Radioman von mathilda ================================================================================ Kapitel 1: Müßiggang ist aller Laster Anfang -------------------------------------------- „Augen auf, ihr Murmeltiere! Die Sonne lacht und die tokioter Vögel singen die BeeGees! Hier ist Taichi von Taichi am Morgen, eurer etwas anderen Morgenshow hier auf 105.6 Radio Tokio!“ Die Stimme des Radiosprecher riss unter anderem auch den Bewohner eines kleinen Appartements in der Uptown von Tokio aus dem Schlaf. Im nächsten Moment landete der Radiowecker desselbigen an der gegenüberliegenden Wand. Zu Yamatos Leidwesen dachte das nervtötende Gerät mit dem noch nervtötenderen Sprecher nicht daran den Geist aufzugeben und dudelte ungestört weiter vor sich hin. Während unsere blonde Schlafmütze unheilverkündend knurrte und sich mühsam aufsetzte, verkündete die ekelerregend wache und fröhliche Stimme Taichis die Zehn-Uhr-Nachrichten. Wie konnte man nur einen derartigen Menschen um diese Uhrzeit auf unschuldige Hörer loslassen!? Eine Weile lag Yamato nur still da, kratzte sich die weizenblonden Locken und versuchte den Radiomenschen zu ignorieren. Vergeblich. Gestern Abend war Yamato Ishida, Leadsänger der weltberühmten Band Wolveson, nach dreimonatiger Welttournee nach Tokio zurückgekehrt und hatte sich dort mit der Bitte einer vorrübergehenden Funkstille von seinen Bandmitgliedern verabschiedet. Denn so gerne er sie hatte, wenn ein hyperaktiver Schlagzeuger ein masochistischer Bassist und ein chronisch spitzer Gitarrist um ihn herum wuselten, war es ihm nicht möglich auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen. Und sie brauchten für das neue Album, welches in drei Monaten herauskomme sollte noch Unmengen an Songmaterial. Also begab sich er sich gestern Abend in die freiwillige Isolation um seinen inneren Schaffensdrang wieder zu beleben. Als Yamato sich endlich geschlagen gab und sich mit viel Überwindung ruckartig aufsetzte, war Taichi schon beim sonnigen, trockenen Frühlingswetter angelangt. Einen Augenblick schloss er seine Augen um den leichten Schwindel zu vertreiben, dann schwang er sie nackten Füße über die Bettkante und tappte über den cremefarbenen Teppich hinüber zu jenem störenden Objekt. „Nachdem wir nun wissen, was in der Welt so passiert ist, kommen wir nun zu den wirklich wichtigen Dingen Im Leben: MUSIK! Hier ist die neuste Single von...“ Mit einem gezielten Fußtritt brachte Yamato das Gerät just in dem Moment zum Schweigen, als die zuvor angepriesene Pseudo-R’n’B-Zicke ihre Stimme erhob. Sie sang einen Dreiviertelton zu tief im Bezug zu ihrer instrumentalen Bergleitung. Naja, Gehör, war eben nicht jedermann gegeben. Fluchend und auf einem Bein hüpfend rieb er sich den pochenden Zeh. Warum bauten die Hersteller denn keinen weicheren Off-Knopf ein! Der schwarze Kasten, der nun sehr unschuldig tat, wurde mit bösen Blicken bombardiert weigerte sich aber strikt zu Staub zu zerfallen. Blödes Ding! Grummelnd tapste Yamato in die Küche um sich an seinem nagelneuen Kaffeevollautomaten einen Café au lait zu bereiten. Auf dem Weg dorthin griff er sich seinem Notizblock und Stift vom Regal im Flur. Man wusste ja nie wann einen eine Idee überfällt. Nachdem er die Kaffeeschale zur Hälfte geleert und fortwährend auf das unbarmherzigleere Blatt Papier vor ihm gestarrt hatte, seufzte er resigniert. Hatte der Lärm es ihm in der Gegenwart seiner Bandmitglieder unmöglich gemacht die Songs zu `hören´, die erschreiben wollte, so war es hier dermaßen still und leer, dass es gar nichts zum `hören´ gab! Wie sollte er denn bitte weltbewegende Songtexte produzieren, wenn er nichts hörte als NICHTS? Träge erhob er sich, griff nach Kaffeetasse, Block und Stift und schlurfte über den blanken Holzboden im Flur ins Wohnzimmer. Veilleicht, war die Stille dort ja weniger drückend. Mit einem leisen `Klonk´ setzte er seine Schale auf dem gläsernen Couchtisch ab und ließ sich in die weichen Polster des cremefarbenen Designersofas fallen. Doch seine Hoffnung blieb unerfüllt. Auch hier war es still. Und diese einsame, stumme, unkreative Stille machte ihn fertig. Dabei brauchte doch eigentlich gerade jetzt einen seiner berühmtberüchtigten Arbeitsexzesse! Nachdem Yamato eine gute halbe Stunde schweigend auf