidekabine. "Nimm das hier." Boss lächelte Princess à la ?No Woman No Cry' [das ist von ?dem unvergleichlichen Bob Marley, dem King of Reggae', Zitat einer Freundin] entgegen und drückte ihr ein graugeflecktes textiliares Etwas in die Hand, das dem Aussehen nach zu viele Jahre in nächster Nachbarschaft mit Kaugummis, Münzen, Schlüsseln, Apfelkernen und was weiß ich noch alles verbracht hatte. Gut zehn Sekunden lang starrte seine Mutter angewidert auf das Pseudo-Taschentuch. In der elften überwand sie sich sichtlich und putzte sich erstmal geräuschvoll die Nase. Danach sah sie tatsächlich getröstet aus. "Ich hätte dich gern besser kennengelernt, Liam." sagte Princess, das schluchzende Gesicht noch immer von Zeit zu Zeit im Taschen-Etwas vergraben, weitaus öfter als nötig, als scheue sie den Blickkontakt mit ihm. "Es ist so sonderbar, zu spüren, wie... wie wahnsinnig lieb ich dich habe, ohne dich überhaupt wirklich zu kennen, während du mich wahrscheinlich bloß für eine hysterische Zicke hältst. Ich bin so stolz auf dich, dabei ist wahrscheinlich nichts an dir überhaupt meiner Erziehung zuzuschreiben, denn was hättest du schon von mir lernen können? Ich bin so ungeschickt, ich kann ja nicht einmal kochen." ?....nicht einmal kochen...' Genau das hatte er gedacht und sich innerlich ein bisschen lustig gemacht, wenn er es auch zum Glück niemals ausgesprochen hatte - und dennoch schämte er sich entsetzlich, war doch der kleine Unterschied zwischen Gedanken und Worten angesichts dessen fast belanglos. Er hätte wissen müssen, dass es Princess verletzen würde. Hatte er sie in Wirklichkeit vielleicht tatsächlich belächelt und für eine ?hysterische Zicke' gehalten, seine eigene Mutter? Aber was war dann dieser seltsame Knoten, der sich langsam in seiner Brust bildete, seit sie das alles sagte? "Du wirkst so erwachsen, Liam, und so... klug. Wenn du mich anlächelst... nein, ich glaube, selbst wenn du irgendwen anlächelst.... machst du mir Mut. Ich frage mich, wie kannst du mein Sohn sein? Wie kannst du mich ernst nehmen, wenn wir uns so wenig ähnlich sind? Trotzdem.... liebe ich dich irgendwie, so albern es sich auch anhören mag..." Der Knoten wurde dicker und dicker, stieg seine Kehle hinauf und umklammerte seine Stimmbänder, sodass er nichts hätte sagen können, selbst wenn er etwas zu sagen gehabt hätte. Aber er war sprachlos, ganz und gar sprachlos. In seinem Kopf hatten sich so viele Gedanken ausgekippt, dass Stau herrschte, er konnte all das gar nicht mehr ausdrücken. Jetzt kam Boss dazu, legte Princess den Arm um die Schultern. Sie ließ es geschehen und er räusperte sich, eine Geste, die Liam bei President, ganz sicher aber nicht bei seinem Vater erwartet hätte. "Mir.... mir geht's genauso..." Mit einem Riesensatz schoss der heimtückische Knoten seinen Kehlkopf hinauf und machte sich in seinem Schädel breit. Lungen und Stimmbänder wollte er aber offensichtlich ebensowenig freigeben, sondern okkupierte stattdessen gemütlich ganz Liam und die Erfolgsaussichten stiegen sekündlich. "Ich meine... ich find es klasse, so einen Sohn zu haben.... deshalb hoff' ich, du kannst mich wenigstens ein bisschen ab, auch wenn ich manchmal wohl etwas nervig war. Aber.... irgendwie kam es mir vor, als hätte es dir Spaß gemacht - als ich dich herum gewirbelt hab, meine ich...." Es hatte ihm Spaß