Heilloser Romantiker von Pansy ================================================================================ Kapitel 53: Kapitel 53 ---------------------- Kapitel 53 „Seit wann stehen wir hier?“ „Etwa eine halbe Stunde.“ „Die Kälte ist unerträglich.“ „Die paar Minuten bis zur Öffnung wirst du auch noch überstehen.“ Joe legte seine Hände auf Stevens Schultern. „Bitte.“ „Ich werde schon nicht einfach gehen, aber diese sinnlose Warterei hätten wir uns wirklich ersparen können. Zudem bist du noch nicht wieder bei Kräften.“ „Meine Gesundheit ist nicht von Belang. Zudem sollten wir uns allmählich trennen und von beiden Seiten Ausschau halten. Vielleicht hält sich der Verdächtige bisweilen ganz in der Nähe auf.“ Als Steven ihm zunickte, entfernte sich der Blonde im Schutz der Büsche, die sich an einer Straßenseite entlang zogen, einige Meter. Währenddessen verschwand der Ältere aus seinem Blickfeld. Ob es von Vorteil war, dass der Supermarkt in einer Nebenstraße lag, musste sich erst noch herausstellen. Somit war er leicht im Auge zu behalten, doch an den Lieferanteneingang kamen sie dennoch nicht ohne Weiteres heran. Privatgrundstück unbefugt und vor allem ungesehens zu betreten war nicht einfach und Steven wollte diese Aufgabe unbedingt übernehmen, was ihm Joe gerne überließ. Er musste sowieso den Laden betreten und den Haupteingang hatte er gut im Blick. Bisher waren nur wenige Leute überhaupt an ihnen vorbeigegangen, doch keiner hatte irgendwelche Verdächtigungen in ihnen geweckt. /Vielleicht… können wir den Kerl heute schnappen, der uns dann… zu dir führt, mein kleiner Romantiker… Dass mir einmal dein ganzes Wesen so fehlen würde…/ Angespannt positionierte er sich hinter einem Busch und versuchte die Straße nahtlos im Blick zu behalten. In wenigen Minuten würden sich die Ladentüren öffnen und auch wenn er den Peilsender verloren hat, dieser Kerl würde sicherlich wissen, dass er hier war. Denn so bald sie in Luminis wieder aufgebrochen waren, war dies doch offensichtlich, oder nicht? Und außerdem… Wurde er denn nicht vorher auch beschattet? Wie war das, seitdem er den Peilsender bekommen hatte? /Werde ich vielleicht jetzt auch noch beobachtet?... Ausschließen kann ich nicht, dass sich Serrat und der Rest auf ein kleines Hight-tech-Gerät verlassen. Aber mein Gefühl sagt mir, nicht unter Argusaugen zu stehen, und doch… Irgendwie…/ Nervös sah er umher. Gab es hier noch bessere Verstecke als diese Büsche, die eh kaum noch Blätter als Schutz trugen? Seine dunkle Kleidung war etwaigen ein kleines Hilfsmittel, nicht gleich gesehen zu werden, doch konnte er sich nicht darauf verlassen. War es möglich, dass er von einem anderen Ort, der wesentlich mehr Deckung bot, beschattet wurde? Schließlich hatten sie sicherlich bemerkt, dass das Signal irgendwann abrupt aufgehörte hatte sich zu bewegen. Und das vor allem mitten in der Prärie. Allmählich wurde Joe ganz anders zumute. Sein Bauch sandte ungute Empfindungen an sein Gehirn. Irgendetwas stimmte hier nicht. Zumindest glaubte er das langsam. Zu allem Überfluss merkte er erneute Übelkeit in sich aufkeimen; ihm war schwindlig und er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Während er sich die Schläfen rieb, sah er zwei Frauen zu, wie sie an ihm vorbeiliefen. Aufgrund der Tiefe ihrer Unterhaltung sahen sie den jungen Mann nicht, der interessiert hinter ihnen herblickte. Als sie aber den Supermarkt ungeachtet passierten, schwand