die leere Seite gestarrt und auf einen Geistesblitz gewartet hatte, fühlte derart passiv, dass er sich schwerfällig erhob und durchs Zimmer zur Anlage latschte um das Radio an zu drehen. Taichi philosophierte gerade über den Sinn von mundgeblasenen Glasfigurchen. Yamato konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als der Mann im Radio endlich zu dem Schluss kam, dass diese Nippesgegenstände dafür da waren, dass Mütter etwas zum Aufregen hatten und deren Kinder etwas zum Zerschmettern. Dann sagte Taichi das nächste Lied an. Ein Rap. Nicht, dass Matt etwas gegen Rap hatte! Im Gegenteil, er musste zugeben, dass die Texte zum Teil sogar ziemlich gut waren, auch wenn er seinem Punkrockgrungefunk wohl doch treu bleiben würde. Aber eben nur ein Teil und dieser Song gehörte eindeutig nicht dazu. Es war eher eines der Sorte Rap, in denen jedes dritte Wort F*ck und jedes fünfte Wort B*tch war. Normalerweise, wäre er nun aufgestanden und hätte ausgeschaltet. Letztendlich blieb Yamato aber sitzen, kritzelte unmotiviert auf einem Stück Papier herum und sehnte das Ende des Liedes herbei. Und das Ende kam. Taichi begann wieder über belanglose Themen zu quasseln und Yamato bemerkte mit Erstaunen, dass der Klang von dessen Stimme die feindliche Stille innerhalb der Wohnung zurückdrängte und den entstandenen Raum mit seinen warmen, rauen Ton füllte. Abermals kündigte Taichi einen Song an, seine Stimme verklang und die Stille begann sich erneut auszudehnen. Die Augenbrauen des blonden Sängers zogen sich unwillig zusammen, als der sirenenartige Gesang einer Möchtegern-Dark-Tusse seine Ohren zu quälen begann. Okay, er musste zugeben, dass er ein kleines bisschen wählerisch war. Aber eine derart schlechte Musikauswahl hatte er schon nicht mehr gehört, seit er vor Jahren das erste und einzige Mal auf einer Mittelstufenparty gewesen war. Trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen den Ton abzudrehen und damit Taichi endgültig zum schweigen zubringen. Obwohl dieser hirnlose Sprecher unglaublich hirnlose Themen ansprach, gefiel es Yamato irgendwie seinem warmen Bariton zu lauschen. Es war schon Mittag, als Yamato sich dazu aufraffte ins Schlafzimmer hinüber zu gehen um sich anzuziehen. Das Radio ließ er laufen. Etwa zwei Wochen später kannte Yamato die Reihenfolge sämtlicher Stücke auswendig. Das war nicht schwer, da sie sich alle drei Stunden wiederholten. Einzig Taichis Sprachbeiträge wiederholten sich nie. Yamato fragte sich immer wieder, wie es dieser Mann schaffte derartig fröhlich acht Stunden täglich Minimum ohne jeglichen Tiefgang zu reden. Ohne es bemerkt zu haben, war der blonde Sänger in der kurzen Zeit in der er sich seine Wohnung zurück gezogen hatte von der wohlklingenden Stimme des Radiosprecher abhängig geworden. War er gezwungen aufgrund von Interviews, Medienauftritten oder auch nur dem Gang in den nächsten Supermarkt gezwungen, während der Sendezeit seine Wohnung und somit sein Radio zu verlassen, steckte er sich die Stöpsel seines Miniradios in die Ohren. Dieser Mensch, der bestimmt ein grauenhafter Sänger war, hatte ohne es zu wissen etwas geschafft, was bis jetzt noch kein Sänger der Welt geschafft hatte. Yamato süchtig nach seiner Stimme zu machen. Immer häufiger erwischte er sich dabei, wie er sich fragte, wie jener Taichi aussehen mochte und wie er wohl sein Leben gestaltete, wenn er gerade nicht hinter dem von des größten Radiosenders von ganz Japan hockte. Als Sänger kannte sich Yamato mit Stimmen aus. Schon immer hatte er sich eine Spaß daraus gemacht, anhand der Stimme eines Menschen, den er nur vom Telefon oder aus einem Song kannte, zu erraten was diese Person für ein Mensch war. Seiner Stimme nach, war Taichi höchstens Mitte Zwanzig, eher jünger. Da er irgendwie immer nach Sonne und gutem Wetter klang, vermutete Yamato, dass der Radiomann viel Zeit draußen und mit seinen Freunden verbrachte. Darüber hinaus schloss er dass Taichi sehr ehrgeizig und aktiv war und deswegen wohl eine Menge Sport trieb, denn seine Stimme klang oft sehr energisch. Taichi war spontan und von der Statur wohl etwas größer und kräftiger, als Yamato selbst. Als Japaner war er wahrscheinlich dunkelhaarig und -äugig . Er war wohl ein typischer Pausenclown. Einer der Menschen, die in