Feuertanz von -Ria- (Harry/Draco) ================================================================================ Kapitel 28: ... wird Sturm ernten --------------------------------- Viel Spaß mit: …wird Sturm ernten ooOoo Dracos Worte hinterließen eine Stille, die in ihrer Intensität dröhnend war, nur unterbrochen vom scharfen Luftholens Lucius’; dessen Gesicht wie aus weißem Marmor gemeißelt schien, während er Draco anstarrte, brennend, bittend fast, als solle Draco die letzten Sekunden rückgängig machen. Doch die Stille hielt an, war beinahe zu spüren, kalt wie feuchter, giftiger Nebel, legte sich so schwer auf Dracos Brust, als wäre sie ein reales Gewicht. Und als Lucius sie brach, war seine Stimme eisig wie seine Augen: „Dann ist wohl alles gesagt.“ So wenige Silben und doch so viel Ablehnung und Enttäuschung, dass Draco unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Er sah seine Mutter an, suchte wenigstens einen kleinen Funken Zustimmung in ihrem Gesicht – doch der Ausdruck auf Narzissas Zügen war nicht zu deuten, bevor sie den Blick senkte, sich auf die Lippen biss, als müssten die Vorwürfe mit Gewalt zurückgehalten werden. Draco spürte regelrecht, wie ihn jene Kraft verließ, die ihm eben noch den Mut gegeben hatte, seinen Eltern die Stirn zu bieten. Seine Schultern sackten herab, und für einen Moment dachte er daran, dem Willen seiner Eltern doch noch nachzugeben. Wäre da nicht Harry gewesen und das Wissen, ihn nicht noch einmal hintergehen zu können, ohne selbst daran zugrunde zu gehen. Es war fast wie eine Erlösung, als Rabastan den Raum betrat und das bleierne Schweigen endlich gebrochen wurde: „Eure Zeit ist um.“ Und Draco schämte sich seiner Erleichterung, dieser Konfrontation zu entfliehen. Nur flüchtig sah er seinen Vater an, auf dessen Wangen grellrote Flecken prangten und dessen Augen stur an Draco vorbeiblickten. Es tat weh, ganz tief in Draco schmerzte es, dass sein Vater nicht einmal mehr seinen Anblick ertragen konnte. Dracos Körper fühlte sich nicht an, als würde er zu ihm gehören, als er langsam auf Rabastan zuging, Kopf gesenkt, um nicht noch einmal die pure Enttäuschung auf geliebten Gesichtern sehen zu müssen. „Einen Augenblick noch.“ Obwohl Narzissa sanft und leise gesprochen hatte, zuckte Draco zusammen, als er eine schlanke Hand auf seiner Schulter spürte, die ihn aufhielt, ihm ein fest geschnürtes Bündel in die Hände legte. „Hier drin sind Lebensmittel und Decken. Snape hat wenigstens für den Hauch von Annehmlichkeiten in der Zelle gesorgt –“ „Snape?“, fragte Rabastan scharf. „Es war nie erlaubt, das Snape in Potters Nähe kommt! Und auch nicht, dass du die beiden mit Decken und Essen versorgst, sie bekommen genug.“ Draco blinzelte, zu verblüfft, um sich zu rühren, als seine Mutter sich schützend vor ihn schob; die schmalen Schultern straff und gerade. „Ich habe lange genug in diesen verfluchten Kerkern gesessen, um zu wissen, dass es nicht genug ist! Und ich weiß auch, wie sehr man ein Quäntchen Privatsphäre und Bequemlichkeit zu schätzen lernt! Snape hat lediglich diesen widerlichen Eimer mit einem Sichtschutz versehen und die Pritsche vergrößert!“ Rabastan brachte einen Laut hervor, der humorloses Lachen und zorniges Schnauben in einem war: „Und wenn der Dunkle Lord das bemerkt? Seid ihr vom Wahnsinn befallen?“ Draco schluckte hart, trat hinter dem schützenden Rücken hervor, war bereit, seiner Mutter das Päckchen wieder zurückzugeben, wollte sie nicht der Gefahr aussetzen, für ihre Fürsorge bestraft zu werden – als Lucius sprach, mit einer Stimme, die bebte vor kaum gezügelter Wut. Und doch waren die Worte pure Absolution für Draco. „Willst du uns etwa verbieten, unseren Sohn zu schützen, Rabastan?“ „Ich will verhindern, dass ihr alles ruiniert!“ Rabastan schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, was er hörte. „Sie werden leben, das sollte euch genügen.“ Doch Lucius hatte scheinbar ein williges Opfer für seine Wut gefunden. Mit einem Schritt stand er vor Rabastan, umklammerte dessen Robenkragen mit beiden Händen, das Gesicht nur Millimeter von Rabastans entfernt. „Es genügt uns aber nicht.“ Lucius klang, als hätte er Sand in seiner Kehle. „Wir werden dafür sorgen, dass Draco genug zu essen hat und wir werden ihn sehen, jeden verdammten Tag bis zur Mondfinsternis. Und du wirst uns ungehinderten Zutritt zu den Kerkern verschaffen, ganz gleich wie!“ Draco konnte noch immer nur wie paralysiert starren und diese Wärme genießen, die durch sein Herz hindurchschoss wie flüssiges Feuer. Was auch immer sein Vater von der ganzen Sache mit Harry halten mochte, es hinderte ihn nicht daran, sich für Draco einzusetzen; mit allen Mitteln und ganzer Kraft für ihn zu kämpfen. Und das schien auch Rabastan zu begreifen, als er nach unendlichen langen Sekunden den stummen Kampf verlor, den er und Lucius sich geliefert hatten. Unwirsch riss er sich los, rieb sich über den Hals, keuchend – ob vor Wut oder tatsächlicher Luftnot wusste Draco nicht zu sagen. „Ich kann euch nicht jeden Tag versprechen, aber ich sehe, was ich tun kann.“ „Das reicht mir nicht“, erklärte Lucius, noch immer drohend. In Rabastans Gesicht zuckte ein Muskel, als er seinen Zauberstab aus der Robe zog, ihn so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten und ihn auf Lucius richtete. „Es muss dir reichen, Lucius, mehr habe ich dir nicht anzubieten. Und bedenke, dass auch meine Großzügigkeit Grenzen hat.“ „Aber nicht dein Wille, den Dunklen Lord zu stürzen und du weißt, dass du auf uns angewiesen bist, um dieses Ziel zu erreichen.“ Draco widerstand dem Drang, sich zu ducken, als Rabastans Blick ihn traf, flackerte, ob des Verrats, den Lucius soeben beging. Die Lippen ganz schmal, als müsse er Verwünschungen zurückhalten, machte Rabastan eine herrische Geste Richtung Draco, ohne weiter auf Lucius’ Forderungen einzugehen. „Wir müssen zurück, also komm.“ Draco machte einen zögernden Schritt und noch einen, als Lucius ihm knapp zunickte. Am liebsten hätte er sich in seines Vaters Arme geworfen, wie früher, als er noch ein Kind gewesen war, hätte ihm nur zu gern alles noch einmal erklärt, ihm gedankt, ihn um Verständnis gebeten, um Zustimmung… „Pass auf dich auf, Draco. Wir sehen uns bald wieder.“ Es war seine Mutter, die ihn flüchtig umarmte, seine Stirn küsste und ihn aus der Tür schob; die ihn wenig von dem beißend schlechten Gewissen erleichterte, dass er ihr und Lucius gegenüber hatte. Und mit einem dumpfen Gefühl der Panik, was wohl werden würde, wenn sie auf Harry trafen… ooOoo Minerva war sich Alastors Blicken sehr bewusst, als sie die letzten Handgriffe tat, die vor ihrer Abreise von Nöten waren. Ihre Aufzeichnungen hatte sie dem alten Auror schon gegeben, jetzt war nicht mehr viel zu tun. Sie schob nur den Abschied hinaus. Wehmütig glitten ihre Finger ein letztes Mal über das weiche, polierte Holz des Schreibtisches, betrachteten ihre Augen zum letzten Mal die Aussicht aus dem Fenster, die Hügel, die in der hellen Morgensonne wie ein grünes Meer anmuteten. Sie wollte einen letzten Moment Frieden genießen, die Sicherheit, bevor sie ins Ungewisse aufbrach. Ein wenig fürchtete sie sich vor diesem Lebewohl, das vielleicht so endgültig war wie das Ende eines Tages. Sie war müde, so unendlich erschöpft und konnte sich doch noch keine Rast gönnen. Alastor trat neben sie, sah ebenfalls auf die üppige Landschaft, so voller Leben, so wunderschön, dass es fast schmerzte. „Du weißt, dass es purer Wahnsinn ist, ins Ministerium zu gehen.