Heilloser Romantiker von Pansy ================================================================================ Kapitel 63: Kapitel 63 ---------------------- Kapitel 63 „Serrat…“ meinte Damon mehr zu sich selbst. Joe sah ihn zerknirscht an. Das, was er nicht geglaubt hatte, war nun doch die Wirklichkeit. Und dieser Mann erdreistete sich auch noch, Serrats Namen in seiner Gegenwart auszusprechen. Ihm war danach, Ricks Vater grob an den Schultern zu packen und ihm anschließend eine Faust in den Magen zu rammen. Er hatte sich vor einer halben Ewigkeit das letzte Mal geprügelt, aber jetzt war ihm wieder einmal danach. Barsch schob er den Couchtisch weg und legte nun wirklich Hand an Damon an, zog diesen jäh hoch, auch wenn ihm das viel Kraft kostete. Er funkelte ihn an und hasste mittlerweile diese Kälte gepaart mit Verzweiflung, die ihm entgegenblickte. „Was wird das?“, knurrte der Ältere. „Vielleicht sollte ich dir das ganze Leid zurückgeben, das Rick wegen dir ertragen musste. Wie kann man als Vater nur auf die Idee kommen, einen Kerl wie Alexandros auf ihn zu hetzen? Wie krank muss man dafür sein. Ich glaube, dafür brauche ich nur in deine Visage blicken. Und du willst jetzt eingesehen haben, was du angerichtet hast. Wirklich brillant!“ Joe war so aufgebracht, dass er die Worte förmlich ausspie. Unwirsch riss sich Damon los und starrte ihn an. „Kannst du das wiederholen?“ Die Frage kam nicht aus Wut und nicht aus Spott, was den Blonden zunächst den Wind aus den Segeln nahm. Doch anschließend fühlte er sich gelinkt. „Ich nehme dir die Tour des Unschuldsengels nicht ab!“, schrie er. Seine Hand zitterte bedrohlich. „Was… Oh mein Gott!“ Plötzlich wurde Damon ganz blass. „Das war doch nur… betrunkenes Gewäsch…“ Fassungslos blickte er Joe an, der kurz davor war, ihn erneut zu packen. Doch bevor er Ricks Vater tatsächlich eine verpasste, drangen die letzten zwei Worte auch zu ihm durch. „Soll das heißen…“, er stutzte. Fahrig fuhr er sich durchs Haar und merkte, wie schnell sein Herz in seiner Brust schlug. „Du willst mir hier nicht gerade weismachen, dass Serrat ohne deine Einwilligung gehandelt hat!?“ „Wir hatten einmal ein wenig philosophiert…“ Wie das klang! Und schon war Joe wieder wütend. „So nennt man das also, wenn man seinen eigenen Sohn an andere verkauft, ja?“ „Geld war gar nicht im Spiel!“ „Grrr, du machst mich ganz krank. Hast du nun was mit Ricks Entführung zu tun oder nicht?“ „Ich weiß es nicht.“ Er sackte auf die Knie, zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten. „Damals hielt ich das selbst für einen grandiosen Einfall“, fügte er leise an, noch immer die Kühle nicht gänzlich verloren. „Also muss die Antwort ’ja’ lauten.“ Da Joe gar nicht mehr wusste, was er noch sagen sollte, verharrte er und sah auf den Menschen, der vor ihm kniete hinab. Ob er nun Hass oder einfach nur Zorn gegen ihn hegte, konnte er nicht mit Gewissheit sagen. Jedenfalls brodelte es noch immer in ihm. „Ich saß wie so oft in der Kneipe und ließ mich voll laufen. Das hatte ich irgendwann angefangen, nachdem Rick mit dir weggezogen war“, erzählte Damon völlig in Gedanken versunken. „Des Öfteren traf ich dort Serrat, doch an jenem Abend unterbreitete er mir etwas, das für mich Balsam war. Rick diese Liebe auszutreiben war wie eine Erlösung…“ Unentwegt hielt Joe seine grünen Augen auf Damon gerichtet, ohnmächtig sich zu rühren. Es war einfach nur erbärmlich, was sich da eben abspielte. Und er fühlte sich wie versteinert. Als ob jemand einen Schalter in ihm umgelegt hätte, der ihn dazu zwang, seinen Körper lediglich als Hülle wahrzunehmen, die er nicht steuern konnte. „Je ausführlicher Serrat wurde, desto mehr ging ich darauf ein. Wir kippten dabei ein Bier nach dem anderen und heizten uns mit neuen Details immer weiter an. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Stunden vergangen waren, bis sich die Welt zu drehen begann… Und ich dachte immer, ich hätte seine letzten Worte nur eingebildet.“ Damons Blick klärte sich und bedeutungsvoll sah er nun auf. „Er wird euch erst in Ruhe lassen, wenn…“ „Wenn was?“, fragte Rick aufgebracht. Die ganze Zeit über hatte er Joe zugehört, seine Hand fest in seinen gehalten. Seit der Blonde zurück war, hatte er darauf beharrt zu erfahren, was er herausgefunden hatte. Doch bevor er zu erzählen begonnen hatte, hatte er seine Mutter verabschiedet und Rick erst einmal innig geküsst. Insbesondere aber als er nicht damit aufgehört hatte, ihn niedergeschlagen zu betrachten, hatte der Dunkelhaarige die Spannung nicht mehr ertragen können. Wie jetzt auch hatte er ihn ernst angesehen. „Er hat nur eine vage Andeutung gemacht, doch selbst diese sollte unausgesprochen bleiben.“ Dass Joe damit nur die halbe Wahrheit von sich gab, wusste der andere nicht. „Das kannst du nicht machen, Joe! Erst lässt du mich allein und nun möchtest du mir das verschweigen? Tu mir das nicht an… bitte…“ Langsam schlossen sich die Lider des Größeren und er seufzte auf. „Du würdest ihn abhalten.“ „Von was?“ Rick zerquetschte Joes Hand regelrecht. „Sag mir bitte, von was!“ Alsbald gab Joe das dunkle Grün wieder preis. „Ich habe doch Recht, wenn ich behaupte, dass du ihn aufhalten würdest? Auch wenn du die ganze Zeit dachtest, du würdest ihn bis zum Ende deines Lebens hassen.“ „Joe?“, wisperte Rick. „Du bist einfach zu gut für diese Welt“, lächelte Joe bedauernd. „Warum sollte ich ihn von irgendetwas abhalten? Er hat sich doch auch nicht um mich gekümmert.“ Als Rick das sagte, konnte er den Blicken des anderen nicht standhalten. Er biss sich anschließend auf die Unterlippe, weil er dieses Gefühl in sich, das Joes Worte bejahte, nur allzu deutlich verspürte. „Aber nun weißt du, dass Serrat von sich aus gehandelt hat.“ Zärtlich strich Joe ihm mit einer Hand durchs haselnussbraune Haar. Hauchte einen Kuss auf seine Stirn. „Für ihn gibt es kein Zurück.“ „Er…“ Bebend löste sich Rick von seinem Freund. „Was hat er vor?“, fragte er kurze Zeit später scharf. Als Joe immer noch nicht mit der Antwort rausrücken wollte, entfernte er sich ein paar Schritte gen Tür. „Dann finde ich es eben selbst heraus!“ „Rick, warte!“, rief der Blonde ihm hinterher und sprang vom Bett auf, auf dem sie beide gesessen hatten. Im Flur bekam er ihn zu fassen. „Lass mich los!“, schrie Rick und riss seinen Arm los. „Jetzt sei doch vernünftig.“ Der Kleinere wandte sich ihm zu und funkelte seinen Freund an. „Ach, weil du das immer bist, oder was!? Warum sollst immer nur du das Recht haben, einfach zu gehen, wenn es dir beliebt? Hast du dich einmal gefragt, wie es mir dabei geht? Gestern Nacht zum Beispiel wollte ich in deinen Armen einschlafen, aber der werte Herr hatte es nicht nötig, mich mitzunehmen! Allmählich habe ich keine Lust mehr, immer nur Verständnis zu haben. Es reicht für ein- und allemal. Entweder du sagst mir jetzt, was er macht oder ich verschwinde augenblicklich von hier!“ Derart aufgelöst hatte Joe den Dunkelhaarigen noch nie erlebt, aber seine Worte hatten gesessen. Er schluckte und streckte eine Hand nach ihm aus, die grob weggestoßen wurde. Anschließend machte Rick die Wohnungstür auf und ging. Erst als Joe die Halle der Schritte auf der Treppe vernahm, löste er sich endlich aus seiner Starre und rannte seinem Freund hinterher. Rick war bereits aus dem Haus gestürmt. „Jetzt warte doch!“, rief der Blonde ihm hinterher, doch er reagierte nicht. Er hatte Mühe, Rick einzuholen, schaffte es letztenendes nach ein paar hundert Metern aber doch. Zwanghaft brachte er ihn zum Stehen. „Du darfst das nicht mit ansehen!