gemacht. Hatte Boss das nicht gemerkt? Er fand es toll, so einen Vater zu haben, einen Vater, der ihn dazu bringen konnte, dass er alle Seiten aus den Augen verlor. Er war glücklich, eine Mutter zu haben, deren Blick ihn hinweg spülen konnte. Weshalb also wehrte er sich dagegen? Warum hatte er solche Angst, die Fassung zu verlieren? Warum musste er seine Eltern stets beneiden oder belächeln, anstatt sie zu lieben? Dem siegreichen Knoten waren Hände gewachsen und er hatte von innen seiner Unterlippe einen Stups verpasst, sodass sie jetzt zitterte wie sonst was. Seine Nase lief wie ein defekter Wasserhahn, er hatte noch immer kein Taschentuch, und hinter seinen Augen - hinter seinen Augen lag ein Druck, bloß nicht blinzeln... "Und überhaupt - wir sehen uns ja schon bald wieder, aber bitte.... ich mein das nicht nur wegen mir, weil ich mir dann so seltsam vorkomme, aber auch so... ich wollte dir noch sagen,... Werd' nicht zu schnell erwachsen, Liam." schloss Boss. Er war überzeugt, dass sie ihn anlächelten, aber er konnte es nicht beschwören. Die Gestalten seiner Eltern verschwanden hinter feuchten Schleiern, er sah nur noch ein komisches Farbsammelsurium von rosa und blau.... nicht blinzeln, nur nicht blinzeln, sonst würde das alles überlaufen und.... Erst als es so warm auf seine Nasenspitze tropfte wie die Worte, realisierte Liam, dass er weinte. XXXVI. Auf Wiedersehen "Komm, Sheerla," redete Neesan seiner Schwester gut zu und vergaß dabei, sich über sein Benehmen zu wundern. Sheerla sah elend aus und schien sich auch wenig Gedanken darum zu machen. Hand in Hand stiegen, oder eher, kletterten die beiden die Rolltreppe hinauf, was gar kein einfaches Unterfangen war, denn sie fuhr nach unten. Oben auf der Galerie sahen sie Tigers roten Haarschopf leuchten. Auch President war dort hinaufgegangen. Während Neesan an nichts anderes dachte, schien Sheerla immer widerwilliger. Und dabei war doch sie es gewesen, die so klagend "Wir müssen uns doch noch verabschieden!" gerufen hatte. President und Tiger standen an der Brüstung und hatten die Blicke auf das schimmernde Wasserbecken im Zentrum des Tempels gerichtet. Etwas an den ruckartigen Bewegungen, mit denen sie sich umdrehten, verriet Neesan, dass sie in ein Gespräch vertieft gewesen waren. Die Zeit, als sie deswegen errötet wären, war allerdings längst vorbei. "Papa... Mama... Auf Wiedersehen..." sagte Neesan zu den beiden. Er spürte noch immer Sheerlas Hand in seiner. Wie ein plötzlich ablaufender Film wurden aus fragenden Gesichtern lächelnde und aus lächelnden traurige. "Ihr geht also. Darüber haben wir gerade gesprochen." meinte Tiger leise. "Dann wusstet ihr es also?" fragte Neesan verdutzt. "Wir haben doch euer Verhalten bemerkt," erklärte President, und ein trauriges Gesicht wurde wieder lächelnd. "Als stünde Weihnachten vor der Tür." "Ich.... ich freue mich auf Zuhause," gestand Neesan bedrückt. "Weil ich weiß, dass ihr da sein werdet!" "Das ist doch klar," rief Tiger. Jetzt lächelte auch sie, als hätten erst Neesans Worte eine geheime, von ihr und President gehegte Angst zerstört, dass ?Auf Wiedersehen' nicht in Wirklichkeit ?Lebt wohl' heißen sollte. "Und wer könnte etwas dagegen haben, wenn jeder von uns nun etwas Schönes zum Zurückerinnern und zum Vorausschauen hat?" Sie bückte sich zu Neesan hinunter und küsste