der Schule ständig Witze rissen und die großen Wortführer waren und die man intellektuell deswegen gerne unterschätzte. Denn für dumm hielt Yamato den Radiosprecher inzwischen nicht mehr. Auch wenn die Themen der seiner Sendung nicht immer die originellsten waren, so schaffte es Taichi mit seinen Worten und seiner manchmal fast kindlich anmutenden Betrachtungsweise den Zuhörer zu fesseln. Der Radiomann schien ein Gespür dafür zu haben, wie man die Menschen dazu brachte das Radio anzulassen. Ein Gespür für den Markt. Und das konnte man ja auch schon als gewisse Intelligenz werten. Völlig überrascht war der blonde Sänger gewesen, als ihm auffiel, dass die beiläufig auf das Papier geworfenen Zeilen, die er während des andächtigen Lauschens fabriziert hatte, sich gar nicht mal so schlecht als Songtexte eigneten. Ja, sie waren anders als seine bisherigen Texte. Weniger fatalistisch und sorgloser als sonst. Manchmal fast schwärmerisch, auf jeden Fall aber weitaus energetischer, als man es von ihm kannte. Das sah auch sein Produzent, als er weitere zwei Wochen später die Texte sichtete und fragte ihn darauf, ob er sich verliebt habe. Yamato verneinte. Obwohl er sich dem Radiosprecher seltsamer Weise inzwischen viel näher fühlte, als den meisten seiner Freunde, hatte er schließlich noch nie ein Gespräch mit diesem geführt oder ihn auch nur persönlich kennen gelernt. Man konnte sich ja schlecht in jemanden verlieben, den er nicht kannte. Der Produzent zog nur ungläubig eine Augenbraue hoch und schwieg. Ab diesem Zeitpunkt begann Yamato wieder mit seiner Band zu proben und war deswegen nur noch selten zuhause. Abgesehen davon, dass der Entzug seiner bevorzugten Geräuschquelle ihm mehr zu schaffen machte, als gedacht, gab es einige Probleme beim Einspielen. Der Rhythmus der Drums, die Basslinie, die wuchtige Gitarre! Jene würde jedoch die positive Grundstimmung der Texte entweder erdrücken oder zu purer Ironie verkommen lassen. Seine Band war die depressive, unbequeme Musik noch in den Fingern, die sie zuvor produziert hatten. Sie fanden sich nur schwer in den leichteren, weichere Sound hinein, den Yamatos sich vorstellte. Er war ein Perfektionist und die kleineren Patzer seiner Bandmitglieder und besonders aber die eigenen Fehler brachten ihn dauerhaft auf Hundertachtzig. Außerdem hatte er Zweifel, dass die Fans seiner Band diese neue emotionale Färbung ihrer Lieder auch gut aufnehmen würden. Obwohl er sich der Qualität seiner Stücke bewusst war, hatte er Angst, dass die Annäherung an die seichtere Musik, die er im Radio gehört hatte, zu starke Spuren hinterlassen hatte. Einziger Lichtblick war, dass Taichi am späten Abend eine Lesestunde übernommen hatte. Während dieser nun allabendlich aus einem Buch vorlas und Yamato seine Stimme ohne die Unterbrechung durch schlechte Mainstreammusik genießen konnte, entspannte er sich auf sosehr dass er gegen Ende fast jedes Mal einschlief. Der Roman der gelesen wurde war weder innovativ noch sonderlich gut geschrieben. Im Gegenteil, es schien Yamato als habe genau diese Handlung schon in mindestens fünf verschiedenen Bearbeitungen irgendwo gelesen. Mann trifft Frau und sie verlieben sich ineinander, die Frau ist aber schon verheiratet. Also verzichtet Mann und hat furchtbaren Leibeskummer, den er versucht auf diverse Weise zu bekämpfen. Frau ist indessen zuhause bei ihren tyrannischen, unsympathischen, brutalen Gatten, der sie überhaupt gar kein bisschen lieb hat. Mann merkt, dass er doch nicht auf seine große Liebe verzichten kann und steht vor der Tür der Frau, welche gerade von ihrem Gatten geprügelt wird. Mann rettet Frau, die beiden fliehen erfolgreich vor dem bösen, bösen Gatten. Sie sagt ihm das sie vom ihm schwanger ist und Friede, Freude, Himbeertorte. Einen weiteren Monat intensiver Probenarbeit später war es dann vollbracht und die ersten Demo-CDs wurden an verschiedene Radiosender verschickt. Da dies immerhin der größte Japans war, war auch Radio Tokio unter den Adressaten. Es gab sogar ein Angebot an Wolveson auf ihrer Promotiontour doch in Taichi am Morgen aufzutreten. Die anderen Bandmitglieder lehnten ab, der Sender war ihnen zu Mainstream. Yamato selber hatte pünktlich zum Aufnahmeschluss Fieber bekommen und lag mit Schüttelfrost in seinem Bett. Vom strahlenden Sonneschein und sommerlichen Temperaturen, wie Taichi das momentane Wetter charakterisierte, bekam er rein gar nichts mit. Er fror. „So und als nächstes möchten wir die neue Single einer Band spielen, die bis jetzt eher einen individuelleren Stil verfolgte inzwischen aber eine nicht kleine Fangemeinde überall auf der Welt hat. Im Gegensatz zu ihrer bisherigen, sehr aggressiven und melancholischen Musik bieten uns Wolveson mit ihrer neuen Album, auf dem auch die Single zu finden ist, ein unglaubliches Feuerwerk an Optimismus, Lebensfreude und positiver Energie!