Jura Tripper 1 1/2 over von abgemeldet (~I'll find my day, maybe far and away... far and away~) ================================================================================ Kapitel 2: IV. Heimweh * V. Futtersuche * VI. Begegnungen --------------------------------------------------------- So, wer sich langsam gefragt hat, was das ganze eigentlich mit Jura Tripper zu tun hat und wo die Pfadis bleiben - hier sind sie! ...bitte schreibt mir einen Kommentar....!! IV. HEIMWEH * V. FUTTERSUCHE * VI. BEGEGNUNGEN ~~~ IV. Heimweh Als sie endlich keuchend und völlig erschöpft Halt machten, saß ihnen der Schreck noch immer tief in den Knochen. Der Urwald um sie herum war einer Graslandschaft gewichen, doch konnten die vier Kinder sich nicht erklären, wie oder von wo sie hierher gekommen waren. Sie waren ganz einfach gerannt. Nachdem der Dinosaurier aufgetaucht war, hatte der Schock vom Vorhandensein des Gigantischen sie zunächst gelähmt. Sie wären wohl tatsächlich in dieser regungslosen Lage verharrt, hätten sich instinktiv "totgestellt" wie eine Maus in der Falle. Dies hätte jedoch sehr wahrscheinlich ihren tatsächlichen Tod bedeutet, denn der fressende Gigant, auf den sie klein wie Ameisen wirken mussten, wäre einfach über sie hinweg gestampft. Liam aber war es gewesen, der als erster diesen lähmenden Schrecken abgeschüttelt und die anderen aus ihrer entsetzten Faszination gerissen hatte, Sheerla an der Schulter gepackt und blindlings davon gestürmt war. Und nachdem sie zu laufen begonnen hatten, war da nichts und niemand mehr, das sie hätte stoppen können, außer der unverrückbaren Tatsache, dass viele Meilen zwischen ihnen und dem Dinosaurier lagen. Das schien nun Gott sei Dank der Fall zu sein. Eine Ewigkeit, so wirkte es, lagen sie einfach nur da und lauschten ihren Atemzügen, die, zuerst noch rasch und laut, von ihrer völligen Erschöpfung zeugten, sich dann jedoch langsam entspannten, bis sie sich wieder in der Lage fühlten zu sprechen. "Was... was war das?" Eine Weile hing Neesans Frage nur in der Luft und hallte in ihren Ohren nach, bis sie schließlich verklang. Dann erst gelang es Sive, sich zu überwinden, eine Antwort zu geben. "Weiß nicht," murmelte sie, ihre Stimme klang dünn und ängstlich. "Das... das war ein... Dinosaurier, glaub ich." Liam sah zu Boden. So unglaubwürdig sich das auch anhörte, war nicht eigentlich das gesamte Geschehen der letzten Minuten absolut unglaubwürdig? "Wo sind wir?" fragte Sive, ohne auf die Antwort ihres Freundes einzugehen. Sie saß bloß da, hielt die Knie umschlungen und starrte auf ihre nackten Füße. "Und wie kommen wir wieder nach Hause?" "Ich mag das nicht." murmelte Neesan. Er schluckte und rieb sich mit einer schmutzigen Hand das Gesicht. Sein Vater, der sehr auf Sauberkeit achtete, hätte ihn nun bestimmt auf der Stelle Hände waschen geschickt. Aber hier gab es kein Waschbecken, und sein Vater war auch nicht hier. "Glaubt ihr, wir... wir..." Der Rest des Satzes ging unter, als Neesan verzweifelt nach einem Taschentuch suchte, das er in seiner Badehose bestimmt nicht finden würde. "Mir... mir ist kalt." Wieder rieb er sich die Augen, als plötzlich die Tränen, die er schon die ganze Zeit über zu unterdrücken versucht hatte, über sein verschmiertes Gesicht zu kullern begannen. Er ließ sie ganz einfach, hielt still die Hände im Schoß gefaltet und heulte was das Zeug hielt. "Hör auf." nuschelte Sheerla undeutlich. Es war das erste Mal, seit sie zu laufen aufgehört hatten, dass sie sich zu Wort meldete. "Hör auf, sonst fang ich auch noch... auch noch ... auch noch an." Sie nieste, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wandte den Blick ab. Ob sie bereits "auch schon angefangen hatte", konnte Liam nicht sehen, aber er spürte, dass auch er bald hemmungslos heulen würde, wenn das so weiter ging. Und Sive ging es genauso, das sah er ihr an. Es wurde bereits langsam dunkel. Was immer das für ein seltsamer Ort war, an dem sie hier gelandet waren, immerhin gab es Tag und Nacht wie bei ihnen zuhause. Zuhause... die anderen hatten jetzt sicherlich längst Schule aus, saßen gerade beim Abendessen in einer warmen Küche. Und sie? Ob man sie wohl vermisst hatte, als sie so plötzlich verschwunden waren? Bestimmt. Eine ganze Weile blieb es still. Jedes der Kinder war in Gedanken versunken, nur Neesans unregelmäßiges Schluchzen ließ sich hin und wieder vernehmen. Sive hatte das Kinn auf die Knie gestützt und hielt krampfhaft ihren Anhänger umklammert. Sheerla saß zusammengekauert zwischen einigen hohen Grasbüscheln und dachte noch immer voller Angst an den Dinosaurier, der sie fast zertreten hätte. Langsam bekamen sie Hunger. Bei dem Gedanken an Abendessen begann Liam der Magen zu knurren. Sogar das Essen seiner Mutter, das man nun wirklich nicht als Spitzenklasse bezeichnen konnte, hätte er nun mit Freuden hinunter geschlungen. Aber zu essen hatten sie auch nichts. "Hört mal," begann Liam und sah in die Runde. "Wir sollten uns vielleicht mal nach einem Versteck für die Nacht umsehen. Wer weiß, was für Besucher sich hier nach Sonnenuntergang blicken lassen." "Was?" Sheerlas Kopf fuhr mit einem Ruck in die Höhe. "Du meinst, hier gibt es noch mehr solche Viecher?" Die nackte Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben. "Bestimmt." meldete sich Sive zu Wort. "Davon müssen wir ausgehen." "Worauf wartet ihr dann noch? Lasst uns verschwinden! Neesan," Sheerla rutschte zu ihrem Bruder hinüber und sah ihn besorgt an, "geht's wieder?" Neesan nickte, während er sich mit den Händen die roten Wangen trocknete. "Halt, wartet noch." dämpfte Liam. "Wir dürfen nicht einfach blindlings losstürmen. Wir müssen überlegen." "Können wir