Joes Interesse augenblicklich wieder. Außerdem glaubte er, dass derjenige, der ihm den nächsten Hinweis übermittelte, ohnehin allein unterwegs sein würde. Unscheinbar und gänzlich unauffällig. Vielleicht klein und dürr; einer, der in der Menge leicht unterging. Aber vielleicht spekulierte man darauf, dass er das dachte, und am Ende war es einer, von dem man niemals vermuten würde, es sei der Täter, weil er zu markant war. Wie dem auch sei, Joe hielt weiterhin die Augen offen und konnte es kaum erwarten, dass die Kathedrale achtmal schlug. Die Aufregung, die sich in ihm immer weiter ausbreitete, bestärkte sein negatives, körperliches Befinden nur noch mehr, aber das Adrenalin, das gleichzeitig freigesetzt wurde, brachte ein wenig mehr Leben in seine Glieder. Ständig verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, spielte mit einer Hand an den bereits recht dürren Zweigen und konnte nicht umhin, die andere Hand immer mal wieder zur Faust zu ballen. Obgleich der angebrochene Tag mehr Kühle als die Nacht zu bieten schien, war ihm nicht im Entferntesten kalt. Vielmehr bemerkte er, wie seine Haut regelrecht nach Kühlung lechzte und kleine Schweißperlen produzierte, die aus den Poren drangen. So zappelig war er das letzte Mal vor seinen Abschlussprüfungen gewesen und wie immer ersehnte er das Ende regelrecht herbei. Aber wie sah es aus? ’Das Ende’? Für einen Moment blieb sein Herzen stehen. Hatte es denn Konsequenzen, dass er den Peilsender verloren hatte? Denn es war unwiderruflich, dass der Verlust bereits bemerkt worden war. Und keiner würde glauben, dass er mitten auf der Autobahn länger als nötig verharrte. Plötzlich setzte sein Herzschlag wieder ein und erreichte einen Takt, der nicht nur rasant, sondern an Dynamik nicht mehr zu überbieten war. Er hörte ihn sogar, wie er in seinen Ohren hallte. Konnte es denn nicht endlich acht sein? Er wollte hier und jetzt die dumpfen Schläge hören! Zitternd lugte er aus dem Gebüsch heraus und konnte bereits sehen, dass ein Angestellter sich eifrig an der Ladentür zu schaffen machte. Doch so sehr sich Joe wünschte, sie würde aufgehen, sie tat es nicht. Eins… Zwei… Drei… Joe zählte bis acht. Es war soweit. Aber warum wurde die Tür immer noch nicht geöffnet? Er wollte schon geradewegs seine Tarnung aufgeben und zum Supermarkt stürmen, doch ein weiterer Schatten hinter dem Ladenfenster ließ ihn in seinem Vorhaben innehalten. Fast sah es so aus, als ob sich die beiden Personen streiten würden. War das nur Einbildung oder war er wirklich gerade Zeuge, wie der Hagere von beiden eine Ohrfeige bekam? Aus der Entfernung konnte Joe nicht wirklich viel erkennen, die Gestalten im Laden glichen wirklich mehr oder weniger nur schattenhaften Silhouetten, doch dass da gerade etwas nicht stimmte, bewies ihm nicht nur die noch geschlossene Türe. Da Joe nicht recht wusste, was er tun sollte, stand er einfach nur da und starrte unentwegt in dieselbe Richtung. Er fragte sich, wo Steven gerade steckte und ob er mittlerweile den Täter stellen konnte. Sie hatten ausgemacht, ihn nur dann zu stellen, wenn er kräftemäßig weit unterlegen war; wenn dies nicht der Fall wäre, dann würden sie sich unauffällig an seine Fersen heften. Für Steven würde dies bedeutend einfacher sein, da er nicht das Zielobjekt dieser ganzen Machenschaften war, sondern er, Joe, und darauf mussten sie einfach spekulieren. Irgendwo mussten sie sich auf ihr ’Glück’ verlassen, selbst wenn Steven derjenige war, der bei der Polizei gewesen war und ihn überall hin begleitete. Aber hatte man es nicht einzig auf den Blonden abgesehen? Ein wildes Spiel von vier Armen ließ Joe für ein paar Augenblicke vergessen zu atmen. Was ging dort vor sich? Da er nichts mehr an sich ruhig halten konnte, lief er Schritt für Schritt dem Ladenfenster entgegen. Er wollte die Szene schärfer und detailreicher sehen können. Als er nur noch vielleicht drei oder vier Meter von ihr entfernt war, sah einer von den beiden Personen kurz zu ihm. Joe war erst völlig erstarrt, doch als er sah, wie der Junge sich plötzlich von dem anderen abwandte und einen der Gänge entlangeilte, sich damit der Sicht gänzlich entzog, erlangte er die Beherrschung über seinen Körper wieder und setzte sich wieder in Bewegung. Seine Füße trugen ihn zunächst zur Tür, die sich aber nicht öffnen ließ. Sein erster Gedanke war zu klopfen, um den anderen, wohl den Besitzer auf sich aufmerksam zu machen, doch er entschied sich anders, da das zu lange gedauert hätte. Stattdessen begann er zu rennen und schaffte es geradeso um die Ecke zu biegen, ohne die andere Hauswand zu touchieren. Die Gasse, in der er sich nun befand, war trist und zeugte nicht gerade von ansehnlichen Fassaden, doch Joe realisierte das ohnehin nicht. Vielmehr wollte er den Hintereingang so schnell wie möglich erreichen, auch wenn er wusste, dass dort Steven wartete und eingreifen würde, wenn jemand an ihm vorbeistürmen würde. Als er ein zweites Mal um eine Kurve von etwa neunzig Grad bog, suchte er noch im Rennen bereits die Umgebung ab. Er hatte den Supermarkt bisher noch nie von hinten gesehen und musste sich erst einmal orientieren, doch das bot keinerlei Schwierigkeiten, da der Zuliefererbereich lediglich aus einem gepflasterten Hof und einer Laderampe mit einem großen Tor dahinter bestand. Doch was Joe neben diesen Gegebenheiten erblickte, raubte ihm den Atem. „Dad?“, rief er, während er zu Steven, der in einer Lache aus Blut am Boden lag, lief. Seine Motorik wollte versagen, doch er zwang sich nicht auf der Stelle selbst in die Knie zu sinken. Ihm kam es vor, als ob er sich seinem Vater in Zeitlupe nähern würde. Als ob die Zeit fast stehen geblieben wäre und er sich im falschen Film befände. Er konnte sich nicht erklären, weshalb er solch eine grausame Szene vor sich sah, weshalb Steven… Jedweden Gedanken verdrängte er sofort wieder aus seinem Verstand, als er sich zu Steven hinabbeugte und die Platzwunde an dessen Kopf sah. Vorsichtig berührte er ihn an der Wange und sprach ihn mit sanfter Stimme an, die unüberhörbar bebte. „Dad? H-hörst du m-mich?“ Doch er zeigte keinerlei Reaktion. Die Welt um Joe herum schien wie ein Karussell, das sich munter drehte. Und das Rot der zähen Flüssigkeit, die aus dem Körper des anderen floss, schien zu leuchten wie das Abendrot der untergehenden Sonne. Mit zittrigen Fingern suchte er sein Handy und rief einen Krankenwagen. Er klang dabei ganz verstört und erkannte sich in dem Moment selbst nicht wieder. Während er auf den Notarzt wartete, fühlte er sich völlig hilflos und unnütz. Erst in solchen extremen Situationen realisierte man erst, wie vergänglich das Leben doch war. Wie schnell es vorbei sein konnte, ohne es richtig begonnen zu haben. Immer wieder rief er sich zur Gesinnung, denn an den Tod durfte er insbesondere jetzt nicht denken. Als er Sirenengeräusch vernahm, war er seit Minuten das erste Mal ein wenig erleichtert. Wenig später bog der Krankenwagen um die Ecke und zwei Sanitäter sprangen raus, eine Trage im Schlepptau. „Wie lange liegt er schon da?