“ Und sein Lied erklang. Und während es erklang, auf diesem Radiosender, mit dieser Ansage, begann Yamato es zu hassen. Hatte er sich nicht immer dem Mainstream, den gecarsteten Stars, der Candymusik ohne Herz entziehen wollen? Jetzt, ohne es gemerkt zu haben hatte er, der ach so alternative Yamato Ishida, ein Stück geschrieben, dass jeder Ghostwriter jedes Carstingvögelchens genauso hätte schreiben können. Ein Song, der nicht wehtat. Kapitel 2: singing like you were born death ------------------------------------------- Die Junisonne schien schon richtig sommerlich auf das Pflaster und Taichi konnte sich vorstellen, dass ungefähr die Hälfte seiner Zuhörer inzwischen auf dem Weg ins Schwimmbad war. Er hatte noch eine halbe Stunde mit seiner Regie die morgige Sendung durchsprechen müssen, aber nun hatte er bis einundzwanzig Uhr erst mal frei. Oder eher gesagt Zeit, um seinem zweiten Beruf nachzugehen. Fußball. Die Trainingstasche über die Schulter geschwungen beschloss er die Strecke bis zum Trainingsplatz zu rennen. Dann war er schon warm und musste nicht übermäßig Zeit mit dem Warm up verbringen. Die Stöpsel seines Mp3-Players fanden ihren Weg in seine Ohren und eine treibende, klagende Basslinie erklang, wurde unterstützt von dem umbarmherzig schnellen Rhythmus des Schlagzeugs. Man mochte ihn für einen hoffnungslosen Nostalgiker hatten, aber er schätze sie noch immer, die Musik seiner damaligen Schulband. Sie berührte sein Herz in einer Intensität, wie er bei keiner anderen Band verspürt hatte. Das gellende Weinen einer E-Gitarre gesellte sich zum Bass, indes Taichi das Ende der Straße erreichte. Im Rhythmus der Musik küssten seine schwarzen Turnschuhe die heißen Steine. Taichi war schnell, nicht umsonst war er Profisportler geworden. Ein Lächeln breitete sich über die braungebrannten Wangen des jungen Mannes aus, indes die anklagende und doch fesselnde Stimme des damaligen Sängers einsetzte. Er sang vom Kampf gegen die Konventionen, damals wie heute. Taichi wusste nicht, wieso er das tat, aber aus irgendeinem Grund nahm dieser Matt immer die Perspektive eines Außenstehenden ein, war nur Betrachter und nie in die Handlung involviert, von denen seine Songs berichteten. Im Gegensatz zu den heutigen Aufnahmen klang dieser Yamato Ishida aber sehr viel weicher, zerbrechlicher und natürlich kindlicher. Immerhin war der blonde Sänger zu der Zeit, als dieser Song aufgenommen worden war nicht älter als sechzehn oder siebzehn gewesen. Er stammt noch aus der Zeit bevor die TeenAgeWolves einen Plattenvertrag hatten. Aus der Zeit, in der sie nicht mehr waren, als eine kleine Schülerband. Eine Band unter vielen, die für einen Plattenvertrag ihren Namen hatten verkaufen müssen. Wolveson hießen sie nun, das klang weniger pubertär, hatte die Plattefirma damals argumentiert. Taichi wusste das, weil der Schlagzeuger der Band einer enger Freund von ihm war. Ilja war zur Hälfte Russe und ihm war deswegen ein eher ungewöhnliches Aussehen für einen Japaner angeboren. Es war reine PR, dass man ihn noch in der Band beließ. Japanische Mädchen hatten eine Schwäche für den kaukasischen Typ. Ilja passte ansonsten nicht gut in das Image der Band. Zu fröhlich. Kurz nachdem Wolveson von ihrer letzen Tournee zurückkamen, hatte sich Ilja bei ihm blicken lassen und geklagt, dass die Band langsam keine Band mehr war. Früher, hatten Ilja, Matt, Touji und Kiyo gemeinsam die Musik und Texte geschrieben. Manchmal waren es zwar auch Einzelarbeiten, aber meistens entstanden sie im Team. Nun wollte Matt allein arbeiten. Er hatte sich in seiner Wohnung eingeschlossen und ihnen jeglichen Kontakt untersagt. Ilja machte sich Sorgen um seinen Bandkollegen. Er