nicht ganz einfach hier bleiben?" fragte Sive auf einmal. Liam sah sich um, auf hohes Röhrengras und andere, ihm unbekannte Pflanzen, die ihren Rastplatz wie in einem Maisfeld vor fremden Blicken verbargen. Vereinzelt ragten ein paar strauchartige Gewächse aus dem Rohrgestrüpp. "Hier sieht uns doch niemand. Bleiben wir doch hier." bat Sive und sah ihn flehentlich an. "Kommt nicht in Frage! Wir dürfen hier nicht bleiben!" widersprach Sheerla. Liam hörte mit gemischten Gefühlen zu. Er verstand Sives Wunsch, einfach hier zu bleiben. Der kleine, grasumstandene Platz hatte in dieser vollkommen fremden Umgebung wenigstens den Hauch etwas Vertrautem für sie. Am liebsten hätte sie sich einfach nicht mehr von der Stelle gerührt, in sich zusammengekauert und hoffend, dass am nächsten Morgen alles schon wieder ganz anders aussehen würde. "Ich glaube, ich würde auch lieber hier bleiben." ließ sich Neesan leise vernehmen. Scheu sah er seine Schwester an. "Oder, Sheerla? Können wir das nicht tun?" "Quatsch!" rief Sheerla. Ihre Augen blitzten, doch eher vor Angst als vor Wut. "Glaubt ihr Trottel denn tatsächlich, diese winzigen Grasbüschel könnten euch Schutz geben, wenn das Monster aus dem Wald hier vorbei stampft?" Nervös tänzelte sie hin und her. "Liam! Sag du es ihnen! Ich hab doch recht!" Seit ihrer Begegnung mit dem Brachiosaurus war Sheerla einfach nicht mehr zurechnungsfähig. Sie wollte nur weg, an einen Ort, wo sie sich in Sicherheit wiegen konnte. Liam war zwiespältig. Er verstand Neesans und Sives Wunsch ebenso wie die Angst Sheerlas, doch noch unter die Füße des Dinosauriers zu kommen. Oder... Schlimmerem zu begegnen. Bittend sahen Sive und Neesan ihn an, auffordernd war der Blick Sheerlas. Sie verlangten von ihm, dass er eine Entscheidung traf, wurde Liam klar. Wieso eigentlich gerade er?! Während sie hier herum debattierten, verstrich die Zeit gnadenlos. Es wurde immer dunkler. Liam gab sich einen Ruck. "Hört mal," sagte er zu Sive und Neesan, "ich verstehe euch ja. Ich hab auch Angst, und ich würde mich auch am liebsten hier verkriechen, bis das Ganze vorbei ist. Aber dadurch wird es nicht besser. Und ich denke, das wisst ihr." Er schaute Sheerla an. "Aber blindlings davon zu rennen bringt genauso wenig. Das sollte uns klar sein." "Und was machen wir dann?" fragte Sive leise. Sie schien einzusehen, dass Liam recht hatte. "Also erst mal... erst mal brauchen wir ein Versteck für die Nacht. Etwas Hochgelegenes, wenn möglich. Der Dino von vorhin war zwar riesig, aber nicht bösartig und anscheinend auch ein Pflanzenfresser. Aber es gibt bestimmt auch andere hier. Fleischfresser. Jäger." Sive wurde blass um die Nase. "Ja, da hast du recht. Das hab ich nicht bedacht." Neesan schluckte, und Sheerla wurde noch eine Spur nervöser. "Macht doch zu," murmelte sie, "macht doch," und ballte die Fäuste. "Schon gut." sagte Liam und bat sie mit seinem Blick, sich doch zu beruhigen. "Dann brauchen wir unbedingt etwas zu essen. Ob das Zeug hier," er zeigte auf das Pflanzengestrüpp ringsum, "essbar ist, wissen wir nicht. Aber vielleicht..." Liam wagte kaum, weiter zu sprechen, voller Angst, dass seine Vermutung sich als falsch erweisen könnte, "...vielleicht gibt es ja Menschen hier. Menschen, die vielleicht was zu essen für uns übrig hätten. Oder irgend jemand, der uns weiterhelfen könnte und uns wenigstens mal sagen könnte, wo wir eigentlich sind." "Ja..." murmelte Sive. "Wo sind wir hier gelandet? Was ist das für eine schreckliche Welt? Ich... ich will wieder nach Hause. Zu meiner Mama. Zu meinem Papa. Heim." Ein Ruck ging durch ihren Körper und ihr Gesicht verzerrte sich. "Du hast ja recht, Liam. Hierbleiben nützt uns auch nichts. Also, gehen wir." Schluchzend erhob sie sich und klopfte mit den Händen ihren Badeanzug ab, der voll Erde war. "Ja, gehen wir." murmelte Neesan mit schwacher Stimme. "Wir finden bestimmt jemanden, der uns helfen kann. Morgen. Oder?" Er sah sich nach allen Richtungen um. "Oder??" "Ja." antwortete Liam. "Ja. Ganz sicher, Neesan." Er sah zu Boden. "Was ist denn? Wo bleibt ihr?" erklang ungeduldig Sheerlas Stimme. "Wir kommen ja schon." rief Liam und ballte die Fäuste. "Sive?" Aufmunternd sah er sie an und hielt ihr die Hand hin. "Ja. Ich komm schon." antwortete das Mädchen mit erstickter Stimme und nahm Liams Hand. Zusammen liefen sie hinter Sheerla her. Es stellte sich heraus, dass Sheerla - oder deren Panik - keine schlechte Wegweiserin war. Zügig und schnell orientierte sie sich an den hohen Punkten in der Gegend und hielt schließlich auf einen großen, kegelförmigen Berg zu, in dem es bestimmt auch Höhlen gab. Ein Baum, darauf hatten sie sich schließlich geeinigt, war viel zu unsicher, wenn man bedachte, dass der Brachiosaurus von vorhin mindestens ebenso groß wie der höchste Baum gewesen war und ihn eher noch überragt hatte. Außerdem war es ihnen um einiges wohler hier durch das Grasland zu wandern, wo sie etwaige Gefahren schon von weitem sahen, als noch einmal im Urwald überrascht zu werden. Sie beeilten sich sehr, denn mittlerweile war es fast völlig dunkel geworden. Die zunehmende Kälte, die sie in ihren Badeanzügen frösteln machte und die vielfältigen, ungewohnten Geräusche der Nacht taten ein Übriges. Sheerla, Neesan, Liam und Sive waren Stadtkinder und diese menschenleere Wildnis jagte ihnen Angst ein. Um so erleichterter waren die vier, als Sheerla mit den Worten "Nur herein!" den Eingang auf eine kleine Höhle freigab. Sie lag etwas oberhalb eines Abhangs, der sanft abfiel und war so sicherer, als wenn sie ebenerdig gewesen wäre. Mit schmerzenden Füßen, denn schließlich waren sie den ganzen Tag über barfuß gelaufen, ließen sie sich