Eien ni furu yuki ga aru nara… von Danisa (If there were an eternally falling snow…) ================================================================================ Kapitel 1: Das, was zurückbleibt -------------------------------- Hi, und willkomen zu meiner ersten Hikaru no Go-Fanfic. ^^ Ich muss vornherein warnen, es ist im Moment noch eine totale Spoiler-Fic. Wer das Ende von Hikaru no Go noch nicht kennt und nicht indirekt erfahren will, was schon passiert ist, der sollte das hier vielleicht nicht lesen. Ihr seid gewarnt. Für alle anderendie sich entschließen zu lesen, hoffe ich, dass es euch gefallen wird. Die Idee ist ziemlich alt und endlich habe ich mich entschieden sie auch zu schreiben. Seid bitte geduldig mit mir. ^^ Ich weiß es dürfte noch nicht sehr viel Action sein. ---------- Eien ni furu yuki ga aru nara… Kapitel 1 „Das, was zurückbleibt” Eien ni furu yuki ga aru nara If there were an eternally falling snow Sara wareru mae ni Let me see you smile once more Kaze no otoni Listening to the wind Aoi sora o miagetara When I look up at the blue sky Kokoro Tsunagaru Bokura no Yume Our hearts are connected for our dream Kokoro Tsunagaru Bokura no Eien Our hearts are connected for Eternity Akashi ni naru I'll become the proof … … … Konnte man schlafen und sich dieser Tatsache selbst gleichzeitig voll bewusst sein…? Hikaru wusste es nicht. Doch er wusste, dass er soeben aufgewacht war. Auf einmal war er einfach…da. Seine Gedanken waren seltsam ruhig und entspannt. Ohne Drang, ohne Eile, einfach nur da aber entspannend still. Ebenso wie sein Bewusstsein für seine unmittelbare Umgebung plötzlich wieder zunahm. Er spürte plötzlich mit erstaunlicher Klarheit die weichen Laken seines Bettes an seinem Rücken, das weiche Kissen an seinem Hinterkopf, ebenso wie die Decke die über seinem Bauch ausgebreitet war, auf der seine Arme lagen. Er war wach, doch er öffnete die Augen nicht. Auch ohne dass er sie aufgemacht hätte, wusste er was ihm begegnen würde, was heute war… Und plötzlich hatte er keinerlei Verlangen mehr aufzustehen... Ihm war in der Tat seltsam schlecht. Ein dumpfes, unterschwelliges Gefühl, tief in seiner Magengegend, als hätte er bereits etwas ganz schlechtes gegessen. Doch er wusste, dass das von keinem Essen herrührte. Er wusste was heute war. Noch bevor er die Augen geöffnet hatte, hatte er es bereits gewusst… Ja, sogar noch selbst bevor er aufgewacht war, hatte er es schon gewusst… Und schließlich, nach wenigen Minuten, öffnete er schließlich das erste Ml an diesem Morgen seine Augen… Schwaches, unforderndes Licht blickte ihm entgegen, dass aus dem Fenster zu seiner rechten schwach in das kleine Zimmer fiel, und bereits effektiv einen kleinen ahornhölzernen Schreibtisch mit Lampe an dessen Front erhellte. Auch der übrige Rest des Raumes war so eingerichtet. Alles samt in hellem Ahorn gekleidet, so wie er es ganz zum Anfang auch gewollt hatte. Ein solider Schrank gleich an der linken Seite der Tür, dem Bett gegenüber. Ein schon etwas abgenutzter grauer Drehstuhl stand vor dem hellen Schreibtisch, und ein großes Regal, voll mit Büchern, stand dem Tisch an der anderen Wand gegenüber mit einer wuchernden Topfpflanze auf einem hohen Podest zu seiner Seite. Der Boden war aus alten, polierten Parkett und die Wände nur ein Einfaches gelb, doch die spärliche Einrichtung Reflektierte das hektische, wie turbulente Leben des jungen Mannes, der immer noch in seinem Bett lag, perfekt. Hikaru hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht. Er mochte sein Appartement, ebenso wie dieses Zimmer, es war sein zu Hause, doch noch nie in all der Zeit, war es ihm so egal gewesen wie an diesem Morgen… Seine Augen sahen immer noch unblinzelnd nach vorne, auf das Fenster, durch das noch immer schwaches, helles, Licht drang. Und doch schienen sie gleichzeitig völlig woanders zu sein. Sie waren halb geschlossen, nur ein Schimmer von hellem Grün blickte zwischen den Lidern hervor, doch sie waren seltsam anteillos, seltsam…müde für den sonst so energetischen Jungen. Plötzlich hatte er kein Verlangen mehr aufzustehen. Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr an der Wand und bemerkt, dass es bereits viertel nach 8 war. Es war Frühling, doch die Sonne hatte noch nicht ihre gewohnte Stärke sodass es fast noch angenehm dunkel war. Und fast ohne sein unmittelbares Zustimmen formte sich darauf der nächste Gedanke während er immer noch still da lag und ohne sich zu bewegen auf die Uhr starrte… Noch eine Dreiviertelstunde bis er in der Go-Assoziation sein sollte. Eine Dreiviertelstunde die er schaffen würde, wenn er jetzt aufsprang, sich alle seine Sachen schnappte und ohne eine Pause zur U-Bahn-Station lief. Wahrscheinlich hätte er die ganze Zeit dabei geflucht, wie jedes Mal wenn er wieder einmal verschlafen hatte… Doch noch immer herrschte absolute Stille im Raum…und Hikaru bewegte sich nicht. Er lag immer noch da, auf seinem Bett in seine Decke gehüllt, doch er hätte seiner Meinung nach, ebenso gut tot sein können… Er war kalt. Er war taub. Nichts hatte plötzlich mehr Bedeutung. Und er wusste warum es sein Blick die ganze Zeit gemieden hatte auch nur einen Blick auf das kleine Stück Wand zu werfen, genau neben seinem Schrank, nicht einmal zwei Meter von seiner Tür entfernt. Es war eine Wand wie jede andere Wand, doch er wusste was dort hing. Wusste es so sicher, wie er wusste, dass er das was dort hing, für die nächsten Tage ignorieren würde, bis ES wieder abklingen würde… Bis er es wieder ansehen würde können, ohne das Gefühl zu haben das er starb… Auch ohne, dass er hinsah, wusste er dass das weiße Papier in einer perfekten rechteckigen Linie auf der hellen Wand auflag. Nur leicht gebogen an den Ecken da es zum Umblättern war. Es war schlicht, einfach, nur von einer kleinen Schnur an einem metallenen Nagel an der Wand gehalten. Zahlen und Wörter liefen auf dem Objekt ab, in einer Reihe, die einem regelmäßigen, wie bekannten Logarithmus folgten. Es war ein Kalender. Doch er mied den Blick mit diesem Objekt. Noch jetzt wagte er nicht, es anzusehen. Er wusste was das Gefühl war, dass er dann empfinden würde. Es überschwemmte ihn jetzt bereits, einen Blick dort hin und es würde ihn übermannen. Es war ihm bekannt geworden. Etwas das mal verschwand, für kurze Zeit überdeckt wurde, jedoch wieder kam. Und dann mit doppelter Intensität. Auch im normalen Leben konnte er es verstecken, wenn es ihn übermannte. Dann unterdrückte er es, manchmal verschwand es sogar ganz. Doch es gab einen Punkt im Jahr an dem er es nicht konnte. Egal wie lange es verschwunden war, und wie sehr er kämpfte, es kam wieder. Und nur ein Mal im Jahr… nur ein Mal im Jahr verlor er erbärmlich dagegen. Und das war heute. Es war Schmerz gegen den er verlor. Ehrlich gesagt, manchmal glaubte er gar nicht, dass es nur Schmerz war. Schmerz war stark, machtvoll… Er fühlte gar nichts. Da war nur Leere in ihm. Eine Dumpfheit die von seinem ganzen Geist besitzt genommen hatte und ihn schier ertränken wollte. Er wusste die anderen würden sich fragen, was mit ihm los war. Das taten sie jedes Mal… Der Gedanke brachte ein kleines Lächeln auf sein Gesicht, auch wenn es etwas kläglich ausfiel. Waya, Isumi, Nase, Saeki… Ja vielleicht sogar Ochi und Tohya… Auch wenn sie nicht seine Freunde waren. Doch sie würden es wahrscheinlich bemerken. Sie würden sogar versuchen ihm zu helfen, auch wenn sie nicht einmal wussten was ihm fehlte. Ihn wärmte die Geste doch er hatte lange bemerkt, dass das etwas war was er alleine bewältigen musste. Er wusste, es würde wieder vergehen, nach ein paar Tagen, doch es war schmerzvoll, und oft wollte er, dass es nie wieder kam. Wiederum manchmal wünschte er, es würde bleiben damit er nicht vergaß. Der nunmehr 17-jährige Dan sah wieder langsam zur Uhr. 8 Uhr 35… Selbst wenn er jetzt hastete, die letzte U-Bahn würde er nicht mehr schaffen. Und er seufzte, leise, und sah von sich, doch es war nicht besonders bedauerlich. Er wusste, dass er nicht dagegen ankämpfen konnte. Es lohnte sich nur, das Beste daraus zu machen. Er sollte sich besser anziehen, dachte er dann. Und ein kleines Lächeln spielte sogar auf seinen Lippen als er sich schließlich schwerfällig aufsetzte und überlegte wie er diesen Tag anfangen sollte. Etwas essen, sich die Zähne putzen, abwaschen, gucken wie viel Geld er hatte und dann vielleicht… …einen Abstecher zum Blumenladen. Und er lächelte. Leicht, auch wenn er sich immer noch seltsam schlecht und unbeholfen fühlte, als würde er sich von einer sehr heftigen Grippe erholen. Ja… dachte er langsam. Genau das würde er tun… Was als erstes kam, kam zuerst, beschloss er jedoch, und mit einem tiefen Atemzug um seine Gedanken zu klären, schlug die Decke schließlich voll zurück und stand schließlich auf. Barfuss in seinem hellblauen Pyjama ging er schließlich langsam hinüber zum Kleiderschrank. Seine täglichen Ausgehsachen hatten sich sehr verändert seid er Go entdeckt und es zu einem Teil seines Lebens gemacht hatte. Nicht zuletzt, dass er es auch zu seiner Berufung gemacht hatte. Die Wandlung war so schnell gekommen, er hatte sie gar nicht wirklich kommen sehen. Go-Spiele kamen meist mit einer gewissen Verpflichtung was Kleidung betraf je weiter man in der Dan-Serie aufstieg, das hatte er schnell bemerkt und er hatte sich angepasst. Doch vielleicht hatte es einfach nur damit zu tun, dass er älter geworden war. In seinem Schrank befanden sich nur noch wenige kurze Hosen und bunte T-Shirts die er in seiner Teenagerzeit geliebt hatte, auch wenn die T-Shirts mit der immerwährenden 5 immer noch zu seinen Favoriten gehörten und er sie trug sobald sich die Gelegenheit dazu ergab. Jedoch dafür war ein großer Teil seiner alten Klamotten unbestreitbar durch Anzüge und Hemden ersetzt worden die mit den dazugehörigen Hosen nun nahtlos vor ihm hingen. Es war bereits so notwendig geworden dass er sie trug, dass er sich völlig an sie gewöhnt hatte und sie tatsächlich, ehe er es sich versah, sein tägliches Outfit geworden waren, selbst wenn er nicht Go spielte oder Unterricht gab. Zielsicher, jedoch ohne das es ihn recht kümmerte was er anzog, griff er schließlich nach einem blauen Anzug, streifte ihn sich fahrig, fast mechanisch über nachdem er noch ein weißes Hemd darunter angezogen hatte. Es war ein Anzug den er als den vom ersten Tag seiner Profikarriere erkannte und den er sich sofort noch einmal neu gekauft hatte, sobald er aus seinem ersten herausgewachsen war. Er hing seltsam an dem Stück Stoff, mehr als an jedem anderen seiner Kleidungsstücke die er besaß, doch er wusste nicht genau warum. Er fühlte sich irgendwie einfach immer besser wenn er ihn anhatte, und heute konnte er das gut gebrauchen. Die Jacke war schnell übergestreift ebenso wie die gleichfarbende, blaue Hose, doch er hielt sich davon ab eine Krawatte umzubinden und ließ dafür auch Knöpfe und Manschetten offen da er zu keinem formellen Anlass ging. Als er vor nun vor seinem Spiegel stand blickte ihm genau dieses Bild entgegen. Ein groß gewachsener, schlanker junger Mann in blauem Anzug dessen auffälligstes Merkmal die Vorderpartie seiner Haare waren, die in einem hellen Blond gefärbt waren und dessen erstaunlich hellgrüne Augen ihn nun aus dem Spiegel nichts sagend entgegenblickten. Er mochte gewachsen sein und seine Kleiderordnung sich verändert haben, doch die gefärbten Strähnen waren geblieben, auch nach all den Jahren. Waya zog ihn oft genug damit auf, dass er nur femininer wirken wollte. Das letzte Mal als er das gesagt hatte, hatte er seinen Kommilitonen gehörig entrüstet seine Meinung dazu ins Ohr geschrieen, dass Tohya um einiges femininer wirkte als er, und hatte Gott danach gedankt, dass der Besagte gerade nicht in der Nähe gewesen war. Auch Ältere warfen ihm wegen seines auffällig gefärbten Ponys schiefe Blicke zu. Oft wurde es ihm, dank den Strähnen, nicht einmal abgenommen dass er ein ernsthafter Go-Spieler war, von einem Profi ganz zu schweigen. Doch es war ihm mittlerweile kaum noch peinlich und hatte es nach einiger Zeit sogar fast amüsant gefunden. Er konnte sich einfach nicht mehr vorstellen seine blonden Strähnen nicht zu haben. Sie waren eine Art Markenzeichen für ihn geworden. Er gefiel sich, genau so wie er jetzt war, und wollte auch so bleiben. Mit einem letzten Blick auf seine Haare die er nur leicht verstrubbelte, dass sie wieder normal fielen, wandte er sich vom Spiegel ab. Nur mit dem Gedanken, dass er sich auch unterwegs etwas zu Essen holen könnte und nur noch schnell Zähne putzen würde, verließ Shindou Hikaru, bereits vierter Dan, schließlich seine Wohnung und schloss leise die Tür hinter sich. Er war wahr auf seine Worte geblieben… Nicht ein Mal hatte sein Blick das weiße Papier an der Wand gestreift. Denn auch ohne zu gucken wusste er, mit Sicherheit, was auf dem Kalenderblatt geschrieben stand… Eine Sicherheit die ihn sein ganzes Leben verfolgen würde… Das Licht fiel durch das kleine Fenster herein und beleuchtete den Tag und das Datum das auf dem Blatt Papier geschrieben stand. 5. Mai. Das Blatt war bar. Keine Notiz, nichts stand darauf. Das hätte es auch nicht gemusst. Auch ohne dass etwas draufstand wusste Hikaru, das er nicht gehen würde, egal was auch an diesem Tag war und was für Verpflichtungen ihn rufen mochten. Dieser Tag, wie die nächsten, gehörten nur ihm… Ebenso wie der Person die ihn genau an diesem Tag verlassen hatte, und die er niemals würde vergessen können… Und draußen, genau einen Block weiter, als Hikaru langsam die belebte Straße entlang ging, und Menschen links und rechts an ihm vorbei liefen ohne ihm groß Beachtung zu schenken, sah er plötzlich langsam nach oben und in den strahlenden, blauen Himmel hinein, der noch scharf zwischen den gewaltigen Wolkenkratzern Tokios sichtbar war. Für wenige, endlose Sekunden stand er so da, mitten auf dem Weg, mit Augen die eine plötzliche tiefe Sehnsucht in sich bargen. Ein paar feine, ferne Wolken zogen am Himmel vorbei, und als eine Brise aufwehte und ihm das schwarz-blond gefärbte Haar sanft aus der Stirn bliesen, atmete er leise ein und flüsterte plötzlich einen Namen. Sehnsüchtig, traurig, erinnernd… der fast völlig im Wind unterging. Doch gleichzeitig, auf eine seltsame Art, hoffte er, er konnte ihn hören, wo immer er auch war… „Sai…“ ---------- Wie gesagt, noch nicht viel Aktionen, aber Hikarus Gefühlswelt muss rüberkommen. Das nächste Mal sehen wir etwas von Akira denk ich ^^ Und ich hoffe ihr bleibt dran und schreibt vielleicht ein Kommi. xP Bye! Eure Saku_A ^^ Kapitel 2: Warten auf Jemanden ------------------------------ Wie versprochen, hier etwas von meinem Akira-chan! ^^ Danke für eure Kommis Youwel und HiddenLeaf ^^y (Das ist das erste Mal, dass ich zeit hab alle meine Kommischreiber beim Namen zu nennen XP) Ich hoffe das hier gefällt euch genauso gut! ^-^ ---------- Kapitel 2 „Warten auf Jemanden“ „Ich warte ungeduldig auf den Tag, an dem du dich mir erschließen wirst, als der Dichter sich nach der ersten Nachtigall sehnt.