Strangers von NaokoSato ================================================================================ Kapitel 1: Begegnung -------------------- Hallo Also, alle Ideen hierfür kommen von mir. Jegliche Ähnlichkeit mit Lebenden, Toten, Orten und/oder Begebenheiten sind rein zufällig und keines falls beabsichtigt. Viel Vergnügen Eure Naoko Begegnung Dominik Na toll! Fast hätte ich vergessen, dass es wieder einmal soweit war, fast. Die letzten Wochen waren ja auch zu schön, so ganz ohne Ärger und Prügel. Ich hatte mir sogar mal erlaubt, daran zu denken, wie es ohne Schläge wäre. Alles nur ein Traum, ein schöner zwar, aber eben nur ein Traum. Mittlerweile hatte ich mich ja daran gewöhnt. Genauso wie ich mich an diese Gasse gewöhnt hatte in die ich nun einmal mehr hinein gezerrt wurde. Wäre ich einen anderen Weg gegangen, hätte ich mein Testament machen können, aber so noch nicht, so viel war klar. Aber erstmal auf Anfang. Mein Name ist Dominik und alle Welt nennt mich Domi. Das war schon immer so. Schade eigentlich, denn das klingt für die meisten wie ein Mädchenname, und das ist nicht gerade vorteilhaft. Aber genau genommen ist das nicht mein größtes Problem. Dies liegt eher in meinem Äußeren begründet. Milchbubi. Ich glaube, das ist genau der richtige Begriff für jemanden wie mich. Ungefähr die Hälfte meiner weiblichen Mitschüler war größer als ich, bei den männlichen waren es alle. Ausnahmslos. Wahrscheinlich habe ich einfach mehrere Wachstumsschübe übersprungen und bin gleich zum Schrumpfen übergegangen, wer weiß. Und rasieren musste ich mich auch noch nicht. Peinlich, oder? Dabei hatte ich vor, im nächsten Frühjahr Abitur zu machen, ich musste nur noch das letzte Schuljahr überstehen. Damit hätte ich ja immer noch ganz gut leben können, die anderen bestimmt auch, wenn es da nicht diese Unsitte gäbe, jene, die irgendwie anders sind, zu drangsalieren, und sei es nur ihrer guten Noten wegen. Oder weil sie keinen Sport mögen. Oder keinen HipHop. Oder was weiß ich. Auf meiner Schule war eben jeder, der nicht mit dem Strom schwamm, ein potentielles Opfer. Ich war nicht der einzige, der nicht war wie die Masse, aber da ich nun mal schon vor Jahren zum Punchingball der Schule gekürt wurde, wollte natürlich auch von den anderen Gegen-den-Strom-Schwimmern keiner etwas mit mir zu tun haben, aus Angst, sie seien dann auch dran. Das alles hatte ich während der Sommerferien erfolgreich verdrängt, aber jetzt, im Halbdunkel dieser Gasse, in der es übrigens wie im Inneren einer Mülltonne roch, wurde mir schlagartig wieder klar, weshalb ich die Schule eigentlich so abgrundtief hasste. Dabei wirkte das alles irgendwie unwirklich, wie ein Déjà-vu, doch das lag wahrscheinlich eher an dem feuchten Mauerstück, gegen welches mich die Kerle drückten. Das kannte ich noch von früheren Aktionen, die immer ähnlich anfingen und immer gleich endeten. Sie achteten immer schön auf meine äußerliche Unversehrtheit, was noch grausamer war als alles andere, da mir so natürlich niemand glaubte, nicht einmal meine eigenen Eltern. "Hör jetzt gut zu, Kleiner. Ich hätte dir da ein richtig tolles Angebot zu machen." Axel, der Anführer der Vier, wie sie an der Schule genannt wurden, sprach und das in einem Ton, der erahnen ließ, wie sehr er von sich überzeugt war. Ich glaube, es gibt keinen blöderen