“, fragte der sichtlich Ältere von beiden. Nach kurzem Zögern, antwortete Joe: „Weniger als 15 Minuten.“ Im Folgenden unterhielten sich die Sanitäter zwar, doch der Blonde nahm eigentlich kaum noch mehr was wahr. Mit den Augen verfolgte er das Geschehen, doch es schien irgendwie nur an ihm vorbeizurauschen. Erst als er den Mann, der ihn vorher abgesprochen hatte, direkt auf sich zukommen sah, löste er sich aus seiner Starre. „Wie geht’s ihm?“ „Soviel wir feststellen konnten, hat er nur eine Gehirnerschütterung; er war kurzzeitig bei Bewusstsein. Aber er muss erst geröntgt werden, denn innere Blutungen respektive Verletzungen können wir nicht ausschließen. Zudem hat er viel Blut verloren. Kommen Sie.“ Joe wurde zum Wagen dirigiert und während er sich hineinsetzte, wurde ihm das Ausmaß Ricks Entführung erst richtig bewusst. Vielleicht hatte er die ganze Lage wirklich unterschätzt und war viel zu leichtfertig mit allem umgegangen, auch wenn er dabei schon vor Sorge fast verrückt wurde. Aber welche Auswirkungen konnte ihre Spionageaktion für seinen Freund haben? Musste er nun dafür büßen, dass sie Detektive gespielt hatten und ihnen nicht allein durch diese nervenaufreibenden Rätsel auf die Schliche hatten kommen wollen? Die Fahrt zum Krankenhaus schien endlos zu sein. Teilnahmslos blickte Joe stur geradeaus. Doch unbeteiligt war er rein äußerlich, innerlich brodelte es und er machte sich immer mehr Vorwürfe. Schließlich war er es gewesen, der zu viel Temperament aufgewiesen und damit alle in Gefahr gebracht hatte. Das fing allein schon mit dem Vorfall im eben jenen Supermarkt an. Was wäre gewesen, wenn er diesen Alexandros nicht herausgefordert hätte? Und dazu kam der Fakt, dass er Rick tatsächlich allein zu seinen Eltern gehen gelassen hatte. Natürlich war sein Freund alt genug, doch das Damoklesschwert hatte doch bereits über ihnen geschwebt, oder nicht? Und dann noch der Verlust des Peilsenders. /Ich habe eindeutig zu viele Fehler begangen und habe damit Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen… Ich müsste derjenige sein, der dort liegt… Verdammt!... … Verdammt!!!/ Er vergrub sein Gesicht unter beiden Händen und wünschte sich inständig, dass es nicht so weit gekommen wäre. Die Worte, die ihm von dem jüngeren Sanitäter zugesprochen wurden, wollte er nicht hören, denn er hatte sanfte, einfühlsame Silben gewiss nicht verdient. Er war es doch, der alles daran gesetzt hatte, um Rick zu finden. Und was hatte er damit erreicht? Steven lag bewusstlos vor ihm und keiner in diesem Krankenwagen wusste, ob er wieder ganz gesund werden würde. Kaum hatten sie das Krankenhaus erreicht, schon überstürzten sich die Ereignisse. Es ging alles viel zu schnell vonstatten, als dass Joe wirklich mitbekam, was die Krankenschwestern und die beiden Sanitäter sprachen oder taten. Die Hälfte der Worte kannte er sowieso nicht und obgleich er die genaue Bedeutung gerne in Erfahrung gebracht hätte, entfernte er sich ein paar Meter, denn er stand zweifelsohne nur im Weg. Außerdem konnte er doch eh nichts mehr ausrichten und ob er das wollte, war die Frage. Hatte er nicht schon genug angerichtet? Er entschloss sich ins Wartezimmer zu gehen und dort erst einmal seiner Mutter Bescheid zu geben, auch wenn er damit erneut Vorwürfe an den Kopf geschmissen bekäme. Eigentlich reichten die eigenen ja, doch er ließ es bereits bei ihr klingeln. „Veronica Yera“, ertönte es vom anderen Ende der Leitung. Joes Mund bewegte sich, aber nichts von dem, was er mit seinen Lippen formte, war zu hören. „Hallo?