“ (Murasaki, Shikibu: Die Geschichte vom Prinzen Genji, S. 202, Z. 32-34) Unweit von Hikaru entfernt wartete ein junger Mann. Er saß in einem unbeleuchteten Raum mit traditionellen Shoji-Wänden durch deren vereinzelte Fenster bereits ein wenig strahlendes Sonnenlicht fiel. Viele Sitzkissen, Teetassen und Gobans waren nahtlos in einem regelmäßigen Muster in ihm aufgestellt und füllten sich mit Spielern noch während er zusah. Und noch einmal, das dritte Mal in den letzten zehn Minuten, sah der schlanke, junge Mann mit den dunkelgrünen Haaren auf seine Uhr. Und wieder versuchte er das ungeduldige Ausatmen nicht laut zu machen, dass sich seiner Lippen bemächtigen wollte, und das so ganz untypisch für ihn gewesen wäre. Der wartende Mann war natürlich niemand anderes als Touya Akira. Und der, auf den er wartete, natürlich niemand anderes als Shindou Hikaru, 4. Dan. Und Touya Akira- 5. Dan- konnte sich nur innerlich jetzt selbst leicht zurechtweisen als er schon wieder auf die Uhr sah, während alle anderen Plätze im Raum sich die letzen verstreichenden 10 Minuten konstant und beharrlich gefüllt hatten. Wenn er nun eines, nach drei Jahren, von Shindou Hikaru wissen sollte, dann war es, dass der Schwarzhaarige Teen mit den blonden Strähnen, Pünktlichkeit und diverse andere Dinge der Höflichkeit nicht so ernst nahm wie er es eigentlich in Akiras Meinung tun sollte. Sie differenzierten in wenigen Dingen wenn es Go und Spieltaktiken betraf, doch Hikaru Shindou war an sich, eine Unberechenbarkeit für sich, wie der 5. Dan eigentlich schon immer gewusst hatte. Völlig untypisch für diese Go-Welt und genauso unberechenbar-einzigartig war auch sein Spiel, dass der junge Dan manchmal wirklich des Nachts noch Stunden lang wach gelegen hatte und die vergangene Partie des Tages, mit Shindou, noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren ließ. Partien mit Hikaru Shindou hinterließen eine innere Aufregung in dem jungen Touya, wie es keine andere Partie je mit einem anderen Gegner vermocht hatte. Und er bemerkte, er fieberte diesen Partien bereits entgegen, bevor sie überhaupt stattgefunden hatten, mit einer Antizipation, die er noch nie, nie in all den Jahren die er nun schon Go spielte, jemals kennen gelernt hatte. Shindous Züge waren so unberechenbar, so einzigartig, und so tief, dass er ihre wirkliche Bedeutung meist erst ganz am Schluss des Spiels wirklich erkannte, wenn das ganze gesamte Ergebnis von mehreren Stunden Konzentration, in all seiner Komplexität ausgebreitet vor ihren Füßen lag. Hikaru Shindou war sein ewiger Rivale. Akira spürte es deutlich, mit jeder Faser seines Seins. Und eben dieser Blondschopf, war nun drauf und dran, mächtig zu spät zu kommen. Eigentlich sollte das den jungen Dan nicht sorgen, er hatte oft genug gesehen wie sein ewiger aber sorgloser Rivale in der letzten Sekunde ins Zimmer gestolpert gekommen war, eine kurze hastige Entschuldigung zum Ansager gemurmelt hatte, den er in mitten in den Eröffnungsworten unterbrochen hatte, und war dann ohne Umschweife auch schon auf dem leeren, noch einzig freien Platz gegenüber seines heutigen Gegners gesunken und hatte sich zum bekannten „Onegaishimasu.“ verbeugt, wenn auch unmerklich leicht außer Atem und verlegen grinsend. Jetzt jedoch hatte er das seltsame Gefühl, dass es heute nicht das sein würde... Der junge, berühmte Dan mit den dunkelgrünen, schulterlangen Haaren blieb weiterhin still. Seine Beine gefaltet in der traditionellen Lotus-Postion und mit leicht gesenktem Kopf. Der junge Dan schaltete in eine Welt ab, in der er fähig war jegliche Geräusche um ihn herum völlig zu vergessen, völlig abzuschalten. Eine Fähigkeit, die Go bereits in seiner frühen Kindheit mit sich gebracht hatte. Es war eine Entspannungsfähigkeit, die ihm schon immer ermöglicht hatte, selbst vor den unüberwindbarsten Aufgaben eine unerschütterliche, äußere wie innere Ruhe zu behalten und nichts von seinen wirklichen Gefühlen preis zu geben. Er hatte das bereits sehr früh gelernt. Es war fast wie eine Maske für ihn geworden, und sie war ihm auch jetzt wieder hilfreich, denn sie versteckte die Gefühle des 17-jährigen Mannes- perfekt. Jedes Mal wenn das passierte, wenn Shindo zu spät kam, fühlte sich das junge, stoische Go-Genie Japans unwillkürlich an den Monat erinnert, kurz nachdem Shindo Hikaru Profi geworden war. Ein Monat in dem er nicht zu seinen Dan-Spielen erschienen war, die eigentlich seinen Aufstieg hatten bedeuten sollen. Auch jetzt noch schloss Akira Touya die Augen bei der Erinnerung. Eines der wenigen Male in seinem Leben in welchem er komplett seine Beherrschung verloren hatte… Er hatte Shindo zur Rede gestellt, so völlig gegen seinen eigenen Charakter gehandelt und ihn angefahren. Er wollte ihn mit allen Mitteln zur Rede stellen, doch es hatte nichts gebracht. Er hatte nie erfahren warum er gefehlt hatte, und er hatte auch nie wieder gefragt. Von Hikarus Freunden aus der Insei-Zeit hatte er schließlich durch Zufall mitbekommen, dass er scheinbar in eine Art Verzweiflung, eine Art völlige Depression verfallen war, und ernsthaft vorgehabt hatte, nie wieder Go zu spielen. Das junge aufsteigende Go-Genie, und Sohn von Touya Mejin, hätte alles glauben können und alles verstehen können, alles… bloß nicht das… Und er konnte sich bis heut nicht erklären, was seinen Rivalen nur so weit gebracht haben konnte, Go dafür für immer aufgeben zu wollen. Akira musste zugeben, das, auch wenn sie über jede Partie im Nachhinein streiten würden als wenn es keinen Morgen gäbe, Hikaru Shindo das naheste zu einem Freund für ihn geworden war, den er jemals gehabt hatte. Noch jetzt fand er es merkwürdig wenn er darüber nachdachte, dass er den lauten Dan tatsächlich als seinen Freund bezeichnete… Doch es war zugegebenermaßen eine Tatsache, die sich langsam nicht mehr ignorieren ließ, auch wenn er sehr zögerlich gewesen wäre, es auch wirklich jemals zuzugeben. Doch es war wahr, und Akira gab es sich selbst zu. Nie hatte es je jemandem in seiner eigenen Altersklasse gegeben, der ihm so Paroli in seinem Spiel hatte geben können wie er. Nicht in seinem Alter und selten nicht einmal über seinem Alter… Nie jemand vor Shindo. Gegner waren gekommen und gegangen, doch niemals hatte er sie wirklich gesehen. Zu schwach, zu hohl, zu wenig wert seiner Zeit… Vom ersten Augenblick an, an dem er Shindo Hikaru begegnet war, wusste er, dass das Schicksal ihn als seinen Rivalen bestimmt hatte. Er hatte ihn angesehen… Und mittlerweile glaubte Akira, den 4. Dan besser zu kennen als jeder andere. Unfreiwillig zwar, aber immerhin... Und als solches konnte er eines mit äußerster Gewissheit sagen: Der energetisch Schwarzhaarige mit den blond gefärbten Strähnen liebte Go mindestens genauso sehr wie er. Es löste noch jetzt ein seltsames Gefühl in dem schlanken, dunkelhaarigen Dan aus, dass er so etwas mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit von einem Menschen sagen konnte. Etwas was er noch niemals gefühlt hatte, da er noch nie eine Person so intensiv und so lange gekannt hatte wie seinen ewigen Rivalen. Doch es stimmte. Es war langsam gekommen und ohne sein Einverständnis, doch nach und nach war ihm jede Eigenart des energetischen Blonden vertraut geworden. Jede Miene erkennbar und jede Geste bekannt, als wenn es seine eigene wäre. Und er wusste, dass es Hikaru genauso erging, wenn er jeden seiner Sätze schon im voraus erahnen konnte. Er hatte Hikaru Shindo kennen gelernt, die Person die er war, und nicht der Go-Spieler…wie auch unmittelbar seinen Charakter. Er hatte Schwächen und Stärken bemerkt, sie gesehen, aufgedeckt und hatte seltsamerweise gelernt, sie zu schätzen und sie zu achten- in einer ganz anderen Art, die keines Gos und keines Gobans bedarf, und weit darüber hinausging. Es war merkwürdig wenn Akira nun darüber nachdachte, wie sehr sich der 4. Dan bereits in seinem täglichen Leben integriert hatte. Angefangen von Go-Spielen, die sie fast instinktiv mindestens ein Mal in der Woche gemeinsam suchten, bis hin zu deren Enden, wenn sie sich wieder einmal gehörig angeschrieen hatten und es wieder einmal spät geworden war, sie schließend noch gemeinsam ein Stück zusammen gehen würden, und schließlich am Lieblings-Nudelsuppenstand des Blonden stoppen würden, nur um noch schnell eine Schüssel Ramen zusammen zu essen. Und es war genau dieses Gefühl, dass Hikaru Shindo seltsamerweise als mehr als nur einen Rivalen akzeptiert hatte, dass ihm gerade sagte, dass der Besagte heute nicht kommen würde… Wieder sah er auf seine Uhr, und nun schlug die leichte Ungeduld des berühmten Dans in leichte Frustration um. Was dachte sich Shindo… Das hier waren Dan-Matches! Es war bereits die zweite Woche. Und noch dazu waren es sie beide selbst, die heute gegeneinander antreten sollten. Er kannte Hikaru… Ihre Matches gegeneinander waren alles andere als schwer aufzählbar, doch Shindou war mindestens genauso stur wie er, wenn nicht sogar noch sturer. Und ein Titelmatch zählte in ihrer Bedeutung sehr viel mehr als nur ein einfaches Übungsmatch... So etwas würde Hikaru niemals verpassen... Doch irgendetwas stimmte nicht. Der junge Dan konnte es ganz genau spüren. Irgendetwas sagte ihm, dass Hikaru nicht auftauchen würde. Und ohne dass er wusste warum, ließ er seinen Blick schweifen. Er sah neben sich zur Wand, in der ein kleines Fenster eingelassen war. Strahlendes Morgenlicht fiel dadurch hinein, doch er stutzte, als er einen dünnen Kalender bemerkte, der direkt links daneben aufgehangen worden war, und den das Licht nun leicht in den Schatten legte. Ein Angestellter war scheinbar besonders aufmerksam, denn auf der Papieroberfläche war ganz deutlich mit rot schon das heutige Datum eingekreist. Es war nicht, dass das Datum besonders auffällig war. Nein… es war nur dass es den 5. Dan plötzlich an etwas erinnerte. Genau an diesem Tag vor einem Jahr hatte er in einem Zug nach Osaka gesessen um seinen Vater zu vertreten, der eine weitere Reise nach China unternommen hatte. Akira hatte bemerkt, dass das sein Vater öfters in den letzten drei Jahren zu tun schien. Der Rückzug in den Ruhestand hatte ihn keinesfalls abgestumpft, ganz im Gegenteil. Viele sagten, dass das Go des Meijins nach der einen, verheißungsvollen Partie im Internet, wieder jung geworden war. Sein Vater hatte es jedoch zu diesem Treffen nicht mehr rechtzeitig schaffen können, da er in Peking durch ein paar technische Schwierigkeiten und Komplikationen aufgehalten worden war. Und so hatte man ihn gebeten zu gehen. Eine Bitte des japanischen Go-Bundes und schließlich auch seines Vaters, die er unmöglich hatte abgeschlagen können. Also war er noch mitten in seinen Dan-Spielen verreist und sie waren verlegt worden. Doch zufälligerweise hatte dieser Tag genau mit dem Tag zusammen gelegen, als Hikaru sich wieder einmal geweigert hatte zu seinen eigenen Dan-Spielen zu erscheinen. Von allen Mysterien die Hikaru Shindou umgaben, war das wahrscheinlich das kleinste von ihnen. Angefangen von brillanten Partien die völlig unmöglich waren, bis hin zur Tatsache, dass dieser Junge ihn, Touya Akira, geschlagen hatte als sie gerade mal 12 gewesen waren, war alles außergewöhnlich an diesem Jungen gewesen, der anscheinend keine Ahnung hatte wie man überhaupt einen Go-Stein richtig in der Hand hielt. Von allen diesen, war dieses Mysterium wahrlich eher unbedeutend, doch es war das einzigste, das jemals öffentlich geworden war. Und auch Akira hatte nie umhinkommen können zu bemerken, dass Shindou Hikaru ein Mal im Jahr aus einem unerklärlichen Grund für eine Woche in den Reihen der Profis fehlte, ohne, dass jemand wusste wo er war, oder warum er nicht zu seinen eigenen Spielen kam. Nichts konnte es erklären. Wenn Hikaru krank wäre dann hätte er anrufen können und seine Matches wären verschoben worden. Weder er, noch Hikaru hatten das zum ersten Mal getan. Und der Blondschopf hatte es eindeutig demonstriert, als er sich im letzten Winter schniefend und schnupfend krank gemeldet hatte, als er sich eine schwere Grippe zugezogen hatte. Bis jetzt hatte er niemals eine Verbindung gesehen. Er hatte auch nie gefragt, so sehr es ihn auch frustriert hatte, da es nicht nur die Dan-Spiele selbst zu betreffen schien, sondern auch ihre Übungsmatches. Es war nicht seine Angelegenheit gewesen… Doch jetzt fiel ihm eine Verbindung auf, die er unmöglich ignorieren konnte. Denn Shindou Hikaru fehlte genau am gleichen Tag wie letztes Jahr… Oder… sogar nicht nur letztes Jahr…? Dieser Gedanke ließ den jungen Dan unvermittelt innehalten und der grünhaarige Mann in seinem dunkelblauen T-Shirt dachte plötzlich angestrengt nach, mit leicht zu Boden geneigtem Gesicht und wachsamen Augen. Der junge Dan versuchte mit einer Erinnerung aufzukommen, mit irgendeinem Detail, mit etwas, dass ihn umstimmen könnte, dass diese Tage auch einmal im Winter hatten gewesen sein können… mit irgendetwas… Doch so sehr er suchte… er konnte mit keinem eindeutigen Widerspruch auf seine Theorie aufkommen. Und noch während er über sie nachdachte, nahm sie mehr und mehr in seinem Kop konkrete Gestalt an... Hikaru Shindos Depressionen folgten einem konkreten Muster… War das ein Zufall? Und wenn, konnte es ein Zufall sein…? Der junge Dan mit dem durchdringenden Blick verengte nun leicht seine türkisfarbenen Augen. Nein… Und noch während er das dachte fuhr Touya Akira einmal mit seiner rechten Hand fahrig durch sein dunkles, schulterlanges Haar und atmete ein Mal tief durch um die steigende Frustration zu unterdrücken die unvermittelt bei diesem Gedanken in ihm aufgestiegen war. Shindou Hikaru zu ergründen, war als versuchte man Wasser in der hohlen Hand zu halten. Es war unmöglich… Und dann war da auch noch Shindou Hikarus anderes Geheimnis… Sein GRÖßTES Geheimnis…das ihm begegnete, wann immer er gegen den Blonden spielte. Etwas dass er jedoch in all den vergangen Jahren erfolgreich geschafft hatte zu verdrängen. Nämlich dass seine Züge dem des Go-Genies ähnelten, der vor nunmehr nicht einmal vier Jahren für eine kurze Zeit im Internet aufgetaucht war und führende Profis aus der ganzen Welt geschlagen hatte, inklusive des japanischen Meijins, seinen eigenen Vater... Sai. Es hatte keinen Sinn, sich nach der Verbindung zu fragen. Das Bild war undurchsichtig, wie ein Stück mattes, abgestumpftes Glas... Und nie war ein Wort über Shindous Lippen gekommen. Doch warum dann…? Was hielt Shindou davon ab zu seinen Spielen zu kommen… Noch einmal sah Akira auf die große Uhr die genau am anderen Ende des Zimmers hing. Shindou hatte nur noch knapp eine Minute, und Akira war plötzlich mit einer Situation konfrontiert die eine schnelle Entscheidung verlangte, und die ihn plötzlich nur ganz leicht unruhig machte… …sollte er es tun…? Einerseits hatte es sich Shindou ganz eindeutig selbst zuzuschreiben, wenn er nicht kam und dadurch alle seine Spiele automatisch verlor. Es wurde gewertet wie einfaches, simples Nichterscheinen. In dieser Regel hin, war es gerechtfertigt. Doch andererseits war Shindou gar nicht krank, jedenfalls nicht das er wusste, und der blonde Dan hatte die Möglichkeit zu kommen, tat es aber einfach nicht… aus einem Grund dem niemanden bekannt war. Akira Touya seufzte, selten für ihn gesehen, einmal kurz tief auf, bevor er sich mit einem schnellen Blick versicherte, dass die Zeit noch nicht abgelaufen war, und dann aufstand. Wenn Shindou jetzt wirklich krank war, würde er ihn für seine Blödheit umbringen… Still und leise ging er an den vielen Paaren vorbei die schon an den Gobans saßen, ohne sich umzudrehen oder einen Blick auf sie zu werfen, und mit nur leicht erhöhtem Schritttempo. Und tatsächlich entdeckte einen Mann der an der Frontseite des Raumes zur Tür saß, der das ganze Spiel überwachen würde. Dieser hob jetzt erstaunte beide Augenbrauen als er ihn herannahen sah, und Akira verbeugte sich hastig, in einer schnellen Bewegung jahrelang eingefleischten Respekts. „Touya-san? Ist etwas passiert? Geht es ihnen nicht gut?