war verschlossener denn je, schien keiner Interesse an auch nur einem seiner Mitmenschen zuhaben und schien immer mehr den Zugang zur Realität zu verlieren. Taichi erinnerte sich noch als wäre es gestern daran, wie er den blonden Sänger das erste mal gesehen hatte. Damals als er, stolz wie Oscar, dass erste Mal die Schule betrat. Ganz hinten am Fenster hatte ein Junge gesessen, blond, ernst und so zierlich, dass er ihn fast für ein Mädchen gehalten hätte, wäre nicht auf dem marineblauen Baumwollhemd der Schuluniform ein Schild geheftet gewesen. Auf ihm stand ein Jungenname, Yamato Ishida. Es war, als wäre eine undurchdringliche Wand zwischen ihm und den anderen Menschen die in freudiger Erregung auf das Eintreffen der Lehrerin warteten. Als erstes war ihm natürlich sein Aussehen aufgefallen. Yamatos Blondschopf stach zwischen den ganzen asiatischen, schwarzen Kinderköpfen deutlich heraus. Davon abgesehen war der Junge damals der einzige gewesen, der kein Zeichen von Aufregung zeigte und bei dem nicht ein Elternteil daneben stand. Taichi hatte gerade einen seiner Kindergartenfreunde mit lautem Hallo begrüßt und besprach mit ihm, dass sie zusammen sitzen wollten, da drehte der blonde Junge den Kopf und für einen Augenblick streifte sein Blick Taichis. Die Augen waren dunkelblau und so ernst, dass sie eher zu einem Erwachsenen passten, denn zu einem kleinen Jungen. Irgendetwas an diesen kühlen, desinteressiert dreinblickenden Augen schreckte ihn ab, faszinierte ihn aber zu gleich auch. Es war wie eine offene Wunde aus der das Blut in Strömen heraus floss. Obwohl er es eigentlich nicht wollte, weil er die Schmerzen anderer Menschen nicht zu sehen ertrug, wanderte der eigene Blick irgendwie immer wieder dorthin. Tais Füße hatten ihn ohne Weiteres zum Tokiodome getragen, dem großen Stadion in dem die japanische Nationalmannschaft trainierte. Natürlich spielte er auch in der japanischen Liga mit, aber die Trainingseinheiten mit der Nationalelf, zwei Mal die Woche, waren dem braunhaarigem Wuschelkopf ganz besonders wichtig. Nicht nur, dass es ihm eine nicht unbedeutende Summe an Geld einbrachte, nein es machte ihm einfach Spaß mit den Besten des Landes zu trainieren, sich ihre Tricks abzuschauen. Gerade ein junger Spieler wie er konnte hier noch eine ganze Menge lernen. Während dem Umziehen wanderten Taichis Gedanken wieder zu jenem Stück, dass er heute Mittag im Radio angekündigt hatte. Ja, er hatte die treibende Basslinie und das ungezügelte, energetische Schlagzeug erkannt, die typisch für die Musik von Wolveson war. Aber es war anders gewesen als alle Werke der Band, die er bis jetzt gehört hatte. Diese Fröhlichkeit sah dem blonden Sänger so gar nicht ähnlich und Taichi kam nicht umhin, sich zufragen, ob dieser vielleicht mit Drogen experimentiert hatte und deswegen nicht hatte gestört werden wollen. Ilja sagte, er wäre eigentlich zufrieden mit diesem Umschwung, auch wenn es nicht ganz einfach gewesen war, sich umzustellen. Diese sanfte, positive Energie, die von den Songs ausging war mühsam erarbeitet, immerhin hatten sie über Jahre hinweg düstere Klagelieder und Protestsongs gespielt. Doch es schickte gleichzeitig neue Energie durch die Band, die sich nun nicht mehr dem alten, melancholischen Trott ausgeliefert sah. „Tai? Bist du beim Umziehen einschlafen?! Du bist doch sonst immer einer der ersten!!“ rief Soichiro, einer ihrer Mittelfeldspieler, und steckte den Kopf in die Umkleide.. „N...nein! ich komme schon!“ sagte Tai hastig, zog sein Trikot über den Kopf und machte, dass er auf den Platz kam. Einige Zeit später dribbelte er im Schweiße seines Angesichts zum achtundzwanzigsten Mal durch einen Parcours aus neongelben Plastikhütchen um dann den Ball schwungvoll gen Tor zu schicken. Und zum achtundzwanzigsten Mal an diesem Tage hielt ihr erster Keeper den Ball mit Bravour! Natürlich war ihm klar, dass dieser Tokito einfach ein klasse Spieler war und er nicht erwarten konnte, dass es leicht war, an ihm einen Ball vorbeizumogeln! Trotzdem war er ein wenig frustriert. Über dem Ärger nahm seine Konzentration ab, seine Schüsse wurden ungenauer. Er merkte, wie der Trainer die Arme vor der Brust verschränkte und ihm einen unzufriedenen Blick schenkte. Schließlich wussten sie beide, dass Taichi eigentlich besser spielte. Er wusste selber nicht, was heute mit ihm los war! Es war als wenn irgendwas in seinem Unterbewusstsein an ihm nagte, etwas was er nicht definieren konnte. „Konzentration, Yagami!! Was ist denn heute mit dir los?!