“ Minerva musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er missbilligend die Stirn runzelte, um zu wissen, dass er lieber selbst gehen würde, als sie dieser Gefahr auszusetzen. „Natürlich weiß ist das. Scrimgeour wird mich kaum wieder gehen lassen, wenn er mich erst einmal dort hat.“ Gefahr, die sie selbst gewählt hatte. Anders als Harry, den sie vollkommen ahnungslos in ein Schlangennest gestoßen hatte. Alles für einen ungewissen Sieg, der schon jetzt gallig schmeckte. „Dann lass mich dich wenigstens begleiten, Minerva! Was, wenn dieser feige Minister dich nur gefangen nimmt und uns nicht hilft?“ Alastors Hand legte sich schwer auf ihren Arm, schwer und doch tröstlich. Minerva griff danach, nach schwieligen Fingern, drückte sie und sah ihren alten Freund an. Der einzige, der diesen steinigen Weg wirklich bis zum bitteren Ende mit ihr bestritten hatte. Der einzige, der sie nie verurteilt hatte, nicht einmal, wenn sie sich selbst richtete. Nicht einmal, wenn sie ihm die schwersten Aufgaben auflud. „Du wirst hier gebraucht, Alastor. Harrys Freunde werden Fragen stellen, die Bewohner des Klosters müssen auf den Kampf vorbereitet werden. Du bist der einzige, dem ich noch vertrauen kann, der einzige, der noch da ist...“ Sie war ihm dankbar dafür, und für seine Stärke, wenn sie nicht hatte stark sein können, wenn sie vor sich selbst zurückgeschreckt war. Als sie Remus belogen, Draco benutzt und Harry verraten hatte. Alastors intaktes Auge blinzelte verräterische Feuchtigkeit fort, als er Minervas Arm drückte – eine stumme Zustimmung, wohl nur widerwillig gegeben. „Sei vorsichtig“, knurrte er, bevor er sich jäh abwandte und durch den Raum humpelte. „Wir sind schon verdammt, stirb jetzt nicht so kurz vor dem Sieg.“ Minerva sah ihm nach, noch lange, nachdem die Tür sich geschlossen hatte. Dann machte sie sich selbst auf den Weg, auf diese letzte, so schwere Etappe. Sie durchquerte das Kloster, nickte einer geschäftigen Molly zu, als wäre dies ein ganz normaler Morgen, als würden sie sich gleich im Speisesaal wiedersehen. Noch eine Lüge, die Minerva schier das Herz brach und auf ihren Lippen zu einem unechten Lächeln gefror. Ein letztes Mal noch musste sie ihre Karten spielen – und sie musste sie gut spielen, um Scrimgeour zu überzeugen, dass er sich nicht länger im Ministerium verstecken konnte. Dass sie alle sich nicht länger verstecken konnten wie gejagte Hasen. Das Sonnenlicht blendete sie einen Moment, als sie ins Freie trat, die würzige Luft Irlands einatmete; sie genoss sie, ganz bewusst, als sie durch das Tor trat, das Kloster hinter sich ließ, ohne noch einmal zurückzublicken. Alastor hat Recht, wir sind verdammt. Selbst der Sieg wird unsere Schuld nicht mildern… Minerva ließ das Sonnenlicht hinter sich, als sie apparierte und tauchte ein in die trist-graue Welt Londons, um eine Armee auf die Beine zu stellen, die schwächer und korrupter nicht sein konnte. ooOoo Als die Welt aufhörte, sich zu drehen, war Harry wieder im Kerker, kauerte auf feuchtem Boden, Gitterstäbe noch immer umklammernd, ohne etwas anderes zu sehen, als die Bilder, die sich in seinen Geist eingebrannt hatten. Die ihn verfolgten wie ein Alptraum, aus dem man zwar erwachte, den man aber doch nicht ganz abschütteln konnte. „Sind Sie jetzt etwa schockiert, Potter?“ Wie durch Watte drang Snapes Stimme zu Harry vor und doch war sie schneidend und klar. Harry keuchte, würgte trocken an dieser Pein, die sein Herz klein und kalt in seiner Brust liegen ließ. Und war geradezu dankbar, als der Zorn zurückkehrte, seine zerrissene Seele umspülte wie linderndes Wasser eine schmerzende Wunde. Zähne zusammengebissen, konzentrierte Harry sich auf dieses Pulsieren, das alles soviel leichter machte, das die Qual vertrieb, heiß durch seine Adern floss. „Warum? Warum haben Sie mir das gezeigt? Nur, um mich zu treffen?“ Harry wusste, dass er gesprochen hatte, auch wenn die Stimme kaum die seine sein konnte, zu fremd klang dieses Knurren. Die Hitze wandelte sich in Eis, als er Snape ansah – und nicht den erwarteten Hohn auf dem schmalen Gesicht erblickte. „Es war ein Test, Potter.“ Sondern starres Entsetzen. Und etwas wie… Mitgefühl. „Und? Habe ich bestanden?“ Ein winziger Teil von Harry fragte sich, woher die Kraft kam, so kühl mit Snape zu sprechen, fast so, als würden sie über das Wetter reden und nicht darüber, dass Harry alle Illusionen genommen worden waren. Snapes Gesicht wirkte im Fackelschein grau und eingefallen, als er sich abwandte, langsam, taumelnd, als wäre er ein alter Mann. „Ich befürchte nicht.“ Harry rührte sich nicht, als Snape einfach wieder in der Dunkelheit verschwand, aus der er gekommen war. Harry war in seiner eigenen Dunkelheit gefangen. Und sie flüsterte ihm zu, dass er warten konnte, dass Snape zurückkehren würde. Irgendwann. Dass die Zeit für Rache noch nicht gekommen war. Rache dafür, dass Snape Hand an Harrys Familie gelegt, dafür, dass er James Potter geliebt hatte. Es immer noch tat. So wie Harry Draco liebte. Noch immer, mochte er es auch noch so oft leugnen. Der Gedanke ließ jene Finsternis bröckeln, brachte ihn zurück auf den feuchten Boden der Zelle, erinnerte ihn daran, dass Draco fortgebracht worden war. Es beraubte ihn dieser Kraft, dieser wohltuenden Ruhe, ließ ihn in sich zusammensacken, am ganzen Leib zitternd, von einer Kälte erfasst, die nicht irdisch war. Er versuchte, diesen Zorn wieder zurückzuholen, rief sich jene Bilder, die ihn so verletzten mit voller Absicht ins Gedächtnis zurück. Und dennoch kehrte die Wut nicht zurück. Stattdessen verspürte er etwas, was Harry würgen ließ, was er nicht wahr haben wollte – Mitleid. Mitleid mit Snape, ausgerechnet mit Snape, der noch immer so verzweifelt und ohne jede Hoffnung liebte. Und nagende, zehrende Sorge um Draco. „Harry?“ Harry riss die Augen auf, starrte Draco an, der plötzlich da war, vor ihm kniete, als wäre er niemals fortgewesen, der ihn ansah, fragend, die Augen groß und weit. Die jähe, unbändige, ungläubige Freude wollte Harry ebenfalls nicht verspüren. „Harry, was ist passiert?