“ fragte der ältere Mann besorgt. Akira schüttelte nur stumm den Kopf. „Iie. Mir geht es gut.“ Antwortete er sofort. Unbewusst für den Mann, fühlte sich der junge Dan vor ihm gerade ziemlich unwohl. Jedoch aus einem ganz anderen Grund als der Mann vor ihm vermutet hatte. „Ano…“ Der junge Touya lächelte leicht im Versuch seine eigene, plötzlich aufgetauchte Nervosität etwas zu unterdrücken, als er etwas tat was er noch nie gemacht hatte. Noch nie in den ganzen vergangenen 17 Jahren seines Lebens… „Ich habe gestern noch mit Shindou Hikaru gesprochen und er sah meiner Meinung nach, ein wenig krank aus... Ich dachte, vielleicht sollte er für dieses eine Match entschuldigt werden.“ Touya Akira erzählte eine glatte Lüge. Der Mann vor ihm betrachtete ihn kurz mit einem forschenden, nachdenklichen Blick bevor er die weiße Liste rechts neben sich zur Hand nahm und sie kurz studierte. „Ihr heutiger Gegner ist Shindou Hikaru?“ erkundigte er sich. „Hai.“ Akiras Herz hämmerte so laut in seinem Brustkorb, er dachte, dass es unmöglich sein konnte, dass der Mann vor ihm es nicht hörte. Ganz eindeutig. Er würde Shindou für diese Sache umbringen wenn er ihn das nächste Mal sah... Touya Akira war sich plötzlich mit erschreckender Klarheit sicher, dass er der schlechteste Lügner ganz Japans war. Er holte nicht ein einziges Mal Luft, die ganze Zeit während der Mann weiter vor ihm auf die Liste sah. Und sie verließ ihn schließlich wie durch ein Ventil, als der ältere Mann schließlich aufsah und leicht nickte, genau in der Sekunde als die Uhr, 9 Uhr schlug und ein einheitlicher Chorus von „Onegaishimasu“’s durch den Raum hallte. Der ältere, schwarzhaarige Mann lächelte leicht als er noch einmal nickte. „Das geht in Ordnung, Touya-san. Ich werde bescheid sagen, dass Shindou Hikarus Partien auf unbestimmte Zeit verschoben werden sollen. Nur bitte sagen sie ihm, wenn sie ihn das nächste Mal sehen, dass verpasste Partien aus Krankheitsgründen angesagt werden müssen, da sie sonst wie eine Niederlage durch Nichterscheinen gewertet werden.“ Die Stimme des älteren Mannes vor ihm hatte plötzlich einen leicht stählernen Ton angenommen, und Akira nickte folgsam, mit einer tiefen Verbeugung, da er sehr wohl bemerkt hatte, dass er Hikaru nicht nur für diesen, sondern auch für die nächsten Tage freigestellt hatte ohne für sein Unwohlsein auch nur einen Beweis zu erwarten. „Domo Arigato.“ Sagte er aufrichtig, mit einer erneuten tiefen Verbeugung. Es fügte noch ein weiteres, kleines Gewicht auf sein Gewissen hinzu, dass der Mann ihm wohl ohne einen zweiten Gedanken vertraut hatte, doch wie Shindou in dieser Situation sagen würde: `Der Zweck heiligt manchmal eben einfach die Mittel´ Und auch wenn Akira fast selbst, bei dieser rauen Wortwahl, in seinem Inneren zusammenzuckte, konnte er nicht abstreiten, dass er gerade genau das getan hatte... Die ersten Klänge, von auf Goban platzierten Steinen, klangen bereits durch den Raum, als Akira sich schließlich leise sein dunkelgraues Jackett von den goldenen Haken der Garderobe nahm und schließlich leise aus dem Zimmer verschwand. Dort draußen angekommen atmete der sonst so stoische 5. Dan erst einmal tief durch. Es war nicht seine Art zu lügen. Und er nahm sich jetzt schon vor, dass er es nie wieder tun würde, selbst wenn Shindo irgendwann mit einer lebenslangen Grippe im Bett liegen sollte. Er hoffte nur, dass er das richtige getan hatte… Doch kurz auf diesen Gedanken schüttelte der 5. Dan er den Kopf. „Iie.“ Seufzte er leise während er nun abwesend anfing loszugehen und das Gebäude zu verlassen, nun da es eh kein Spiel für ihn geben würde. Noch jetzt spürte er, wie die innere Anspannung langsam wieder in ihm wich die die Spannung auf ein kommendes Go-Spiel schon immer mit sich gezogen hatte, und die essenziell für jeden Go-Spieler und seine Konzentration war. Die kleine Präsenz in seinem Kopf verschwand, die ihn auf ein Spiel mit Shindou Hikaru vorbereitet hatte, und er atmete ein Mal tief ein, um auch seine Gedanken davon zu klären, die sich bereits alle auf ein Spiel mit Shindo Hikaru eingestellt hatten. Kaum draußen, streifte sich der grünhaarige Mann sein graues Jackett auch schon über und schloss mit geschickten Fingern alle Knöpfe während er fast abwesend dabei weiterging. Und er atmete gleichzeitig die leichte, frische Luft ein, die der kühle Frühling noch mit sich brachte. Egal was es war, was Shindo ein Mal im Jahr davon abhielt an diesen Tagen an seinen Spielen teilzunehmen, Akira wusste in seinem Inneren, dass es dafür einen guten Grund geben musste. Ihm blieb nichts anderes übrig als Shindo in dieser Sache zu vertrauen. Und zu der stillen Verblüffung des 5. Dans, der nun ruhig die schon leicht von Menschen schwärmenden Straßen entlangging, fiel ihm das nicht einmal so schwer wie er eigentlich gedacht hatte… *** ~Japanisches Wörterbuch~ Ano…: Ähm…/Uhm… Iie: Nein Hai: Ja (gehorsam) Domo Arigato: Danke (höflich) ---------- Und? Wie war das!? ^-^ Kapitel 3: Ent- und Aufdeckungen -------------------------------- Kapitel 3 "Ent- und Aufdeckungen" „Beim Lärm des Wildbachs, aus dem ich täglich meine Schale fülle, erfasst mich kaum noch Staunen und Entzücken.“ (Murasaki, Shikibu: Die Geschichte vom Prinzen Genji, S. 142, Z. 16-18) Akira war kaum ein paar Straßen weiter gekommen, in der völligen Absicht im Go-Salon seines Vaters noch ein paar Partien zu spielen, als er von einer bekannten Stimme aus seinen Gedanken gerissen wurde. „Akira?“ Akira sah von dem roten Ampellicht auf das er genau wie viele anderen, gerade die ganze Zeit über studiert hatte- überrascht- als er diese, ihm vertraute Stimme hörte. Nicht viele Menschen die er kannte nannten ihn bei seinem gegebenen Namen. Er sah auf und erblickte auch schon sofort die Form eines großen, schlanken Mannes im weißen Anzug mit dunkelblauer Krawatte, dunkelblondem Haar und Brille, der ihm eindeutig vertraut war und nun nicht weit von ihm entfernt dastand und ihn nicht minder erstaunt, mit einer erhobenen Braue, musterte. „Ogata-san...“ trudelte der junge Dan ab. Und nach einer Sekunde sprang er leicht von den vielen Menschen zurück die jetzt zielsicher auf die Straße stürmten und sah zu, wie der große, schlanke Mann näher auf ihn zu kam den er fast sein ganzes Leben lang gekannt hatte, und der seine halb begonnene Zigarette jetzt gerade achtlos in einen Gully schnippte. „Akira-kun… Ich bin überrascht.“ Begann der ältere Mann nun mit seiner einzigartigen, gleichmäßigen Stimme, die Akira bekannt geworden war. und der ältere Mann sah ihn an, in einer fast nichts sagenden Art, von der Akira jedoch wusste, dass er gerade tief überlegte. „Hattest du heute nicht ein Spiel? Akiko-san hat nichts Genaues über dich gesagt, als ich nach deinem Vater gefragt habe, nur dass du schon früh aus dem Haus gegangen sein solltest.“ „A-ano… Ich hatte heute ein Spiel…“ Der junge, aufsteigende Dan war für einige Sekunden sprachlos was für eine plötzliche Wendung die Dinge auf einmal genommen hatten. Und er realisierte plötzlich, dass er nicht weiterreden konnte, wenn er Shindo und auch sich selbst jetzt nicht verraten wollte. Er vertraute Ogata, jedoch wusste er nicht wie seine Reaktion auf etwas Derartiges, wie er es gerade getan hatte, ausfallen würde. Etwas, was er in seinem ganzen Leben noch nie getan hatte und obendrein noch so völlig untypisch für ihn war. Doch Seiji Ogata bemerkte natürlich die leichte Unsicherheit des Dans vor sich. Den Augen des Mannes entging nichts. Und Touya Akira auf einmal unsicher und schier leicht schwitzend vor sich stehen zu sehen, ein Junge, dem nachgesagt wurde, das ihn nichts und niemand aus der Ruhe bringen konnte, erregte natürlich ganz klar seine Aufmerksamkeit. Und wie ein erfahrener Go-Spieler, der eine Öffnung in der gegnerischen Verteidigung gefunden hatte, langte der blonde Mann auch schon agil zum Angriff. „’Hatte’?“ wiederholte er monoton, mit einer leicht erhobenen Augenbraue, und Akira halterte. Doch es kam noch besser, als der Mann vor ihm schließlich auch noch eins und eins zusammenzuzählen zu schien. „Dein heutiger Gegner war Shindou, nicht wahr?“ Ein kleines Glimmen war plötzlich unvermittelt bei diesen Worten in die ockerfarbenen Augen des Mannes vor ihm getreten, der nun auf eine leicht sadistische Art lächelte, und Akira wusste im ersten Augenblick nicht, ob es wegen seiner eigenen Scharfsinnigkeit war, oder ob es der Name des blonden Dans selbst in ihm ausgelöst hatte. „Und? Wer hat gewonnen?“ fragte er jetzt. Akira wusste nicht was er dazu sagen sollte. Überhaupt fühlte er sich selbst plötzlich seltsam überfordert mit der Situation. Er blieb einfach stumm. Der dunkelblonde Mann vor ihm runzelte nun leicht die Stirn. Akira sah genau wie es hinter der gläsernen Brille des Mannes vor sich nun heftig an zu arbeiten anfing. Er schien einige, wenige Sekunden intensiv und eindringlich zu überlegen, in denen sein forschender, eindringlicher Blick nicht einmal von seinen eigenen Augen abwich, bevor er letztendlich, plötzlich unvermittelt auf seine Uhr sah. „Die Go-Assoziation macht niemals vor 8 Uhr morgens auf.“ Sagte der blonde Dan dann monoton, in einer klaren, unveränderten Stimme mit keinen Emotionen. „Dan- und Titelspiele finden generell nie vor 9 Uhr statt. Dein Spiel mit Shindo dürfte also gerade mal 5 Minuten betragen haben.“ Akira schluckte plötzlich tief. Der 10. Dan sah ihn wieder an, mit einem Blick den Akira nicht deuten konnte und hinter dem der erfahrener Dan noch immer tief zu überlegen schien. Doch wie immer verriet die stoisch-ruhige Miene nichts. Noch immer standen sich die beiden Profi-Spieler mitten auf einem der zahlreichen Fußgängerwege Tokios gegenüber auf denen die Leute zu hunderten an ihnen entlang schwärmten, ohne das die beiden es schier zu bemerken schienen. Schließlich jedoch drehte sich der Mann im weißen Anzug leicht um und begann unter den erstaunten Augen des 5. Dans langsam in die Richtung zu laufen, aus der er gerade noch gekommen war. „Komm. Wir werden ein Stück zusammen gehen. Und dann möchte ich die ganze Geschichte erfahren.“ Sagte der langsam, ohne sich umzudrehen. Und Akira nickte, auch wenn er wusste dass sein früherer Mentor es nicht sehen konnte, doch aus reiner Gewohnheit, und er eilte dem 10. Dan schließlich hinterher. Nur wenige Minuten durch die lärmenden, frühmorgendlichen Straßen Tokios und die ganze Geschichte war schnell erzählt. Vieles davon was nicht wirklich Stoff für eine Geschichte war, und zum Schluss hob Ogata eine einzelne Augenbraue. „Er ist nicht erschienen?“ Fragte er noch einmal, als er sich bereits erneut wieder eine zweite Zigarette anzündete, und Akira nickte. Seine Nervosität war bereits seit einigen Minuten fast wieder völlig verloren gegangen, seid er einfach angefangen hatte wieder mit seinem früheren Mentor zu sprechen. Ogata hatte eher die Angewohnheit Leute mit seiner lässigen Art und seinen aufmerksamen Augen nervös zu machen, Akira fand es dagegen eher beruhigend. Oft fand er, dass er mit Menschen weit weniger anfangen konnte, die zu viel redeten und nicht für fünf Minuten still sitzen konnten. Vielleicht war es aber auch, das er genau an diese Art von Spielern wie Ogata, schon sein ganzes Leben lang, durch Go, gewöhnt gewesen war. Doch wie es schien, war der Mann neben ihm wirklich nur an der Geschichte interessiert gewesen und er hatte bis jetzt, noch keinerlei Wertung abgegeben. Für einige Sekunden blieb es still als beide ungleichen Männer schweigend durch den kleinen Park gingen, den sie nun vor einigen Minuten betreten hatten, der mitten im Zentrum von Tokio lag, und der- zu dieser Zeit- noch fast menschenleer war. Die beiden Männer die gerade nebeneinander durch ihn spazierten waren wahrlich ein wahrer, äußerer Gegensatz für sich. Der leicht ältere, gut aussehende Mann, in einem maßgeschneiderten, weißen Anzug. Gepaart mit seinem dunkelblonden Haar und der feinen Brille, machte er vielmehr den Eindruck eines reichen Geschäftsmannes aus Europa als eines gebürtigen Japaners, als er in teuren, polierten Schuhen und geschlossenen Augen nun langsam, stetig durch den Park ging. Der um etwa 8 Jahre jüngere Mann neben ihm dagegen hatte dunkles, schwarzes Haar- das leicht ins grün stach als die Sonne vereinzelt durch das Laubwerk brach und als seine hellen, türkisfarbenen Augen nun in die Ferne schauten- und das ganz im Gegensatz stand zu dem Dunkelblond seines Begleiters. Es waren genau diese Augen jedoch, die die beiden Männer gemeinsam hatten… Scharfe Augen, aufmerksame Augen… Augen, die erst richtig zum Leben erwachten, wenn sie Go spielten. Die angrenzenden Flächen neben dem Sandweg auf dem sie gerade gingen, waren weite, grüne Flächen aus Grass, mit vielen vereinzelnden, blühenden Bäumen, in einem hellen, strahlendem rosa, die auch dieses Jahr wieder tausende Touristen aus ganzer Welt anziehen würden. Es waren Sakura-Bäume. Beide Dans genossen nun einträchtig und stumm das schöne Wetter und die fast unwirkliche Schönheit der Sakura-Blüten, die vereinzelt, wie leicht gefärbter Schnee zu Boden fielen, in eingekehrter, vollkommener Stille, bis der ältere, Mann schließlich wieder einen Zug seiner Zigarette nahm und langsam ausatmete. Akira hatte diese Angewohnheit selbst noch nie gemocht und schon immer eine gewisse Abneigung gegen den beißenden Qualm gehalten, doch es war Teil von Ogatas Persönlichkeit wie er sehr wohl wusste. Und er respektierte den Man zu sehr um jemals ernsthaft etwas dagegen zu sagen. Und auch so hatten zahlreiche Spiele in rauchverqualmten Go-Salons ihn weitergehend immun dagegen gemacht, was nicht hieß, dass er es gut hieß…aber immerhin war es tolerierbar. Schließlich jedoch fing Ogata Seiji wieder an zu sprechen als er noch einmal einen weiteren Zug an seiner Zigarette nahm und immer noch generell, die Ruhe selbst zu seien schien. „Und du…?“Fragte er langsam. „Was hast du gemacht um Kirimura davon zu überzeugen, Shindo damit durchgehen zu lassen?“ „A-ano…“ Auf einmal fing Akira wider an leicht zu stottern. Und unter dem scharfen, aufmerksamen Blick seines Mentors schlich sich jetzt eine leichte Röte auf Touya Akiras Gesicht. Und schließlich erzählte er Ogata die ganze Sache, als dieser ihn erneut mit einer erhobenen Augenbraue von oben herab angesehen hatte. Die erhobene Augenbraue blieb auch vorhanden, die ganze Zeit. Und als er, Akira selbst, auf die langsam ausgesprochenen Worte seines Mentors „Du hast gelogen?“ leicht rot anlief, schwor er, dass Ogata mehr amüsiert zu sein schien als alles andere. Zu seinem eigenen Erstaunen nahm der Ältere nicht nur erstaunlich gut auf, was er getan hatte, sondern legitimierte es sogar. „Du hast also Shindou gerettet, weil du dachtest dass er Probleme haben könnte die mit keiner Krankheit zusammenhängen…“ murmelte er schließlich. Es war keine Frage. Und beide deuteten es auch nicht als eine. Schließlich nahm er noch einen erneuten Zug aus der glimmenden Zigarette und blies dann erneut eine kleine Wolke Qualm aus. „Das war doch sehr nobel von dir.