“ „Hi Mom…“ Jäh brach seine Stimme wieder ab. „Joe? Was ist passiert?... Ich merke doch, dass etwas nicht in Ordnung ist… Joe?“ „Dad ist… Wir sind…“ Sichtlich bemüht sich zusammenzureißen, stöhnte er auf. „Wir sind im Krankenhaus.“ Obgleich er mit einem schrillen Aufschrei gerechnet hatte, blieb es nun ihrerseits stumm und erstere Variante wäre ihm wesentlich lieber gewesen, denn so hätte er wenigstens gewusst, dass sie nicht hyperventilierte oder gar in Ohnmacht fiel. „Mom?“, hauchte er voller Sorge ins Telefon. „Ich komme sofort zu euch.“ Verständnisvoll nickte Joe, wenngleich sie das nicht sehen konnte. „Okay.“ Es klickte und er stand einen Moment lang wie versteinert da. Als er sich dann irgendwann setzte, fiel ihm ein, dass er die wesentlichen Informationen gar nicht weitergegeben hatte, also dass Steven bewusstlos und das Ausmaß seiner Verletzung noch unbekannt war. Etwaigen war es nur wesentlich, dass sie im Krankenhaus waren… ja vielleicht. Derart erschöpft wie Rick war, hätte er problemlos einschlafen müssen, doch seit Stunden quälten ihn die Berührungen, die er noch an seinem gesamten Körper spürte. Alexandros war nicht so weit gekommen, wie er es sichtlich vorgehabt hatte, doch schon allein diese ganzen Küsse und blauen Flecken, die er verursacht hatte, zehrten an ihm. Sein Rücken tat jedes Mal höllisch weh, wenn er sich drehte. Er wusste schon gar nicht mehr recht, wie er sich hinlegen sollte. Ob seitlich, auf den Bauch oder doch auf den Rücken. Jede Lage schien mit Schmerzen verbunden zu sein. Doch er war froh, dass es zu keiner weiteren Intimität gekommen, selbst wenn er davor noch nicht gefeit war. Mittlerweile traute er Alexandros alles zu, auch Vergewaltigung zählte er zu seinem Repertoire, was ihm wirklich Angst bereitete. Erneut wandte er sich auf dem grünen Sofa und ächzte dabei. Alexandros muss ihm den ganzen Rücken geschändet haben, so wie sich das anfühlte. Und der Groll gegen diesen Menschen wurde dadurch nur verstärkt. Vor ein paar Tagen hatte er noch geglaubt, endlich wieder glücklich werden zu können, da er nach einer schieren Ewigkeit seinen Eltern verziehen hatte. Doch was war er nur für ein Tor gewesen! War es denn nicht sein Vater, der ihn hier gefangen hielt und ihn wie ein Tier auf grausamste Art und Weise leiden ließ? /Du hast meine Welt zerstört, meine mühsam wiedererrichtete Welt! Jedes einzelne Puzzleteil, für die du schon einmal verantwortlich warst, habe ich wieder zusammengefügt; nur um damit wieder von neuem zu beginnen? Was habe ich dir getan, dass du mich in keiner Weise mehr liebst, sondern mehr als jedwedes andere Lebewesen verachtest? Habe ich dich dermaßen in deinem Stolz verletzt, weil ich Joe liebe?... Ich kann wenigstens wahrhaft lieben… Ich… ich… Ich kann es kaum glauben… Tatsächlich vermisse ich unsere gemeinsamen Unternehmungen. Weißt du noch, wie du mir das Radfahren beibrachtest? Immer wieder hast du mich ermutigt und bist neben mir hergerannt und hast erst dann meinen Lenker losgelassen, als ich wirklich bereit war… Du hast es vergessen… nicht wahr? Für dich bin ich doch nur noch ein Fremdkörper, der dir zuwider ist. Stimmt doch, oder? Warum… hinterfrage ich das auch noch?