“ Harry öffnete den Mund, würgte an der Antwort, stieß einen Laut aus, der an ein tödlich verwundetes Tier erinnerte, als er… Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen… …wieder seinen Vater sah, der Snape Zärtlichkeiten zuflüsterte. Es tut mir Leid… ich kann es nicht ertragen, wenn du mich hasst… Lügen, wie sie auch Draco über die Lippen gebracht hatte. Die jetzt keine Rolle mehr spielten. Nicht in diesem Augenblick, als sich schlanke Arme um Harry schlangen. Draco war da. Draco, der ihn vergessen ließ, der ihn immer vergessen ließ. Auch jetzt. Und Harry nahm dieses Vergessen nur zu gern an, diesen Frieden, ließ sich halten, ganz gleich, was gewesen war. Draco war wie Licht, das die Dunkelheit und Kälte zurücktrieb. Harry gierte geradezu nach diesem Licht, konnte nicht nah genug an Draco herankommen, seine fiebrige Stirn nicht fest genug gegen kühle Haut pressen. Konnte nicht genug bekommen, von streichelnden Fingern in seinem Haar, weichen Lippen, die flüchtig seine Schläfe berührten, schüchtern fast, als wären sie sich das erste Mal so nahe. Harry schlang verzweifelt seine Arme um Draco und drückte ihn fest an sich, noch immer seltsam betäubt durch das Chaos in seinem Inneren. Das ihm diese kleine Schwäche erlaubte. Es war beinahe wie früher, eine fast perfekte Illusion. Doch eben nur beinahe. „Was ist passiert? Was hat Snape gewollt?“ Der Moment verging, zerstört durch eine einfache Frage und durch die bloße Erwähnung Snapes. Die Illusion zerbarst wie eine Seifenblase und Harry war sich jäh peinlich darüber bewusst, dass er, einem schutzsuchenden Kind gleich, auf Dracos Schoß saß, dass sein verräterischer Körper auf Dracos pure Anwesenheit, auf eine unschuldige Umarmung reagierte. Auf eine Weise reagierte, die den jüngsten Vorfällen wohl kaum angemessen war. Einen Herzschlag lang zögerte Harry, bevor er seinem Stolz nachgab und abrückte. Kopf gesenkt, um Draco nicht ansehen zu müssen, die Wangen brennend vor Scham, obwohl alles in ihm vehement danach verlangte, sich auf der Stelle wieder in die beruhigende Umarmung zu schmiegen. Er wollte sich halten lassen, Draco erzählen, was er gesehen, was er erfahren hatte. Er wollte die kleine Schwäche einfach weiter auskosten, wollte noch länger vergessen. Immerhin reichte schon Dracos Gegenwart, um James und Snape ein wenig aus seinem Kopf zu vertreiben, das Gesehene weniger real scheinen zu lassen. Es half Harry, zu verdrängen, sich auf andere Probleme zu konzentrieren. Doch Harry wusste auch, wohin es unweigerlich führen würde, sollte er nicht auf Abstand gehen und er wollte sich nicht zu einem größeren Narren machen, als ohnehin schon. Also rutschte er noch weiter fort, bis sich das Gestell der Holzpritsche in seinen Rücken bohrte; seine Flucht beendete, vor Draco und vor sich selbst, weil er Draco so verzweifelt vergeben wollte. „Harry, ich… es tut mir Leid, ich wollte nicht… ich meine, ich werde dich nicht mehr bedrängen…“ Harry schluckte, obwohl sein Mund staubtrocken war. Draco klang verletzt und das war schlimm. Schlimmer war jedoch, dass ein Teil von Harry sehr wohl bedrängt werden wollte und dass dieser Teil grade herzhaft fluchte, weil er den günstigen Moment verdorben hatte. Doch vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht konnte er es noch retten. „Hast du nicht“, brachte Harry hervor, obwohl er etwas ganz anderes hatte sagen wollen, während er ungeschickt auf die Pritsche kletterte, noch immer zu Boden starrend, als wäre diese Mischung aus Stein und Lehm das Interessanteste, was er jemals gesehen hatte. „Es ist nur…“ „Ja?“ Hatte Draco hoffnungsvoll geklungen? Oder war es nur höfliches Interesse, weil sie hier zusammen festsaßen? Harry wagte einen kurzen Blick und konnte sich der beißenden Enttäuschung nicht erwehren, weil Draco ebenfalls den Boden betrachtete und keinesfalls ihn. „Nichts.“ „Oh.“ Harry konnte den Blick nicht abwenden, suchte nach der kleinsten Reaktion, interpretierte sogar schon das kaum merkliche Absacken schmaler Schultern, als kleinen Hoffnungsschimmer. Jetzt musste er nur noch das erdrückende Schweigen unterbrechen, das sich zwischen ihnen ausbreitete. Doch es war schwer. Schwer, Worte zu finden, die nicht zuviel verrieten, die nicht zu eindeutig klangen, die Draco nicht direkt sagen würden, dass Harry sich nach seiner Nähe verzehrte. „Du, äh, musst nicht auf dem Boden sitzen, also… weißt du… diese Pritsche ist groß genug…“ Draco warf ihm einen raschen Seitenblick zu und Harry hätte sich vor Scham am liebsten unter der Pritsche verkrochen. Wieder benahm er sich wie ein Idiot, sagte das Falsche, stotterte wie ein unsicherer Trottel, wie damals, als er Cho gebeten hatte, ihn zum Weihnachtsball zu begleiten. Harry war schon überzeugt, eine Abfuhr zu erhalten. Er selbst wäre lieber bis in alle Ewigkeit auf dem Boden hocken geblieben, nach allem was geschehen war – umso überraschter (und glücklicher) war er, als Draco sich tatsächlich erhob, sich neben ihm niederließ; auch wenn er Abstand hielt, offensichtlich darauf bedacht war, dass sie sich nicht berührten. Doch vorerst reichte es Harry. Es war ein Anfang. Auch wenn Draco ihn noch immer nicht ansah, unmerklich zitternd, die schlanken Finger ineinander verkrampft, an der Kante der Schlafstatt hockte – und Harry verfluchte sich selbst und konnte sich doch nicht helfen, konnte nicht weiter gehen. Doch er musste Draco Nacken betrachten, die feinen Muskelstränge, das sachte Pulsen unter der weißen Haut des Halses, die weiche Haut der Unterlippe, von weißen Zähnen malträtiert. Und erst jetzt, weil er Draco ausführlich und aus der Nähe beobachten konnte, fiel Harry ein essentieller Unterschied auf. Das blasse Gesicht wies keinerlei Spuren von Harrys dunklem Zorn mehr auf. Und es schürte das Misstrauen, das tief in ihm gelauert hatte, das jetzt freudig zuschlug. „Wohin haben sie dich eigentlich gebracht?“, fragte Harry schärfer als beabsichtigt. Er konnte den Gedanken einfach nicht loswerden, der sich unwillkürlich in seinen Verstand schlich – dass Draco vielleicht einen neuen Auftrag erhalten hatte und deshalb, nur deshalb, in die Zelle zurückgebracht worden war. „Zu meinen Eltern“, antwortete Draco leise, fast unhörbar. „Lestrange hat… mich vorher geheilt, damit sie nicht… wütend auf dich werden.“ Harrys Gesicht schien in einer Supernova zu explodieren, er konnte die Hitze spüren, die sich sogar über Hals und Brust ausbreitete. Ihm war bewusst, dass er Lestrange eigentlich dankbar sein müsste. Ihm war aber ebenso bewusst, dass, wenn Voldemort und Snape darüber im Bilde waren, was zwischen ihm und Draco war, die Malfoys es wohl ebenfalls wussten. Plötzlich war die verschlissene Matratze ausgesprochen faszinierend und musste ausgiebig von Harry betrachtet werden. „Und? Was haben sie… gesagt?“ Und warum gab Harry eigentlich die letzten fünf Minuten nur Schwachsinn von sich? Mehr noch als gewöhnlich. „Ich meine… wie haben sie es aufgenommen… also… dass du hier bist… als Gefangener sozusagen?“ „Sie waren nicht unbedingt erfreut“, antwortete Draco zögernd „Weder, dass ich ein Gefangener bin, noch, dass ich… dass du und ich… über das, was passiert ist.