“ Murmelte er schließlich, und Akira konnte kaum sein Erstaunen verbergen. „Wenn dir ein Gegner so viel bedeutet, dann tut man eben alles Mögliche um gegen ihn auch weiter spielen zu können.“ „Sie finden nicht, dass ich das Falsche gemacht habe?“ „Nein, warum denn?“ Antworte der Mann neben ihm, mit einem kaum merkbaren, typischen Lächeln auf seinem Gesicht und einem reichlich amüsierten Funkeln in seinen hellen, scharfen Augen. „Glaub mir, das haben schon viele Spieler vor dir getan... Und du wirst auch garantiert nicht der Letzte bleiben.“ Der junge, aufsteigende Dan neben ihm, mit den türkisgrünen Augen, wusste im ersten Moment nicht, was er auf diese klar ausgesprochenen Worte sagen sollte. Er kannte den älteren Mann wirklich nicht so gut, wie er eigentlich gedacht hatte... Nie hätte er erwarten, dass Ogata ihm in seiner Entscheidung nicht nur zustimmen, sondern ihn auch noch darin bekräftigen würde. Dieser schien jetzt jedoch seine Gedanken erraten zu haben, und ohne dass sie einmal in ihren langsamen Gehbewegungen stoppten, nahm er noch einen weiteren Zug aus seiner Zigarette und blies dann aus. „Bereust du es?“ fragte er nun direkt, in seiner üblichen murmelnden Stimme die schon immer etwas seltsam Mächtiges und Sicheres an sich gehabt hatte, bei dem andere Menschen sich auf einmal furchtbar klein ihm gegenüber vorkamen. Doch ohne dass der junge Dan mit dem dunkelgrünen Haar seinen durchdringenden Blick von seinem Partner abwandte, schüttelte der junge Touya schließlich wortlos, langsam den Kopf, und der blonde Mann neben ihm lächelte, auf dessen Haar das vereinzelte Sonnenlicht durch die Bäume nun erstaunliche Reflexe zeichnete. „Na also… Hat also doch keinen Grund mehr, sich Sorgen zu machen.“ Sagte er leicht, und der junge Mann neben ihm starrte ihn für einen Moment an, bevor er zugeben musste…dass sein Mentor recht hatte. Er musste zugeben, dass er trotzdem auch nicht anders gehandelt hätte... Weiter gingen sie nun durch den kleinen Wald, jetzt in unmerklich entspannterer Stille, bis Akira den älteren Mann schließlich unvermittelt murmeln hörte: „Er hat also wieder angefangen…“ Es brauchte Akira einige Sekunden bis er verstand, was sein Mentor meinte. Und bis er verstand, dass auch Ogata Seiji wohl ein aufmerksames Auge auf Shindou hatte… Auch ihm hatten die Fehltage unmöglich entgangen sein können. Akira sah diskret zu Boden. Ogata nahm noch einmal einen Zug bevor er seine aufgebrauchte Zigarette schließlich ohne einmal hinzugucken, geschmeidig in einen Abfallbehälter fallen ließ. „Ich frage mich, was sich dieser Bursche denkt…“ murmelte er nun. Akira sagte nichts dazu. Denn er fragte sich das gleiche. Nun jedoch waren sie nur noch wenige Schritte vom Ende des Parks entfernt und fast wieder auf den soliden Straßen Tokios. Ein Kontrast der in Akiras Kopf immer schon sehr gegensätzlich gewirkt hatte, dass sich Natur und Industrie direkt nebeneinander anschlossen, jedoch wusste, das es in einer Millionenstadt wie Tokio, mit mehr als 8 ½ Millionen Einwohnern, nicht anders ging und es in seiner generellen Hektik und dem Fortschritt eine Seltenheit war, überhaupt ein Stück Natur anzutreffen. Akira hatte sich nie sehr viel darum gekümmert; hatte ein wenig Grün ab und an um sich herum jedoch schon immer seltsam beruhigend gefunden. Und schon befanden sie sich auch wieder in der Nähe der viel befahrenden Straßen Tokios, deren Geräusche sie nun in nicht mehr alt zu weiter Distanz hören konnten. Die Sonne, nun in all ihrer Stärke, schien vom Himmel und schien nun selbst Akira durch seinen Anzug völlig zu erwärmen wollen. Die Sonne hier schien frei und ungebremst, ohne begrenzende Hochhäuser, denn sie waren in Minato, in einem der 23 Bezirke Tokios an der gleichnamig benannten Tokio-Bucht. Und vor ihnen lag jetzt nur das weite, blaue Meer… Ogata schlug umgehend zielsicher wieder einen Weg in das Stadtinnere ein und Akira war dabei ihm zu folgen, jedoch nicht bevor er noch einen letzten Blick auf das Meer geworfen hatte. Er war gerade dabei sich umzudrehen als er aus den Augenwinkeln eine Person erspähte, die sich dem Strand, weit weg, von entgegen gesetzter Richtung näherte. Und Akira erstarrte plötzlich. Jedoch nicht, weil diese Person besonders auffällig war oder sonst irgendwie seltsames an sich hatte, nein… Sondern weil er glaubte, dass die Sonne noch etwas anderes auf dem schwarzen Haar dieser Figur reflektiere, deren Gesicht er in der Entfernung und der hoch stehenden Sonne immer noch nicht klar erkennen konnte... Nämlich blond. Blonde Strähnen. Shindou… *** ~Japanisches Wörterbuch~ Ano…: Ähm…/Uhm… ---------- Sorry, war ein bisschen kurz. :P Aber ich hoffe es hat euch trotzdem gefallen. ^^ Nächstes mal tritt noch eine neue Person auf, aber ich sah nix! xP Kapitel 4: Ein Abschied der niemals aufhört ------------------------------------------- Kapitel 4 „Ein Abschied der niemals aufhört“ „Ob auch von lichter Farbe das Gewand, das bei diesem Verlust die Sitte mich anliegen heißt, ist schwarz doch meine Trauer wie das Kleid das du getragen hättest.“ (Murasaki, Shikibu: Die Geschichte vom Prinzen Genji, 1. Band. S. 270, Z. 5-7) Akira blieb wie angewurzelt stehen und der junge Dan vergaß plötzlich schlagartig, für einige Sekunden zu atmen. Und kein einziges Dan-Spiel der Welt hatten ihn in diesem Moment von diesem Platz wegbringen können als der junge Touya weiter wie gefesselt von sich starrte, direkt auf die Figur zu, die sich ihm noch immer mit langsamen Schritten näherte und von der er sich plötzlich mit unerklärlicher Gewissheit sicher war, dass es Shindou war. Erst in der letzten Sekunde besann er sich. Und er trat schnell, unbewusst etwas weiter hinter die Hausmauer zurück die er gerade eigentlich noch hatte umgehen wollen, und lugte hinter der Häuserwand hervor, um weiter zu betrachten, ohne jedoch selbst gesehen zu werden. Die Gestalt kam mit unaufhörlichem, langsamem Tempo näher, von blendendem Sonnenlicht umhüllt, in einem- selbst von hier aus gut erkennbaren- blauen Anzug und einem seltsam glänzenden Stoff in seiner unmittelbaren rechten Hand. Und obwohl Akiras Augen weiterhin ruhig blieben, in einer unbeweglichen meerblauen Farbe des Ozeans, und er Ogata längst vergessen hatte, fing sein Herz unvermittelt heftiger an zu klopfen als die Person letztendlich aus dem überirdischen Licht der Sonne hervortrat und schließlich fast zeitgleich plötzlich stehen blieb, direkt in seinem unmittelbaren Blickfeld, nicht einmal hundert Meter von ihm entfernt. Und er die Person schließlich erkannte... Ein hellblauer Anzug flatterte nun leicht im schwachen Wind der Küste, der nicht ganz zugeknöpft worden war, begleitet von einem darunter liegenden, leicht geöffneten, weißen Hemd, das absichtlich nicht in die Hose gesteckt zu seien schien und nun leicht im Wind flatterte. Der Atlantik vor dem Mann glitzerte genauso wie seine Augen als sie unter Strähnen von schwarzem und blondem Haar nun gerade in einem hellen grün stetig auf ihn hinausblickten… Hätte Akira den Gleichaltrigen nicht schon vorher an seiner Kleiderordnung erkannt, so hätte er es spätestens jetzt getan. Denn die Frisur wie auch die grünen Augen des jungen Mannes waren einzigartig, wie es sie in dieser Form nur ein Mal an einer Person auf dieser Welt gab, sodass es sich ohne Zweifel nur um eine Person handeln konnte… Shindou Hikaru. Akira starrte den 4. Dan weiter an, der für sich, immer noch weiter auf den Atlantik starrte. Und der Sohn des Mejins wusste nicht, was er jetzt denken sollte, oder was er jetzt von seinem Rivalen halten sollte, der vor nicht einmal 30 Minuten ein Spiel mit ihm hatte haben sollen, jedoch nicht erschienen war und jetzt hier, genau wie er, 10 Kilometer weit von zu Hause entfernt in Minato stand und gerade stumm auf den weiten Ozean hinausstarrte, als hätte er nie etwas anderes vorgehabt. Das hätte Akira verärgern sollen, dass Shindou in der Tat so weit mit seinen Gedanken weg war, dass er selbst völlig ihr Spiel vergaß. Und der junge Touya fühlte in der Tat etwas, das nahe an Frustration herankam, in ihm aufwallen, doch irgendwie wollte es sich gleichzeitig auch nicht wirklich einstellen... Denn der blonde Dan vor ihm, der immer noch einige Meter entfernt stand, sah mit einem Blick auf das weite Meer hinaus, wie ihn Akira nicht beschreiben konnte, und er sich sicher war, er noch nie auf dem Gesicht dieses Jungen gesehen hatte… Irgendetwas war es zwischen Melancholie und erstaunlicher Passivität. Eine so ungewöhnliche, erstaunliche Mischung auf dem Gesicht des sonst so hyperaktiven Dans, das es ihn momentan erstaunt innehalten ließ. Hinter sich konnte er Schritte hören die sich ihm langsam wieder näherten, und wie Ogatas Stimme schließlich sagte: „Akira-kun, was-“ Doch die Stimme des 10. Dans brach ab, mitten im Satz. Und mehr, dass Akira spürte als das er es wirklich sah, wusste er, dass der Blick seines Mentors dem seinen gefolgt war und seine goldfarbenen Augen nun ebenso auf die bekannte Figur am Strand starrten, wie er vor nicht einmal drei Sekunden. Shindo hingegen stand immer noch da und schien sich völlig unbewusst der Tatsache, dass er gerade beobachtet wurde. Er stand völlig ruhig, still und unbeweglich da… Mit schier keinerlei Hast oder gar Zeitgefühl für dieser Welt. Doch es war nicht eher, das dieser plötzlich sein Gewicht leicht verlagerte und langsam, unbewusst seine rechte Hand hob, dass Akira erkannte was er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte und was ihm vorhin in der Sonne so stark entgegengeglänzt hatte… … Hikaru war kaum einen Schritt zwischen den letzten Schatten zweier Häuser hervorgetreten, in einem langsamen Schritttempo dass sich die letzten Minuten lang nicht verändert hatte, als er auch schon stehen blieb… …und tief ein Mal plötzlich die ihn umgebende, salzige Luft einatmete… Helles Sonnenlicht schien ihm auf einmal ungehindert entgegen in einer wärmenden Umarmung, als er auf einmal auf das schier endlose, azurblaue, dunkle Meer direkt vor sich sah. Das unvergessliche, dunkelblaue Wasser des Atlantiks, das er nur ein Mal im Jahr auf diese Weise sah… Langsam schließlich ging er den Fußweg weiter nach unten und ging schließlich den frischen, grünen Strand entlang, immer weiter auf den kleinen, gepflasterten Steinen, die ihn weiter zu flacheren Klippen führen würden. Er war sich sehr wohl bewusst der Tatsache, dass es seltsam oder sogar unlogisch klingen mochte, da Sai das Meer, wie es jetzt gerade vor ihm lag, nie gesehen hatte, doch nirgends in Tokio hatte er das seltsame Gefühl dem Geist so nahe zu sein wie hier… Nicht bei sich zu Hause, nicht in der Go-Assoziation, nicht im Nugen no Ma, sondern hier… Vor sich im weiten, weiten Ozean… Mit nichts als dem Himmel und der strahlenden, hellen Sonne über sich. Manchmal, wenn er hier stand und dem Wind zuhörte, hatte er das Gefühl, das Rauschen der Wellen wären das leise Rascheln seines Kariginus als er hier stehen würde, und die einmalige Fassette von Blau als sich Himmel und Meer am Horizont trafen, war das Blau seiner Augen… In Hiroshima war es ähnlich. Auch dort konnte er vage jene Präsenz spüren die ihn für mehr ein Jahr seines Lebens begleitet hatte… Doch dafür hatte er nicht immer Zeit... Und eigentlich war das Meer, wie es nun vor ihm lag, auch genug. Und Hikaru blieb schließlich stehen als er die flachste Stelle der Küste erreicht hatte. Die Stelle an der er den gesamten Ozean in all seiner Schönheit bewundern konnte, sehen konnte, wie die Wellen in einem leichten Sprühregen gegen die Klippen schwappten, und hören konnte, wie das Meer leise, stetig vor sich hinrauschte, ohne Angst haben zu müssen um diese Zeit von jemandem gestört zu werden. Es war nicht einmal 10 Uhr vormittags. Auch ohne auf seine Armbanduhr zu gucken wusste er das. Das hieß, dass sich ganz Tokios in diesem Moment auf allerschnellstem Weg zur Arbeit befand, und die U-Bahnstationen nun gerade restlos überfüllt waren und überquollen von Millionen von Menschen. Niemand würde ihn um diese Zeit hier stören… Hikaru dachte immer schon, wenn er ein Mal im Jahr hier so stand, dass das Meer irgendwie etwas unwirklicher wirkte als sonst. Und auch jetzt wieder glitzerte und funkelte das dunkle Wasser wie Diamanten in der hellen Vormittagssonne, als würde es ihn willkommen heißen. Es ließ ihn innerlich lächeln, denn er wollte es wirklich glauben. Im Herbst waren es die roten Ahornblätter, im Winter der Schnee und im Frühling die Kirschblüten und dieser Meergeruch der ihm nun in die Nase stieg, die ihn immer wieder an Sai erinnerten, egal wann er sie anschaute und egal wann sie ihm begegneten. Vielleicht mochte er das Meer nur so sehr, weil sich der besagte Geist vor nun nicht mehr als 1000 Jahren in einem See ertränkt hatte…doch Hikaru schüttelte diesen Gedanken ab, da er es selbst nicht wirklich glaubte. Und er lächelte, leicht, als er schließlich auf seinen rechten Arm hinunterschaute, und den Straus weißer Blumen sah, den er vor nicht einmal 15 Minuten gekauft hatte. Lilien. Er wusste irgendwie, wenn er Sai diese Blumen jemals gezeigt hätte, er sie ganz bestimmt gemocht hätte… Der Geist hatte schon immer mehr Sinn für Grazie und Schönheit gehabt als er. Sie erinnerten ihn seltsamerweise ein wenig an ihn, immer wenn er sie ansah. So stark und so anmutig wie Sai wenn er eines seiner Go-Matches bestritt. Die Blüten genau so elegant, genauso unbefleckt und weiß… Und Hikaru lächelte als er auf diese Blumen hinunter sah. Und mit einem tiefen Atemzug hob er schließlich seinen Kopf, und reckte ihm dem Meer und dem strahlendem blauen Himmel und der Sonne in einer festen Bewegung entgegen. „Hallo, mein Freund.“ sagte er schließlich leise. Und seine Augen wie auch seine Stimmen lächelten. Ein trauriges Lächeln, jedoch ein Lächeln nichts desto trotz. „Ich hoffe dir geht es gut. Mir jedenfalls ist es gut ergangen. Ich bin jetzt 4. Dan. Gut, nicht wahr?“ Hikaru lachte leise, er konnte es nicht aufhalten. Die Wärme der Sonne streichelte ihm über das Gesicht wie eine Berührung und er glaubte, dass Sai wirklich da war und ihm zuhörte, so wie jedes Jahr wenn er hier her kam und erzählte, was alles in diesem einem Jahr in der Welt passiert war und wie es ihm ergangen war. Meistens erzählte er von Go, manchmal von Touya, manchmal von Titelspielen die stattgefunden und die er bestritten hatte, und manchmal erzählte er auch von Touya Meijin, von dem er wusste, dass den Geist das ganz besonders interessiert hätte und gerne wissen wollte, was der Mann machte, der nun auf Erden der Hand Gottes am nächsten war. Er erzählte einfach von allem was ihm gerade in den Sinn kam, um bloß nicht aufhören müssen zu reden. Nur um einfach den Moment noch etwas länger festzuhalten zu können... „Ich hab gestern Großvater herausgefordert… Ich wollte dein altes Goban haben. Doch er wollte es noch nicht herausrücken. Er will nicht, dass ich ‚mich noch mal mit dem Fluch anstecke’, hat er gesagt.