/ „Ich kann es doch glauben!“, seufzte er. Er spürte, dass der Morgen bereits angebrochen war, obwohl das Zimmer sich nicht merklich erhellte. Er war es leid, ständig von Düsternis umwoben zu sein, doch er hatte keine Macht das zu ändern. Was war ihm denn geblieben außer der Hoffnung, dass Alexandros nie wieder Gier nach ihm verspürte? Obgleich es ihm vollkommen widerstrebte, in solch erdrückender Melancholie zu schweben, konnte er es nicht verhindern. Die Gefühle in ihm waren schon immer stark gewesen und gerade richteten sie sich alle gegen die Hoffnung, gegen das Licht, das er in Joe und sich selbst gefunden hatte. Partout wollte er den Glanz in sich nicht wieder verlieren, aber die Wehmut, die er verspürte, war schon so gewaltig, dass er allmählich zu zweifeln begann. Zweifel, das einzig am Leben erhaltene einzubüßen, war mit Abstand das Grauenvollste, das einem passieren konnte. Und Rick wollte das nicht miterleben, immer wieder wehrte er sich gegen das Dunkel, das sich in ihm ausbreiten wollte, doch sein Kampf blieb im Großen und Ganzen fruchtlos. Aber noch flackerte ein kleines Licht in ihm und solange er das am Brennen halten konnte, war er nicht verloren… /Wie immer… Es ist wirklich wie immer. Immer soll ich nach vorne sehen; vergessen was war; alles hinter mir lassen und an die schönen Dinge des Lebens denken. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? - Klar, es sagt sich so leicht daher. ’Bewahre dir ein Lächeln.’ ’Lass die Gefühle raus.’ ’Beginne von neuem.’ Phrasen! Das sind doch nichts als Phrasen! … Die ich mir aber immer wieder zu Herzen nehme wie jeder andere auf Erden. Allmählich aber… Allmählich büßen sie an Wirkung ganz schön ein, denn ich sehe hier einfach nichts, was zu meinem Besten sei und wie ich mir dann zum Beispiel ein Lächeln bewahren soll… … Ich spüre dich, Joe… wie das kleine Kleeblatt in meiner Hand. Du… Du bist das einzig Schöne in meinem Leben. Abgesehen von meinem Job, der mir auch immer wieder Spaß macht... Doch ohne dich wäre auch dieser nur halb so erfüllend… Joe, ich will dich noch einmal spüren, dein Gesicht noch einmal sehen. Es verblasst. Dein Gesicht vor meinen Augen verblasst. Ich will nicht, dass du irgendwann nur noch ein undefinierbares Bild in meinem Kopf bist. Was ich will bist du,… leibhaftig,… zum Anfassen,… zum Eins werden… … Eins mit dir./ Entgegen all seinen Erwartungen schlich sich ein sanftes Lächeln auf sein Gesicht, das er erst realisierte, als sein rechter Zeigefinger über seine Lippen strich. In Gedanken war er bei ihrer letzten gemeinsamen Nacht, in der sie wohlig aneinander gekuschelt ein paar Stunden geschlafen haben. Sie waren gerade aus Veneawer vor Alexandros geflüchtet und hatten sich bei Joes Eltern einen Unterschlupf gesucht. Und auch wenn er erschöpft und gänzlich durcheinander gewesen war, er hatte die traute Zweisamkeit bis ins kleinste Detail genossen. Schützend in den Armen seines Freundes zu liegen war mitunter das Beste, was er sich vorstellen konnte. Und er konnte die Sehnsucht in ihm fast schon mit Händen greifen, so ausgeprägt war sie. So immens seine Sehnsucht auch war, das interessierte Alexandros nicht, der schon wieder über ihm verweilte. Die Anwesenheit allein war schon unangenehm, doch die Art und Weise, wie er ihn anblickte noch quälender. Er berührte Rick kaum, seine Hände ruhten weit neben seinem Gesicht und doch herrschte