“ Harry war froh, dass er wenigstens nicht der einzige war, der hier stotterte. Über das erneute Schweigen war er allerdings nicht ganz so froh. Draco schien in sich zusammenzusacken, ließ den Kopf hängen. Harry konnte nur erahnen, welche Vorwürfe Draco sich hatte anhören müssen. Selbst, wenn Draco nur mit ihm gespielt hatte, er war jetzt ebenfalls hier, in dieser Zelle und das hatte nicht zum Plan gehört. Lucius Malfoy war bestimmt kein Mann, der seine Pläne gern durchkreuzt sah, aus welchen Gründen auch immer. Harry merkte erst, dass er eine Hand ausgestreckt hatte, als er Draco schon fast berührte. Nur noch weniger Fingerbreit fehlten, er spürte fast schon die Wärme und er ließ den Arm schnell wieder sinken, als Draco sich zittrig einatmend bewegte. Es war eine Qual, Draco so nahe zu sein und ihn doch nicht spüren zu können. Ihm nicht helfen zu können. Und er hätte gern etwas gesagt, etwas, so verrückt es auch war, was Draco aus den düsteren Gedanken reißen würde. Aber ihm fiel nichts Besseres ein als: „Mein Vater hat meine Mutter mit Snape betrogen. Deshalb war er hier. Um mir das zu zeigen.“ Es war befreiend, es zu sagen, es Draco zu sagen, einzugestehen, dass es die Wahrheit war, dass es wirklich passiert war. Es tat nicht einmal weh, nicht wirklich, mehr ein Bohren in Harrys Herzen, nicht mehr jene stechende Qual. Und auch das verging, als Draco ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte, eine Hand nach Harry ausstreckte, nach ihm greifen wollte, bevor er zögerte und seinen Arm unverrichteter Dinge einfach fallen ließ. Doch es spielte keine Rolle. Draco hörte zu, sah ihn an, nahm Anteil. Und jetzt, da Harry einmal angefangen hatte, brach es aus ihm heraus, die Worte perlten von seinen Lippen wie Wasser, als er erzählte, jede schmerzhafte Einzelheit bis ins kleinste Detail wiedergab, bis alles gesagt war, bis Harry sich leer und ausgebrannt und seltsam friedlich fühlte – fast als hätte er die Bilder abschütteln können. Sie waren zwar noch da, doch weniger präsent. Ein merkwürdig surreales Gefühl. Das sich noch verstärkte, als Draco tief einatmete, zischend fast und Harrys Welt, die noch nicht ganz in einigermaßen geregelte Bahnen zurückgerutscht war, erneut aus den Angeln hob. „Ich denke, ich weiß, warum Snape es dir gezeigt hat. Anscheinend gibt es eine Legende, an die der Dunkle Lord glaubt…“ Harry hörte zu, hörte aufmerksam zu und schwieg wie paralysiert, als Dracos Erklärung endete. „… anscheinend sind alle davon überzeugt, dass deinetwegen die Welt untergehen wird. Und ich sollte dafür sorgen, dass du… vor dem Neumond den Verstand verlierst… zu etwas Bösem wirst… ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll…“ Plötzlich ergab es Sinn, dass Snape gesagt hatte, es wäre ein Test gewesen, plötzlich ergab es sogar Sinn, dass Harry manchmal das Gefühl hatte, von Dunkelheit übermannt zu werden, sich in seinem Zorn zu verlieren. Es ergab jedoch keinen Sinn, dass ausgerechnet er für den Untergang der Welt verantwortlich sein würde – schließlich hatte er sie eigentlich retten sollen. Das war das Schicksal, das Dumbledore ihm vorausgesagt hatte, das war es, was der Orden, die magische Welt von ihm erwartete. Doch niemand von denen, die verlangten, dass er sie retten sollte, saß hier, war gefangen wie eine Ratte im Käfig, verdammt darauf zu warten, was Voldemort als nächstes tun würde. Keiner von ihnen lief Gefahr, von ihm getötet zu werden. Keiner von ihnen erzitterte beim Gedanken daran, dass er Draco verlieren könnte. Harry lehnte sich an die Wand, starrte die Decke an, öffnete den Mund, um Draco zu sagen, dass es nicht sein konnte, um ihm zu sagen, dass es durchaus stimmen konnte, um ihm zu sagen, dass Lucius und Narzissa mindestens genauso verrückt waren wie Voldemort. Um ihm zu sagen, dass Dracos Gegenwart allein schon ausreichte, um Harry in den Wahnsinn zu treiben. Und heraus kam: „Deine Lügen waren auch schon mal glaubhafter.“ Draco, der stur auf seine Hände gesehen hatte, sah entgeistert auf, wirkte verletzt und wütend zugleich, als er die Lippen zusammenpresste. „Das war keine Lüge! Der Dunkle Lord glaubt daran und meine Eltern und Snape waren immerhin bereit, dich zu testen. Verstehst du nicht, was sie wollten? Ich sollte dich dazu bringen, mich zu hassen… noch mehr als ohnehin schon.“ „Das gestern war schon mal ein guter Anfang“, höhnte Harry, weil er einfach nicht anders konnte, auch wenn er sich gleichzeitig schämte. „Warum der plötzliche Sinneswandel? Warum hast du es mir erzählt?“ Draco senkte den Kopf, Wangen flammend rot. „Ich habe mich geweigert.“ ooOoo Narzissa ließ sich die Mühe nicht anmerken, die sie hatte, mit Lucius’ ausholenden Schritten mitzuhalten. Sie konnte die Wut spüren, die von ihm ausging, die jede Bewegung ungeduldig und kantig wirken ließ. Dracos Worte hatten sie nicht überrascht, nicht wirklich. Sie hatte es geahnt, schon bevor Severus kryptische Andeutungen gemacht hatte… sie hatte geahnt, dass hinter Dracos Besessenheit gegenüber Potter noch etwas anderes stecken musste, als nur diese kleine Rivalität unter den Häusern Gryffindor und Slytherin. Narzissa betrachtete Lucius’ Profil, die harten Züge, die nur weich wurden, wenn sie allein waren – oder wenn er Draco anblickte. Draco, dem er jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte, immer schon, den er so haltlos verwöhnt, während er Narzissas zögerliche Einwände mit einem Lachen abgetan hatte. Und sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, was in ihm vorging, was ihn in diese Raserei versetzte. Eine Raserei, die schon zu lange in ihm brodelte, die nun neue Nahrung gefunden hatte. Eine Raserei, die sich erst Bahn brach, als sie ihre Räumlichkeiten erreicht hatten und Narzissa die Tür hinter sich schloss. Eine Vase zerschellte laut klirrend an der Wand. Narzissa sah unbewegt zu, wie Lucius die Weinkaraffe folgen ließ, betrachtete den roten Sprühnebel, als kostbares Kristall zersprang und der Inhalt von grauem Stein tropfte wie Blut. Sie betrachtete auch Lucius, der schweratmend nach neuen Wurfgeschossen Ausschau hielt; leblosen Dingen, an denen er seine Wut auslassen konnte. Und anscheinend nichts fand, was seinen Ansprüchen genügte, sich damit begnügte, halblaut fluchend auf und ab zu laufen, sich fahrig das lange Haar aus der gerunzelten Stirn zu streichen – und Potter die Pest und Schlimmeres an den Hals zu wünschen. Gegen ihren Willen und trotz des tödlichen Ernstes der Situation musste sie lächeln. Es war selten, Lucius so zu sehen; zitternd vor unbändiger Wut und Hilflosigkeit, weil er wusste, dass er gegen Dracos Entscheidung nichts ausrichten konnte. Eine Entscheidung, die Draco das Leben kosten konnte. Narzissa zog es vor, diesen Gedanken nicht einsinken zu lassen, um wenigstens selbst noch bei Verstand zu bleiben – um planen zu können. Um sich nicht in hilfloser Angst zu verlieren. Gleichzeitig war Lucius auch vor Empörung außer sich. Draco hatte sich ihm widersetzt, zum aller ersten Mal. Es musste für ihn sein, als hätte er in einen Spiegel gesehen. „Geht es dir jetzt besser?“, fragte Narzissa in eine recht ausführliche Beschreibung dessen hinein, was Lucius mit Potter anstellen würde, sollte es der Dunkle Lord nicht tun. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ihr ein geradezu mörderischer Blick aus verengten Augen zuteil wurde – und eine ebenso mörderisch geknurrte Antwort, als Lucius sich fast schon kraftlos auf das Bett setzte, das Gesicht in den Händen vergraben. „Es geht gar nicht direkt um Potter, nicht wahr?