“ Bei diesen Worten verblasste das Lächeln des blonden Dans ein wenig. Doch es war immer noch da, und er erinnerte sich nun mit einem kleinen Lächeln an den Tag, vor nunmehr fast fünf Jahren als er das erste Mal das Blut auf dem Goban auf dem Dachboden seines Großvaters gesehen hatte- Sai gesehen hatte- und Sekunden später direkt neben ihm zusammengebrochen war. Was eigentlich schockend hätte sein sollen war seltsamerweise eine der klarsten Erinnerungen von dem Geist die er hatte. Und sie alle waren kostbar für ihn… jede einzelne. Er wollte sie niemals missen und niemals vergessen. Und er lächelte weiter als er wieder in den strahlenden, blauen Himmel sah. Für das erste Mal an diesem Tag fühlte sich Hikaru Shindou wieder ganz, und im vollen Einklang mit sich selbst… Nicht wissend und nicht ahnen, dass dieser private Moment die ganze Zeit beobachtet wurde… … Um die beiden Dans war Stille eingetreten. Und beide, Ogata wie auch Akira Touya hatten keine Ahnung was sie dachten, sie dort hinter dieser Hauswand machten, doch sie ließen nichts desto trotz nicht den Blick von dem blonden Dan, der weiter still am Ozean stand und auf dessen Lippen sich jetzt in kleines, trauriges Lächeln geschlichen hatte, das schier keinen Grund hatte, und das sich keiner von beiden erklären konnte. Und wirklich beide ungleichen Männer- Akira, leicht, fast unmerklich um die Ecke geneigt, und Ogata, offensichtlicher, mit beiden Händen in den Taschen hinter ihm- sahen nun zu, wie der stille junge Mann weiter an der Tokio-Bucht dastand, ohne sich zu bewegen. Sie bemerkten nicht einmal die Schritte die sich schließlich leicht von hinten an sie näherten. Sie bemerkten sie erst als eine, ihnen wohl bekannte, ruhige, alte Stimme plötzlich fragte: „Ogata-kun…? Ich bin überrascht… Was führt Sie hier her? Waren Sie auf der Suche nach mir? ...“ Der sonst so stoische Ogata, von dieser Stimme völlig aus dem Konzept gebracht, drehte sich um, überrascht, und selbst Akira riss ohne einen zweiten Gedanken den Kopf zurück und sah auf, als er diese Stimme vernahm. Und den beiden Dans hatten ihre Ohren für wahr keinen Streich gespielt. Denn vor ihnen stand wirklich niemand anderes als Japans ehemaliger Meijin, Touya Koyo, aufrecht wie immer, in einem traditionellen, dunklen Kimono, mit, in seinen Ärmeln locker verschränkten Armen und weißen Zooris. Die aufmerksamen schwarzen Augen des ehemaligen Mejins blickten nun ruhig geradewegs in die leicht erstaunten seines ehemaligen Schülers, Ogata Juu-Dans. Jedenfalls so lange, bis ein zweiter Kopf plötzlich neben diesem auftauchte. Es war dann das der ältere Meijin leicht eine Braue hob, als ihm ein ihm wohl bekannter Mann mit dem gleichen Haar wie seine Frau plötzlich entgegenblickte. „Akira?“ fragte er der ältere Mann mit seiner ruhigen Baritonstimme, und seine Worte wurden begleitet von Ogata der jetzt fast erstaunt sagte: „Touya-sensei…“ „Otou-sama…“ fügte auch Akira an, langsam, ebenso überrascht wie Ogata seinen respektvollen Vater plötzlich hier so unvermittelt vor sich stehen zu sehen. Der Meijin jedoch kam nun näher, von der Seitenstraße aus, aus der er sie vorher schon erblickt hatte, der trotz seiner Jahre und einem Herzstillstand, immer noch seltsam imposant und Kraft einheischend wirkte. Und erst als der ältere Mann auf gleicher Ebene war wie sein Schüler und sein eigener Sohn, sah er jeden nach einander an und fragte dann ruhig: „Akira… Ogata-kun… Was-“ Doch er stoppte, nicht ungleich anders wie Ogata nur wenige Minuten vor ihm, als er den blonden Dan am Ufer erblickte. „Ist das nicht Shindou-kun…?“ fragte er nun langsam. Und Ogata, der nun fühlte, dass es seine Pflicht vor Akira war, seinem ehrwürdigen Meister zu antworten, nickte. „Hai.“ bestätigte er auch schon zustimmend, jedoch unbewusst so leise, dass Shindou ihn unmöglich hatte hören können, von dem Akira sich aber nicht sicher war, ob es nur ihm auffiel. „Er ist heute nicht zu seinem Dan-Spiel erschienen, Sensei. Ich habe Akira-kun durch Zufall getroffen und wir sind hier unvermittelt auf ihn gestoßen.“ „So desu ne…“ sagte der ehemalige Meijin in seiner tiefen Stimme schließlich verstehend, ohne jedoch mit einer erkennbare Veränderung auf seinem ebenmäßigen Gesicht. Und er sah auf. Nur um mit seinen schwarzen Augen, ebenso, wie auch alle anderen, Hikaru Shindo zu fixieren. Auch ihm hatten die Gerüchte kein Geheimnis bleiben können. Leute, die nun vorbeigegangen wären hätten vielleicht ungläubig den Kopf geschüttelt oder sogar gelacht, wenn sie nun gesehen hätten wie Japans drei Top Go-Spieler- Akira Touya, der aufsteigende Go-Stern Japans selbst, Ogata Juu-Dan, der erneute Herausforderer für den Honinbo-Titel und Touya-Meijin, der wohl immer noch berühmteste Go-Spieler der ganzen Welt- nun allesamt, zusammen hinter einer alten Häuserwand standen und mit ihren Köpfen nun stumm hinter ihr hervorschauten, nur um den jungen Mann zu sehen, der weiter in seinem hellblauen Anzug in einigen hundert Metern Entfernung still am Meer stand. Und sie sahen plötzlich zu, wie der blonde Dan nun unvermittelt auf die Blumen sah und lächelte die er die ganze Zeit in der der rechten Hand gehalten hatte, ebenso wie er plötzlich unvermittelt anfing zu sprechen. Keine Worte trug der Wind zu ihnen hinüber, doch die drei Go-Spieler sahen, wie sich seine Lippen bewegten, als sie in einem fortwährenden Rhythmus schier von ihnen zu strömen schienen. Er schien zufrieden, fast fröhlich zu sein, und doch war da immer noch ein Ausdruck in seinen Augen den Akira nicht deuten konnte, wenn das Lächeln auf einmal leicht auf seinen Lippen zu verblassen schien… Wie ein Schatten… Ein Ausdruck in seinen Augen den keiner von ihnen jemals annähernd auf dem Gesicht des jungen Dans gesehen hatte. „Ich frage mich, was er verloren hat…“ murmelte der Meijin nun unvermittelt leise, und Akira sah auf, überrascht das seinen Vater gesprochen hatte. Shindou…etwas verloren? „Verloren...?“ fragte Akira nun und der Meijin sah, wie sein Sohn auf den 4. Dan starrte, mit unblinzelnden Augen, den er selbst seinen ewigen Rivalen nannte. Und der Meijin lächelte leicht, fast unsichtbar, dass die Verbindung zwischen den beiden so stark war, dass sich sein Sohn selbst über das Go hinaus immer noch um seinen Rivalen sorgte. Und er blickte wieder auf Shindou. „Man braucht nur in seine Augen zu sehen… Ihm muss großer Schmerz widerfahren sein…“ sagte er schließlich und Akiras Blick blieb unbeweglich, immer noch auf den blonden Dan gerichtet, und stumm. Konnte das sein...? Konnte das da in Shindous Blick…Schmerz sein… Doch der Gedanke verschwand schneller wieder aus seinem Gedanken als Luft, er nun sah wie Hikaru seinen linken, noch freien Arm hob, ihn in seine Tasche gleiten ließ und langsam etwas schmales daraus hervorholte, dass Akira sehr vertraut war. Sein Papierfächer. Der junge, grünhaarige Dan starrte auf das kleine Item dass der blonde Dan nun leicht angewinkelt vor seinem Oberkörper hielt. Er wusste nicht warum oder was an ihm war, doch das kleine Item war der ständiger Begleiter des 4. Dans, seit es vor drei Jahren mysteriöserweise auf einmal während eines Spiels bei ihm aufgetaucht war und seitdem niemals mehr ohne es gesehen worden war. Und er wusste, dass das kleine Item Hikaru Shindou seltsam viel bedeutete. Er bestritt kein Spiel ohne ihn. Und nur zu gut konnte er selbst sich noch an den Vorfall vor weniger als zwei Jahren erinnern, als Shindou seinen Fächer kurz während eines Spiels neben seinem Goban liegen gelassen hatte, um sich Tee zu holen, und ein unvorsichtiger Go-Spieler ihn neugierig aufgenommen hatte. Noch jetzt glaubte Akira, den blonden Dan noch niemals so wütend gesehen zu haben wie an jenem Tag. Noch jetzt hatte er das Bild von Hikarus Augen in Erinnerung, die sich seltsam verdunkelt hatten, plötzlich mit mehr als Wut in ihnen, und wie sie in einem hellgrünen Feuer zu dem Mann hinüber gestarrt hatten. Noch niemals in seinem ganzen Leben war er sich jemals so sicher gewesen, dass Hikaru die Beherrschung verlieren könnte und den 3. Dan vor sich tatsächlich angegriffen hätte, wenn seine anderen Insei-Freunde nicht gerade durch Zufall in der Nähe gewesen wären und ein Junge mit braunen, verstrubbelten Haaren (Waya) und ein älterer mit schwarzen Haaren (Isumi) ihn nicht mit aller Macht davon abgehalten hätten. Die Geschichte war durch die gesamte Go-Assoziation gegangen. Angefangen von Shindous Wutanfall bis zu seiner Verweigerung sich danach dafür zu entschuldigen, und schließlich hatte man ihn nicht dazu zwingen können. Fortan jedoch machten alle Spieler einen großen Bogen um seinen Fächer und vermieden es vorsorglich, ihn überhaupt noch anzusehen. Fakt war, dass dieses Item dem Blonden anscheinend so viel bedeutete, dass er es niemand anderen auch nur berühren ließ. Ein weiteres Geheimnis… Er fragte sich, warum Shindou es jetzt - gerade hier- wieder zum Vorschein brachte. … Hikaru sah nach unten und lächelte auf die Blumen die er noch immer in der Hand hielt und seine Augen wanderten weiter, schließlich auch zu dem Ärmel seines hellblauen Anzugs, und seine Augen wurden weicher. „Weißt du, Sai…ich glaube ich mag diesen Anzug nur so sehr, weil es der einzige an mir ist den du jemals gesehen hast…“ sagte er plötzlich leise. Und noch während er das sprach, wusste er dass das stimmte. >Genauso wie dein Fächer…< fügte er in Gedanken an. Doch er lächelte, ein kleines Lächeln, als er nun auf das weiße, gefaltete Papier in seiner linken Hand hinunter sah, doch unmerklich fester als alle anderen. Und er hob die Blumen in seiner Hand etwas höher um sie nun mit beiden Händen zu halten und mit einem kleinen Lächeln sah er auf sie hinunter. Sein Augenmerk nun noch einmal nur auf den Strauß in seinen Armen gerichtet. „Vergiss mich nicht mein Freund… genauso wie ich dich nicht vergessen werde. Und keine Angst...“ Er lächelte… „…Nächstes Jahr komme ich ganz bestimmt wieder…“ Und damit warf er den Blumenstrauß hinaus ins Meer. … Akiras Augen waren weit und seltsam geschockt als er nun mit leicht offenem Mund zusah, wie Hikaru Shindou seinen eigenen, gerade mitgebrachten Blumenstrauß ins Meer warf das noch immer brausend die steile Küste umspülte, seinen Fächer immer noch sicher, in einer Hand. Doch es waren nicht nur irgendwelche Blumen. Es waren strahlend weiße Blumen die sich gerade aus dem glänzenden Papier und ihrem Bündel lösten, um tanzend ins Meer zu segeln. Lilien. Die Blumen des Todes. Und auf einmal realisierte Akira, woran ihn diese Bewegung, diese Szene plötzlich erinnerte…und er erstarrte. Er sah die Blumen, die wie Schnee leise, verstreut ins Meer segelten… und er sah Shindous Gesichtsausdruck… Und plötzlich war es ihm mit solch einer Sicherheit klar, dass es ihn leicht zittern ließ… Wie an einem Grab. Und erst als Akira Hikaru so dastehen sah- mit beiden Händen in den Taschen aus dem aus seiner linken die Spitze des Papierfächer guckte, mit zum Himmel gewandten Gesicht und einem kleinen Lächeln auf seinem Lippen- wurde ihm plötzlich klar, dass er Abschied nahm… Und noch einmal klangen ihm die Worte seines Vaters im Kopf… *Ich frage mich, was er verloren hat…* >Nein…< Dachte er, plötzlich wie betäubt. Nicht was, sondern wen hatte er verloren… Akira wagte es plötzlich nicht einmal mehr zu blinzeln, geschweige denn noch zu atmen. War es das warum er nicht kam…? Fragte er sich dann frenetisch. Weil er jemanden…verloren hatte? Akira wusste, dass das ein Grund war den man angeben könnte um seine Dan-Spiele verschieben zu lassen. Doch gleichzeitig hatte er das seltsame Gefühl, das Hikaru das niemals tun würde... Aber warum…? Was wollte er sich damit beweisen? Wollte er sich für irgendetwas bestrafen? Wie der blonde Mann nun dastand wirkte er seltsam friedlich, als er mit fest geschlossenen Augen schier in den Himmel blickte. Und als Akira ihn plötzlich einmal so intensiv beobachtete dachte er auf einmal er könnte die Worte lesen die sich auf Hikarus Lippen abbildeten doch die der Wind nicht zu ihnen hinüber trug… *Leb wohl, mein Freund…* Akira stockte der Atmen. Doch es war vorbei. Hikaru drehte sich um, ohne noch einen letzten Blick zurück zu werfen und verschwand nun plötzlich auf direkten Weg in Tokios Innere. Ohne sich noch ein weiteres Mal umzudrehen, ohne einen Blick zurück zu werfen. Akira sah ihm nach, bis seine Form in dem hellblauen Anzug zwischen den Schatten der angrenzenden, kleinen Häuser verschwand. Der sonst so sichere grünhaarige Dan plötzlich tief in Gedanken. >Wann wirst du mir wohl jemals dein richtiges Gesicht zeigen…Shindou…< dachte er. Und ein undefinierbarer Ausdruck trat plötzlich in die gar nicht mehr so scharfen Augen des 5. Dans, als er den mysteriösen blonden Dan, seinen Rivalen, gehen sah, wie er langsam aber sicher aus seinem Blickfeld verschwand. >Wann werde ich dich wohl jemals vollkommen verstehen…< *** ~Japanisches Wörterbuch~ Otou-sama…: Vater (sehr respektvoll) So desu ne…: Ich verstehe… ---------- Und, wie fandet ihrs? ^^! Ich versuch ja schon das ganze drumherum endlich laufen zu kriegen und endlich zu Sai zu kommen doch irgendwie ist das gar nicht so leicht wenn man den Plot nicht gleich wieder ruinieren will ^^! Besonders bei diesem Kapitel war ich mir sehr unsicher, ob es gut ist... -.- Kapitel 5: Göttlich nur zu zweit -------------------------------- T___T Es geht endlich weiter!! *sniff* ;_; Ich dacht schon das wird gar net mehr!! ^^! Ein großes Dankeschön an meine nunmehr vier Kommischreiber! *Crazy_Neko, Luminara und Lacus die Hand schüttel* ^__^) Hoffe ihr bleibt mir treu! xP So... let's go!! ---------- Kapitel 5 „Göttlich nur zu zweit“ „Könnte ich doch jenen Traum noch einmal träumen; ach, seit der Wunsch sich erstmals in mir regte, schlossen meine Augenlider sich nicht ein einziges Mal im Schlaf.