erschöpft zu Boden sinken - nicht ohne die Höhle vorher gründlich untersucht zu haben, ob Schlangen, Spinnen oder Sonstiges hier ihr Unwesen trieben. Aber sie war leer, und auch ziemlich kalt, wie die Kinder im Laufe der Nacht feststellen mussten. Einschlafen konnten sie nicht, dafür fühlten sie sich viel zu unsicher und allein, und als Liam kurz den Kopf herausstreckte und voller Unglaube zwei Monde am Himmel entdeckte, wurde ihnen erst richtig klar, wie gewaltig die Entfernung zu ihrem Zuhause sein musste. Nämlich so gut wie unerreichbar. "Mir ist kalt." flüsterte Neesan und rückte dichter an die anderen heran. Sie taten ihr Möglichstes, sich gegenseitig zu wärmen. Nicht einmal Sive und Sheerla protestierten dagegen. Ihre Feindschaft schienen sie kurzfristig begraben zu haben. "Morgen," meinte Liam und sah die beiden Mädchen an, "morgen sehen wir uns mal ein wenig genauer um. Bestimmt leben hier irgendwo Menschen. Und bestimmt können sie uns auch Kleider geben, damit wir nicht mehr so elendig frieren müssen. Stimmt's, Neesan?" Er musste lächeln, denn Neesans Antwort bestand in einem leisen Schnarchen. Sein Kopf war an Sheerlas Schulter gesunken. Die Anstrengungen waren wohl einfach zu viel für ihn gewesen. Liam senkte ein wenig die Stimme, um Neesan nicht zu stören, und wandte sich wieder Sive und Sheerla zu. "Wir sollten jetzt am besten alle versuchen, ein wenig zu schlafen." "Wir sind doch noch so klein." wandte Sive ein. "Glaubt ihr, wir haben irgendeine Möglichkeit, jemals hier weg zu kommen?" Sheerla hustete. "Du vielleicht. Ich bin immerhin schon neun." Sie streckte Sive die Zunge heraus. "Ich auch, stell dir vor." sagte die und verschränkte die Arme. "Bäh." Etwas getröstet streckte sie Sheerla die Zunge raus. Solange sie sich noch streiten konnten, war wenigstens nicht alles verloren. Einige Minuten verstrichen. "Liam?" fragte Sive dann. "Ja?" "Gute Nacht." Sheerla überging sie geflissentlich, schloss die Augen und war im nächsten Moment auch schon eingeschlafen. "Gute Nacht, ihr beiden." murmelte Liam, drehte sich zur Seite und versuchte sich so gut es ging in der winzigen Höhle zusammenzurollen. "Ach, rutscht mir doch den Buckel runter." flüsterte Sheerla. Sie war froh, dass sie nicht ganz alleine war. V. Futtersuche Sive wachte auf, weil ihr der Magen knurrte. Schläfrig rieb sie sich die Augen. Sie hatte so einen schönen Traum gehabt. Zwar konnte sie sich nicht mehr erinnern, wovon er eigentlich gehandelt hatte, aber was sie noch ganz genau wusste, war, dass Essen darin vorgekommen war. Essen. Sie war ganz schwach vor Hunger. Gähnend reckte sie die Arme und streckte neugierig den Kopf aus der Höhle. Die Sonne schien hell, es musste bereits Mittag sein. Und die anderen schliefen immer noch. Typisch. Sive beschloss, sich ein wenig umzusehen. Am hellichten Tag hatte sie keine Angst. Zumindest nicht, wenn sie sich das mit aller Macht einredete. "Na, bist du auch schon wach?" meldete sich plötzlich eine Stimme neben ihrem Ohr. Sive erschrak dermaßen, dass sie das Gleichgewicht verlor und aus der Höhle purzelte. Der Sturz war schmerzhaft. "Au! Du Schwachkopf!" Grimmig rieb sie sich Arme und Beine. "Entschuldigung." meinte Neesan schüchtern. "Aber ich bin schon seit Stunden wach. Ich dachte, du hättest mich bemerkt." Mit baumelnden Beinen hockte er im Höhleneingang und schaute besorgt auf Sive hinunter. "Das... äh... hab ich auch." behauptete Sive schnell. Mitleidheischend sah sie an sich herab. Das würde bestimmt eine Menge blauer Flecken geben. Neesan folgte ihrem Blick und musste lachen. "Du siehst aus wie ein Moorkind!" "Schau dich mal an," entgegnete Sive patzig und machte sich daran, wieder in die Höhle zu klettern. Neesan hatte recht. Ihr Badeanzug starrte vor Dreck, ganz so als wären sie nicht erst seit 24 Stunden, sondern schon seit mindestens 24 Monaten hier. "Sind die anderen inzwischen wach?" wollte Sive wissen. "M-mh." Neesan schüttelte den Kopf, sah zu Boden. "Und warum hast du sie dann nicht aufgeweckt?" schnauzte Sive. "Na ja..." Unglücklich wand er sich. "Sheerla wird immer fuchsteufelswild, wenn ich sie wecke, bevor sie ausgeschlafen hat. Darum dachte ich mir, lasse ich sie lieber noch ein bisschen." "Typisch," knurrte Sive, die Hände in die Hüften gestemmt. "Echt typisch!" "Entschuldigung," murmelte Neesan beschämt. "Du doch nicht!" fuhr Sive ihn an, "Sheerla!" "A-ach so. Tut mir leid." stotterte Neesan und machte sich noch ein bisschen kleiner. Sive achtete nicht darauf. Sie war gerade damit beschäftigt, sich eine hypergemeine Weckmethode für Sheerla auszudenken. Sinnend betrachtete sie den dunkelblonden Schopf der friedlich Schlummernden und ein fieses Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. Sie könnte sie... oder auch... ebenso genial wäre es... Gerade, als Sive beschlossen hatte, ein paar der faustgroßen Feuerkäfer zu fangen und sie über Sheerlas Rücken krabbeln zu lassen, wachte diese schlagartig auf. "Kommt nicht in Frage!" "W-was?" fragte Sive verdattert, "Wie?" Soweit sie wusste, hatte sie nicht laut gedacht. In der Regel gab das zu peinliche Erklärungsversuche und so hatte sie sich den Hang dazu schon frühzeitig abgewöhnt. Erst jetzt bemerkte Sheerla, wer da vor ihr stand. "Äh... nix!" meinte sie schnell und kratzte sich am Kopf. "Ich hab nur geträumt. Aber," lauernd blickte sie Sive aus dem Augenwinkel an, "was geht dich das eigentlich an?!" "Pah." machte Sive und zuckte die Schultern, um ihre Enttäuschung, dass Sheerla aufgewacht war, zu überspielen. "Du bist dumm, und ich hab Hunger." "Du auch. Ich auch." entgegnete Sheerla und räkelte sich. "Was?" entfuhr es Neesan. Er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Schwester