“, meinte er keuchend. „Entweder lässt dich mich auf der Stelle los oder ich werde zur Furie.“ „Okay, dann geh’.“ Er lockerte den Griff. Rick war dermaßen irritiert, dass er gar nicht realisierte, dass er jederzeit weiterlaufen konnte. „Gut…“ Mehr Worte drangen nicht über seine Lippen. Dann setzte er sich wie in Trance doch wieder in Bewegung. „Er wird euch erst in Ruhe lassen, wenn…“ Damon schwieg einen Moment. „Wenn ich mich für seiner statt opfere.“ In Joe schnürte sich alles zusammen und konnte nichts weiter als den Worten des anderen zu lauschen. „Früher war er einmal mein Freund gewesen, doch als seine Frau mit der gemeinsamen Tochter abgehauen ist, hat er sich verändert. Er hatte es selbst zu verschulden gehabt… Nur habe ich seine Veränderung auch noch gutgeheißen. Die gewaltige Härte und Skrupellosigkeit, die er plötzlich an den Tag legte, waren genau das, was ich alsbald an ihm schätzte. Wir wurden regelrecht zu Verbündeten, die ein Ziel hatten: Rache! Etwas gegen die unternehmen, die uns verpönt hatten. Als wir an dem Abend in der Kneipe saßen und ich eindeutig zu viel Alkohol intus hatte, wollte er wissen, ob ich wirklich so weit gehen würde im Verrat meines Sohnes. Ich hatte mir vorgestellt, wie Rick eine Schwiegertochter nach Hause brächte, und erwiderte voller Inbrunst der Überzeugung, dass ich es würde. Es hatte sich in dem Rausch auch verdammt gut angehört gehabt. Er wollte testen, ob ich nur ein verweichlichter Taugenichts war oder ein die Liebe verachtender Mensch wie er. Als ich mit dem Kopf nickte, zählte ich mich wahrlich zu den letzteren und es war toll. Ich spürte auf einmal die Macht, die mir zuteil werden konnte respektive die ich schon hatte… Ich kann deinen entsetzten Blick auf mir spüren, Joe. Aber ich muss auch heute noch bestätigen, dass Macht mir etwas gibt, was selbst die größte Liebe zu meiner Frau nicht übertreffen kann.“ Langsam richtete sich Damon auf und nahm sich sein Glas vom Tisch. Als er seine Kehle mit Flüssigkeit benetzte, begann er zu lächeln. „Ich bin abstinent“, meinte er, als er das Glas wieder abgestellt hatte. Joe stand immer noch wie angewurzelt da und sagte nichts. Mitternacht rückte immer näher und er hörte in Gedanken bereits die Turmuhr zwölf Mal schlagen. Dumpfe Laute, die von weit her an seine Ohren drangen. „Und jetzt?“, brachte er irgendwann mühsam hervor. Was würde nun geschehen? Was würde er tun, um Alexandros und Serrat ein- für allemal Rick vom Leib zu halten? Bisweilen wollte Joes Verstand nicht recht verarbeiten, was er eben alles erfahren hatte. Wie ein Mensch derart von sich sprechen konnte, ohne sich dabei auch nur annähernd verteidigen zu wollen. Tatsachen darzulegen, die mit Vernunft nichts mehr zu tun hatten. Unkontrolliert fuhr er sich mit einer Hand seinen einen Arm auf und ab. Er konnte es einfach nicht begreifen, wie sich Damon nun wie aus heiterem Himmel völlig gelassen sein Wasser oder was es auch immer einverleiben konnte. Es war schlichtweg skurril. „Serrat hat ganz dicht hinter mir gestanden, als er die Bestätigung dafür hatte, dass ich bis zum Äußersten gehen würde“, fuhr der Ältere nun fort, während er das Glas wieder füllte. „Und in diesem Moment habe ich die Macht gespürt, die von ihm ausging. Ob sie mich in Schrecken versetzte oder mich nach selbiger streben ließ, kann ich dir heute nicht sagen, aber sie zog mich zweifelsohne in ihren Bann. Ob durch eine Starre der Angst veranlasst oder durch die Faszination des Erreichten…“ Damons Augen fingen seltsam zu glänzen an und er fuhr sich bedächtig übers Kinn. Allein diese Geste war Joe vollkommen zuwider, doch er zwang sich zur Beherrschung. Gerade jetzt musste er sich zügeln. „Seine Lippen kamen meinem Ohr stetig näher und ich fühlte seinen heißen Atem in meinem Nacken. Jede Silbe war wie ein Nadelstich in mein vom Alkohol betäubtes Fleisch.