Strangers von NaokoSato ================================================================================ Kapitel 3: Alltag ----------------- Hallo Also, alle Ideen hierfür kommen von mir. Jegliche Ähnlichkeit mit Lebenden, Toten, Orten und/oder Begebenheiten sind rein zufällig und keines falls beabsichtigt. Viel Spaß beim Lesen ^^ Eure Naoko Alltag Dominik Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Immer wieder sah ich Victors Gesicht vor mir, wie er von seinen Eltern sprach, so gleichgültig, so gefühllos. Überhaupt strahlten seine Augen nichts anderes als Gleichgültigkeit aus. Nur gelegentlich schimmerte ein wenig Interesse für die Welt in ihnen auf, als wollte es sich befreien, und doch gelang es nicht. Ich fragte mich, ob das nicht alles nur eine Maske war, die er sich schon früh zugelegt hat und seit dem perfektionierte. Als ich am nächsten Tag zum Frühstück nach unten kam, fing meine Mutter auch gleich an zu nerven. Man sah mir an, wie wenig ich geschlafen hatte, und die Fragen danach waren unausweichlich. „Was ist denn los?“ „Macht die etwas Sorgen?“ So oder so ähnlich klangen sie alle. Meine Antworten variierten kaum. Ich versicherte ihr, alles sei in bester Ordnung, ich hatte eben nur nicht einschlafen können, da es ziemlich warm gewesen war, es sei ja noch Sommer. Glücklicherweis kam Victor auch irgendwann, also stürzte sie sich auf ihn. Er sah keineswegs munterer aus als ich, nur dass er mit mehr Verständnis bedacht wurde. Es sei schließlich seine erste Nacht bei uns gewesen und er müsse sich noch eingewöhnen. Aber dennoch sah ich meiner Mutter an, wie sich um uns beide sorgte. Sie konnte Menschen relativ schnell in ihr Herz schließen, sie aber eben so schnell daraus verbannen, sich aber danach noch jahrelang Vorwürfe deswegen machen. Ich kannte das alles schon, da sie sich ständig Sorgen um mich machte, nur für Victor war das alles offensichtlich noch gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich sagen muss, dass seine Antworten doch die richtigen waren, um meine Mutter wenigstens vorläufig zu beruhigen. Schon merkwürdig. Jemand wie er wusste, wie man eine besorgte Mutter beruhigt, mit recht einsilbigen Antworten. Ich war beeindruckt. Ihm war das ganze wahrscheinlich immer noch ganz schön suspekt. Zweifelnd sah er meinem Vater beim Zeitung lesen zu und meiner Mutter beim toasten. Leider kann ich nicht genau sagen, ob er sich wohl fühlte oder nicht, zweifle aber daran. Ich kann zwar nur von mir ausgehen, aber in neuen Situationen war mir bis jetzt noch nie sonderlich wohl. Nur vor meinen Eltern konnte er das gut verbergen. Er war weder unfreundlich noch übermäßig höflich, wie ich es dann für gewöhnlich bin. Wahrscheinlich kam er ihnen wie der ideale Schwiegersohn vor, hätten sie denn eine Tochter gehabt. Meine Mutter hätte uns offenbar am liebsten zu Hause behalten und wieder ins Bett gesteckt, allerdings kam sie gegen unser Wir-müssen-zur-Schule-Argument nicht an. Gemeinsam überzeugten wir sie davon. Auf dem Weg zur Schule schwiegen wir wieder. Ich kann nicht sagen, wie es Victor erging, da wir nur wenige Kurse zusammen hatten und an diesem Tag keinen einzigen, ich jedenfalls sagte den ganzen Schultag über nicht viel, um nicht zu sagen nichts. Meine Lehrer und Mitschüler mochten sich darüber wundern, aber ich hielt mich ausnahmsweise