eine Schwäche eingestand. "Nein! Ich bin nicht dumm! Ich hab Hunger!" polterte Sheerla und rieb sich demonstrativ den Bauch. Beruhigend tätschelte Neesan ihr die Schulter. "Wir können uns ja was zu essen suchen. Aber erst müssen wir noch Liam aufwecken." "Probiert das ruhig. Ihr schafft es ohnehin nicht. Ich bin die Einzige, die ihn wach kriegt!" schaltete sich Sive ein. Stolz hob sie den Zeigefinger und begann, damit vor Sheerlas ungläubigem Gesicht herumzufuchteln. "Überlasst das nur mir!" "Ach?" Zweifelnd runzelte Sheerla die Stirn. "Glaub mir." versicherte Sive und freute sich diebisch. Geschäftig trippelte sie hinüber zu Liam. Sive holte tief Luft, senkte den Mund zum Ohr des Ahnungslosen und machte sich soeben bereit, ihm mit vollem Stimmaufwand "LIIIIIIAM! AUUUUUFWACHEN!!!" direkt in den Gehörgang zu brüllen, als dieser die Augen aufschlug, lächelte und ihnen allen freundlich einen guten Morgen wünschte. "Arrrrrgh!" Sive verschluckte sich vor lauter Luft holen, bekam einen Hustenanfall und stampfte vor Wut ein paar mal mit dem Fuß auf. Als sie daraufhin nicht die geringste Beachtung erntete, sandte sie einen empörten Blick quer durch den Raum und rauschte gekränkt aus der Höhle. Zu guter Letzt verlor sie am Eingang schon wieder das Gleichgewicht, geriet ins Schleudern und fiel auf die Nase. Ganz wie auf der heimischen Treppe eben. "Was hat Sive denn?" fragte Liam verwundert. "Ach, nichts." bemerkte Sheerla trocken. "Sie hat nur mal wieder vergeblich versucht, sich unentbehrlich zu machen. Kein Grund zur Sorge also." Wenn Blicke rösten könnten, wäre Sheerla nun durch Sive spontan zum Aschehaufen mutiert. So aber konnte sie sportlich wie stets - ihre Mutter hatte ein Fitness-Studio - ohne das geringste Stolpern aus der Höhle hüpfen, Sive auf die Schulter klopfen und sie mit den Worten "Essen fassen! Komm!" davon zerren, während Liam und Neesan folgten. Beleidigt, aber unglücklicherweise ebenso hungrig, ließ Sive sich mitschleppen und überlegte dabei, was sie wohl verbrochen haben mochte, dass sich keiner, aber auch wirklich keiner von ihr wecken ließ. Sie hatte es wirklich schwer, fand sie. "Glaubt ihr, hier gibt es Schokolade?" Es war bereits das vierte Mal seit sie aufgebrochen waren, dass Sive diese Frage stellte. Und war man ihr bei den drei vorangegangenen Malen nur mit Schweigen begegnet, platzte Sheerla nun endgültig der Kragen. "Nein!" polterte sie gereizt und schüttelte ihre Mähne. "Du bist ja so was von blöd!" Gekränkt sah Sive zu Boden. "Ich mein' ja nur..." knurrte sie. "Hast du vielleicht 'ne bessere Idee, was wir essen könnten?" Bestimmt nicht, dachte sie bei sich. Die spielt sich doch bloß auf. "Aber sicher doch!" Liam, der ein Stück voraus gegangen war, blickte überrascht zurück. "Ja? Und was?" Ein handfester Vorschlag war für ihn allemal besser als die Möglichkeit, irgendwelche womöglich giftigen Beeren zu probieren. Kurz musste er lächeln, als ihm einfiel, dass er, falls er tatsächlich giftige Beeren fände, bloß Sive nichts davon erzählen durfte. Was das Mädchen damit alles anstellen würde, daran mochte er gar nicht denken. "Nun..." begann Sheerla und erweckte ganz den Eindruck, als habe bei ihr soeben ein gewaltiger Geistesblitz eingeschlagen. "Nutellabäume natürlich. Die gibt's hier bestimmt in Hülle und Fülle!" Stolz sah sie in die Runde. Sie wirkte wie ein kleines Mädchen, das ihren verblüfften Eltern soeben bewiesen hatte, dass sie es durchaus mit Einstein aufnehmen konnte und dafür gehöriges Lob erwartete. Nun, genau genommen war Sheerla auch nichts anderes. Nur ihre Freunde waren zu ihrem Pech keine wohlmeinenden Eltern, die das Genie ihres Kindes in den Himmel zu loben bereit waren, ganz egal, wie die Wahrheit aussah. Schweigen. Sekundenlang starrten die anderen drei erst Sheerla, dann einander nur vielsagend an. Dann bekam Liam einen Lachkrampf, sank zu Boden und kugelte sich. Er lachte und keuchte, er keuchte und lachte, er konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Sive dagegen stand in ihrer üblichen Pose, den Kopf hoch erhoben, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr hochgerecktes Kinn und ihr vor all dieser Dummheit demütig gesenkter Blick zeigten deutlich, was sie von Sheerla hielt. Einzige Regung in ihrem Gesicht war eine sehr, sehr steile Augenbraue, die bei gleichbleibender Geschwindigkeit gut und gerne noch den Neigungswinkel von 90° würde erreichen können. Neesan dagegen tat überhaupt nichts. Er starrte nur verblüfft seine Schwester an. "Was ist? Stimmt was nicht?" fragte Sheerla verständnislos und ein wenig sauer. Warum in Herrgotts Namen lachten sie bloß über sie? Wie konnten sie es wagen?! "Ihr glaubt mir wohl nicht, dass es Nutellabäume gibt, wie? Aber wartet nur, ich werd's euch schon beweisen!" Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihre Freunde aus zornessprühenden Augen an. "Kommt! Wir suchen jetzt einen!" Ärgerlich wollte sie davon stampfen, aber Liam hielt sie zurück. "Halt, Sheerla! Warte!" Er wischte sich die Lachtränen aus dem Augenwinkel. "Bleib hier! Ich wollte dich nicht auslachen, entschuldige." Bei sich dachte er, dass Sheerla da bestimmt lange würde suchen müssen. Er wollte sein Essen nach Möglichkeit noch heute. "Was kann ich dafür, dass ihr ein Haufen ungebildeter Rüpel seid?" antwortete Sheerla und rümpfte die Nase, "Phhh." "Das sagt genau die Richtige." bemerkte Sive mit einem gehässigen Grinsen. "Nutellabäume! Du hast sie wohl nicht mehr alle! Nutella kommt aus dem Glas, und von nirgends sonst!" "Ach?" entgegnete Sheerla stur. "Meine Mama hat mir aber erzählt, es würde auf Bäumen wachsen." Trotzdem wirkte sie langsam doch etwas