“ Nachdenklich sah er gen Fenster. „’Sobald du zauderst, gehörst du mir.’… Nun, Joe. Jetzt weißt du, was ich zu tun habe.“ /Das kann ich Rick doch niemals ins Gesicht sagen!/ Joe focht einen inneren Kampf aus und Minuten später kam er noch immer zu keinem Entschluss. So gerne er Rick gegenüber offen sein wollte, das konnte er ihm gewiss nicht ohne weiteres auf die Nase binden. Zumindest nicht unverblümt und gerade heraus. „Gefällt es dir, mir nachzuschleichen?“, murrte der Dunkelhaarige, der natürlich gemerkt hatte, dass ihm sein Freund folgte. Dafür brauchte er nicht einmal dessen Schritte auf dem Asphalt vernehmen, denn allein schon seine Präsenz genügte, die er auch ohne Hör- oder Sehsinn wahrnahm. „Meinst du wirklich, ich lasse dich einfach so gehen!?“ Umsonst war er nicht wie in Trance weitergelaufen, aber das musste Rick ihm nicht hier und jetzt gestehen. „Jetzt bleibe doch mal stehen!“, wurde er aufgefordert, doch er dachte nicht daran. Obgleich er nicht wusste, was sein Vater vorhatte, war er sich sicher, dass es nicht mit Belanglosigkeiten in Verbindung gebracht werden konnte. Rick rechnete damit, dass Joe ihn am Arm packen würde, doch jedwede Berührung zwischen ihnen blieb aus. Der Blonde holte lediglich so weit zu ihm auf, dass sie nun nebeneinanderher liefen. Ja, er konnte Joes Augen auf sich spüren, wenngleich er nicht zu ihm blickte. Einen sorgenvollen Blick, den er schon so oft wegen ihm innegehabt hatte. „Warum sollte ich hier und jetzt stehen bleiben? Um damit meinem Vater einen weiteren Vorsprung zu gewähren? Ihn ziehen lassen, damit er… ja was?“ Wütend funkelte Rick seinen Freund nun an. „Was möchtest du mir denn nicht sagen? Denkst du, ich könne es nicht ertragen in meinem derzeitigen Zustand? Wie geht es mir denn überhaupt?“ Nachdem er tief Luft geholt hatte, fuhr er gereizt fort: „Nur weil ich ein paar Tage sozusagen nicht am Leben teilnehmen habe dürfen, bin ich noch lange kein sentimentales Wrack, das die Wahrheit nicht erträgt!“ Obgleich er seine Gefühle der vorigen Nacht damit auf den Punkt gebracht hatte, verstärkte er seine Worte, indem er Joe fest in die Augen blickte. Vielleicht mochte er ein niedergeschmettertes Stück Elend sein, aber das gab keinem das Recht, ihn derart zu behandeln. Schnaubend setzte er einen Fuß vor den anderen. Rick bemerkte erst sehr spät, dass aus Joes Gesicht jedwede Farbe gewichen war. „So denkst du also“, meinte der Blonde irgendwann leise und blieb anschließend stehen. Für einen Moment war der Kleinere vollkommen über sich selbst entsetzt, weshalb er ebenfalls stehen blieb und eine Hand auf Joes Wange legte. „Nein… nicht direkt“, hauchte er. Das Volumen seiner Stimme war plötzlich nicht mehr präsent. „Wie dann?“, fragte Joe an, der unter der sachten Berührung die Augen schloss. Viel war in den letzten Stunden geschehen, dass sogar die kleinste Nähe eine Wohltat war. „Ich kann diese ständige Besorgnis nicht mehr ertragen“, erklärte Rick leise. Joes Miene verfinsterte sich immer weiter, was dem anderen nicht entging. Deshalb fügte er an: „Auf mich muss nicht immerzu Rücksicht genommen werden. Manchmal ist eine Holzhammernarkose eben besser als der Samthandschuh.