“ (Murasaki, Shikibu: Die Geschichte vom Prinzen Genji, 1. Band. S. 67, Z. 28-30) Hikaru wusste nicht warum er immer noch ziellos durch die Straßen Tokios umherwanderte, doch er tat es einfach. Dieser Stadtteil war ihm weitestgehend unbekannt. Nach Minato kam er wirklich nur ein Mal im Jahr, und dann wirklich immer nur wegen Sai... Doch irgendwie hatte er heute irgendwie nicht das beißende Verlangen verspürt sich sofort in die nächst-beste U-Bahn zu setzen und sofort wieder nach Hause zu fahren. Vielmehr hatte er sich dafür entschloss zu laufen. Irgendwie fand er es auf einmal seltsam entspannend wenn er diese Straßen hier entlang ging; die kleine Kinder hier auf den Bürgersteigen sah, ihre kleinen Hände fest die ihrer Mütter umfassend, als sie lachten als sie und herumhüpften und ihre Mütter noch auf einen frühen Einkauf begleiteten. So sah das Bild Tokios jetzt fast überall zu dieser Stunde aus, da es wirklich vorwiegend nicht arbeitende Mütter und deren Kinder waren, die jetzt als einzige unterwegs waren, da ihre Väter wahrscheinlich irgendwo in der Stadt arbeiteten. Doch irgendwie, und der blonde Dan wusste nicht warum, fand er es seltsam beruhigend wenn immer seine grünen Augen eine solche Szene sahen. Und er musste sogar unbewusst lächeln, als er noch von weitem einen kleinen schwarzhaarigen Jungen hörte, etwa 4 Jahre alt, der seine Mutter gerade fragte, was das für seltsame schwarze Steine waren, die ein Mann gerade eben noch in einem Fernseher auf einen großen Holzklotz gesetzt hatte. Und Hikaru fragte sich unwillkürlich, ob der kleine Junge wohl irgendwann Go für sich entdecken würde von dem er gerade unbewusst so faszinierend sprach, und ob es wohl auch ein Teil seines Lebens werden würde, genauso wie es ein Teil von seinem geworden war. Doch letztendlich steckte er nur noch etwas tiefer die Hände in seine Taschen und ging weiter, den hellen Papierfächer in seiner Tasche mit seiner linken Hand leicht, jedoch immer noch sicher umfassend. Und ohne das er wusste warum, sah er noch einmal in den strahlenden, blauen Himmel direkt über sich, der immer noch vereinzelt zwischen den hohen gläsernen Wolkenkratzern sichtbar war, und er atmete ein Mal tief die leicht kühle Luft um sich herum ein. Doch irgendwie, so sehr er es auch versuchte, wollte die seltsame Schwere nicht einfach verschwinden die auf seiner Seele lastete. Genauso wie die kleine Übelkeit anhand der Dinge, die gerade erst wieder vor wenigen Minuten geschehen waren und an denen er schon wieder an diesem Tag teilgenommen hatte… Er wusste, die Anzeichen waren zu klein als dass irgendjemand anders sie bemerken konnte, und er maskierte sie gut... Doch allein das minimale Zittern seiner Hände konnte er niemals ganz verbergen wenn er an diesem Tag aus Minato kam, mit einem Blumenstrauß weniger, dessen Verschwinden er immer unfähig war den anderen wirklich plausibel zu erklären und er sich dagegen mit Stille umfing um an nichts anderes denken zu müssen... Und er umfasste den kleinen Papierfächer unbewusst noch etwas fester in seiner Hand, sodass seine Finger sich nun fest um das dünne Holz schlossen. Er sah auf den Boden, und er erinnerte sich an den Traum, vor nunmehr drei Jahren den er seltsamerweise seitdem nicht hatte vergessen können… und er lächelte. Er drückte den Fächer in seiner blauen Tasche noch fester an sich, als würde er in diesem Moment wirklich nicht lebloses Holz umfassen sondern die Hand eines Freundes, den er beruhigen wollte. Diese Hand jedoch dieses Mal seine eigene war… >Ich vermisse dich, mein Freund… Wirklich sehr…< dachte er innerlich. Und etwas Feuchtes prickelte auf einmal hinter seinen Augenlidern, doch er blinzelte es weg, nicht wollend, dass er jetzt Schwäche zeigte. Jetzt, wo er nicht mehr geweint hatte seit ganzen drei Jahren lang. Monate später nachdem Sai verschwunden war… Jetzt zu weinen würde ihn nicht wieder zurückbringen… Er war so absorbiert von seinen Gedanken, dass er so kaum Notiz von dem Verkehr und den Autos nahm die immer noch unmittelbar an ihm vorbeifuhren. Er hatte auch keinen Grund dazu. Sein Weg nach Hause war nun einen guten 3 Stunden-Marsch entfernt. Es war jedoch nicht eher, dass ein gelbes Taxi fast neben ihm in der Warteschlange einer Ampel hielt und jemand plötzlich daraus unvermittelt, fast erstaunt seinen Namen sagte, dass er aufhorchte. „Shindou-kun?“ Der blonde Dan blinzelte und sah auf, nur um Touya Meijin nur wenige Meter neben sich in einem Taxi sitzen zu sehen- das Fenster leicht heruntergekurbelt und dessen schwarze, Augen ihn nun über dem Glas her ansahen. Die große Gestalt und das markante, wenn auch gealterte Gesicht, mit den schon leicht ergrauten Strähnen, unverkennbar. Und unwillkürlich machte Hikarus Herz einen mächtigen, fast schmerzhaften Hüpfer. Es war nicht so, dass er Touya Meijin fürchtete. Oh nein… das war es ganz sicher nicht. Doch der schwarzhaarige Mann und ehemalige Meijin Japans hatte unbestritten eine Aura um sich herum, der Hikaru noch nie hatte konkret habhaft werden können, und die merkwürdigerweise die seltsame Eigenschaft hatte, ihn merkbar unruhig machen zu können… Selbst damals im Krankenhaus hatte er es gespürt, als der ältere Mann zwar geschwächt aber immer noch seltsam Kraft einheischend vor ihm im dagesessen hatte, nur knapp einen Tag nach einem Herzinfarkt und seiner lebensrettenden Operation. Es war auch nicht der Fakt, dass dies vor ihm gerade der Vater seines größten Rivalen war… Es war einfach nur, das er sich in der Gesellschaft dieses Mannes- des ehemaligen Meijins- immer seltsam unruhig fühlte… Wie als würde er auf etwas gucken- etwas was so groß und unerreichbar für ihn war- dass die bloße Präsenz des älteren Mannes allein schon etwas Mächtiges und seltsam Angsteinflößendes hatte; selbst wenn der ältere Mann sich offiziell völlig aus dem Go zurückgezogen hatte. Es war als hätte ihm der Teil von Sai, der- der noch immer in ihm verblieben war- ein Gespür dafür gegeben. Und er erkannte nun das Talent dieses Mannes vor sich, obwohl er nicht einmal gegen ihn spielte. Nur von dem bloßen Bild seiner Aura her. Und eben dieser Mann mit dieser seltsamen, starken Aura sah ihn immer noch ruhig an. Und Hikaru verbeugte sich fast automatisch, mehr aus Gewohnheit sich vor einem Titel-Spieler zu verneigen als wirklich bewusst vor dem ehemaligen Meijin Japans, doch er tat es nichts desto trotz- neigte seinen Kopf instinktiv auf die richtige, angemessene Tiefe bevor er den Namen des älteren Mannes sagte, um dessen Präsenz anzuerkennen, ohne dass er es wirklich bemerkte. „Touya Meijin-sensei.“ Der Mann vor ihm neigte ebenfalls leicht den Kopf, in einer milden Geste, wie es ebenfalls Etikette war, und fing letztendlich an, nach einigen Sekunden, in seinem beruhigenden Tenor zu sprechen. „Was machst du hier, Shindou-kun? Hattest du hier etwas zu erledigen?“ „I-Iie.“ Antwortete Hikaru zögernd und verbeugte sich noch ein Mal hastig nachdem er seinen Kopf wieder leicht gehoben hatte. „Ich war nur hier um… nachzudenken…“ gab er schließlich leise zu. Zu wenig als das es für den Meijin eine angemessene Erklärung hatte gewesen sein können, doch es schien seltsamerweise genug zu sein. Der Mann vor ihm blieb stumm. Ihnen blieb nicht viel Zeit. Das Auto stand immer noch vor einer roten Ampel und drohte jeden Moment wieder loszufahren, und doch sah ihn der Meijin immer noch an, mit keinerlei Eile in seinen schwarzen, aufmerksamen Augen. Nicht einmal mehr mit Überraschung wie er es noch ganz zum Anfang getan hatte. Doch schließlich murmelte er ein paar Worte die Hikarus Kopf unvorbereitet nach oben schnellen ließen. „Steig ein, Shindou-kun.“ Und Hikaru konnte bei diesen Worten nicht anders als aufzusehen, etwas auf seinem Gesicht das nahe an Schock grenzte, als er den Mann anblickte und nun sah, wie sich der Meijin wieder von ihm wegdrehte hatte und wieder ruhig nach vorne sah. Schließlich jedoch sah er wieder auf, und diese alten wie ruhigen, schwarzen Augen sahen erneut in seine und hielten die seinen fest. „Ich würde mich sehr freuen.“ sagte er schließlich langsam und in einem Tonfall über die Jahre, geübter Perfektion. „Ich nehme an, du bist auf deinem Heimweg. Dann haben wir das gleiche Ziel. Es wäre schön, wenn du mich nach Shibuya begleiten würdest.“ Dann sah der zurückgetretene Meijin wieder nach vorne und seine schwarzen Augen entzogen sich Hikarus Blick der immer noch wie festgefroren dastand. „Ich würde dich natürlich bei deinem Apartment absetzten lassen.“ Fügte er an. Hikaru hatte keine Wahl. Wollte er nicht unhöflich sein oder vor dem ehemaligen Meijin der Welt völlig respektlos erscheinen, musste er wohl oder übel zustimmen... Die Worte des dunkelhaarigen Mannes ließen ihm keine Option für eine andere Möglichkeit. Und er hatte das seltsame Gefühl, dass auch Touya Koyo sich dieser Tatsache bewusst war… Also stieg er schließlich ein, mit leicht abgewandtem Blick, in das Taxi, das- leicht ironischer und ungläubiger weise- immer noch an der gleichen roten Ampel stand, und nahm schließlich neben dem ehemaligen Meijin Japans auf der Rückbank platz. Und es schien als ständen seine Vorhaben an dem heutigen Tag in der Tat unter keinem guten Stern… Denn kaum hatte Hikaru die Tür hinter sich geschlossen, wechselte die Ampel auch schon von rot auf grün um und das Taxi fuhr weiter. Hätte er nur drei Sekunden mehr gezögert, hätte er es verpasst… Der schwarzhaarige, 17-jährige Dan, mit den blonden Strähnen saß nun still da, immer noch in seinem hellblauen Anzug, mit leicht abgewandtem Gesicht und sah aus dem Fenster. Das Sonnenlicht schien ihm wärmend ins Gesicht, und er spürte, dass auch der Mann neben ihm, ihn nicht ansah. Doch die Präsenz des Meijins war auf einmal so nah, dass das bereits genug war, sich ihr trotzdem schmerzhaft deutlich bewusst zu sein. Trotz alledem jedoch, hüllte sich Hikaru in dichtes Schweigen. Auch wenn er letztendlich der Bitte des Meijins nachgegeben hatte- so bemerkte er doch, dass er kein Verlangen hatte sich mit dem Mann neben sich auch nur in geringster weise zu unterhalten… Und seine Finger verkrampften sich unwillkürlich ineinander, die Hikaru- seit er in das Taxi gestiegen war- locker in seinem Schoß verschränkt hatte. Wusste man nicht was man sagen sollte, oder wie man reagieren sollte ohne beleidigend zu erscheinen, sagte man am besten gar nichts. Eine nützliche Lektion, die er- nach einigen Jahren mit älteren Go-Spielern- schnell gelernt hatte und die ihm nicht mehr so schwer fiel, wie es noch in seiner Linderzeit gewesen wäre. Ein Schweigen würde in den meisten Fällen weniger respektlos erscheinen als ein unüberlegtes Drauflos-Gerede. Meistens wurde es in der tat sogar als sehr respektvoll angesehen, dass man in der Gesellschaft eines älteren Mannes schwieg bis er den ersten Schritt zu einem Gespräch unternahm. Und auch wenn das gerade das Entferntest von Hikarus Gedanken war das man sich vorstellen konnte, fragte er sich doch… woher diese plötzliche Abneigung kam die ihn in der Nähe des Meijins plötzlich übermannte... Der Meijin hatte ihm nichts getan. Hikarus konnte zugeben, dass der Mann sogar recht nett gewesen war, die wenigen Male die er bis jetzt in seinem Leben Kontakt mit ihm gehabt hatte. Außerdem war er auch, die ganze Zeit hinweg, durchgehend freundlich gewesen als er selbst ihn dann auch noch unangemeldet nach seinem Herzstillstand im Krankenhaus besucht hatte. Etwas was nicht viele getan hätten, da er ganz eindeutig nicht zur Familie gehörte, und noch weniger zu den engsten Freunden. Trotzdem hatte der Meijin ihn empfangen. Es gab sogar mal eine Zeit- ganz am Anfang- als er den Mann, fast genau wie alle anderen, fast bewundert hatte… Warum also diese plötzliche Ablehnung und Abgeschiedenheit… *Es ist wegen Sai…* wisperte ihm eine Stimme zu. Eine allwissende. Und Hikaru schloss die Augen. Es war immer wegen Sai. Sai war der Grund dafür, als er das erste Mal gegen den Meijin gespielt hatte. Sai war der Grund, warum er ihn überhaupt bemerkt hatte. Sai war der Grund als er das erste Mal richtig einen Stein gelegt hatte. Sai war auch der Grund gewesen, warum er damals so schnell ins Krankenhaus geeilt war… Und wenn er darüber nachdachte, so wurde es ihm auch bewusst, warum er das hier tat… Dieser starke, aufrechte Mann, der nun gerade neben ihm saß, war der ewige, erhoffte Gegner von dem Geist gewesen. Sein Rivale, solange Hikaru Sai gekannt hatte. Sein ewiger Rivale… Und nun war der energetische Geist mit dem langen Haaren aus der alten Heian-Zeit, nicht mehr da…. Und er selbst saß auf dem Platz auf dem eigentlich Sai hatte sitzen sollen. Neben ihm. Neben dem größten Go-Spieler der Welt… Einen Schritt näher, wenn auch nur körperlich, an der Hand Gottes… Und Hikaru bemerkte, dass er sich selbst bestrafte. Vielleicht an einem anderen Tag hätte es ihm nichts ausgemacht, hätte er es unterdrücken können; doch nicht jetzt… nicht an diesem Tag… Er bestrafte sich selbst, weil er gerade neben dem größten Go-Spieler der Welt saß und Sai es niemals vermocht hatte. Wegen Umständen die fortwährend außerhalb seiner Macht gelegen hatten… Er hatte kein Recht darauf, hier zu sein. Und die Augen des 17-jährigen Dans sahen nun auf einmal auf den vorbei fliegenden Verkehr hinaus, ohne Fokus zu finden... Und eine seltsame Härte und Bitterkeit tauchte nun in ihren grünen Tiefen auf, bevor er sie schließlich letztendlich langsam vor der Welt schloss und seinen Kopf leicht, fast sanft, an die kühle Scheibe sinken ließ. Nein… Er hatte gar kein Recht darauf, hier zu sein. Alles was er getan hatte… Alles was er war… …war nur wegen… …Sai. „Shindou-kun…?“ Diese Stimme riss ihn unvermittelt aus seinen Gedanken. Und Hikarus grünen Augen sahen auf, unendlich langsam, nur um den dunklen Augen des Meijins zu begegnen, der ihn von der anderen Seite des Taxis her anblickte, während leichtes Sonnenlicht nun die feinen weißen Strähnchen in seinem dunklen Haar betonte. Und Hikaru ließ seinen Blick wieder sinken, kaum fähig diesen ruhigen, wie aufmerksamen schwarzen Augen für länger als nur einen Augenblick stand zu halten. Etwas kontrahierte in seiner Brust... Doch er konnte nicht sagen, was es war. „Ist alles in Ordnung, Shindou-kun?“ Hikaru nickte einfach. Wunderte sich nur, warum sich sein Kopf auf einmal so schwer anfühlte und brachte schließlich heraus: „Iie…daijobu…“ Seine Stimme war kaum über einem Flüstern. Der Meijin sah ihn immer noch an. Selbst von seinem Platz aus und mit abgewandtem Gesicht konnte Hikaru spüren wie diese ruhigen- wie scharfen, vom Go geprägten- Augen auf ihm lasteten- ihn schier zu durchdringen schienen. Und Hikaru tat das einzige was er darauf tun konnte. Er bewegte sich nicht, saß einfach nur still da und wartete darauf, dass etwas kommen würde. Denn das es das würde, dass war ihm nun klar, von dem Moment an, an dem er in dieses Auto gestiegen war. Und schließlich…wurde er auch nicht enttäuscht. Der Mann neben ihm fing schließlich, nach einigen Minuten Stille, langsam an zu sprechen, obwohl der blonde Mann spürte das sich sein Blick wieder von seiner Gestalt abgewandt hatte und er nun nach vorne sprach, mit Blick geradeaus. „Dōmo arigato gozaimasu… dass du mich begleitest, Shindou-kun.“ Hikaru nickte einfach. Nicht wissend, wie er anders hätte auf diese Worte reagieren sollen, und blieb weiter stumm. Seine grünen Augen sahen weiter auf den ewigen, an ihm vorbeiziehenden Verkehr hinaus, und er wusste, dass sie Minato nun schnell hinter sich ließen. Auch der Mann neben ihm blieb nun still. Er schien nach Worten zu suchen, wie er beginnen sollte. Doch zu Hikarus leiser, innerer Überraschung spiegelte sich nach einigen Minuten der Stille plötzlich ein kleines Lächeln auf den Lippen des alten Mannes im Spiegelbild wider, dessen Reflexion Hikaru nun in dem Glas vor sich sah. Und Hikaru sah, wie der dunkelhaarige, ehemalige Meijin Japans- der nun in seinem traditionellen Kimono neben ihm saß- nun in einer stillen, fast nachdenklichen Art auf seine Hände sah. Mit einem feinen, fast verschwindendem Lächeln auf seinem Gesicht, dass Hikaru noch nie zuvor gesehen hatte. „Ich hatte eigentlich vor dich zu fragen, was du hier getan hattest, Shindou-kun“, fing der dunkelhaarige Mann dann an, ohne ihn anzusehen. „und ob du es vielleicht schon geschafft hast gegen Akira zu gewinnen. Doch ich werde es nicht tun.