ihn auf die Wange. Da brach Sheerla in Tränen aus. Neesan sagte nichts, denn obwohl er den Grund ihres Kummers nicht kannte, gestand er ihr doch das Recht zu, ihn zu haben. Tiger fasste ihn um die Hüfte und hievte ihn sich auf den Arm, während sie einen besorgten Blick auf seine Schwester warf. "Sheerla! Warum weinst du denn?" "Willst du nicht gehen?" fragte President seine Tochter ruhig. Sheerla schüttelte den Kopf, weinte weiter. "Und warum nicht?" "Weil.... weil..." schluchzte sie, "Ich weiß nicht..." "Findest du nicht, dass wir eine schöne Zeit hatten?" fuhr President fort, setzte sich vor ihr hin und nahm ihre Hände. Sheerla ließ es geschehen, wie sie in diesem Moment alles geschehen ließ. "Doch..." konnte man mühsam aus ihrem Schluchzen heraushören, "Aber... sie war so kurz... und..." "Was denn?" fragte President gutmütig und streichelte ihr über das verweinte Gesicht. "Ich hab sie nicht genutzt," platzte Sheerla flüsternd heraus und fiel ihm um den Hals. President hob sie hoch, obwohl ihn die väterliche Fürsorge ab da bereits ins Schnaufen brachte. "Ich hasse es, wenn Dinge enden," sprudelte Sheerla hervor, "ich versuch' immer, die Dinge so lange halten zu lassen wie möglich... aber dann nutz' ich sie nicht richtig..... ich versuch immer auf die Leute aufzupassen, damit sie mir nicht weglaufen... und dabei vergess ich das Wichtigere - ich benehm' mich ganz falsch und anders als ich eigentlich wollte, und sag nicht die Dinge, die ich eigentlich sagen sollte oder wollte... und zeig nicht... was ich eigentlich zeigen wollte..." Sie blinzelte. "Wolltest du das jetzt sagen?" erkundigte sich Tiger freundlich. Sheerla holte tief Luft. "...Nein." "Dann ist ja gut." meinte ihre Mutter verschmitzt. Sheerla warf ihr einen Blick zu, der gleichzeitig Unsicherheit und Ärger ausdrückte. "Ich wollte sagen..." begann sie noch einmal, "ich wollte sagen..." Sie unterbrach sich, als sie President verhalten "Hnnnngh" machen hörte. "Gib sie mir," schlug Tiger trocken vor, "ich bin ohnehin stärker." Rasch löste Sheerla ihre Arme vom Hals des keuchenden President, ließ sich herunter rutschen. "Ich wollte sagen: Auf Wiedersehen." sagte sie klar und deutlich. "Auf Wiedersehen!" rief Sheerla dem ganzen Tempel zu, so laut, dass die Worte von der Kuppel widerhallten. Sie stellte sich vor, wie sie von Echo zu Echo hüpfen, sich dann zerstreuen und ins grüne Wasser hinabsinken würden, um dort spurlos zu verschwinden. Nein, nicht spurlos. Ihr Nachhall füllte noch immer jedes Ohr. Vom Ohr gingen sie in die Köpfe. Und von dort in die Erinnerung ein. Boss und President hatten die anderen zusammengetrommelt, um die Kinder zu verabschieden. Die Nachricht, dass sie gehen würden, war für die meisten ebenso unerwartet wie erahnt gekommen. Irgendwie, dachte Doc, waren sie niemals wirklich dagewesen, und ebenso wenig würden sie jemals wirklich fort sein. Sie waren Zuschauer gewesen, keine Teilnehmer, doch ein paar Mal zu oft hatten sie ihre Rollen vergessen. Und nun standen sie sich gegenüber, Liam, Sheerla, Sive und Neesan, die Kinder aus der Zukunft, und Boss, Princess, God, President, Tiger, Tank, Doc, Snake, Nerd, Crybaby, Young Lady, Silence, Gatcha, Timid und Blunder, die Kinder aus der Gegenwart. Die Szene schien ein merkwürdiges Déjà-vu ihrer Ankunft zu sein - wie lange war es her, seit sie aus