“, fuhr sie fort, ging auf ihren Mann zu, der wirkte, als würde er sich am liebsten, einem trotzigen Kind gleich, die Ohren zuhalten. „Natürlich geht es um Potter! Der hat Draco diese Flausen in den Kopf gesetzt! Liebe! Dass ich nicht lache… der Junge ist noch ein Kind, er weiß doch gar nicht, was Liebe ist!“ In Lucius’ grauen Augen stand so viel gerechte Entrüstung, dass Narzissa sich auf die Lippen beißen musste, um trotz der eigenen Verzweiflung nicht zu lachen. Sie schwieg, tauchte ihre Finger in lange, blonde Strähnen, deren Seidigkeit sie schon immer fasziniert hatte und es noch tat, nach all den Jahren. „Du warst kaum älter, als du mich geheiratet hast“, erinnerte sie Lucius sanft, streichelte über verkrampfte Nackenmuskeln, die sich wie straff gespannte Stricke unter der weichen Haut ausmachten. „Das war etwas völlig anderes!“ „Und ich glaube mich zu erinnern, dass du es gegen den Willen deines Vaters getan hast“, fuhr Narzissa unbeirrt fort, auch wenn Lucius’ Augen ihr offen mit Sanktionen drohten, sollte sie nicht schweigen. „Ich glaube mich sogar daran zu erinnern, dass du den Namen Malfoy ablegen und mit mir durchbrennen wolltest, hätte er seine Zustimmung verweigert.“ Lucius grollte und zerrte Narzissa zwischen seine Beine, presste das Gesicht an ihrem Bauch, als könne er sich so vor der Wahrheit verstecken, die ihm gnadenlos unter die Nase gerieben wurde. „Das war auch etwas völlig anderes! Mein Vater hat verlangt, dass ich Bellatrix heiraten sollte und die war schon damals völlig verrückt!“ „Und dass du dich in mich verliebt hast und nicht mehr zu halten warst, hat damit natürlich rein gar nichts zu tun…“, spottete Narzissa sanft. Sie beugte sich herab, küsste lächelnd Lucius’ Scheitel, als er sie fester umschlang, sie dicht an sich presste, als könne sie ihm fortlaufen. „Du und Draco… ihr seid euch so ähnlich… und das ist es, was dich so aufbringt.“ „Er hat mir widersprochen! Das hat er noch nie getan und jetzt macht er es ausgerechnet wegen Potter!“, klagte Lucius beleidigt, was ihn nicht daran hinderte, sich unter Narzissas streichelnden Händen ein wenig zu entspannen. Und sein Selbstmitleid hinderte sie nicht, ihn noch ein wenig zu necken: „Es hätte schlimmer kommen können.“ „Wie? Wie, bitte schön, hätte es noch schlimmer kommen können?“ „Er hätte sich in einen Weasley verlieben können…“ „Das ist nicht lustig, Frau!“, fauchte Lucius, sah auf und Narzissa umfasste das blasse Gesicht mit den Händen, jetzt, ohne ihn noch weiter verspotten zu wollen. Ohne diesen winzigen Augenblick des Hinauszögerns noch weiter in die Länge ziehen zu wollen. „Ich will mein Kind nicht verlieren. Weder an den Tod noch an Potter.“ Zu ihrem Entsetzen brach ihre Stimme fast unter der brodelnden Angst in ihrem Inneren, die bald, schon sehr bald, an die Oberfläche dringen würde und dann... „Bitte… Lucius… ihm liegt so viel daran, was du über ihn denkst.“ Lucius’ Augen wurden weich und warm, als er sie auf seinen Schoß zog, sie mit beiden Armen so fest umschlang, dass sie das lautlose Seufzen spüren konnte, das in seiner Brust vibrierte. Er verstand sie auch ohne Worte, so wie sie ihn verstand und sein Schweigen war nur ein Zeichen des inneren Kampfes, den er mit sich ausfocht. „Nichts, was Draco tut, könnte meine Liebe zu ihm schmälern“, sagte Lucius schließlich. „Aber deswegen muss ich mich nicht gleich vor Glück überschlagen, weil er sich in Potter verguckt hat und seinetwegen sein Leben aufs Spiel setzt.“ „Niemand verlangt das.“ Narzissa legte den Kopf auf Lucius’ Schulter und betrachtete das Profil ihres Mannes unter halbgeschlossenen Wimpern, sah das Lächeln, als sie durchschaut wurde. „Doch, du verlangst es von mir.“ „Ich möchte nur nicht, dass Draco sich schlecht fühlt.“ Lucius stieß einen unbestimmten Laut aus, halb Seufzen, halb Schnauben, bevor er sich ergab. „Ich… rede morgen mit ihm, wenn Rabastan es schafft, uns in die Kerker zu bringen. Bis dahin kann er ruhig ein wenig schlechtes Gewissen haben. Immerhin riskiert er mit seinem Starrsinn nicht nur seinen Kopf.“ Narzissa stieß erleichtert die Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatte, richtete sich auf, um Lucius anzusehen, ihn anzulächeln, auch wenn er jetzt wieder wie ein beleidigtes Kind anmutete. „Aber ich werde nicht nett zu Potter sein und das ist mein letztes Wort, also gib dich damit zufrieden!“ „Ich bin schon beruhigt, wenn du ihm nicht gleich an die Kehle gehst.“ Narzissa biss sich auf die Lippen, drängte das Lachen energisch zurück, weil Lucius’ Widerwillen nur zu deutlich zu erkennen war. Sie ahnte, was ihn dieses Zugeständnis kostete und dass er – so wie sie selbst – im Zweifelsfall Potters Leben durchaus opfern würde, sollte es Dracos retten – doch für den Anfang gab sie sich damit zufrieden, dass Lucius den Jungen nicht in der Luft zerreißen würde, sobald er ihm begegnete – um Dracos Willen. Noch immer lächelnd strich sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht, streichelte mit den Fingerspitzen über die gerunzelte Stirn. Ihr Herz schlug ob der Zärtlichkeit, die sie für ihn empfand, schnell und hart gegen ihre Rippen und sie hätte alles dafür gegeben, die gemeinsam empfundenen Sorgen nur auf sich zu nehmen, all diese dunklen Gedanken, die sein Lächeln schmal und melancholisch werden ließen… Die aufgestoßene Tür riss Narzissa aus ihren Gedanken, ließ sie zusammenzucken, als Snape hereinstürmte, das Gesicht noch blasser als sonst. „Ich befürchte, der Dunkle Lord liegt richtig, was Potter betrifft“, presste er hervor, stützte sich mit beiden Händen am Tisch ab, außer Atem, als wäre er den ganzen Weg gerannt. Narzissa spannte sich an, ein unangenehmes Rauschen in den Ohren. Für einen Moment bedauerte sie, dass der friedliche Augenblick zwischen Lucius und ihr so gewaltsam beendet wurde, dass sie so schnell von der Realität eingeholt worden waren – dann verstand sie Snapes Worte wirklich und ihr wurde kalt. Eiskalt. „Noch mehr gute Nachrichten, die diesen verdammten Tag zu einem Fest machen“, brummte Lucius – der nicht halb so schockiert wirkte, wie er Narzissas Meinung nach hätte sein sollen – während er sanft ihre Hand nahm und ihre Fingerspitzen küsste. „Das ist nicht lustig, Lucius!“, fauchte Snape. „Ich lache ja auch nicht.“ „Lass das!“, mischte Narzissa sich ein, mit heißen Wangen, weil Lucius seelenruhig damit begonnen hatte warme Küsse auf ihre Handfläche zu pressen; sie war überzeugt, dass Lucius’ Verstand gelitten hatte. Lucius seufzte und begnügte sich damit, seine Finger mit Narzissas zu verschränken, bevor er sich einem sichtlich ungeduldigen Severus zuwandte. „Also schön: Was macht dich so sicher, dass der Dunkle Lord Recht hat?“ Severus’ Blick flackerte irritiert, bevor er sich aufrichtete und unruhig im Raum umherschritt – es war fast, als könne er gar nicht stillstehen. „Ich habe Potter eine… Erinnerung gezeigt, um zu testen, wie er darauf reagiert. Aber er… er hat sich schon davor verändert.