“ Und der hoch gewachsene Mann, mit dem schon leicht ergrautem Haar, schloss jetzt seine Augen. „Denn es würde die wirkliche Frage, die ich dir stellen will, verbergen…“ schloss er leise murmelnd ab. Und schließlich sahen die diese klaren, dunklen Augen des Mannes neben ihm, wieder in seine. Oder besser gesagt in die Reflexion seines eigenen Spiegelbildes, dass auch der Meijin von seinem Platz aus deutlich sehen musste. Und plötzlich war eine Stählernheit in dem Blick des alten Meijins die Hikaru noch nie an ihm gesehen hatte … Noch niemals außerhalb eines Go-Spiels. Und Hikaru empfand sich auf einmal unfähig dazu, den Blick von diesen Augen abzuwenden die ihn durch das Glas der Scheibe plötzlich in einem seltsamen, dunklen Feuer fixierten, und deren Intensität er in dieser Art erst zwei Mal in seinem Leben kennen gelernt hatte… „Ich wollte dich eigentlich bitten“, fing der alte Mann dann an „ob du noch ein Mal ein Spiel zwischen mir und Sai organisieren könntest…“ Hikarus Innereien verkrampften sich augenblicklich bei der Erwähnung dieses Namens. Und auf einmal hatte er das plötzliche Gefühl nicht mehr atmen zu können... Er öffnete seinen Mund… doch nichts kam heraus. Er hatte vieles erwartet. Doch nicht das. Niemals das… Er war wie gelähmt. >Sai… … Er will mit dir spielen. Sai…< dachte er zusammenhangslos, fast wie betäubt. Gleichzeitig zu seiner Panik, stahl sich jetzt jedoch auch eine plötzliche, wie völlig unbestimmte, Wärme in seine Brust als er das hörte… Und Hikarus Augen spiegelten ebenfalls für den winzigsten Moment einer Sekunde- völlig unbewusst zu ihm- die kleinste Andeutung eines Lächelns wieder… Er war plötzlich… glücklich. Glücklich, dass sich der sehnliche Wunsch des Geistes, der ihn über zwei Jahre seines Lebens begleitet hatte, auf eine Art erfüllt hatte… >Er will noch ein Mal mit dir spielen, Sai… Er hat dich immer noch nicht ganz vergessen…< Gleich darauf, auf dieses unbestimmte Glücksgefühl, sank jedoch auch schon etwas in seinem Herzen wie ein Stein anhand der Gewissheit, dass es für Sai niemals mehr möglich sein würde mit dem Mann neben sich zu spielen... Und Hikaru wandte sich ab, noch weiter von dem Fenster weg, sodass selbst der Meijin nun sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. „Es tut mir leid, Touya-san… aber das ist leider nicht möglich. Sumimasen…“ sagte er schließlich leise, mit der leichtesten Andeutung einer Verbeugung- nicht ganz vergessend zu wem er gerade sprach. Obwohl es wahrscheinlich keinen Unterschied mehr gemacht hätte, da er sein Gesicht gerade sowieso, so weit wie möglich von dem des Meijins abgewandt hatte. Touya Koyo sah ihn immer noch an -Hikaru spürte noch immer seinen Blick zwischen seinen Schulterblättern- bevor der Mann sich schließlich abwandte… Und auch wenn der 4. Dan den Meijin nicht sehen konnte, konnte er sich doch den Ausdruck plötzlich vorstellen der nun auf das Gesicht des Mannes getreten sein musste als er schließlich nun leise sagte: „So desu ne…“ Und etwas verkrampfte sich zum zweiten Mal an diesem Tag plötzlich überaus schmerzhaft in Hikarus Brust als er plötzlich diese seltsame Stimme hörte, die nun plötzlich ohne Ansatz jeglicher Stärke an sein Ohr drang. Und plötzlich traf es ihn, dass nicht nur er selbst um den Geist trauerte. Dass nicht nur er ihn vermisste. Touya Koyo vermisste ihn ebenso. Auf seine ganz eigene, wenn auch gleiche Art. Er vermisste den ebenwürdigen Gegner, der ihm nur für ein Spiel vergönnt gewesen war, und der wieder verschwunden war, wie ein kleines loses Blatt im Wind, das aber trotzdem seinen Abdruck im harten Boden hinterlassen hatte, und den der Meijin nun unmöglich war, zu vergessen. Und plötzlich, als Hikaru diese Erkenntnis traf, dass der Mann neben ihm seltsamerweise um die Person trauerte, gegen die er nur ein Mal in seinem Leben gespielt hatte… wollte er plötzlich etwas sagen... Irgendetwas. Irgendetwas um den alten Mann zu versichern, der auf einmal so seltsam normal, so überhaupt nicht mehr kraft einheischend und plötzlich still, neben ihm saß… Plötzlich war da kein Unbehagen mehr und kein leiser Selbsthass in jeder kleinen Faser seinem Herzen den er in der Präsenz von Touya Koyo noch verspürte… Nicht wenn er plötzlich bemerkte, dass der Mann neben ihm Sai auf eine besondere Art vermisste, genauso wie er. Und auf einmal verspürte Hikaru auf einmal den unwiderstehlichen Drang dem Mann neben sich, der immer noch so aufrecht neben ihm saß, alles zu erzählen… Warum es nicht ging. Warum es nicht möglich war... War es niemals mehr möglich sein konnte... Niemals mehr möglich sein würde… Doch er konnte nicht… Etwas in seinem Inneren hielt ihn davon ab, so stark das es schmerzte. Und die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er schluckte, um seinen plötzlich trockenen Mund zu befeuchten und vielleicht sogar um etwas auf diese Worte zu erwidern, selbst wenn es nur ein erneutes, atemloses „Sumimasen…“ war. Doch der ehemalige Meijin gab ihm gar keine Chance irgendetwas darauf zu erwidern. Denn er sprach auch schon weiter. Und in der Reflexion seines Spiegelbildes sah Hikaru, dass der Mann ihn immer noch nicht ansah und seinen Blick stattdessen nach vorne, weiterhin auf die dunkle Lehne des Beifahrersitzes, gelenkt hatte. „Shindou-kun… Weißt du was Go so einzigartig macht? Was gleichzeitig seine Größte Stärke ist und auch gleichzeitig seine größte Schwäche…?“ Hikaru blieb stumm, nicht sicher was er darauf antworten sollte, was er davon halten sollte. Doch schließlich schien der schon leicht ergraute Mann auch gar keine Antwort zu erwarten, denn er sprach weiter. „Go ist ein Spiel, das man nur zu zweit spielen kann. Die Göttlichkeit- das was Go ausmacht- erreicht man nur mit einem Partner, der genau so ist wie man selbst, und dessen Geist und Stärke die Fähigkeit haben dich höher und höher tragen zu können, in perfekter Reziprokation zu einem Selbst. Dann, und nur dann, wird sich die Hand Gottes einem eröffnen...“ Hikaru lauschte den Worten des Meijins ohne etwas zu erwidern, ohne etwas darauf zu sagen, mit immer noch leicht zu Boden geneigtem Blick. Noch niemals hatte er den Mann so sprechen hören wie jetzt. Solch verwirrende, wie seltsam persönliche Worte… Er verstand was er meinte. Doch irgendwie kam er gleichzeitig auch nicht auf den genauen Sinn, was genau er damit sagen wollte… Plötzlich jedoch hatte der blonde Dan die leise Ahnung er sollte verstehen, was der Meijin damit meinte. Dass es irgendwie wichtig war… Doch Hikaru kam nicht darauf… und er blieb still. Es war der letzte Satz der für eine sehr lange Zeit gesprochen werden sollte, als sie ihren Weg durch Minato und schließlich durch Shibuya fortsetzten. Der ganze restliche Weg war in- wenn nicht unangenehmes- jedoch dichtes Schweigen gehüllt. Und als Hikaru schließlich keine 20 Minuten später schließlich langsam, vor seinem Apartmentblock, aus dem Taxi ausstieg war es gerade einmal 10 Uhr Vormittags und die Sonne schien ihm immer noch so hell und klar entgegen wie sie es schon getan hatte als er vor 30 Minuten in das gelbe Taxi hinter ihm eingestiegen war. Kaum aus dem Taxi heraus und auf dem Bürgersteig, drehte er sich noch einmal um und verbeugte sich vor dem Mann, der immer noch auf der Rückbank hinten im Wagen saß. „Vielen Dank, dass sie mich mitgenommen haben…“ Der Mann im Inneren neigte seinen Kopf als Anerkennung, ohne jedoch weiter eine Emotion auf seinem Gesicht zu verraten. „Dō itashimashite.“ Antworte er. Und Hikaru ließ leicht den Kopf hängen. „Iie… Ich sollte es sein der sich bedankt.“ Wobei er sich noch einmal tief verbeugte. „Dōmo arigato.“ Der Meijin nickte. Er war gerade dabei dem Taxifahrer die nächste Adresse anzugeben, doch er kam nicht ganz dazu, als Hikaru schließlich noch einmal langsam seinen Kopf hob und die Frage stellte, die ihm schon die ganzen letzten Minuten beschäftigt hatte und ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. „Sie beneiden Akira auf eine Art, nicht wahr?“ fragte er dann leise, und zwang sich nur unterschwellig dazu, Akira beim Vornahmen zu nennen und nicht „Touya“ um jede Verwechslung auszuschließen. Selbst wenn sie sich schon so lange kannten klang es immer noch ungewohnt in seinen Ohren, seinen Rivalen bei seinem Vorname zu nennen. Touya Koyo blieb stumm. Er war mitten in seinen Worten abgebrochen und sah ihn jetzt wieder an. Mit seinen schwarzen, durchdringenden Augen. Und Hikaru wusste nicht warum ihn dieser Blick auf einmal unsicher machte. Da war so viel in diesen Augen, die ihn gerade mustern- ein seltsamer Ausdruck in ihnen, den Hikaru nicht deuten konnte… Schließlich jedoch wandte sich der Meijin wieder ab, wieder mit einem kleinen, seltenen Lächeln auf seinen Lippen. „’Ich habe meinen Sohn nie beneidet“, fing er dann leise zu zitieren an. „’in jenem Moment, in dem auch ich mein Gegenstück gefunden hatte, genauso wie er…’“ Er ließ den Satz offen in der Luft hängen. Die überraschende Lapse ins Altjapanische(1) verwirrte Hikaru. Und er wusste, dass er den Mann gerade auf diese Worte hin ansah, mit einem Gesichtsausdruck, der offene Verwirrung widerspiegelte. Der Meijin musste es ebenfalls gesehen haben, denn er drehte sich weg. „Halte Akira gut fest, Shindou-kun.“, sagte er schließlich dann, ohne ihn anzusehen, ohne Hikarus eigene Verwirrung schier bemerkt zu haben. In seiner Stimme war ein vager Unterton den Hikaru nicht deuten konnte, auch wenn er immer noch ganz leicht lächelte... „Ich mag vielleicht der beste Go-Spieler der Welt sein… doch der, am nächsten zu der Hand Gottes… bin ich nicht.“ Hikaru blieb stumm - teils von Überraschung und teils von Schock auf diese Worte. Und teils, weil er nicht verstand... Doch er hatte keine Zeit sich noch darüber Gedanken zu machen. Er sah nun zu, wie der ehemalige Meijin Japans dem Taxiführer schließlich letztendlich seine Adresse nach Hause gab und sah schließlich zu, wie das gelbe Taxi wegfuhr, ohne dass sich der groß gewachsene Mann auf der Rückbank noch ein einziges Mal zu ihm umdrehte. Hikaru sah dem Taxi mit gemischten Gefühlen nach. So lange, bis es schließlich um eine Ecke bog und letztendlich endgültig aus seinem Blickfeld verschwand. Und noch lange stand der 4. Dan mit den blonden Strähnen danach bewegungslos da, im wärmenden Sonnenlicht während weiterhin alles still um ihn herum war, und wusste nicht, warum ihm die letzten Worte des Meijins nicht mehr aus dem Kopf gingen… Touya Koyo war wieder einmal so schnell aus seinem Leben verschwunden wie er es auch betreten hatte... Und seltsamerweise hatte Hikaru auf einmal das distinktive Gefühl in seinem Herzen, das- wenn die Umstände heute nur anders gewesen wären - er sich wahrscheinlich gerne noch weiter mit dem alten Mann unterhalten hätte... Eines jedoch war sicher. Ihr kurzes Treffen hatte ihn, ganz ohne Zweifel, mit genügend Stoff zum Nachdenken für die nächsten Tage zurückgelassen… *** 1) Im Adel des alten Japan wurde nur in Gedichtform gesprochen. Dadurch hat sich der Adel im besonderen Maße von den Bauern abgegrenzt. Je geschmackvoller und stilvoller die Antwort, je höher stand der Mann im Rang. Denn, je höher der Status des Mannes war, desto größer war auch seine Bildung und das Repertoire von Gedichten und Zitaten mit denen er antworten konnte. „Die Geschichte des Prinzen Genji“ ist genauso geschrieben. ^^ Alle Figuren in diesem Buch reden nur in Metaphern. Und da wir uns vorstellen, dass die ganze Szene hier immer noch in Tokio stattfindet ist es nur klar, dass sie auch japanisch sprechen. Es ist durchaus heute noch nicht unüblich, etwas Gedichthaftes im Monolog zu haben; es signalisiert im heutigen Japan immer noch Status, Finesse und Ansehen. *** Dōmo arigato gozaimasu: Danke (sehr höflich und formell) Sumimasen: (hier) Es tut mir leid So desu ne…: Ich verstehe… Dō itashimashite: Gern Geschehen (aber ich bevorzuge die englische Version „You’re welcome“ ^-^) Dōmo arigato: Danke (etwas weniger formell als oben, aber immer noch höflich ^^) ---------- Ich weiß, dass Kapitel sagt so gut wie nix aus ^^! aber irgendwie fand ich es wichtig auch Touya Koyo mit reinzubringen, ich hoffe ihr werdet bald verstehen warum, das hat alles schon irgendwie Sinn bei mir. ^_^ Sonst hoffe ich, dass Kapitel hat euch gefallen, es war das längste bis jetzt(!) und ist mir wahnsinnig schwer gefallen... T___T Naja! ^-^ Hoffe ihr hinterlasst ein Kommi. Noch 1 Kapitel glaube ich, und dann kommt Sai zurück... ... >___< XP Kapitel 6: Yume no Shi ---------------------- Kapitel 6 „Yume no Shi“ „Wenn ich nun auch den letzten Blick aufs Leben und allen seinen Kummer tat, gibt es doch irdische Dinge, die ich nicht so bald vergessen werde…“ (Murasaki, Shikibu: Die Geschichte vom Prinzen Genji, 1. Band. S. 333, Z. 5-8) Warmes Licht. Schwirrende Gedanken… Gefühle… Und dann plötzlich… …Emotionen. Freude. Abschied. Bedauern. Schmerz... Tränen… Und dann- …nichts als Dunkelheit. Plötzlich überall um ihn herum nur wohltuende Kühle. Und seine Sinne entglitten ihm. Er fragmentierte... zu tausenden kleinen Scherben… Sie erfüllten einen Raum ohne Türen und Fenster, einen unendlich weiten Raum den er nicht beginnen konnte zu fassen, niemals beginnen konnte zu verstehen... Sein eigenes Sein entglitt ihm mehr und mehr und er wurde eins... Mit allem. Mit Licht und Dunkelheit. Er schwebte. Er glitt, versank immer weiter in den Wellen eines schier endlosen, bodenlosen schwarzen Ozeans. ~Genau… versinken…~ Kühl, wohltuend… ~Wie der See in dem ich mich ertränkte…~ Und plötzlich erwachte etwas fern seines Seins. Ein Ziehen. Plötzlich war ihm kalt… Etwas schüttelte ihn. So heftig… Was… …war es? Eine… …Erinnerung…? Er versuchte sich zu konzentrieren, weiterzudenken, den Gedanken festzuhalten, zu ergründen was es war… doch alles entglitt ihm wie hohles Wasser... Denken fiel so unglaublich schwer. Und die wohltuende Kühle wollte ihn untertauchen, ihn von alledem befreien. Und er wollte so gerne nachgeben… Für immer in dieser Schwärze versinken die seine Ewigkeit darstellen würde. Genau wie die Dunkelheit… Auch ohne dass er sah, wusste er… dass sie da war. Sie war überall. Eins mit allem -allein- und doch wiederum überall… Und er war eins mit ihr. Wenn er doch nur diesen Teil ablegen könnte… Diesen Teil… Er splitterte weiter. Er wusste, auf der anderen Seite würde er wieder neu erstehen… Er wurde kleiner als Staub und doch gleichzeitig größer als eine Galaxie. Größer als ein Universum. Doch etwas wehrte sich noch immer in ihm… Da war etwas was nicht wollte. Dass nicht wollte… …dass es starb. Und plötzlich formte sein Verstand einen plötzlichen, klaren Gedanken… ~...nein…~ Etwas arbeitete. Etwas stellte plötzlich, in einem Moment der Ewigkeit, fest, dass er dieses Etwas näher hielt als sein eigenes Leben... Doch… war er nicht eh schon tot…? Plötzlich wehrte sich alles in ihm. Alles- jedes bisschen was von ihm noch übrig war- was er war, klammerte sich an diesen Gedanken, an dieses Etwas, und ließ es nicht weiter in die Dunkelheit hinabsinken. Er versuchte es festzuhalten. Es war so nah an ihm, dass er es beinahe greifen konnte… Er würde es nicht gehen lassen… Er konnte fühlen wie er weiter splitterte. Er wurde eins mit der Dunkelheit. Er verschwand…. Doch er ließ nicht los. Er hatte plötzlich einen Griff um dieses Etwas, stärker als es je ein Körper vermocht hätte… Seine Gedanken hingen daran, sein ganzes Sein… Da war Schmerz. Irgendetwas schmerzte. So unendlicher Schmerz… Doch er ließ nicht los. Niemals los… *Du bist eine willensstarke Seele, Fujiwara no Sai..* sprach da plötzlich eine Stimme. Eine uralte Stimme. Sanft wie machtvoll zugleich. Der Zwang der Dunkelheit…schwand plötzlich. Gedanken wurden plötzlich wieder klarer, fester… kehrten zurück. Ebenso wie das eigene Gefühl… Und das erste Mal seid er denken konnte…öffnete er seine Augen... …nur um blendendes, gleißendhelles Licht zu sehen… *Wenn du noch einen Wunsch frei hättest… was würdest du tun… Fujiwara no Sai?* ~Sai…?~ fragte er sich selbst. ~Ist das… …mein Name…?~ Und dann plötzlich stieg ein Bild vor ihm auf. So plötzlich, das er es ganz deutlich vor sich sah… Eine große schimmernde, weiße Hand… Die Hand Gottes. Er wusste nicht woher diese Gewissheit kam, doch es war da. Er streckte seine Hand nach ihr aus. Er wollte sie erreichen. Mit jeder Fieber seines Seins, wusste er, wollte er sie erreichen… *Ist das wirklich das was du willst?