“ „Du brauchst dich nicht rechtfertigen“, meinte der Größere, hielt dabei die Augen immer noch geschlossen, nachdem Ricks Hand nicht gewichen war. Blind tastete er nach dem Kinn des Dunkelhaarigen und zog ihn in einen langen Kuss, umspielte in leidenschaftlicher und doch melancholischer Manier dessen Zunge. /Auch du darfst mal aus deiner Haut fahren. Nur hatte ich angenommen, dass es nicht mich treffen würde, dem du an den Kopf wirfst, was in Wahrheit in deinem Inneren vor sich geht./ „Setzen wir uns in ein Café, dann erkläre ich dir, weshalb du ihn nicht aufhalten darfst“, meinte Joe ein wenig atemlos. Anschließend richtete er das satte Grün seiner Augen auf seinen Freund, der noch auf eine Reaktion warten ließ. „Einverstanden“, erwiderte er aber dann und verschränkte eine seiner Hände mit Joes. Als sie heißen Tee vor sich stehen hatten, wuschelte Joe dem Kleineren einmal kurz durchs Haar. Er konnte einfach nicht anders. Es war eine Geste, die ihm seit einer kleinen Ewigkeit zuteil war und wohl immer zu ihm gehören würde. „Halte deine Abmachung ein!“, mahnte Rick gehetzt. In ihm schlugen die Emotionen Purzelbäume, insbesondere die Unruhe, die er wegen seinem Vater hegte. Eigentlich sollte er ihn abgrundtief hassen für das, was er in die Wege geleitet hatte, und doch tat er es nicht. Zumindest nicht in der Intensität, die ihm zustand. Was er gegenüber Damon empfand, konnte er bisher nicht einmal vage in Worte fassen; nur wusste er, dass er es ihm niemals verzeihen könnte, wenn ihm etwas wegen solch einer Freundschaft zu Serrat etwas zustieße. „Ich habe sie nicht vergessen, keine Sorge. Nur fällt es mir nicht gerade leicht, das wiederzugeben, was er mir mitteilte.“ Entschuldigend hob Joe seine Schultern an und drückte eben diese reumütige Haltung auch durch seine Mimik aus. Daraufhin sagte Rick nichts. Stattdessen saß er einfach nur da und blickte ihn unverwandt an; durchbohrte ihn regelrecht mit seinen meerblauen Augen. Nichts konnte ihn hier und jetzt noch daran hindern zu erfahren, was Sache war. „Mach’ schon!“, forderte er ihn dann doch auf, als Joe nach drei Minuten immer noch nichts erzählte. „Ja, ja“, seufzte er ergeben. „…“ „Ja?“ „… Dein Vater meinte, dass er ihm gehöre, wenn er einen Rückzieher machen würde. Und anscheinend hat er eben diesen in Anspruch genommen. Er war im Urlaub, während du in Serrats Gewalt warst.“ Joe konnte beobachten, dass hinter Ricks verhärteter Miene vollkommene Unruhe herrschte, aber er stoppte nur kurz in seiner Berichterstattung, sofern man das so nennen konnte. Vielmehr war er der Überbringer der Hiobsbotschaft per excellence, was ihn sichtlich zermürbte, wenngleich er sich das im Gegenzug nicht anmerken lassen wollte. „So angeheitert wie Damon war, kann er sich heute nicht mehr an jedes Detail erinnern, das Serrat ihm zuletzt zugeraunt hatte. Womöglich hat dieser schmierige Kerl diese Situation schamlos ausgenutzt!“ Wütend nahm Joe seine Tasse in die Hand und genehmigte sich einen Schluck. Er musste den Zorn in sich hinunterschlucken, bevor er Gefahr lief bald seine Zunge nicht mehr zügeln zu können und am Ende im Café haltlos herumzuschreien. Eigentlich war ihm danach, den einen oder anderen Stuhl zu Kleinholz zu verarbeiten; nicht nur, weil die Welt derart grausam sein konnte, sondern auch weil es schon wieder Rick traf. Die Person, die ihm wie kein anderer am Herzen lag und die wahrlich schon genug Leid im Leben erfahren hatte. So sehr er auch die Ungerechtigkeit auf Erden verfluchte, er musste sich unter Kontrolle halten, egal wie. „Kurz gesagt, er geht nun zu ihm und gibt ihm das, was er verlangt.“ Der Blonde hatte nicht das Bedürfnis, das Kommende auszuschmücken und näher zu erläutern, doch egal, wie sehr er sich dagegen sträubte, es kam die wohl unabdingbare Frage: „Und ausführlich gesagt?