“ Severus strich sich fahrig durchs Haar, Stirn gerunzelt. „Ich habe Potter schon oft wütend gesehen, sogar mehr als wütend, aber diesmal war es anders…“ „Komm zum Punkt, Severus“, unterbrach Lucius scharf. Narzissa konnte spüren, dass alle Gelassenheit von ihm abgefallen war, jeder seiner Muskeln schien zu vibrieren. Severus stockte mitten in der Bewegung, Narzissa glaubte, ein Zittern durch den mageren Körper unter den schwarzen Roben wahrzunehmen, als er die Augen schloss, wie um sich besser zu erinnern. „Als ich in seine Gedanken eingedrungen bin war da nicht nur Potter, sondern noch etwas anderes… etwas, das in Potter selbst war, dunkel und voller Zorn…“ ooOoo Remus betrachtete das Mädchen neben sich besorgt. Nicht nur, wegen der schier unglaublichen Geschichte, die sie erzählt hatte und die ihn an ihrer Geisteskraft zweifeln ließ – sondern weil sie verbissen lief, seit Stunden schon. Nur kurzen Pausen hatte sie zugestimmt, wie gehetzt weiter gedrängt, kaum, dass sie wieder zu Atem gekommen war. Und jetzt stolperte sie vor Erschöpfung, lehnte dennoch jedes von Remus’ Angeboten, sie zu tragen, ab. Remus konnte nur den Kopf über soviel Starrsinn schütteln. Sie schien das Märchen der alten Frau wirklich zu glauben – dabei glaubte Remus selbst nicht einmal daran, dass es diesen ominösen Wald wirklich gab. Oder, dass Harry dafür sorgen könnte, dass die Welt, wie sie sie kannten, aufhören würde zu existieren… Erneut taumelte Megan, fiel fast und lächelte Remus dankbar und müde an, als er nach ihr griff, sie auf den sicherlich wunden Füßen hielt. Er beschloss, dass es für heute reichen musste. „Die Sonne geht unter und du brauchst Ruhe.“ Sie blinzelte und schüttelte den Kopf, schien die hereinbrechende Nacht gar nicht wahrzunehmen, sondern deutete auf den nächsten Hügel, mit zitternden Fingern und einem beinahe fanatischem Brennen in den braunen Augen. „Nur noch da drüber… vielleicht… bestimmt finden wir sie dahinter.“ Remus fragte sich, ob er nachgeben sollte, wie er schon so oft an diesem Tag nachgegeben hatte. Ein maroder Tierunterstand, keine zehn Schritte linker Hand gab den Ausschlag, diesem Kind die Grenzen zu zeigen. „Nein. Wir schlafen dort. Wir suchen morgen weiter, wenn du dann noch laufen kannst.“ „Aber… Hey!“ Remus ignorierte den Protest ebenso wie die kleinen Füße, die ihn trotz des Gewaltmarsches noch schmerzhaft fest treten konnten, während er Megan einfach hochhob. Und dabei inständig hoffte, dass das Kind schlafen würde, sobald es erst einmal lag. Er brauchte Zeit, nachzudenken, Zeit, sich darüber klar zu werden, was er tun sollte. Megan an einen sicheren Ort bringen und versuchen, Harry zu finden, oder weiter einem Hirngespinst nachjagen. „… schleimiger, stinkender Kröter!“ „Ich frage mich, von wem du solche Ausdrücke hast“, brummte Remus in die wenig schmeichelhafte Tirade hinein, als sie den Unterstand erreichten, der zwar wenig komfortabel, aber trocken war. Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen, als Megan den Kopf in den Nacken warf und nicht ohne Stolz Dracos Namen nannte. „So ist das also. Was hat Draco dir denn noch alles beigebracht?“ Remus hatte Megans Bewunderung für den Malfoyjungen richtig eingeschätzt: Sie schnappte nach dem Köder wie ausgehungert. Und Remus durfte sich die nächsten Minuten ein Loblied anhören, das Draco Malfoy als wahrhaft Heiligen hinstellte. Ein Bild, das sich kaum vereinbaren ließ, mit dem, was Remus wusste. Dennoch amüsierte es ihn ungemein, dass Harry nicht halb so gut wegkam, auch, wenn Megan ihre Eifersucht zu verbergen versuchte. „Manchmal kann Harry aber auch ganz nett sein“, räumte sie ein. „Ich schätze, Harry vergisst seine gute Manieren, wenn Draco in der Nähe ist“, versuchte Remus, Harrys Ehre wenigstens halbwegs zu verteidigen. Er befreite den Boden so gut es im Dämmerlicht ging, von Steinen, damit Megan es annähernd bequem hatte. „Die beiden vertragen sich nicht sonderlich gut, weißt du.“ Remus war so erfreut, festzustellen, dass noch Heu in der Raufe lag, dass ihm das Schweigen des Kindes kaum auffiel. Das Heu war zwar muffig und feucht, doch es würde als Unterlage ausreichen… Hinter ihm ertönte ein erstickter Laut und Remus wirbelte herum, den Zauberstab im Anschlag, durch die plötzliche Bewegung von einer Wolke Stroh umgeben. Doch da war kein Angreifer, der sich hinterrücks an sie herangeschlichen und sich Megan gegriffen hatte. Da war nur das Kind, beide Hände vor den Mund gepresst, Augen kugelrund – und sie schien sich ausschütten wollen vor Lachen. Remus ließ den Zauberstab sinken. Irritiert und peinlich berührt zugleich, weil er in dieser Einöde mit einem Angriff gerechnet hatte. Weil er für seine Wachsamkeit auch noch ausgelacht wurde! „Klar, sie vertragen sich gar nicht gut“, presste Megan mühsam heraus, bevor sie ihre Beherrschung vollends verlor und quietschend loslachte. „Deswegen waren sie auch ständig zusammen.“ „Harry hatte einen Auftrag von McGonagall“, erklärte Remus mit so viel Würde wie er aufbringen konnte und pflückte sich Strohhalme aus den Haaren. Er konnte sich nicht genau erklären warum, aber Megan lachte nur noch lauter, als wüsste sie die Pointe des Scherzes und würde sie Remus absichtlich vorenthalten. „Klar. Nur deswegen...“ Sie gluckste noch immer, als sie sich zufrieden seufzend auf dem Heu zusammenrollte und anscheinend schon schlief, kaum, dass ihr Kopf den Boden berührt und Remus sie mit seinem Umhang zugedeckt hatte. Remus indes hatte noch etwas, worüber er grübeln konnte, als er sich neben ihr niederließ, die Wand im Rücken und das freie Feld vor Augen. Einöde hin oder her – er wollte sich nicht überraschen lassen. Nachdenklich starrte er in die Nacht, die sich wie ein Mantel über das Land gelegt hatte, die ein besserer Schutz war, als Remus’ müde Augen, die schon jetzt zufallen wollten. Megans Worte wirbelten in seinem Kopf umher, beschworen die Bilder einer schrecklichen Legende herauf, Menschen, die schrien, Harrys Augen, die Draco ständig folgten, das Gesicht einer alten Frau, die ihn auslachte, Sirius, der die Hand nach ihm ausstreckte, diesen Hunger im Blick, der Remus auch nach Jahren nicht kalt ließ… Remus riss die Augen auf, pures Adrenalin im Blut, begriff, dass er eingeschlafen war und verfluchte seine Unachtsamkeit in der gleichen Sekunde, in der er den mächtigen Leib bemerkte, der über ihm aufragte. Und den Pfeil, der auf sein Herz zielte. Das schimmernde Licht, das aus den Bäumen selbst zu kommen schien, brach sich in den spöttischen Augen der Zentaurin, als die Sehne des Bogens gespannt wurde. „Noch immer wählt das Menschenkind seine Begleitung mit wenig Bedacht.“ ooOoo Narzissa starrte Severus in fassungslosem Schweigen an, spürte kaum, wie sie sanft von Lucius’ Schoß geschoben wurde. Der mit wenigen, schnellen Schritten vor Severus stand. Jetzt nicht mehr ruhig und gelassen und spöttisch. „Ist Potter eine Gefahr für Draco?“ „Nein, ich… ich denke nicht. Jetzt nicht mehr.“ „Was soll das heißen: Jetzt nicht mehr? Verdammt, Severus, drück dich deutlich aus!