“ Brüllte der Trainer über den Platz, das reichte aus, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Wenn er sich in diesem Training auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, so wollte er wenigstens einen furiosen Schluss hinlegen. Gleich würde das Training beendet sein, bis dahin musste er zumindest EINEN Ball im Netz versenkt haben!! Ein letztes Mal durchlief er den Parcours, täuschte in die linke Ecke an, peilte die rechte an und.... Und landete tatsächlich einen Treffer ins linke, obere Eck! Tokito war auf seinen Trick hereingefallen und in die rechte Ecke gesprungen. Ein erleichtertes Grinsen breitete sich auf Taichis Gesicht aus, er hatte das Toreschießen also doch noch nicht verlernt. Auch der Trainer schien wieder besänftigt zu sein und entließ sie wenig später in die Umkleidekabinen. Während Taichi sich umzog, klopfte Tokito ihm anerkennend auf die Schulter. „Der letzte Schuss war echt gut... Aber du musst an deiner Konzentration arbeiten. Das geht nicht, dass du da so rumkurvst! Wir wissen alle, dass du mehr drauf hast! Es kann nicht sein, dass du dich durch vorübergehende Misserfolge derart verunsichern lässt! Wenn du das nicht in den Griff kriegst, gibt’s Stress!“ Tja, so war er halt, sein Teamcaptain! Direkt, ehrlich und streng, aber immer um das Befinden seiner Mannschaftskollegen bemüht. Taichi nickte und versprach etwas dagegen zutun. Damit war Tokito vorerst zufrieden gestellt und ging hinaus. Und kaum schloss sich die Tür, drängte sich der klagende Gesang jenes blonden Jungen wieder in sein Bewusstsein, der ihn damals derart bestürzt und fasziniert hatte. Automatisch zog er seinen Mp3player aus der Seitentasche seiner Trainingstasche und steckte sich eine Moment lang die Stöpsel in die Ohren, während er sich auszog. Es war ein etwas neueres Lied, doch auch dieses war beherrscht von Einsamkeit und Melancholie und dem Unverständnis des Sängers für das Weltgeschehen. Es waren keine Songs, die die Welt erklärten! Sie zeigten dem aufmerksamen Hörer vielmehr einen Blick auf die Welt, als säße man hinter einer rauchig getönten Scheibe. Getrieben von einer Mischung aus Abscheu und Sehnsucht wird das Leben der anderen betrachtet. Sein eigenes Leben beschrieb Matt nie. Nackt stand er im inzwischen leeren Umkleideraum. Viele seiner Kollegen hatte sich nur schnell umgezogen und gingen zuhause duschen. Sie zogen ihre privaten, luxuriösen Duschen ihrer Wohnungen den zugigen Mannschaftsduschen vor. Die letzten Akkorde verklangen und Taichi schaltete die Musik ab, ehe er den Player wieder zurück in seine Tasche pfefferte und nach Handtuch und Duschzeug griff. Leise pfiff er die Melodie des Songs, den er eben gehört hatte, indes er den Waschraum betrat. Die leicht disharmonisch geordneten Töne wurden von den Fliesen zurückgeworfen, hallten gespenstig im Raum wieder und hüllten den sonst so fröhlichen Taichi in eine wohltuende Melancholie. Er hängte sein Handtuch an einen Haken und fühlte den flauschigen Frotté zwischen den Fingern. Immer noch pfeifend stellte er sich unter eine der Brausen und stellte das Wasser an. „Uaaah!!“ Pech nur, dass es eine von den Duschen war, die nur kaltes Wasser spendeten. Die nächsten Minuten verbrachte er damit unter den zwölf Duschen eine zu finden, die ihn wenigstens mit lauwarmen Nass benetzte, und fragte sich, warum der Japanische Fußballverband nicht in der Lage war, wenigstens der nationalen Elite funktionierende Duschen zur Verfügung zu stellen. Nachdem er endlich die Dusche mit Warmwasser gefunden hatte, begann er, sich unter dem schmeichelnden Sprühregen der die Brause verließ räkelnd, sich einzuseifen. Als Taichi eine gute halbe Stunde das Stadion verließ, leuchtete ihm der flammendrote Schopf eines gewissen Schlagzeugers entgegen. „Hi, Ilja! Was machst du denn hier?!