* sprach die Stimme um ihn herum noch einmal. Das Bild war immer noch da. Doch plötzlich fragte er sich: ~War es das was er wollte…?~ Plötzlich verschwand das Bild vor seinen Augen. Stattdessen bilden schwarz, gelb und orange seines Seins auf einmal Kontoren, wurden immer dichter und dichter und bildeten plötzlich ein Bild… Ein Gesicht… …mit strahlenden, grünen Augen. Und plötzlich regte sich etwas in ihm. Eine Erinnerung… Ein Name… so weit entfernt, das er nicht beginnen konnte, ihn in seinem Inneren zu finden und jemals zu verstehen. Und dann plötzlich veränderte sich etwas an dem Bild… Die grünen Augen verschwammen… und zwischen dem Sturm erkannte er plötzlich den Ausdruck in ihnen… Trauer und… …Schmerz… Und etwas veränderte sich plötzlich in ihm… Etwas starb, schmerzte plötzlich… War qualvoller und sehnender und stärker als alles das sich gesehnt hatte nach der schimmernden, weißen Hand… Und noch einmal fragte es: *Ist es das was du willst?...* Er verstand nicht… Was…? Der Schmerz wurde größer, immer größer… er litt… es schmerzte so sehr… …bis er plötzlich begriff, was schmerzte… Sein Herz… …? … Und ohne dass er wusste, dass er tat, flüsterte er plötzlich seine Antwort… ~Ja...~ Es hallte wider, wie ein Glockenspiel…. Und es hallte in seiner Seele… Ja… Und plötzlich, mit der letzten verklingenden Silbe dieses Wortes, wurde alles um ihn herum auf einmal unerträglich heller, strahlender… Er musste seine Augen schließen. Alles wurde weiß… Und wieder ertönte in seinem Inneren diese uralte Stimme. *Ich habe mich dazu entschlossen, dir noch eine zweite Chance zu geben…* Die Worte erfüllten ihn… waren überall… Doch sein Sein fand sich auf einmal nicht mehr fähig dazu, sie noch länger zu verstehen. So sehr wurde er plötzlich von etwas erfüllt, etwas so allumfassendes, mächtiges, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte… Und etwas hielt ihn plötzlich inmitten der Dunkelheit. In einem Griff machtvoller und stärker als alles Vorstellbare... Mächtiger und stärker als diese Welt. Und er wurde wieder zusammengesetzt. Er starb, er verglühte und wurde auseinander gerissen zur selben Zeit… Alles in ihm starb und machte allumfassender Dunkelheit platz. Bis er plötzlich mit etwas konfrontiert wurde, das er schier seit einer Ewigkeit nicht mehr empfunden hatte… Nicht mehr seit dem distinktiven Brennen in seinen Lungen, als er vor über tausend Jahren seinen letzten, konkreten Atemzug nahm… Schmerz… *** Yume no Shi: Traum des Todes ---------- Kurz, oda? o.o Aba irgendwie hat mirs gefallen... *schrug* ^^ Ich hoffe ihr schreibt Kommis ^_^ Und ich bleib immer noch dabei. Ich denke, im nächsten Kappi wird er wieder auftauchen... Mal sehn. ^^y Kapitel 7: Rückkehr... ---------------------- Kapitel 7 „Rückkehr…“ „Fasse du, wie der Saum eines Kleides von Borte eingefasst, dieses Endchen an dich, das Verzweiflung und Verlassenheit von meiner Seele getrennt haben.“ (Murasaki, Shikibu: Die Geschichte vom Prinzen Genji, 1. Band. S. 263, Z. 6-8) Die Wärme des Tages verschwand über dem Tag. Die Temperaturen sanken mit der Sonne und an ihrer statt kamen Wolken, die sich plötzlich in wahren Sturzbächen über ganz Tokio ergossen. Es war nun Nachmittag, der 7. Mai, und obwohl es immer noch hell war, schien die Sonne nun nur gedämpft durch die vielen dunklen Wolken die Tokio nun umgaben, sodass ihr Schein unwirklich wirkte als ihre hellgelben Strahlen durch die dicke aDecke brachen, und es vom Gefühl her auch schon beginnender Abend hätte sein können. Und inmitten dieses Schauspiels aus Regen lehnte ein dunkler Haarschopf gegen das Innere eines Fensters einer kleinen Apartmentwohnung, ohne sich zu bewegen… So lange bis sich der dunkle Kopf wandte und matte, blonde Strähnen zum Vorschein kamen die noch zusätzlich mit den Schwarzen gegen das Glas lehnten und sich erstaunlich grüne, helle Augen sich schließlich dem Naturschauspiel vor sich öffneten. Ohne Ausdruck sahen sie nun auf die fließenden Straßen nieder, in die die Grau und Regen sie verwandelt hatten, ohne eine Gefühlsregung... Es war als hätte er keine Gefühle mehr um sie noch länger empfinden zu können... Es regnete nun schon seit zwei Tagen ununterbrochen. Nur entspannte Stille herrschte hinter ihm in seinem Appartement. Kein Licht in seiner Wohnung brannte und auch das Klingeln des Telefons hatte endlich aufgehört nachdem er es schließlich eine halbe Stunde erfolgreich ignoriert hatte. Hikaru wusste wer es war. Doch er hatte jetzt kein Verlangen mit Waya oder irgendjemand anderem zu sprechen. Der Puls wie auch der Herzschlag des blonden Mannes waren seltsam entspannt, fast apathisch. Er fühlte gar nichts. Der junge 17-jährige Dan lehnte gegen das Fenster seines Schlafzimmers ohne jegliches Gefühl ausdrücken zu können- ohne dass er es auch wirklich wollte. Doch der Regen… Der Regen machte ihn unruhig. Es war eine seltsame innere Unruhe. Eine, die er sich nicht erklären konnte… Doch die Fakten blieben. Der Regen konnte die Ruhe nicht widerspiegeln, die er jetzt so dringend brauchte. Schließlich, in einem plötzlichen überraschenden Moment, hatte er genug… Und er lehnte seinen Kopf noch etwas weiter gegen das kühle Glas- seine Augen zusammengepresst- bis er ihn schließlich von dem Glas zurückzog und mit einer einzigen, flüssigen Bewegung aufstand. Er schnappte sich sein hellblaues Jackett ohne es wirklich zu bemerken, ließ seine Schlüssel in die rechte Tasche des Kleidungsstückes gleiten und verließ schließlich ohne noch einmal zurückzusehen, mit einem kaum vernehmbaren Klacken, sein Appartement… Keine drei Minuten später fand sich der blonde Dan auf den nassen Straßen wider… Der Regen prasselte immer noch unbarmherzig vom Himmel herab, seine Sachen klebten ihm in sekundenschnelle am Körper, sein Haar zog bereits einen tropfenden, kalten Weg seinen Nacken hinunter… doch es störte ihn nicht. Wäre die Luft nicht merkbar kühler geworden in den letzten Tagen, schätze er nun, wäre der Regen fast angenehm gewesen, der jetzt in lauwarmen Strömen auf ihn niederging. Doch als er nun hier draußen stand, und den Regen unbarmherzig auf ihn niederprasseln ließ, fand er endlich Trost in ihm… Ein Gefühl, ein Einfluss auf seinen Körper und seinen Geist, der jenseits seines Willens lag, den er nicht beeinflussen konnte und alle Gefühle auslöschte bis auf das Trommeln das leise, stetig seine Kopfhaut bearbeitete… Und ein kleines schwaches Lächeln schlich sich auf das blasse, abgewandte Gesicht des 4. Dans, während er durch den Regen ging und mit der linken Hand den kleinen Papierfächer in seiner Tasche umfasste- das einzige Teil an seinem Körper das er beharrlich vor der Gewalt des Regens schützte. Es hörte sich schon wieder nach Sai an… Da gewesen, aber ohne seinen Willen. Wie überaus passend… Und Hikaru konnte das kleine ironische Lächeln nicht aufhalten dass sich bei diesem Gedanke seiner Lippen bemächtigte, auch wenn er nicht bemerkte, wie er gleichzeitig wie schwaches Espenlaub am ganzen Körper zitterte… Alles erschien auf einmal so unsagbar unwichtig... Er kannte es bereits- dieses Gefühl der Leere… Jedes Jahr erneut suchte es ihn heim, wohin er auch ging. Das gähnende Gefühl etwas verloren zu haben, Teil von etwas gewesen zu sein, dass weit über jeder menschlichen Vorstellungskraft gelegen hatte- ohne die Chance es festhalten haben zu können. Ohne Chance auf Rettung... Und noch einmal als der junge Mann diese nassen Straßen entlangging, auf denen sich keine Menschenseele zu dieser Zeit mehr verirrte, gab er zu… …dass er ihn vermisste. Seine Begeisterung, seine kindliche Art, seine Leidenschaft für Go… Seine Spiele, seine Tipps, seine Ratschläge… Seine Mimiken, Gesten und kindlichen Bewegungen, die ihm so vertraut geworden waren doch die er zum teil nur noch vage in Erinnerung hatte… Hikaru machte sich nichts mehr vor. Er hatte es schon vor langer Zeit bemerkt... Die Erinnerungen an Sai… verblassten langsam. So wie ein altes Foto dass nun letztendlich sein letztes Verfallsdatum überschritten hatte. Und plötzlich spürte er Verzweiflung in sich aufwallen… Alles was ihn ausmachte, ihn ausgemacht hatte als Sai noch bei ihm gewesen war- alle seine Erinnerungen… …verschwanden langsam. Sein Freund… Sein bester Freund… „Sai…“ Eine Träne rollte schließlich über Hikarus Gesicht, doch sie vermengte sich nahtlos mit dem Wasser auf seiner Haut und verschwand, ohne jemals gesehen worden zu sein... Und als er schließlich aufsah, das erste Mal, seit er aus seinem Appartement verlassen hatte, bemerkte er, dass er am Park angekommen war. Dem gleichen kleinen Park an dem er Akari einst zusammen mit ihrem Hund angetroffen hatte und in dem Sai versucht hatte ihm beizubringen, wie man einen Go-Stein richtig in der Hand hielt… Fast ohne das er es richtig bemerkte war der blonde Dann auch schon in die Hocke gegangen und hob langsam einen der kleinen, ovalen Kieselstein, auf die unter ein paar nassen Büschen ruhten- ähnlich dem den er vor vielen Jahren hier einmal selbst in der Hand gehabt hatte- bevor er ihn fast mechanisch zwischen Mittel- und Zeigefinger nahm und ihn schließlich langsam auf dem nassen Pflastersteinen niedersinken ließ, in perfekter Imitation zu einem echten Go-Stein... „Patt…“ flüsterte er abgehakt. Heiße Tränenbahnen flossen Hikarus Wangen schließlich hinunter, ohne das er sie noch länger mehr aufhalten konnte, und er hob auch schon eine Hand um sie unwirsch wegzuwischen; doch ein herzzerreißendes Schluchzen bahnte sich auf einmal aus seiner Kehle, der Laut plötzlich jenseits seiner Kontrolle und so unaufhaltsam geworden wie sein nächste Atemzug. Sai… Er ließ los. Allen Schmerz den er über drei Jahre lang in seinem Herzen aufbewahrt hatte kontrahierte nun in seiner Brust. Sai… Als Hikaru schließlich nach zehn Minuten das erste Mal aus seiner zusammengekauerten Position am Boden aufsah, fielen seine roten, von Tränen verschwommenen Augen das erste Mal auf die kleine hölzerne Bank die sich unmittelbar vor ihm befand, die ihm bis dahin noch gar nicht richtig aufgefallen war, und auf dessen dunkler, glatter Oberfläche ihm plötzlich ein kleines, helles Objekt entgegenblickte. Ohne genau zu wissen warum hefteten sich seine Augen auf einmal auf dieses kleine Objekt, und er wischte sich noch einmal die Tränen aus seinen Augen und schniefte bevor er schließlich aufstand und auf zitternden Beinen schließlich auf das kleine Objekt zutrat. Kaum dort angekommen hob er es auf- mit beiden Händen, so als wäre es ein kostbares Stück aus Glas… Eine grobe, hübsch gefertigte Keramikschüssel blickte ihm durch den Regenschleier entgegen, mit einem fein gearbeitetem Sakura-Muster auf deren Außenseite, die der leichten Imperfektion zu schließen eigenhändig angefertigt worden war. Hikaru betrachtete die kleine Schüssel vor sich mit ausdauernden, fechten Augen, obwohl er nicht wusste, warum er es tat. Sie schien nur etwas Licht zu sein… Etwas Licht in der Gräue und dem Regen seines Lebens dem sie sich hier mit ihrer feinen, hell rosa Bemalung fast verschwindend schwach entgegenstellte… Sein Herz kontrahierte auf einmal in seiner Brust, so heftig das es schmerzte, und immer noch hielt er die kleine, hellgraue Schale in seinem Griff als wenn sie sein Leben bedeutete. Mit gesenktem Kopf und in das Gesicht hängenden blonden und schwarzen, nassen Strähnen ging er schließlich weiter, die Schale in Händen, keinen einzigen Tropfen Wasser in ihr verschüttetend. Die leichten Bäume um ihn hatten nun dem dichten Dickicht und den festen, dunklen Laubbäumen des Parks platz gemacht die seine ganze Umgebung noch in ein gleichmäßiges Dunkel tauchten. Hikaru bemerkte es kaum. Und noch einmal er die Augen zusammen. Und noch einmal bahnten sich zwei stumme Tränenbahnen seine Wangen entlang, die, wie alle vor ihnen, ungesehen in seinem langen Pony verschwanden... Sai. Hikaru… Hikaru stoppte mit einem Mal ab, und die Welt schien plötzlich stillzustehen... Die kleine Keramikschüssel zitterte plötzlich in der Hand des blonden Dans und seine großen grünen Augen starrten plötzlich in das Dunkel des Waldes vor ihm ohne Fokus zu finden. Hikaru… Und dieses Mal wirbelte Hikaru herum. Er bemerkte kaum wie Wasser in einem hohen Bogen aus der kleinen Schale flog und in einem Zug über seinen Anzug schwappte. Er registrierte die Kälte nicht. Alles was er spürte, was er plötzlich nur noch wahrnahm, war sein wie wild klopfendes Herz das irgendwo in der Nähe seines Kehlkopfes pochte und seine wirren Ponyfransen die ihm nun im Gesicht klebten als er in das dunkle Dickicht vor sich starrte. In die Richtung aus der er diese Stimme gehört hatte… Seine Stimme… „Sai...?“ flüsterte Hikaru heiser. Er konnte nicht atmen, ein Nebel so dicht wie der Regen um ihn selbst umhüllte auf einmal seine Gedanken, der es ihm unmöglich machte auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. …Doch die einzige Stimme die ihm antwortete war das leise Heulen des Windes und das unbarmherzige Prasseln des Regens als er von den vielen hundert Bäumen um ihn herum auf den Boden tropfte. Hikaru senkte sein Gesicht. Ein Beben überlief seinen Körper, das Zittern so stark, dass die kleine Keramikschüssel unter seinen Fingern zitterte und seine Zunge registrierte bereits Blut das er in seinem Mund schmeckte… doch es kümmerte ihn nicht. Nichts konnte den Schmerz betäuben der nun seinen Körper entlang jagte als er für drei gloriose Sekunden geglaubt hatte, seine Stimme zu hören... Hikarus Knie zitterten, sein Körper schien auf einmal keine Kraft mehr zu haben ihn noch länger aufrecht zu halten, doch er zwang seine Beine dazu, sich trotzdem zu bewegen und einen Schritt nach hinten zu setzen wo er sich schließlich zitternd umdrehte und seinen ersten Schritt in die entgegengesetzte Richtung zu setzen… Vielleicht war es eine Strafe von Kami-sama persönlich, dass jetzt auch noch seine Stimme hörte… Und ein zittriges Lächeln umspielte Hikarus Mund. Wie unglaublich passend… Hikaru…? … Hikaru stoppte. Er wusste nicht was es war was ihn dazu bewegte… Vielleicht war es sein eigener Verstand der die blutige Wahrheit nun endgültig und vernichtend in sein Hirn einhämmern wollte, vielleicht war es auch sein eigenes blutendes Herz das nun nicht mehr, mehr ertragen konnte… …vielleicht war es aber auch dieses kleine Fünkchen Hoffnung noch in seinem Herzen… das einzige was ihm noch geblieben war. Was immer es auch war, es entschied sich alles auf eine letzte, finale Karte zu setzen… Hikaru drehte sich noch ein Mal um. Grüne Augen fielen noch einmal auf das triste, dunkle Geäst der Bäume, die Kronen unter dem Regen so dicht das der Boden unter ihnen fast schwarz wirkte… bis seine Augen plötzlich an etwas hellem hängen blieben… Stoff einer Robe, die so lang war dass sie in Falten den nassen Boden streifte, graue, von Wasser getränkte Lagen die die gerade noch Blick auf ein Paar blasser, weißer Hände freigaben… und das alles umrahmt von einem Gewirr aus langem, nachtschwarzen Haar… mit einem Paar aus himmelblauen Augen, die ihm aus dieser Dunkelheit fiebrig entgegen glommen… „H-Hikaru…?“ flüsterte es heiser. *Krach* ... Die Schüssel in Hikarus Händen fiel zu Boden und zersprang in tausende kleine Scherben... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)