Menschen als ihn. Oder doch, sein Gefolge. Wie die Vier es bis zum Abitur geschafft hatten, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Im Gegensatz zu den anderen, war Axel relativ schmächtig, kein Schrank wie sie. Aber was wichtiger war, er verstand etwas davon, Menschen um den Finger zu wickeln, auch wenn er sonst nichts verstand. Gespann wartete ich auf dieses ach so tolle Angebot, obwohl ich wusste, was kam. In der fünften Klasse hatte ich es angenommen, aber genützt hat es nichts. "Also du, kleine Domi, machst unsere Hausaufgaben und dafür lassen wir das mit der Prügelei", schlug er grinsend vor und für einen Augenblick schaute ich drein, als würde ich ernsthaft darüber nachdenken. Er würde diese Abmachung nicht einhalten, das wusste ich aus Erfahrung. Auch Geld half nichts, das hatte ich ebenfalls schon durch. Kein Wunder eigentlich, da seine Eltern stinkreich waren, die der anderen auch. Keine Chance. "Lass mal überlegen." Pause. "Nö." Ich sah ihm direkt in die Augen als ich das sagte. "Na dann", zischte er. Ich schloss die Augen und wartete auf den ersten Schlag, welcher für gewöhnlich in den Magen ging. Er kam nicht. Nur ein leises Flüstern, kaum hörbar durch den Lärm, der von der nahen Straße herrührte. "Wenn du das tust, war es das letzte, was du tust." Vorsichtig öffnete ich die Augen, um zu sehen, wie eine blasse, dünne Hand auf Axels Stirn dessen Kopf nach hinten zog. Daneben schwebte ein Gesicht, dessen wütend funkelnde Augen von schwarzen Haaren umrahmt wurden. "Hast du mich verstanden?" Diesmal klang das Flüstern noch gefährlicher, noch wütender. "J…ja, ver…verstanden." Und das erste Mal seit ich ihn kannte, hörte ich so etwas wie Angst bei Axels Worten mitschwingen. "Gut, dann hau endlich ab." Der Fremde ließ Axel los und trat einen Schritt zurück. "Weg hier", raunte Axel seinen Schränken zu. Als sie weg waren, sah ich meinen Retter das erste Mal richtig an. Er war ungefähr einen Kopf größer als ich und ziemlich dünn. Sein Haar war mindestens genauso schwarz wie seine Kleidung und hing ihm bis auf die Schultern. Sein Gesicht hingegen wirkte, als hätte er seit Jahren die Sonne nicht gesehen. Er lächelte mich an, und obwohl es nicht gerade ein breites Lächeln war, entstellte es ihn irgendwie. "Alles in Ordnung mit dir, Kleiner?" Als Antwort nickte ich nur. Er nickte ebenfalls kurz und das Lächeln war von seinem schmalen Gesicht verschwunden. Langsam ging er zurück Richtung Straße, blieb auf halbem Weg stehen und drehte sich zu mir um. Jetzt erst fiel mir auf, dass ich ihn schon gesehen hatte. Gleich einem Geist, kaum sichtbar im Tageslicht, hatte er in einer Ecke des Schulhofes gestanden und die Schüler beobachtet. Mit demselben Blick, einer Mischung aus Neugier und gelangweilter Beobachtung, einem Blick, den ich noch nie zuvor bei jemanden gesehen hatte, sah er mich jetzt an. "Willst du da Wurzeln schlagen?" Wieder lächelte er und wieder ließ es ihn weniger lebendig wirken. Anstatt zu antworten, hob ich meine Tasche vom Boden auf und ging auf ihn zu, meine Augen nur auf ihn gerichtet. Wie hatte er es schaffen können, Axel zu vertreiben? Und noch dazu bei dessen Lieblingshobby? Und weshalb interessierte es ihn, was Axel überhaupt tat und was nicht? Jedem andern war es egal gewesen, wenn ich wieder mal seine Schläge einstecken musste, aber