“ Ricks Augen drückten so vieles auf einmal aus, so dass Joe wahrlich Mühe hatte, ihn nicht in eine Umarmung zu ziehen und ihm tröstend über den Rücken zu streichen. Zu gut wusste er, dass das sein Freund nicht wollte. Zumal er es ihm vor ein paar Minuten erst deutlich gemacht hatte. Aber war das nicht früher das gewesen, was sie derart miteinander verbunden hatte? - Durchs Haar wuscheln, ein paar aufmunternde Worte sagen… Die Zeiten hatten sich geändert. Je mehr einem widerfuhr, desto schwieriger war es wohl, ihn wieder aufzubauen. Allmählich zweifelte Joe seine Entscheidung noch mehr an, alleine nach Luminis gefahren zu sein. Das hatte in Rick vermutlich den Schalter zum Kippen gebracht. /Ich hätte nicht ohne dein Wissen fahren dürfen. Nun weiß ich dafür nicht mehr, wie ich das Chaos in dir ein wenig ordnen kann. Meine Anwesenheit allein reicht wohl nicht mehr aus, um dich das Geschehene vergessen zu lassen. Diese Gabe – ja, ich denke, es war eine - hat sich mit meinem Entschluss im Wohlgefallen aufgelöst… Zumindest merke ich nicht mehr viel von ihrer Existenz./ „Ausführlich…“, wiederholte Joe gedehnt. In erster Linie, um Zeit zu schinden. Zeit, die Rick ins Hintertreffen brachte. Ihn vielleicht auf diese Weise schützten. „Serrat möchte all das haben, was ihm Einfluss und Macht verleiht. Ihm das nehmen, was ihm etwas bedeutet. Wenn er dich schon nicht haben kann, provisorisch ausgedrückt, dann möchte er wenigstens das Leben von deinem Vater… zerstören. Er hatte es sich zum Ziel gemacht, Rache zu üben, da ihn seine Familie verlassen hatte. Und in Damon sah er darin den perfekten Protagonisten. Nur, dass er in seinen Augen verzagte, als er nach Monaten immer noch nichts für ’ihren Plan’ tat.“ Joe war der Meinung, dass er schon zu viel gesagt hatte, doch Ricks Gesichtsausdruck forderte ihn erhitzt auf, weiterzusprechen. Obwohl er nicht wollte, sah er sich gezwungen, nichts mehr zu verbergen. „Auch wenn es mir schwer fällt…“, seufzte er. „Dein Vater wird wohl ohne einen Cent zurückkehren, dazu geschieden… ja, völlig verärmt. Serrat will alles. Und wenn ich sage alles, dann schließe ich nur sein Leben und das deiner Mutter aus. Er möchte jedwede Kontrolle über Damon erlangen, indem er ihm insbesondere Dea nimmt. Wie weit er geht, konnte nicht einmal dein Vater sagen.“ Nun verstummte Joe, nachdem seine Stimme ohnehin immer leiser und gebrechlicher geworden war. „Und was sitzen wir noch hier?“, brachte Rick ihm nach einer kleinen Weile aufgebracht entgegen. „Wir müssen ihm vertrauen“, meinte Joe sofort und legte eine Hand auf die von Rick, die dieser auf dem Tisch liegen hatte. „So wie ich es einmal getan hatte?“, spottete der Dunkelhaarige. „Soll ich dich etwa direkt in die offenen Arme Serrats laufen lassen?“ Joe war außer sich. Genau das war es doch, was dieser Mistkerl wollte. Am liebsten alles in Stücke zerreißen, was sich ihm darbot. Ihm freiwillig darbot! „Darauf wartet dieser Mistkerl doch!“, presste er zwischen seinen Lippen hervor. Ihm war gerade mehr nach Schreien als er vermutlich unterdrücken konnte. Lange würde er unter Garantie nun nicht mehr an sich halten können. „Sollen wir alles meinem Vater überlassen?“ Das war eine gute Frage. Eine wirklich gute. Joe sah Rick an und er fühlte sich vollkommen unbeholfen. „Das müssen wir wohl“, entgegnete er ohnmächtig einer besseren Antwort. „Und am Ende verrät er mich erneut!“ Es war an Rick, der als erster schrie. Auch er konnte die Gefühle nicht mehr im Zaum halten, die ihn übermannten. Viele der Gäste drehten sich nun nach ihnen um, aber das war sowohl dem Dunkelhaarigen egal als auch Joe. Ohnehin waren sie es gewohnt, im Mittelpunkt der Schaulustigen zu stehen. Dazu brauchten sie sich nur in aller Öffentlichkeit zu küssen. Die Menschen fanden doch immer einen Grund, dümmlich zu starren und sich den Mund zu zerreißen. „Möchtest du dich ernsthaft persönlich davon überzeugen, indem du ihm auf der Stelle folgst? Glaube mir, Serrat spechtet nur darauf. Solch eine Person bekommt doch nie genug! Und wenn er dich gleich mit haben kann, dann leckt er sich doch vor lauter Wonne die Finger!