“ Gab er ihm die Hand und schenkte ihm ein besonders breites Grinsen. Der junge Fußballer war eine Art Seismograph für die Stimmungen der Menschen in seiner Umgebung. Er wusste sofort, wenn einer von ihnen Sorgen hatte. Und das war bei dem kleinen Halbrussen offensichtlich der Fall. Kapitel 3: first sight...? -------------------------- Als Yamato die Augen öffnete, fühlte er im Rücken die wulstige Polsterung eines Sofas. Über sich erkannte er verschwommen ein Plakat von Curdt Cobain, dass mit Heftzwecken an der Decke befestigt worden war. Ihm war schlecht. Alles um ihn herum schien sich zu drehen. Er stöhnte leise und versuchte sich an die schmerzende Stirn zufassen. Vergeblich. Sein Körper schien ihm seinen Dienst zu versagen. „Matt! Gut, dass du wach bist!“ Da sprach Ilja, sein Schlagzeuger. Er klang ungewöhnlich ernst und besorgt. „Wie geht es dir?“ Iljas kleine aber kräftige Hände halfen ihm sich aufzusetzen, etwas schwankend versuchte er sich im Raum umzusehen. „Scheiße.“ Krächzte er leise und entschied dann, dass es besser war zu schweigen. Sein Hals schmerzte, als seien ein Dutzend mehr oder minder scharfe Stricknadeln waagerecht hindurch gebohrt worden. Erschöpft lehnte er sich gegen die Rückenlehne der Couch und verzog unwillig das Gesicht. Er hasste es krank zu sein. Deshalb hatte er heute, wo es ihm etwas besser ging als gestern, auf den Weg ins Studio gemacht und wollte dort etwas einspielen. Eine Schnapsidee, wie er sich nun eingestehen musste. „Magst du vielleicht etwas Tee? Das hilft gegen die Halsschmerzen.“ Dieser warme Bariton...irgendwoher kannte er ihn doch! Die kleinen Rädchen hinter Yamatos Stirn begannen zu rattern und es dauerte einen Moment, bis die Erkenntnis in seinem Hirn einrastete. Er war in diesem Moment wohl zu sehr damit beschäftigt nicht das Bewusstsein zu verlieren. Anders ließ es sich nicht erklären, dass er keineswegs geschockt darüber war. „Taichi.“ Sagte er schließlich leise aber deutlich und suchte mit den Augen nach der Herkunft der Stimme. Endlich erkannte er einen großen, jungen Mann mit einer Frisur, die wirkte als habe jener kurz zuvor in eine Steckdose gefasst. Seine Haare und Augen waren braun wie Milchschokolade und mit diesem zu einem freundlichen Grinsen verzogenen Mund sah er aus, als sei er geradewegs aus einer Werbung für Zahnpasta entsprungen. Taichis Körperbau war athletisch, zeugte davon, dass er irgendeine Art von Sport betrieb, die linke von zwei großen, geschmeidigen Hände umfasste den Griff einer braunen Teekanne, aus deren Tülle sich der weiße Wasserdampf kräuselte. Die rechte Hand ruhte entspannt auf dem blanken Holztisch nebst drei noch leeren Teeschalen. Wäre es ihm nicht so schrecklich mies gegangen, „Du erinnerst dich an meinen Namen?“ Taichi grinste noch eine Spur breiter und Yamato begann sich Sorge um dessen Ohren zu machen. „Was freut mich! Du wirktest immer so, als würdest du gar nicht bemerken, dass es noch andere Menschen außer dir gibt...“ Etwas irritiert schaute er von Ilja zu Taichi und von Taichi zu Ilja. Taichis Reaktion zufolge, mussten sie sich irgendwann schon einmal begegnet sein...komisch nur dass sich Yamato gar nicht daran erinnern konnte! „Hä?“ Gab er schließlich äußerst intelligent von sich und rieb sich den brummenden Schädel. Doch das Unverständnis und die Kopfschmerzen blieben, raubten ihm jegliche Konzentration und ließen ihn schließlich aufgeben. Der Schwindel wurde stärker worauf er gequält die Augen schloss. Dass Taichi und Ilja auf ihn einredeten, nahm er nur noch als störendes Hintergrundgeräusch war, die Bedeutung ihrer Worte erreichte nicht mehr sein Bewusstsein. Als er wieder aufwachte, war es schon dunkel. Yamato fühlte sich ein bisschen besser und setzte sich langsam, um den Schwindel nicht herauszufordern, auf. Im orangegelben Dämmerlicht der Straßenbeleuchtung vor dem Fenster machte er die Umrisse eines Tisches und vierer Stühle aus. Einige Fotos hingen an den Wänden von denen eines eine junge Frau zeigte. Vom Raum gingen drei Türen ab. Eine davon, eine etwas größerer und schwererer Bauart, musste wohl die Haustür sein, während die übrigen beiden wohl in angrenzende Zimmer führten. Das, in welchem sich Yamato befand, diente scheinbar sowohl als Ess- als auch Wohnraum und Garderobe. Unter dem Kleiderständer stand eine dunkelblaue Sporttasche. Mühsam rappelte sich Yamato auf und tappte etwas unsicher durch den Raum. „Hallo?“ Rief er gedämpft. „Ist da wer?