nicht ihm, der den ersten Tag an unserer Schule war. Das alles war mir ein Rätsel. Sobald ich neben ihn trat, war sein Lächeln schon wieder verflogen und sein Gesichtsausdruck irgendwie gleichgültig, als wäre der Rest der Welt nur eine unbedeutende Nebenerscheinung seiner eigenen Existenz, nur nicht ganz so arrogant. "Wer waren die Typen eigentlich?", fragte er während wir zurück zur Straße gingen. "Volltrottel." "Das habe ich mittlerweile auch gemerkt. Was wollten sie?" "Das Übliche", antwortete ich, stimmte ja auch. "Geld?" Fragend sah er mich einen Augenblick lang an. "Nein, sie wollten mich nur mal wieder verprügeln." "Mal wieder?" Ein weiterer fragender Blick. "Ja. Ich kenne das schon. Geht seit der dritten Klasse so", sagte ich mit einer Stimme so gleichgültig wie sein Blick. "Und da lebst du noch?" "Ja." "Hast dich ja ganz gut gehalten." Schweigend gingen wir eine Weile nebeneinander her. "Wer bist du eigentlich?", fragte ich, als mir auffiel, dass ich noch nicht einmal seinen Namen kannte. Als Antwort erhielt ich Schweigen. Er lief einfach weiter und schwieg. Aber warum? Warum bohrte ich nicht nach? Ich weiß es nicht. Ich lief einfach weiter neben ihm her, eine kleine Ewigkeit an der lauten Straße entlang. Merkwürdig, aber bis dahin war mir noch nie aufgefallen, wie unglaublich laut vierspurige Straßen doch sein können. "Was willst du von mir hören?" Eine Antwort! Großartig, und das nach noch nicht einmal zehn Minuten. "Willst du hören, dass ich nichts bin im Vergleich zur Unendlichkeit des Universums?" Und ich dachte schon, ich könnte etwas erfahren. Aber nein, stattdessen gibt es eine Gratisvorstellung von 'Fröhliche Stammtischphilosophie für Anfänger'. "Nein, danke. Ich dachte da eher an etwas Einfacheres. Dein Name zum Beispiel." "Victor." "Danke." "Ergibt sich nicht daraus auch für mich das Recht, deinen Namen zu erfahren, oder irre ich mich da?" Aus unerklärlichen Gründen wurden meine Zweifel daran, dass mit ihm ein vernünftiges Gespräch möglich war, immer größer. "Dominik", antwortete ich. Wieder Schweigen. Weiterlaufen, bis mir der Bahnhof auffiel, der direkt vor uns lag. Eigentlich hatte ich vorgehabt mit dem Bus bis hierhin zu fahren, wie immer, aber irgendwie hatte Victor mich aus dem Takt gebracht. Aber jetzt fing ich mich langsam wieder und ich stieg, wie ferngesteuert, die Stufen zum Bahnsteig hinauf, ehrlich gesagt, nahm ich sie schon gar nicht mehr wahr. Die S-Bahn fuhr auch gleich darauf ein und war wie immer voll. Ich hasse volle S-Bahnen, genauso wie volle Busse, volle Straßenbahnen und so weiter. Es war aber die einzige Möglichkeit, nach Hause zu kommen, da durch unsere Gegend nur ziemlich selten ein Bus fuhr, ich glaube, nur einer pro Stunde. Victor stieg mit mir ein. Die ganze Zeit sah er geistesabwesend aus dem Fenster. Und ich sah ihn an. Er faszinierte mich auf eine merkwürdige Art. Je länger ich ihn betrachtete, desto unwirklicher wurde er. Das kreidebleiche Gesicht, die pechschwarzen Haare und Klamotten, aber am meisten seine Augen. Sie wirkten unruhig, obwohl sie das Nichts anstarrten. Doch sobald sie sich bewegten, sich umsahen, hatte ich den Eindruck, sie seien vollkommen leblos, fast als wären sie dazu bestimmt, das Nichts anzustarren und nicht den Rest der Welt zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)