“ Selbst die Augenpaare der Angestellten ruhten unablässig auf ihnen. Sie waren mittlerweile so laut, dass man sie vermutlich sogar auf der Straße hören konnte. Und doch funkelten sie sich verzweifelt an und Joe hielt verzagt Ricks Hand. Die Luft zwischen ihnen brodelte nahezu. „Und wenn er zu feige ist, sich alles nehmen zu lassen? Grrr, das will ich doch gar nicht!“ Wild schüttelte der Kleinere den Kopf. „Wir müssen ihn abhalten, überhaupt dorthin zu gehen“, fügte er hilflos an. „Zu spät“, meinte Joe nun leise. Schließlich war er es gewesen, der Damon hatte wegfahren sehen. Ricks Augen leuchteten qualvoll. „Nein…!“ „Doch, Rick, leider. Und wir müssen darauf hoffen, dass er nicht zögert.“ Vollkommene Entrüstung zierte nun die Gesichtszüge des Dunkelhaarigen. „Du willst ernsthaft, dass mein Vater seine Existenz aufgibt?“ Das wollte selbst er nicht verantworten müssen! „Ich wüsste gerne einen anderen Weg.“ Erneut fühlte Joe die Unbeholfenheit. Jedes Wort erschien ihm falsch und doch erwiderte er immer wieder von neuem etwas. Warum, wieso, weshalb…vielleicht weil er nicht aufgeben wollte, Rick eine Stütze zu sein. Zumindest irgendwie. Wenngleich er geradezu überzeugt war, alles nur noch schlimmer zu machen. Den Hass, die Aggression auf seine Person zu projizieren. Aber was sollte er denn tun? „Wir können doch nicht einfach tatenlos herumsitzen und abwarten, was passiert?“, warf Rick halb hysterisch ein. Das oblag auch Joe, aber er hatte sich vier Stunden lang am Stück den Kopf darüber zerbrochen, was sie tun könnten. Und? Nur um zu der tollen Weisheit zu kommen, dass ihm nichts einfiel. Dass ihnen nichts blieb, wie törichte Menschen herumzusitzen und Tee zu trinken. Genau das, was sie gerade taten. „Dann sage du mir, was sinnvoll wäre?“ „Wie kannst du hier noch Sinn und Unsinn unterscheiden, Joe?“ Mit schierer Verzweiflung fuhr er sich selbst mit einer Hand durchs Haar. „Dürfte ich Sie bitten, ihren Disput draußen fortzusetzen?“ Wie an seidenen Fäden gezogen warfen beide ihren Kopf in die Richtung, aus der die bemüht ruhige Stimme gekommen war. „Ist es Ihnen derart unangenehm, dass wir hier lediglich unseren Tee trinken?“, erwiderte Joe ebenso laut wie das vorher Gesprochene. „Sie können froh sein, dass ich Sie bisher gewaltfrei darum bitte“, entgegnete der Mann in seiner schwarzen Robe scharf. Der dunkelblonde Kellner und wohl gleichzeitig Besitzer des Cafés wandte sich nun Rick zu. „Würden Sie nun die Güte haben und Ihren Streit draußen fortsetzen?“ „Wir streiten nicht“, erwiderte der Dunkelhaarige ernst, was ein Schnauben des anderen als Folge hatte. „Dennoch bitte ich Sie ein letztes Mal in aller Höflichkeit zu gehen.“ „Ich wusste ja, dass die Gesellschaft immer noch nicht gelernt hat, über ihren Schatten zu springen. Aber dass sie nicht einmal akzeptieren kann, dass ihre Idylle ohne viel Zutun einfach zerplatzen kann, da sie ohnehin nicht mehr als eingebildeter Schein ist, um sich gegen die Realität abzuschirmen, ist einfach nur bizarr. Denn sie weiß doch, dass das, was sie erschaffen hat, nur durch ihre Hand wieder zerstört werden kann. Komm’ Joe, wir gehen!“ Rick schoss von seinem Platz hoch und zerrte den Blonden, der ihn ja noch an der Hand festhielt, mit sich aus dem Café. „Reife Leistung“, meinte Joe, wurde aber jäh von dem anderen zum Schweigen gebracht. Dazu brauchte Rick ihn nur anzuschauen. So viel Wildheit hatte er vorher noch nie in den meerblauen Iriden gesehen. „Wir werden nun zu Serrat gehen und wenn ich sage wir, dann meine ich wir!“ „Dieses Temperament möchte ich das nächste Mal im Bett erleben“, raunte Joe dem anderen ins Ohr. Obgleich er selbst vollkommen aufgebracht war, konnte er sich diesen kleinen Satz nicht verkneifen. Außerdem hatte er den positiven Effekt, dass Rick für einen Moment all die Wut vergaß, die in ihm hauste und dafür sogar rot wurde. „Joe!