“ Narzissa sah zu, wie Lucius nach Severus’ Roben griff, nahm unwichtige Details mit fast schmerzhafter Klarheit wahr. Das blasse Gesicht ihres Mannes, die blutleeren Fingerknöchel, Severus’ Augen, flackernd, nach einer Möglichkeit zur Flucht suchend, während seine Lippen sich bewegten, schnell und stumm. Seine Worte durchdrangen das Rauschen in Narzissas Ohren nicht. „Er hat Draco geschlagen?“ Lucius’ Stimme schaffte es dagegen spielend, dennoch erreichte Narzissa der Sinn seiner Worte nicht. „Und was macht dich so sicher, dass er es jetzt gerade nicht wieder tut?“ „Potter hat vielleicht einmal die Kontrolle verloren, aber jetzt macht er sich mehr Sorgen um Draco als um sich selbst…“ Keiner von ihnen ahnte, was auf sie zukam. Nicht wirklich. Weder Severus, noch Lucius. Und Narzissa trieb schon die bloße Vorstellung verängstigt von sich. Narzissa kannte nur die Legenden. Und auch sie wurden vergessen, wollten vergessen werden, waren zu schrecklich, um wahr zu sein. Dieser Sturm würde alles Leben auslöschen. Alles, bis auf den Dunklen Lord, der unsterblich war. „Potter sollte sich lieber um sich selbst sorgen, wenn ich ihn in die Finger bekomme!“ „Du hast Draco gesehen, anscheinend geht es ihm gut.“ „Weil Rabastan, verdammt soll er sein, ihn nur deswegen geheilt hat, damit ich Potter nicht den dürren Hals umdrehe!“ Wie betäubt stand Narzissa auf, ignorierte den lauten Streit rechter Hand, war gefangen in ihrem Entsetzen, das sie zum Fenster trieb, um einen Blick auf diese Welt zu werfen, diese sterbende Welt. Über die der Dunkle Lord herrschen würde, weil es nichts mehr geben würde, was sich ihm entgegenstellen könnte. Das Glas war kühl und beruhigend real unter Narzissas Fingern, beschlug durch ihren Atem, als sie hinausblickte, auf das Grün der Wiesen, den dunklen Schatten der Wälder. Sie glaubte fast, das tosende Donnern der Gefahr zu hören. Das warnende Knurren dieses Molochs, der alles zu verschlingen drohte. Sie schauderte, fragte sich, wie lange der Dunkle Lord das alles schon plante, wie oft sie ihm unbewusst in die Hände gespielt hatten. Und sie begriff, warum Bellatrix dieses wahnsinnige Ziel so fanatisch unterstützte, weiteten sich ihre Augen. „Er hat ihr versprochen, sein Geheimnis zu teilen.“ Sie hatte nur geflüstert und doch reichte es, das Rauschen der aufgebrachten Stimmen hinter ihr verstummen zu lassen. Narzissa spürte Lucius mehr, als er an sie herantrat, als dass sie ihn sah. Der Boden schien unter ihren Füßen zu schwanken, sie klammerte sich an Lucius fest, ohne ihn zu sehen, als das letzte Teil des Puzzles an seinen Platz fiel. Die Kadi-Bakh, Bellatrix’ Macht über diese Wesen… es war ein Geschenk und ein Vorgeschmack, auf das, was noch kommen würde. Bellatrix hatte nicht nur von dieser Macht gekostet – sie tat alles, um zu überleben, gleich wie. Narzissa taumelte unter der Woge von Übelkeit, die über sie hinwegspülte, krallte ihre Finger in Lucius’ Arm. „Narzissa? Narzissa, sieh mich an!“ Und wenn sie das gleiche täten? Wenn sie ebenfalls alles daransetzten, zu überleben… Wenn Potter wirklich sterben würde, bevor er Schaden anrichten konnte? Ein Leben für das von vielen? Das Leben eines Kindes, das ihr Sohn sein könnte? Noch vor wenigen Stunden hätte sie es getan. Doch jetzt, nachdem sie wusste, dass Draco… Wieder kam die Übelkeit über sie, dringender jetzt. Saurer Speichel sammelte sich auf ihrer Zunge. Sie dachte an Draco, wie er sie angesehen hatte, trotzig, stolz und verzweifelt. Ich liebe ihn. Narzissa kämpfte um jeden klaren Gedanken, hörte, wie Lucius ihren Namen rief, spürte, wie er sie schüttelte und sah doch nur Draco – und wie er sich von ihnen abwenden würde, für immer vielleicht. Lucius würde nicht zögern, zu tun, was zu tun war. Selbst wenn es ihn Dracos Liebe kosten würde. Doch Narzissa zögerte. Sie könnte niemals darauf verzichten. Es gab noch einen weiteren Weg, dunkel und unsicher, voller Tücken. Und sie beschritt ihn, als sie sich aufrichtete; tief einatmend, alle Kraft zusammennahm, um Lucius beruhigend anlächeln zu können. „Mir geht es gut. Nur ein kleiner Schwächeanfall. Es war wohl etwas zuviel für mich.“ Sie sah kein Misstrauen in den klaren Augen ihres Mannes, nur Sorge und doch blutete ihr Herz, weil sie ihn anlog, weil sie ihn davon abhalten musste, ihren Sohn mit allen Mitteln, die zur Verfügung standen, zu schützen. ooOoo „Erzähl es mir noch mal“, verlangte Harry. „Jede Einzelheit.“ Dracos Schultern hoben sich, im lautlosen Seufzen, bevor er sich mit gespreizten Fingern durch die Haare fuhr und um Geduld rang. Als wenn es nicht schon schwer genug war, so dicht neben Harry auf dem Bett zu sitzen, ohne ihn berühren zu dürfen, ohne ihn länger als wenige Sekunden ansehen zu können. Dennoch widersprach er nicht, auch wenn er Harry die ganze Geschichte schon zum dritten Mal erzählte, in allen Einzelheiten, bis auf das, was er seinen Eltern entgegen geschleudert hatte. Wenn es Harry half, die Tatsache zu verdrängen, dass James Potter und Snape… Draco redete, weil das Schweigen zwischen ihnen noch schlimmer war, weil Harry zuhörte und Draco spüren konnte, dass er ihn ansah, wenn er sprach, weil er so hilflos war, dass ihm nichts Besseres einfiel, als Harry den Wunsch zu erfüllen. Die Worte kamen wie von selbst, wie auswendig gelernt, während Dracos Gedanken abschweiften. Zu seinen Eltern, die er sichtlich verletzt hatte und die ihm scheinbar doch vergaben. Zu Harry, dessen Körperwärme er fühlen konnte, dessen Knie sich fast unmerklich gegen Dracos Bein drückte. Eine gänzlich unschuldige Berührung, die Draco dennoch so furchtbar nervös machte, dass seine Handflächen feucht und sein Mund staubtrocken wurde. Er bekam den kurzen Augenblick nicht aus seinen Kopf, als er die Zelle betreten und Harry am Boden gekauert hatte. Als er ohne nachzudenken neben ihm in die Knie gegangen war und ihn festgehalten hatte. Niemals vorher hatte er Harry so gesehen, so klein, in sich zusammengerollt, zitternd. Und trotz aller Sorge, hatte sich warmes Glücksgefühl in Draco ausgebreitet, als Harry ihn nicht von sich gestoßen hatte. Im Gegenteil: Harry hatte den schwachen Trost sogar angenommen. Für einen winzigen Moment. Bevor er sich erinnert hatte und von Draco abgerückt war, der einfach zu schnell zuviel gewollt hatte. Doch Draco hatte diese Zärtlichkeit wieder einmal gekostet und hungerte jetzt danach. Es war wie eine Sucht, Harry war wie eine Sucht und Draco konnte sich diesem süßen Sog kaum entziehen, als Harry sich neben ihm rührte, Harrys vager Geruch Dracos Nase streifte. Draco verkrampfte die Finger ineinander, die nach Harry greifen wollten, schwieg, weil seine Stimme um Vergebung bitten wollte (wieder einmal) und schloss ergeben die Augen, als Harry aufsprang und unruhig in der Zelle auf und ab ging. Der Platz neben Draco fühlte sich kalt und leer an. „Snape hat von einem Test gesprochen, den ich nicht bestanden habe.