einem Busch gepurzelt waren? Und nun standen sie sich wieder gegenüber, und nur noch wenige Schritte trennten sie von der grün schimmernden Grenze ihrer Zeit. "Tschüs, Snake. Pass gut auf dich auf, ja? Und danke, dass ich in deinem Schlafsack schlafen durfte." murmelte Sive und umarmte ihn ganz schnell, bevor sie noch auf die Idee kommen konnte, Abschiedsschmerz zu spüren. "Hab ich doch gern gemacht," erwiderte Snake und streichelte ihr über den Kopf. "Grüß Chantal von mir, wenn du heimkommst, auch wenn ich noch immer keine Ahnung hab, wer das nun eigentlich ist..." Sive nickte heftig. "Auf Wiedersehen, Jack... Garnet... ich.... ich wünsch' euch alles Gute..." sagte Liam, zuerst noch stockend, doch dann spürte er, wie es immer leichter wurde: "Nanae-Ife... ist ein sehr liebes Mädchen..." Sie lächelten ihn an, noch immer zaghaft, aber Liam wusste, dass die Freude kommen würde. "Ein schöner Name," bemerkte Young Lady, und das klang wie ein Dank. "Danke für das hier, Silence. Den Sachen in der Hosentasche ist auch nichts passiert," lächelte Liam und klopfte zum Beweis auf die Tasche. Er zog die rostrote Uniform aus, die ein paar Tage lang ihm gehört hatte und legte sie ordentlich zusammen, bevor er sie Silence auf den Arm gab. Neesan folgte seinem Beispiel. Sheerla hatte ein paar Probleme mit dem Knoten, denn Hemdzipfel waren nun einmal nicht dazu gedacht, als Top zusammengebunden zu werden. Sie entschuldigte sich bei Silence für die zusätzliche Bügelarbeit, die sie seiner Mutter damit aufhalste. Auch Sives Hemd hatte am Rand sichtlich den Dreck zu spüren bekommen. Als Silence schließlich da stand, fast verschwindend unter einem Haufen zerknüllter Wäsche [nicht alles ist Liam ;] und Zans noch auf der Schulter, warf er den Kindern in ihren Badesachen einen merkwürdigen, fast erstaunten Blick zu, der die Verwunderung darüber ausdrückte, dass Menschen, die kamen und gingen wie Geister, so schmutzig werden konnten. "Nicht zu neugierig sein, Gatcha," zwinkerte Liam ihr zu, drehte sich um und stieg in das Perlmuttbecken. Sein Eintauchen erzeugte augenblicklich kreisförmige Wellen, die die zuvor makellose Oberfläche trübten. Neesan ließ sich hinein plumpsen, Sheerla sah noch einmal zurück und ging dann hinterher. Allein Sive zögerte noch. Sie stand dort, wo sie von Snake Abschied genommen hatte. Ihre Augen lagen auf der Menge, durchforschten sie. Dann schien sie gefunden zu haben. Entschlossen ging sie zu Nerd hin und nahm ihn bei der Hand. Schritt für Schritt zog sie ihn zum Wasser. Nerd folgte, zögernd zwar, aber er folgte. Mit der einen Hand stützte Sive sich am Beckenrand ab, während sie hinein kletterte, die andere dachte nicht daran, loszulassen. Sives Griff verstärkte sich, umklammerte, hatte Angst, zurück zu lassen. Sie zog, einmal, zweimal, stärker. Komm mit, sagten ihre Augen. Nerds Hand begann zu zittern, aber er wehrte sich nicht. Sive stand in den Wellen und zog weiter, den Blick auf sein Gesicht geheftet. Irgendwo weiter hinten löste sich God aus der Gruppe und lief auf sie zu. Mit beiden Händen umfasste Sive Nerds Hand und hielt sie über das Wasser. Unwillkürlich spreizten sich seine Finger, eine Bewegung, die genauso gut Abwehr wie Erwartung ausdrücken konnte. Nur wenige Millimeter trennten seine Fingerspitzen noch von der Oberfläche. Mit einem heftigen Ruck zog