eine Spannung – oder gerade deshalb-, die unerträglich war. Ihrer beider Lippen waren nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt, aber wie die Minuten zuvor kam es zu keinem Kuss. Ob der Dunkelhaarige darüber froh war oder nicht, da war er sich nicht einmal sicher. Denn die unmittelbare Nähe in Verbindung mit der Stille, die zwischen ihnen herrschte, zehrte gewaltig an ihm. Sollte er die kurze Distanz überbrücken, damit endlich etwas geschah und er nicht vor gnadenloser Ungewissheit verrückt wurde? In der Tat war Alexandros beinahe lautlos ins Zimmer getreten, hatte nicht einmal gefordert, die metallenen Handschellen anzulegen, obwohl er normalerweise diese seine Machtposition nur zu gerne auskostete, hatte nur stumm von Rick gefordert, sich aufs Sofa zu legen, wo dieser ohnehin nach dem Duschen wieder hingewollt hatte. Die Melancholie hatte er nicht abwaschen können und nun würde sich, wenn Alexandros weiterhin dermaßen blickte, Unruhe hinzugesellen. Insbesondere der Grund für dieses Verhalten war ihm gänzlich schleierhaft. Als Rick ihn erblickt hatte, als er aus dem Badezimmer getreten war, war er zusammengezuckt und hatte sofort mit dem Schlimmsten gerechnet. Doch es gab keine zynischen Worte, keine abfallenden Bemerkungen und keine Tätlichkeiten. Dabei hätte er wetten können, dieser Kerl würde sich unangekündigt auf ihn stürzen und das einfordern, was er einen halben Tag zuvor nicht geschafft hatte. Seit bald zehn Minuten nun schon lag er auf den Händen abgestützt über ihm und fokussierte ihn. Rick räusperte sich, denn so konnte das nicht weitergehen. Mittlerweile kam er sich wie ein gehetztes Tier vor, das nur noch darauf wartete, den Todesstoß zu bekommen. „Nun… machen Sie schon“, presste er sichtlich zwischen seinen Lippen hervor und senkte dabei wider seiner Worte die Lider, denn es waren welche, die er unter normalen Umständen niemals gesagt hätte. „Dein kleiner Freund“, meinte der andere nach zwei weiteren Minuten beklemmender Stille und schon bei diesen Silben begann Ricks Herz heftig zu schlagen, „ist klüger als ich angenommen hatte.“ Noch immer dieser berechnende, nicht weniger intensiv werdende Blick und Rick spürte die unbändige Energie in sich aufkeimen, die ihn am liebsten durchs Zimmer laufen ließe. Er schluckte und konnte ein kleines Lächeln nicht verbergen, das sich heimlich in seine Mundwinkel stahl. Eigentlich wollte er keine Regung zeigen, schon gar keine freudige, doch das Gefühl der Erleichterung in ihm war einfach zu stark. „Willst du denn gar nicht wissen, wo er gerade ist?“ Auffordernd strich Alexandros ihm nun eine Haarsträhne aus der Stirn. „Bis jetzt hat er fast schon meisterhaft alle meine Rätsel gelöst, aber das vierte und letzte hat er sich gar nicht mitgenommen, als er sich schon am richtigen Ort befand.“ Ricks Miene verhärtete sich und sein Herz schlug nun noch heftiger gegen seine Brust. Das war nicht nur das erste Lebenszeichen von Joe, das er seit seinem gezwungenen Aufenthalt in diesem Loch vernahm, sondern trug obendrein eine düstere Vorahnung in sich. Erneut schluckte er und versuchte damit, sich der Trockenheit in seiner Kehle zu entledigen. „Habe ich dich nun deiner Stimme beraubt? Welch Unerhörtheit meinerseits.“ Aber obgleich er sarkastischer kaum sein konnte, legte sich keinerlei Zeugnis von Amüsement auf sein Gesicht. Alexandros blieb kalt und freudlos, ob im Ausdruck oder in der Härte, mit der die Worte über seine Lippen drangen. „Ihre Dreistheit ist nur ein harmloses Drängen sich Mut zu verschaffen.