“ Draco, ganz gefangen von der Betrachtung Harrys, der so nervös wie ein gefangenes Tier wirkte, blinzelte irritiert, mahnte sich, sich zusammenzureißen, die vorsichtige Annäherung nicht wieder kaputt zu machen, indem er es (wieder einmal) überstürzte. Draco setzte sich aufrechter hin, konzentrierte sich auf das Problem, das es zu lösen galt und nicht darauf, dass er Harry zu gern das wirre Haar aus der Stirn gestrichen hätte. „Hast du eine Ahnung, was er damit gemeint haben könnte?“ Draco wäre es vielleicht gar nicht aufgefallen, hätte er Harry nicht so genau betrachtet; dieses kurze Zögern, das schnelle Abwenden des Blickes, die Zähne, die sich einen Herzschlag lang in eine weiche Unterlippe gruben. „Nein.“ Harry log erbärmlich schlecht. Und er verbarg es nicht einmal. Dabei war ihnen beiden klar, was Snape wohl damit gemeint haben könnte. Draco brauchte nur eins und eins zusammenzählen. Diese verfluchte Legende… Snapes Test… und Harrys kleiner Wutausbruch letzte Nacht, sagten ihm alles, was er wissen musste. Eine Erkenntnis, die Draco erst frösteln ließ und ihn dann von der Pritsche trieb, auf Harry zu, der die Stirn an die Gitter lehnte, Augen geschlossen, tief durchatmete. „Es muss nicht so kommen, wie meine Eltern befürchten.“ Draco flüsterte, traute seiner Stimme nicht, als er hinter Harry stand, seine Fingerspitzen angespannte Schultern berührten, so vorsichtig, als könne Harry jeden Moment explodieren. Er wollte nicht schon wieder überstürzt handeln, doch er wollte Harry auch nicht vollkommen allein lassen. „Du hast keine Ahnung.“ Harry würgte an den Worten, die sicher so bitter schmeckten wie sie klangen. „Da ist etwas in mir und ich kann es nicht kontrollieren… so wie gestern. Ich habe immer gedacht, dass ich… naja, eben der Retter bin, wie sie mir alle gesagt haben. Das Gute in Person. Aber die ganze Zeit war da noch etwas anderes, immer schon und es wird stärker, Draco. Und vielleicht ist es stärker als ich.“ In Dracos Herzen vibrierte eine Stimmgabel aus Eis. Harry war ihm immer so stark vorgekommen. Er hatte sein Schicksal einfach angenommen, war entschlossen den vordiktierten Weg gegangen, gleichgültig, welche Opfer er bringen musste. Draco hatte nie verstanden, warum Harry das tat, warum er nicht ausgebrochen war und das alles hinter sich gelassen, jemand anderes diese schmutzige Arbeit überlassen hatte. Zu schmutzig für ein Kind. Doch jetzt verstand er. Im Grunde genommen war Harry nicht anders als er selbst. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie auf parallelen Pfaden gegangen waren – eine Abzweigung voneinander entfernt und doch das gleiche Ziel vor Augen: Sie wollten die Hoffnungen, die in sie gesetzt wurden, nicht enttäuschen. Harry holte zitternd Luft und Draco rückte unwillkürlich näher an ihn heran, seine Hand glitt an Harrys Rücken hinab, bevor sie sich federleicht auf Harrys Bauch legte; trotz der allgegenwärtigen Gefahr, erneut abgewiesen zu werden. Das Herz schlug ihm hart gegen die Rippen, so nervös war er, als er sich über die trockenen Lippen leckte, einen letzten Schritt tat, sich an Harry lehnte. „Ich glaube nicht, dass es stärker ist als du“, wisperte er, so dicht an Harry, dass seine Lippen Harrys kalte Wange berührten. Er konnte das Beben spüren, das durch Harrys Körper lief. Und er konnte sich nicht helfen, wusste, dass es falsch war – aber er war glücklich, in diesem fragilen Augenblick. Glücklich, dass Harry ihn wieder in seine Nähe ließ, mit ihm redete. „Ich wollte Snape töten“, sagte Harry, als würde das alles erklären, als hätte er schon aufgegeben, dagegen zu kämpfen. „Und gestern… ich wollte dich verletzen. Ich wollte es dir heimzahlen.“ Draco schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Und er schluckte hart, erinnerte sich an das dunkle Leuchten in Harrys Augen, erinnerte sich, wie er diesen Schmerz nur zu gern angenommen hatte, weil er erträglicher war, als die Qual in seinem Herzen. Er erinnerte sich aber auch an die Sorge, die Harry offen gezeigt hatte, als Lestrange ihn geholt hatte. Draco hörte und spürte, wie Harry einatmete, ein schrecklich rasselndes Geräusch, und griff unwillkürlich fester zu, befürchtete, dass der kurze Moment Frieden schon wieder vorbei sein könnte. „Ich habe Angst, Draco. Angst davor, was passieren, was ich sonst noch alles tun könnte.“ Und wurde ganz starr, ob der heiser geflüsterten Worte, die bewiesen, dass Harry tatsächlich nicht so stark war, wie er aller Welt glauben machen wollte. Worte, die Draco trunken machten vor Glück, weil Harry diese Schwäche zugab – nur vor ihm. Weil er raue Finger spürte, die seine Hand umschlossen, Halt suchten. Der glückselige Schwindel ließ ihn alle Vorsicht vergessen, die ihn sonst davon abgehalten hätte, Harry zu necken. „Du kämpfst dagegen an, was sonst?“, wisperte Draco, verflocht seine Finger mit Harrys. „So wie du es immer getan hast, als Vorzeigegryffindor.“ Harry lachte, rau und trocken zwar, doch in Dracos Ohren klang der Laut wunderschön. Ein nervöses Zittern durchfuhr Draco, ein innerliches Beben, dicht unter der Haut, als Harry sich umwandte, ihn ansah. Ihn wirklich ansah, nicht jene verstohlenen Seitenblicke voller Wut, die er ihm seit gestern ständig zugeworfen hatte, sondern mit jenen Blicken, die Dracos Blut schneller durch seine Venen trieb, jene Blicke, die ihn dazu gebracht hatten, seinen Eltern die Stirn zu bieten. Draco wagte kaum zu atmen, als Harry eine Hand hob, wagte kaum zu hoffen, als ihm das strähnige Haar aus dem Gesicht gestrichen wurde. Er war sich sicher, dass Harry sein schnell schlagendes Herz hören musste – und er war sich sicher, dass sein Herz einen Moment aussetzte, als Harry sich unmerklich vorbeugte, sich mit der Zungenspitze über die rissigen Lippen fuhr. Und zurückzuckte, als es keine Handbreit neben ihnen metallisch schepperte. Der Zauber zwischen ihnen zerstob wie eine Staubwolke im Wind. Harry stolperte zurück, die Wangen rot, den Blick zu Boden gerichtet und Draco schloss geschlagen die Augen, knirschte mit den Zähnen, um nicht zu schreien. So nahe… sie waren so verdammt nahe dran gewesen… „Was soll das denn sein?“ Harrys Stimme kippte fast vor Ekel, zwang Draco, die Augen wieder zu öffnen und zu betrachten, was ihn seine Chance auf Versöhnung gekostet hatte. Ein Tablett und zwei Schüsseln, gefüllt mit einem grauen Brei. „Unser Essen“, antwortete er tonlos, noch immer so bitterlich enttäuscht, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Dann atmete er tief ein, stakste mit steifen Knien auf den Beutel zu, den er bis jetzt völlig vergessen hatte und förderte die Dinge zutage, die seine Mutter ihm zugesteckt hatte. „Aber ich schätze, das hier ist gesünder“, fuhr er bemüht gelassen fort, als wäre wenige Sekunden vorher nichts von Bedeutung passiert, während er Harry einen Kesselkuchen reichte, der nur zögernd angenommen wurde. Harry sah ihn nicht an, als er zum Bett ging, sich an die äußerste Kante setzte und schweigend aß, sich nicht rührte, als Draco ihm folgte und doch Abstand hielt. Das Herz so schwer wie mit Blei gefüllt und noch immer Harrys Fingerspitzen spürend, die durch sein Haar glitten. Tbc… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)