er die Hand zurück. Er entglitt Sive, die platschend in die Fluten fiel. "Nein, Sive. Du kannst mich nicht mitnehmen und ich kann nicht mit dir kommen." Sie starrte ihn an. Wassertropfen liefen ihr Gesicht hinunter. Auch Cross' Augen schimmerten. Aber das sahen nur sie und ihre Freunde, nicht die anderen, denen er den Rücken zugewandt hatte. Er sagte: "Auf Wiedersehen." Von hinten legte sich Gods Hand auf seine Schulter, weitaus fester als nötig schien, und auch er sagte: "Auf Wiedersehen." Sie musste antworten. Das war wichtig. Sive hob ihren Kopf. Der kleine Elefant baumelte. Er wusste: Ein Griff konnte sie trennen und zusammenbringen. Sie sagte: "Auf Wiedersehen." Sie nahm den Elefant. Sie streifte ihn sich über den Kopf. Sie hängte ihn über die Wasseroberfläche im Zentrum des Beckens, des Tempels, der Welt. Liam nahm ebenfalls einen Teil der Lederschnur. Sheerla packte das andere Ende. Neesan schloss vorsichtig seine Hand darum. Der Elefant lächelte. Es war ein Liam-Lächeln. "Bis bald, Chefkoch Signor Moko Giordano! Und vielen, vielen Dank für alles!" Überrascht öffnete Tank den Mund, konnte das denn sein? Er hatte Liam niemals seinen vollen Namen gesagt! Meinte er etwa... ...er wollte noch fragen, ...den Jungen rufen... ...doch in diesem Moment war seine Existenz bereits Erinnerung geworden. ~~~ Goodbye Written by Spice Girls/Stannard/Rowe. Performed by Spice Girls. Listen little child, there will come a day When you will be able, able to say Never mind the pain, or the aggravation You know there's a better way, for you and me to be Look for a rainbow in every storm Fly like an angel, heaven sent to me Goodbye my friend (I know you're gone, you said you're gone, but I can still feel you here) It's not the end (Gotta keep it strong before the pain turns into fear) So glad we made it, time will never change it - no no no Just a little girl, big imagination Never letting no-one take it away Went into the world, what a revelation She found there's a better way for you and me to be Look for a rainbow in every storm Find out for certain, love's gonna be there for you You'll always be someone's baby Goodbye my friend (I know you're gone, you said you're gone but I can still feel you here) It's not the end (you gotta keep it strong before the pain turns into fear) So glad we made it, time will never change it - No no no no You know it's time to say goodbye - No no no no The times when we would play about The way we used to scream and shout We never dreamt you'd go your own sweet way Look for a rainbow in every storm Find out for certain love's gonna be there for you You'll always be someone's baby Goodbye my friend (I know your gone, you said you're gone, but I can still feel you here) It's not the end (you gotta keep it strong before the pain turns to fear) So glad we made it time will never never change it No no no no - you know it's time to say goodbye No no no no - and don't forget you can rely No no no no - you know it's time to say goodbye No no no no - and don't forget on me you can rely No no no no - I will help, help you on your way No no no no - I will be with you every day ~~~ Text & Story (c) by Amber 2001/2002 Illustrations (c) by Willow 2001/2002 Idee (c) by Curse! (Willow, Priss-chan & Amber) 2001/2002 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)