“ Für einen Moment entgleisten Alexandros Gesichtszüge, aber er fasste sich nach Ricks Dafürhalten viel zu schnell wieder und hauchte ihm zu allem Überfluss auch noch einen Kuss auf die Stirn, genau auf die Stelle, wo er zuvor die Strähne beiseite gestrichen hatte. Eine Gänsehaut befiel Rick direkt in Verbindung mit der leichten Berührung zwischen ihnen. „Du gefällst mir immer mehr.“ „Meine Intention ist aber eine ganz andere“, flüsterte der Kleinere und focht mit seinen Blicken die des anderen an. Allmählich konnte er nicht mehr an sich halten, denn die Unruhe in ihm wuchs stetig an. Er wollte wissen, wie es Joe erging und das mit Leib und Seele. „Habe ich endlich das Verlangen in dir geweckt? Lass mich einen Augenblick überlegen… Joe…“, Ricks Augen funkelten auf, „… Wie ich sehe habe ich Recht, aber dieses Feuer in dir gebührt hoffentlich auch ein klein wenig mir?“ Selbstverständlich antwortete Rick nicht darauf, nur zu deutlich war die Rhetorik in seiner Betonung gelegen. „Sicherlich wird er sich bald wieder dort einfinden, wo er ursprünglich hingewollt hatte. Wie bereits erwähnt: Er ist ein gerissener Kerl, hätte ich nicht von ihm erwartet. Da muss man sich ja bald des Neids verwehren.“ Nun lachte der Mann über dem Jüngeren kalt auf und ihm entging nicht, dass sich Ricks Augen mächtig verengten. „Nicht doch, zieh nicht solch ein Gesicht, ein bisschen Spaß musst du schon vertragen können.“ „Das nennen Sie Spaß?“, höhnte Rick. „Wie würden Sie es dann nennen, wenn ich es mir erlauben würde, Olivier die Freuden zu zeigen, die Sie bei mir niemals bekommen werden?“ Er hatte es satt! Dieser ständige Spott und diese niveaulose Belustigung, die dieser Kerl an den Tag legte, waren einfach nicht auf Dauer zu ertragen. Er kam ihm auf dieser Schiene doch schon immer weiter entgegen, wenngleich das nicht nach seiner Fasson war, aber reichte sein Arrangement denn immer noch nicht aus, um diesen Widerling ein wenig von sich zu entfernen? Mochte ein groteskes Unterfangen sein, aber meist half es doch, Gleiches mit Gleichem zu gebühren, um aus einem Feind einen Gegner zu schaffen, mit dem man auf gleicher Augenhöhe sein konnte, da er plötzlich Respekt oder Ehrfurcht verspürte. Das glaubte Rick nicht ohne weiteres, doch ein wenig ging sein Denken schon in diese Richtung, zumal er sich nicht mehr zügeln konnte. Die Zeit des tatenlosen Zusehens war endgültig vorüber. Die Gewissheit, dass es Joe anscheinend gelungen war, diesen Mann in seine Schranken zu verweisen, war ein Genuss, der sich wie ein Feuer in ihm entfachte. „Hör sich einer das Rehkitz an, das nichts mehr von dem scheuen Tier an sich hat. Wahrlich ein guter Schachzug, aber ich bin einer ganz anderen Person unterworfen, so dass ich dir nun nicht die gerechte Strafe zukommen lassen kann. Zudem… dein kleiner Freund wird entscheiden, ob er dich heil wieder haben kann oder nicht. Gefällt dir das etwa auch nicht?“ In Rick arbeitete es. In Hast versuchte er die immer wieder nur dahin geworfenen, bruchstückhaften Informationen aneinanderzureihen. „Ich glaube, es ist an der Zeit, jemanden zu uns zu bitten.“ Alexandros wandte sein Gesicht gen Tür und rief: „Serrat!“ Ricks Augen folgten dem anderen Paar und die Luft schien mit einem Mal noch viel stickiger zu sein als ohnehin schon… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)