verunsichert. Ihr felsenfester Glaube schien zu bröckeln. "Aber Sheerla," wandte Neesan erstaunt und ein wenig hilflos ein, "Mama hat das doch nicht ernst gemeint! Hast du das wirklich geglaubt?!" "Äh..." Sheerla schwieg taktvoll. Sie hatte, ganz klar. Liam kam ihr zu Hilfe. "Ach, lasst sie doch. Wir irren uns schließlich alle mal. Aber jetzt sollten wir uns wirklich etwas zu essen suchen. Sonst verhunger' ich nämlich." Er lächelte Sheerla zu, sprang auf und lief wieder voraus. "Ich auch!" rief Neesan und rannte Liam hinterher. Er sah aus wie ein kleiner Welpe, man merkte deutlich, wie sehr er Liam bewunderte. Sheerla zog noch einen kleinen Flunsch, als plötzlich Sive von hinten kam und sie unterhakte. "Jetzt sind wir quitt." meinte sie triumphierend. Böse funkelte Sheerla ihre beste Feindin an, schüttelte dann jedoch versöhnt den Kopf und meinte: "Hast recht. Komm. Die Jungs sind doch nicht etwa schneller als wir, oder?" "Nein!" Grinsend rannte Sive Sheerla hinterher, "Aber ich!" "Dass ich nicht lache! Du Knochengerüst erreichst doch niemals mein Tempo!" entgegnete Sheerla und joggte dabei ganz gemütlich neben Sive her. "Oh doch!" behauptete diese, obwohl sie genau wusste, dass sie im Laufen nicht mehr als guter Durchschnitt war. "He, schaut mal!" Durch all das hohe Gras öffnete sich urplötzlich eine Lichtung vor ihnen. Was Liam jedoch seinen Ausruf entlockt hatte, war die Tatsache, dass diese Lichtung voll bestanden war mit hohen Bäumen, deren Zweige sich unter dem Gewicht hunderter birnenartiger Früchte nur so bogen! "Leeeecker!" erscholl es aus drei halb verhungerten Kehlen, während sich vor ihrem inneren Auge Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, das sie nun schon so lange vermissten, zu einer gigantischen Fressorgie summierten. Mit glühenden Backen, weit aufgerissenen Augen und noch weiter aufgerissenen (Sabber)Mündern [Stellt sie euch in SD vor, ok? ;-) - Anm. d. Verfassers] galoppierten die Kinder dieser Pracht entgegen. Und hier schien dieses Mal der Hunger bzw. die Gier Trumpf zu sein, denn Sive erreichte die Lichtung als erste. Flink kletterte sie in die nächstbeste Krone und suchte sich auch gleich die dickste Birne aus. Herzhaft biss sie hinein. Genauso herzhaft spuckte sie wieder aus. "Wääääh!" Ihr Unmutsruf hallte über die ganze Wiese. "Das schmeckt ja widerlich!" Sich schüttelnd warf sie die angebissene Frucht weg - genau auf Neesans großen Zeh, der daraufhin in Gejammer ausbrach. Erstens, weil es weh tat und zweitens, weil es ihn furchtbar bekümmerte, dass diese Birnen allem Anschein nach ungenießbar waren! "Oh - sorry." entschuldigte sich Sive. Sie spähte hinunter. "Alles okay-hay-?-Aaaaah!" Nur einmal ruderte das Mädchen noch mit den Armen, dann verlor sie zum dritten Mal an diesem Tag das Gleichgewicht und flog mit Karacho vom Baum. Zum Glück wurde sie von Liam aufgefangen. "Danke, Liam." meinte Sive erleichtert und setzte das Gesicht auf, das ihrer Vorstellung von "charmant lächeln" am nächsten kam. "Oh - schon gut, keine Ursache." Liam sah zu Boden. "Er wollte dir nur helfen." rief Sheerla. Sie boxte Liam in die Rippe, was auch ihm einen Schmerzenslaut entlockte. "Jemand wie du hat eben Hilfe nötig." "Nein, so ist das nicht," beteuerte Liam noch, doch Sive hörte ihn nicht mal. "Grrrr... Du bist ja nur NEIDISCH!" "Waaas? Neidisch? Ich? Du hast sie wohl nicht mehr alle!" entgegnete Sheerla erbost. "Oh, doch! Ich hab sie wohl noch alle! Immerhin glaube ICH nicht an Nutellabäume!" "Und ICH kann wenigstens mein Gleichgewicht halten und beiße nicht in jedes x-beliebige Obst. Genauso wenig wie ich Mathehefte mitgehen lasse. Oder in jeder Schwimmstunde zu ertrinken drohe!" "Aaaach?!" zischte Sive. Sie war jetzt wirklich zornig. Sie und Sheerla hatten sich in Hitze geredet, obwohl sie doch eigentlich die besten Freundinnen sein konnten... wenn es ihnen auch noch schwer fiel, das zuzugeben. "Du bist ja dermaßen bescheuert! Der Einzige, der dich leiden kann, ist dein Bruder, und auch der nur, weil du ihn dazu zwingst! Du blöde Kuh, du kennst ja nicht mal das Alphabet! Und feige bist du außerdem, so wie du bei dem Dino gestern gebrüllt hast! Geschrien wie am Spieß hast du!..." donnerte Sive und vergaß dabei vollkommen, dass sie selbst genauso starr vor Angst gewesen war. "Feige??" brüllte Sheerla. Sie war ganz rot im Gesicht. "Ja, FEIGE!" entgegnete Sive in der gleichen Lautstärke, nur etwas schriller. "Feige, dumm und hässlich. Ich-mag-dich-nicht!!!" "Ich dich auch nicht! Und dabei war ich so nah dran, du dumme Ziege! Aber das war das erste und letzte Mal!" "Ach, rutsch mir doch den Buckel runter!" schrie Sive. Sie stürzte sich auf Sheerla, die kampflustig einen Schritt vor trat. Und Liam stand noch immer nur regungslos daneben. Er war ratlos, wusste ganz einfach nicht was er tun sollte. So oft hatte er erfolgreich den Streit zwischen den beiden schlichten können, aber in diesem Moment versagte er. Neesan war es, der die Situation rettete und die beiden Mädchen zur Räson brachte. Mit einem dermaßen ungewohnten Ausdruck der Entschlossenheit auf seinem schmalen Gesicht stand er auf, ließ seinen geprellten Zeh Zeh sein und brüllte so laut, dass es noch hinter dem Berg zu hören sein musste: "HÖRT AUF! Ihr blöden Kühe, HÖRT SOFORT AUF ODER ES SETZT WAS!!!" Mit geballten Fäusten funkelte er Sheerla und Sive an, bereit, dazwischen zu gehen, wenn sie es auch nur wagen sollten, noch eine einzige Bewegung aufeinander zu zumachen. "IHR SEID WOHL ÜBERGESCHNAPPT! Wir alle haben Hunger, Durst, sind in einer fremdem Welt, wissen nicht, was wir tun sollen und euch zwei Trotteln fällt nichts Besseres ein, als eure Zeit mit schwachsinnigen Streitereien