mal zurück. Vor allem mein Mathelehrer wunderte sich, da ich sonst meist auf Alles eine Antwort hatte. Das war mir aber so was von egal. Ich war zu müde, zu sehr in Gedanken, um mich darum zu kümmern. Während der Pausen versuchte ich Victor ausfindig zu machen, mit jemand anderem hätte ich ohnehin nicht sprechen wollen oder können. Doch ich fand ihn nicht. Dafür fand Axel mich. „Wir kriegen dich trotzdem“, zischte er mir ins Ohr und verschwand mit einem breiten Grinsen in der Menge. Naja, das war ja nichts Neues. Bis dato hatten sie mich immer gekriegt. Leider. Nach der Schule traf ich Victor beim Verlassen des Gebäudes. Wieder sah er ziemlich abwesend aus. Und während ich mich noch fragte, ob er auch während des Unterrichts so gleichgültig drein schaute, lief er mir fast davon. Ich holte ihn ein und gemeinsam gingen wir wieder zum Bahnhof. „Wie war dein Tag so?“, versuchte ich ein Gespräch anzufangen. Keine Antwort. „Wen hast du denn so?“ Wieder keine Antwort. „Kannst du noch sprechen?“ „Ja.“ „Warum antwortest du mir dann nicht?“ Schulterzucken. „Wenn du meinst. Hast du den Schilling in Mathe?“ Nicken. „Bei dem wäre ich an deiner Stelle nicht so schweigsam. Der mag so was nicht.“ Schulterzucken. Einsilbige Antworten waren für mich nichts Neues, auch nicht bei ihm, doch so musste es dann doch nicht sein. „Wenn du mit dem Stoff Probleme haben solltest, kannst du gern mich fragen.“ Ich wollte nur nett sein, da er das Abitur schon einmal nicht geschafft hat. Keine Reaktion. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ „Ja. Bist ja nicht zu überhören, Kleiner.“ Wahnsinn, mehr als eine Silbe, auch das Beste an der Antwort. Offenbar störte ich ihn, also schwieg ich. Das war mir alle mal lieber als nur nonverbale Antworten. In der S-Bahn dann beobachtete ich die ganze Zeit ein Mädchen. Seit ich sie das erste Mal gesehen hatte, tat ich das. Sie war damals einfach perfekt gewesen, war es immer noch, aber inzwischen war ich nicht mehr in sie verknallt. Als mir diese Erkenntnis kam, hatte mich das fast umgehauen. Doch so war es. Sie war eine Klassenstufe unter mir und in der Neunten hatte ich sogar mal die fixe Idee gehabt, absichtlich sitzen zu bleiben, nur um vielleicht in ihrer Klasse zu landen. Vergangenheit. Meine Beobachtung war im Wesentlichen zur Gewohnheit geworden, und die konnte ich nicht abschalten. „Vergiss sie“, meinte Victor plötzlich neben mir. „Sie ist nichts für dich.“ „Ich weiß.“ „Wieso starrst du sie dann die ganze Zeit an?“ „Gewohnheit.“ Ich habe zwar grundsätzlich etwas gegen solche Antworten, aber manchmal sind sie einfach unumgänglich, und ich wollte dieses Gespräch nicht weiterführen. Zu Hause angekommen, verkrümelte er sich auf sein Zimmer und meine Mutter machte sich wieder Sorgen. Ich versuchte sie mit einem „Er muss sich auch erst an uns gewöhnen“ zu beruhigen, schaffte es allerdings nicht wirklich. Zwischen ihren Klatsch- und Tratschgeschichten tauchten immer wieder fragen zu Victor auf, welche ich allesamt abwimmelte. Eine Frage ging aber selbst mir nicht aus dem Kopf, also ging ich nach dem Abendessen mit auf sein Zimmer. Ich tat es einfach, fragte gar nicht erst. „Sag mal, weshalb sagst du nie etwas?