“, entfuhr es ihm vom Donner gerührt. Bevor er ihn allerdings erneut hinter sich herzog, berührte er kurz seine Lippen mit den Seinigen. Nur flüchtig, aber dennoch völlig begehrend. „Und nun komm’!“, meinte er, als er ihn schon ein paar Meter weitergeschleift hatte. Der Weg zu Serrats Anwesen kam dem Gang zum Schafott gleich, doch Rick biss die Zähne fest zusammen und versuchte, jedweden Gedanken an Alexandros zu verdrängen. Dieses Mal würde er nicht von diesem Mistkerl betatscht werden! Er warf immer wieder einen heimlichen Blick auf Joe, der bisweilen freiwillig neben ihm herlief. Jener war ebenso in Gedanken versunken wie er selbst und der Dunkelhaarige konnte die Anspannung spüren, die auch in dem anderen stetig anwuchs. Es schien ihm, als ob es von Minute zu Minute kälter werden würde. Vielleicht lag es nur an dem Wind, der sie eisig umhüllte… Doch immerhin regnete es nicht. Große Tropfen, die vom Himmel stoben, hätten ihnen gerade noch gefehlt. /Je näher ich dir komme, desto mehr möchte ich dich heil wiedersehen. Es ist schon lange her, dass wir uns einander in die Augen sahen und dabei keine wutentbrannten Worte an den Kopf warfen. Eigentlich hattest du diese auch nur für mich parat. Ich war viel zu gelähmt gewesen, um deinen Worten mit gleichem Zorn zu begegnen. Diesen spürte ich erst im Nachhinein, als… als mir bewusst wurde, welche Konsequenzen der Rausschmiss haben würde. Doch da war ich bereits mit Joe unterwegs hierher nach Veneawer gewesen. Allein schon der Reichtum, der mich an diesem Ort willkommen heißt, ist mir zuwider. Nichts als Villen und halbe Pärke anstatt Gärten. Überall protzen der Prunk und der Luxus. Ist das das Leben, das du führen wolltest, nachdem du in mir die reinste Enttäuschung sahst?/ „Warte mal kurz, Rick“, riss Joe ihn aus seinen Gedanken. Wie gefordert blieb er stehen und sah den Blonden fragend an. Sein Herz fühlte sich noch schwerer an als gerade eben. Und es lag insbesondere an dem Ausdruck in den grünen Tiefen, die starr auf ihn gerichtet waren. Vollkommen unerwartet fiel Joe vor ihm auf die Knie und schaute ihn nun von unten herauf an. ’Steh wieder auf’, wollte Rick sagen, doch er brachte keine einzige Silbe über seine Lippen. „Bevor wir uns dort hinein begeben, möchte ich, dass du Folgendes weißt:…“ Während er in dem satten Grün versank, begann das Blut in ihm mächtig zu wallen. All seine Sinne waren auf Joe gerichtet. Auf seinen Freund, der tatsächlich vor ihm kniete. Die Situation war für ihn so seltsam, dass er nicht anders konnte als stumm auf ihn herab zu sehen. „Seit ich begriffen habe, dass ich dich liebe, wuchs das Gefühl in mir unentwegt an, dich beschützen zu wollen. Rick, ich möchte dich nicht noch einmal verlieren… Und ich möchte dich auf immer bei mir haben… mit dir den Rest meines Lebens verbringen.“ Langsam erhob sich Joe und brachte sein Gesicht ganz nahe dem seines Gegenübers. Rick schluckte. „Möchtest du auch mich bis zu deinem Tode und darüber hinaus bei dir haben?“, hauchte der Blonde. Ihre Lippenpaare waren nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt. Ricks Herz überschlug sich bereits und sein gesamter Körper war von einem Kribbeln befallen, das dermaßen intensiv war, dass er glaubte, nur noch aus Gänsehaut zu bestehen. „Ja, das möchte ich“, drang nach einer gefühlten Ewigkeit aus seinem Mund. Bis dahin hatte er sich bestimmt schon hundert Mal gedacht gehabt. Joe begann zu grinsen und überbrückte die letzte Distanz, bis er Ricks Lippen unter seinen spüren konnte. Ihre Zungen fanden sich alsbald und spielten das Spiel der Leidenschaft, das, das im krassen Gegensatz zu dem Spiel stand, das Serrat für sie angedacht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)