zu verschwenden! Seid ihr eigentlich noch ganz richtig im Kopf?!" "Äh..." Ziemlich unangenehm berührt blickten Sive und Sheerla erst ihn, dann einander an. Neesan jedoch kümmerte das wenig, mit ein paar kurzen Schritten lief er auf die beiden zu und schüttelte sie kräftig durch. "Reißt euch gefälligst zusammen! Wisst ihr eigentlich, was ihr Liam mit eurem Kindergartenverhalten antut? Schaut euch den Ärmsten doch mal an!!" Jetzt wandten die beiden die Köpfe. Liam sah wirklich ziemlich mitleiderregend aus. "Hört doch auf," meinte er hilflos und hob die Hände, ließ sie wieder sinken. "Hört doch endlich auf." "Na?" fragte Neesan, das Gesicht vor Zorn verzerrt. Sein Auftritt war wirklich bühnenreif und eine solche Überraschung für Sheerla und Sive, dass die beiden nicht ein Wort herausbrachten. "So, jetzt hat's euch wohl die Sprache verschlagen?" vermutete Neesan, ganz plötzlich wieder in seinem normalen leisen, ruhigen Tonfall. Er seufzte, ließ die Schultern der beiden los und wies in Richtung eines Felsplateaus. "Und jetzt sehen wir uns da mal nach Essen um. Kommt!" Sein scharfer Befehlston ließ Sive und Sheerla sofort aufspringen. Auch Liam erhob sich langsam. "M...macht der so was öfter?" fragte Sive vollkommen verdattert, während sie, total aus der Fassung gebracht, in diesem Moment jeden von Neesans Wünschen mit Handkuss befolgt hätte. Sheerla machte eine Bewegung, die ebensogut ein Nicken wie ein Kopfschütteln darstellen konnte und folgt eiligst den ungeduldigen Rufen ihres schüchternen, sanftmütigen Bruders. "Mann." stieß Liam hervor, "Das war vielleicht was! Ich glaube wirklich, wir haben ihn unterschätzt." Sive konnte nur staunend nicken. "Wo bleibt ihr denn?" rief Neesan und winkte. Von einer Minute auf die andere sah er wieder durch und durch freundlich aus. Als könnte er keiner Fliege was zuleide tun. Liam lächelte. Auf einmal verspürte er eine ganz neue Art von Respekt für Sheerlas Bruder. VI. Begegnungen Der Berg, dem sie sich nun näherten, hatte sehr große Ähnlichkeit mit dem, in welchem sie die Nacht verbracht hatten, nur dass sein Gipfel nicht steil und kegelförmig abfiel, sondern ein breites, flaches Plateau bildete. Bei genauerem Hinsehen glaubte Liam sogar, einige kleine Punkte zu erkennen, die sich dort oben bewegten. Tiere vermutlich. Oder? Während sie näher kamen, fiel ihnen etwas Seltsames auf. Vom Fuße des Berges kamen nämlich Geräusche, die immer lauter wurden. Und diese Geräusche klangen wie... Stimmen! Die Kinder konnten es kaum fassen. "Was... ist das?" fragte Neesan verwirrt, während sie sich rasch näherten. "D...das sind Menschen, Neesan!" rief Liam, obwohl er es selbst kaum glauben konnte. "Es gibt wirklich Menschen hier! Kommt, wir müssen sie erreichen, bevor sie weg sind!" Und er begann zu rennen. Bis jetzt schien es allerdings nicht so, als hätten die Menschen, die die Kinder hörten, vor, sich zu entfernen. Im Gegenteil, je näher sie kamen, desto deutlicher ahnten die Vier, dass sie soeben im Begriff waren in einen handfesten Streit hereinzuplatzen. "Jetzt rennt doch nicht so!" wandte Sive keuchend ein, "Was, wenn es Feinde sind? Oder Steinzeitmenschen, ihr wisst schon, solche Typen mit Fell und Keule, die uns kochen wollen?!" "Glaubst du, die sprächen Englisch?," entgegnete Sheerla und bevor irgend jemand sie zurückhalten konnte, war sie auch schon aus den Büschen herausgeplatzt. "Oh!" "Wie?!" "Was... Sheerla!" rief Liam, der hinterdrein gerannt kam, gegen sie prallte und zu Boden fiel. Sand in den Haaren, schüttelte er sich wie ein Hund und konnte gerade noch warnen: "Achtung, Sive!" Doch es war bereits zu spät. Auch Sive kam aus dem Gebüsch geprescht, stolperte über Liam und machte ebenfalls nähere Bekanntschaft mit dem Erdreich. "Nees-" Der Angesprochene erschien wie ein Wirbelwind, flog in hohem Bogen über seine Schwester und dem ächzenden Liam direkt in die Magengrube. Da lagen die vier und fanden nun erst die Zeit, die Fremden genauer zu betrachten. Es waren etwa zehn Jungen und Mädchen aller Altersgruppen, in deren Mitte die vier Kinder Hals über Kopf gelandet waren. Offensichtlich zu ihnen gehörte ein rotes Fahrzeug, das ein paar Meter entfernt geparkt stand. Abgesehen davon, dass die Fremden alle mehr oder weniger identische Uniformen trugen, die allem Anschein nach aus irgendeinem Flohmarkt-Fundus stammen mussten, wirkten sie recht normal. Allerdings schienen sie mit Verlaub nicht das Gleiche von Liam, Sive, Neesan und Sheerla sagen zu können, denn sie begafften sie mit offenen Mündern. Sive, Sheerla, Neesan und Liam starrten zurück, sehr verwirrt und irgendwie unsicher. Es fühlt sich nun mal ein wenig seltsam an, wenn Fremde einem das Gefühl geben, ein Tier im Zoo zu sein. Sekundenlang saßen sie einfach nur so da, zu schüchtern, etwas zu sagen. Offenbar schienen die Fremden auch nicht so ganz in der Stimmung für einen Plausch zu sein. Ein paar Mädchen wirkten eher, als seien sie einer Ohnmacht nahe. Um das Unbehagen zu zerstreuen, rappelte Liam sich auf, wischte sich die Hände sauber und meinte: "Tag. Kommt ihr auch von der Erde?" Woraufhin die Fremden die Münder womöglich noch 10 Zentimeter weiter aufsperrten. "Wie... von der Erde?" japste schließlich der allem Anschein nach Älteste und zwang sich sichtlich, den Mund zu zu machen. "Na ja..." Liam lachte verlegen. "Hey, wir täuschen einfach vor, dass wir das Gedächtnis verloren haben, dann brauchen wir nichts zu erklären und werden nicht ins Irrenhaus gebracht, ok?" flüsterte Sive ziemlich laut. Alle Blicke wandten sich ruckartig ihr zu. Sive zuckte nervös mit den Augenbrauen. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Mutig entschloß sie sich, einfach höflich zu sein und winkte ein bisschen. Man muss sich vorstellen, wenn man in fremde Gesellschaft kommt, fiel Liam ein. Leicht verlegen kratzte er sich am Kopf. "Also, nun....", er machte eine weit ausholende Handbewegung, "Ich bin Liam. Das ist Sive, und das da sind Sheerla und Neesan. Wir... äh... haben uns verirrt, wissen nicht wo wir sind...." Als er die sonderbaren Mienen der Umstehenden bemerkte, musste er sich zwar arg zusammenreißen, fuhr jedoch fort: "Nun... wir wüssten gern, wo wir sind...." Essen und Kleidung schminkte er sich vorerst lieber ab. Zuerst würden sie mal die Formalitäten klären müssen, auch wenn das garantiert eine Menge Zeit in Anspruch nehmen würde. "W... wer seid ihr??" stieß ein blauhaariges Mädchen hervor und fuchtelte nervös in der Luft herum. "Ähm... nun, das hat er gerade gesagt." erklärte Sive und schielte kurz hinüber zu Sheerla und Neesan. "Sagt doch auch mal was," zischte sie. Wieder zu laut. Wieder starrten alle sie an. "Ähm... und was machen wir jetzt mit denen?" ließ sich zaghaft ein Junge in grüner Kleidung vernehmen. "Keine Ahnung," antwortete ein Mädchen mit kurzen, braunen Haaren, während sie fortfuhr, die Erwähnten stumm zu mustern. Sive pfiff die Nationalhymne. "Ähm... und ihr kommt wirklich von der Erde?" fragte der Älteste in die peinliche Stille hinein. "Ich glaub ihnen kein Wort!" warf ein blonder Junge ein, der mit verschränkten Armen daneben stand, gleich unterstützt von einem anderen mit kurzem, schwarzem Haar: "Genau! Das sind bestimmt Spione!" "Was für Spione?" fragte Sheerla interessiert. Soeben hatte sie entschieden, dass sie nun lange genug verlegen in die Gegend geguckt hatte und auch mal etwas Produktives zum zäh fließendem Gespräch beitragen wollte. "Solche wie James Bond? Den guckt meine Mama immer..." Sheerla wiegte den Kopf. "Schon gut, schon gut," lachte nervös der Älteste und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er musste ganz schön schwitzen, es war nämlich bereits das fünfte Mal, dass er diese Bewegung vollführte. "Aber wo genau kommt ihr denn jetzt her?" "Aus dem Schwimmbad." entgegnete Sive patzig, "Sieht man das denn nicht?" "Ähm... nun ja..." Mit sehr viel Fantasie konnte man die verdreckte, zerrupfte Kleidung, die die Vier trugen, durchaus noch als Badeanzüge identifizieren. "Also... von der Erde?" fragte vorsichtig und schnell ein Mädchen im rosa Kleid. Mit dem Zeigefinger fuhr sie dabei kurz in der Luft einen Kreis nach. "Ja. Von der Erde." nickte Liam und seufzte erleichtert auf. So langsam schienen sie es zu begreifen. "Also kommt ihr auch von der Erde!" stellte ein kleines Mädchen etwa in ihrem Alter fest. "Genau wie wir!" "Äh... ja." erwiderte Liam. Hilfesuchend blickte er Sive und Sheerla an. Neesan schien wieder mal auf den Mund gefallen zu sein. Jetzt reicht's aber langsam, dachte ungeduldig Sive und beschloss, einfach zu fragen: "Habt ihr was zu fres... äh, zu essen für uns? Wir haben nämlich seit vier Tagen nichts mehr zu beißen bekommen!" Anklagend wies sie ins Leere, als stünde dort versteckt ein gehässiger Fruchtbarkeitsgott, der sie bei der Brotausgabe mit voller Absicht übergangen hatte. "Sive, es waren nur zwei Tage." flüsterte der wahrheitsliebendere Neesan und schwieg dann schnell, als habe er schon zu viel gesagt. Verlegen fixierte er wieder seine Fingerknöchel. "Ja. Ja genau. Zwei Tage. Hab ich ja gesagt." meinte Sive schnell. Wieder sah sie in die Runde. Oh-oh. Ihre Taktik schien die falsche zu sein, denn der Blonde mit dem Zopf fuhr wütend auf: "Na hört mal, erst fallt ihr hier ohne jede Einladung aus den Büschen, starrt uns dumm an und jetzt wollt ihr auch noch unsere Vorräte plündern! Sonst noch was?" "Ähm... Kleidung?" fragte Sheerla vorsichtig. Mit der einen Hand deutete sie auf ihren Badeanzug, im Zweifel, ob die Fremden zumindest das kapieren würden. "Ziemlich kalt nachts... ihr versteht?" Sie sah gerade noch, wie der Blonde einen heftigen Wutanfall bekam. "Jetzt beruhige dich, God." hörte sie das Mädchen im rosa Kleid beschwichtigend sagen, "Sie sehen doch wirklich verfroren und ganz mitgenommen aus. Es sind Kinder, das musst du verstehen. Sie haben bestimmt viel durchmachen müssen." Ihre Augen blickten mitleidig die Vier an. "Ja... eine Woche kein Essen!" behauptete selbstzufrieden Sive, die das plötzliche Mitleid allein ihrer genialen Frei-heraus-Taktik zuschrieb. "Von wegen eine Woche! Eben waren es noch zwei Tage!" schimpfte der mit den kurzen schwarzen Haaren. "Genau! Hier ist kein Platz für Schnorrer! Verschwindet!" Der Blonde funkelte sie wütend an. Das jedoch erregte Sives Widerspruchsgeist. "Nix zwei Tage! Eine Woche war es, und noch drei Tage mehr! Ihr Geizhälse!" "Sive? Glaubst du wirklich, dass diese Taktik uns Vorteile verschafft?" bemerkte Sheerla trocken, doch ihre ganz nebenbei gestellte Frage ging im allgemeinen Trubel unter. Sive war drauf und dran, einen Streit vom Zaun zu brechen, erkannte Liam. Schnell griff er ein. "Ähm... das ist doch jetzt nicht so wichtig, wie lange wir nichts zu essen hatten, oder Sive? Tatsache ist, dass wir für Nahrung natürlich auch zahlen würden, wir... äh... könnten ja auch spülen, wenn ihr wollt..." "Spülen? Kommt gar nicht in Frage!" sagte entschlossen die "Rosane", wie er das mitleidige Mädchen bereits innerlich getauft hatte. Irgendwie erinnerte sie ihn an seine Mutter. Mit ein paar Schritten kam sie zu ihnen herüber, kniete sich vor Neesan hin und fragte besorgt: "Hast du dir weh getan, Kleiner? Doc kann dich verarzten, wenn du willst." "Oh... nein. Alles ok." antwortete Neesan überrascht. "Nur... ähm..." Hilfesuchend schaute er Liam an. Die Rosane war mittlerweile aufgestanden, hatte sich