“, platze es auch gleich aus mir heraus. Möglicher weise hätte ich taktisch klüger vorgehen sollen. Zu spät. Auf eine Antwort musste ich ziemlich lange warten und sah mich daher im Zimmer um. Es hatte sich nichts geändert, was mich schon irritierte. Jetzt wo es das Zimmer eines anderen war, musste es doch auch nach ihm aussehen? Nur ein paar Bücher im Regal und auf dem Schreibtisch zeugten davon, dass hier jemand wohnte. „Wieso ich nichts sage, willst du wissen?“ „Ja, warum erzählst du nie etwas über dich? Warum bist du so verdammt still?“ „’Nie’? Wir kennen uns gerade mal einen Tag. Und ich finde, gestern habe ich schon geredet.“ Mist, er hatte Recht. „Stimmt schon, aber ich würde trotzdem gerne mehr über dich erfahren“, gab ich etwas kleinlaut zu. „Aber wenn ich dir mehr erzählen würde, müsste ich dich umbringen.“ „Lass den Scheiß.“ Er meinte das nicht ernst. Nicht wirklich. Obwohl, bei dem Blick? So sicher war ich mir dann doch nicht. „Nur ein Scherz.“ „Aha.“ „Warum redest du nicht mit deinen Freunden anstatt mich auszuquetschen?“ „Naja, vielleicht weil ich keine habe, also musst du herhalten.“ „Herhalten? Als was?“ Eine Gefühlsregung zeigte sich auf seinem Gesicht: Zweifel. „Als Forschungsobjekt.“ „Noch nie was von Laborratten gehört?“ „Ich forsche am Menschen.“ Pause. Dann lachte er. Er lachte wirklich. Irgendwie war es ein verstörendes Lachen, da es so gar nicht zu der Person passen wollte, von der es kam. Das lag jedoch nicht am Lachen selbst, sondern an ihm. Er sah einmal mehr weniger menschlich aus, ziemlich unheimlich. „Sag jetzt bloß nicht, du willst Psychologe werden.“ „Das hab nie gesagt.“ Stimmt, ich hatte es noch nie gesagt. Nicht einmal. Weder meinen Eltern noch sonst jemandem. Aber wieso kam gerade er darauf? Und das, obwohl wir uns noch nicht lange kannten? „Aber schon tausend mal gedacht, gib es zu.“ „Ich gebe hier gar nichts zu.“ „Aha, also doch.“ Noch immer lächelte er, was weniger beängstigend war als sein Lachen, aber immer noch unheimlich genug. „Ja“, antwortete ich leise. „Wie kommst du eigentlich darauf?“ „Geraten.“ „Aha.“ „Kann ich doch ganz gut, oder?“ „Klar doch.“ „Wissen deine Eltern schon von deinen Plänen?“ „Nein. Die wollen, dass ich Anwalt werde.“ „Dacht ich es mir doch.“ Mittlerweile war das Lächeln verschwunden und nur ein kleines, fast unsichtbares Grinsen umspielte seine Lippen. Schon komisch, bei anderen wäre das Angst einflößend gewesen, bei ihm sah es natürlich aus. Er nahm ein Buch aus seiner Tasche und setzte sich auf die Fensterbank. Es klopfte und meine Mutter steckte den Kopf zur Tür hinein. „Braucht ihr beiden irgendwas?“ „Nein, danke“, antworteten wir gleichzeitig, was meiner Mutter ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Weshalb? Keine Ahnung, aber vielleicht denkt sie, Leute die gleichzeitig etwas sagen, verstehen sich richtig gut. So oder so ähnlich. Jedenfalls zog sie ihren Kopf zurück und schloss die Tür. „Du brauchst richtig gute Noten, um Psychologe zu werden“, meinte Victor auf einmal. „Ich weiß“, entgegnete ich. „Gut, dass du das weißt. Besser, wenn du diese Voraussetzung auch erfüllen kannst.“ „Kann ich, mach dir da mal keine Sorgen.“ „Keine Angst, Sorgen mach ich mir da nicht, wollt es nur wissen.“ Er schlug das Buch auf und ich wusste, das Gespräch war zu Ende. Ich ging in mein Zimmer und sah einer weiteren schlaflosen Nacht entgegen. Früher war mir das nie passiert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)