zu den anderen umgedreht und erklärte: "Wir nehmen sie mit." "Waaas?!" entfuhr es dem Blonden. "Sag mal, spinnst du jetzt vollkommen, Princess? Ich meine...." Er suchte nach abschwächenden Worten, als er ihr beleidigtes Gesicht bemerkte, doch der "Älteste" mischte sich ein. "Nun..." begann er bedächtig und mit einer gewissen Panik im Blick, "wir..." Plötzlich ein Schrei. "Ah!" rief das Mädchen mit der türkisfarbenen Uniform, sprang zur Seite und wurde gerade noch von dem mit den kurzen braunen Haaren aufgefangen. "Alles in Ordnung, Young Lady?" fragte er besorgt. "Ja. Schon gut, Crybaby... aber seht doch!" Alle Blicke wandten sich dem Baum zu, auf den Young Lady angstvoll deutete. Ein schimmernder Pfeil stak in der Rinde. "Oh nein! Die Armee! Wir müssen hier weg!" schrie die Blauhaarige. "Aber was ist mit Boss, Tiger und Tank?" fragte Crybaby unruhig. "Wir können doch meinen Bruder nicht einfach hier lassen!" "Die sollen selber sehen, wie sie klar kommen. Um die kümmern wir uns später!" entschied schnell der Blonde. "Nun?" fragte leicht spöttisch die Blauhaarige, "und was tut ein Anführer in dieser Situation?" "Ähm... also..." So genau schien er das auch nicht zu wissen. Anführer? Der?, dachte Sive grummelnd bei sich. Was mit ihnen geschehen sollte, war ihr immer noch schleierhaft. Sie traute diesen Fremden nicht sonderlich. Die schienen irgendwie alle zu spinnen. "Alle ins Auto!" befahl der Blonde, der seine Fassung wieder zu haben schien. "Zans! Wir müssen Zans mitnehmen!" begehrte ein Junge auf, der bis jetzt noch kein Wort gesagt hatte. "He, lass mich!" rief er, als der Blonde ihn trotz aller Proteste hoch hob und zum Auto trug. "God? Und was gedenkst du mit den Kindern hier zu machen?" fragte die Rosane streng. Fürsorglich hielt sie Neesans Hand. Der Blonde fuhr herum. "Die... äh... ach, mach keinen Quatsch, Princess, komm schnell ins Fahrzeug, verdammt noch mal!" Weitere Pfeile schwirrten, einige bohrten sich in die umstehenden Bäume, die anderen verschwanden im Gebüsch. "Ihr... wir..." Sive bekam es mit der Angst zu tun. "Liam, wir müssen Deckung suchen!" schrie sie und sprang auf. "Bis die Typen sich entschieden haben, sind wir Siebe! Hauen wir ab! Los, komm schon!" Ihr Freund, der noch immer ratlos in die Gegend schaute, sah auf. "Äh... ja..." murmelte er, erhob sich langsam und sandte einen flehenden Blick zu der Rosanen und dem Ältesten, den Einzigen, die außer dem Blonden noch nicht im Fahrzeug waren. "President?" fragte die Rosane bittend, jedoch mit einer unterschwelligen Hartnäckigkeit in der Stimme, die verriet, dass sie sich nicht aufs Bitten beschränken würde. Sanft legte sie den Arm um Neesan, der daraufhin errötete. Nicht alle Tage wurde ihm solche Aufmerksamkeit zuteil. "Na ja, also..." President sprang nervös zur Seite, als direkt zu seinen Füßen ein Pfeil nieder ging. "Jetzt mach doch!" brüllte der Blonde, Princess' Worte ignorierend. Neesan blickte President an, Sheerla ebenso, und irgendwie schien das seinem Herzen einen Stoß zu geben. Er schluckte und meinte: "...von mir aus können wir sie mitnehmen, Princess..." Das "Kommt überhaupt nicht in Frage!" des Blonden überhörte Princess geflissentlich, nahm Neesan bei der Hand und ging mit ihm ins Auto. Sheerla folgte schnell. Es war auch höchste Zeit, denn mittlerweile hatte sich ein weitläufiger Kreis aus sonderbaren Gestalten, die auf Dinosauriern ritten, um die letzten Verbliebenen gebildet. "Also, alle rein!" rief der President und wedelte in der Luft herum. "Hmpf," machte der Blonde und sprang hinters Steuer. "Wenn ihr euch unbedingt zusätzliche Probleme aufladen wollt, dann holt die drei Bälger eben rein! Aber der Rotzlöffel," - er sprach von Sive - "bleibt hier!" Draußen wurde es immer brenzliger. "Komm, Sive!" schrie Liam und eilte erleichtert ins Auto. President sprang hinterher... nur Sive nicht. Sie stand wie angewachsen auf dem Platz, guckte in die Gegend und murmelte: "Schon gut, Liam, geht ihr nur, ich bleib hier... wenn die Typen mich nicht dabei haben wollen, dann eben nicht! Ich dräng' mich niemandem auf, ich nicht!" Sie zog eine Schnute und machte durchaus den Eindruck, als wollte sie bis zum Ende ihrer Tage dort stehen bleiben. "Sive! Du machst mich noch verrückt!" erscholl es drinnen im Auto. Sheerlas Schopf tauchte in der Tür auf, wurde jedoch von einigen Armen zurückgehalten und wieder nach hinten verfrachtet. Ihr "Lasst mich! Ich muss diese Irre holen!" verklang in den Tiefen des Fahrzeugs. "Tschüs, Sheerla..." murmelte Sive und starrte zu Boden. Sie war beleidigt und stur. Sehr, sehr stur. Liam seufzte. "Sive..." begann er. Sie hatten jetzt wirklich keine Zeit mehr, verdammt! "Ich fahr jetzt los!" verkündete der Blonde. "Aber nein... God... du kannst doch nicht..." erwiderte hilflos der Älteste, der noch immer mit Liam in der Tür stand. Das schien Sive zur Vernunft zu bringen. "Neeeeeein!" brüllte sie. "Wartet auf mich! Ich komm doch mit!!" Sie rannte auf das Auto zu, schniefte, war gekränkt in ihrem Stolz. Pfeile zischten, Sive schrie, stolperte. "Sive!" Liam sprang von der Treppe ins Gras, seiner Cousine entgegen. Das Auto setzte sich langsam in Bewegung. Im allerletzten Moment gelang es Sive, Liams linke Hand zu ergreifen. President packte seine Rechte und zog sie ins Auto. Ein Pfeilhagel setzte ein, die Tür schloss sich in letzter Sekunde und das Fahrzeug brauste davon. "Aber was ist mit Boss, Tiger und Tank?" ließ sich noch eine hysterische Stimme vernehmen, dann war Ruhe. Text & Story (c) by Amber 2001/2002 Illustrations (c) by Willow 2001/2002 Idee (c) by Curse! (Willow, Priss-chan & Amber) 2001/2002 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)