“ Er bekam aber keine Antwort. Yamato war es gewohnt allein zu sein, als seine Eltern sich scheiden ließen war er fünf Jahre alt gewesen. Danach hatte einen Großteil seiner Tage damit verbracht zuhause auf die Ankunft seines nun allein erziehenden Vaters zuwarten. Seine Mutter hatte seinen zwei Jahre jüngeren Bruder mitgenommen. Nach dem, was er wusste, hatte sie bis dieser alt genug war, den größten Teil ihrer journalistischen Arbeit am heimischen Schreibtisch getan. Recherchenlastige Aufträge also. Sie arbeitete für verschiedene Zeitungen. Sein Vater hingegen, er arbeitete in einem Fernsehsender, war oft sogar ganze Tage außer Haus gewesen. Anfang hatte es dem kleinen Yamato große Schwierigkeiten bereitet, einzukaufen, zu putzen, zu kochen und allen Widrigkeiten des Alltags von Wasserrohrbruch bis Masern alleine entgegentreten zumüssen. Heute dachte er jedoch, dass ihn diese Zeit nur selbstständiger und stärker gemacht hatte. Ja, Yamato war es wirklich gewohnt alleine zusein. Und trotzdem hatte er gehofft, beim Aufwachen Taichis fröhliches Gesicht zu sehen. Ein bisschen enttäuscht blickte er sich um, ehe er beschloss doch mal den Lichtschalter suchen zu gehen. Missmutig schlurfte er über den weichen Teppichboden hinüber zur Wand und begann sich an dieser entlang zutasten. Gerade als er glaubte, neben der Haustür endlich den gesuchten Mechanismus gefunden zuhaben, signalisierte ihm ein leises Klimpern hinter der Tür, das jemand dabei war sie zu öffnen. Er wusste nicht, warum sein Herz so aufgeregt pochte, als er hastig einen Schritt zurücktat und hörte, wie mit einem schwaches Klacken das Schloss geöffnet wurde. Im nächsten Moment war der Raum lichtdurchflutet durch die Lampen im Treppenhaus. Geblendet kniff Yamato die Augen zusammen und erkannte so, wie sich die seltsam vertraut erscheinende Siluette Taichis ihm näherte. „Matt! Du bist ja wach! Geht es dir besser?“ Fragte dieser so teilnehmend, dass Yamato glaubte, ihm schösse die Röte in die Wangen. Behutsam wurde er am Oberarm gepackt und wurde mit sanfter Bestimmtheit zurück aufs Sofa bugsiert. „Tut mir leid, dass wir dich allein gelassen haben, aber ich musste noch arbeiten und Ilja hatte eine gewisse Feier zum runden Geburtstag bei seiner Mutter, die er nicht absagen konnte.“ Entschuldigte sich Taichi und erstaunte den Kranken damit aufs Äußerste. Er hatte eigentlich gar nicht erwartet, dass jemand auf die Idee kam, sich um ihn kümmern zu wollen. „Ach was. Ich muss mich entschuldigen, dass ich euch solche Umstände machen!“ Nuschelte Yamato und versuchte seine Verlegenheit damit zu überspiele, dass er sein Gesicht von Taichi abwandte und sich fahrig am Hinterkopf kratzte. Taichi lachte. Es klang gut, wenn er das tat. Er warmes Glucksen, dass Yamato nicht das Gefühl gab, ausgelacht zuwerden. „Brauchst du irgendwas? Tee? Tabletten? Taschentücher?“ Der blonde Sänger verneinte mit einem Kopfschütteln und spielte gerade mit dem Gedanken sich wieder hinzulegen, da fühlte er urplötzlich eine Hand in seinem Nacken. „Du hast immer noch Fieber.“ Murmelte Taichis Lippen samtdunkel und viel zu nah, während er seine Stirn zur Prüfung gegen Yamatos gelegt hatte. Er spürte wie ihm eine Hitze in die Wangen kroch, die eindeutig nicht vom Fieber kam. Seine glasig blauen Augen suchten automatisch die überwältigend braunen Tiefen seines Gegenüber. „Wenn du magst, kannst du in meinem Bett schlafen, dass ist etwas bequemer.“ Schlug eben jener vor und wollte ihn schon in eine stehende Position bringen, als sich Yamato wehrte. „Nicht nötig. Schlaf du da ruhig.“ „Aber, das Sofa ist doch kreuzunbequem! Da kann ich doch keinen Gast schlafen lassen!“ Maulte Tai und hob, nach einiger Zeit der Diskussion, den protestierenden Yamato schließlich hoch und schleppte ihn, unter der Last schwankend, ins Schlafzimmer. „Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren einen Gast, der zusätzlich auch noch krank ist, auf diesem Folterinstrument von einem Möbel übernachten zulassen!“ Kapitel 4: can't sleep if you're in my bed... --------------------------------------------- Tai konnte nicht schlafen. Es musste schon kurz vor drei sein. In gut drei Stunden musste er wieder im Studio antreten und er konnte einfach nicht schlafen. Er wälzte sich auf dem unbequemen Sofa von einer auf die andere Seite und versuchte eine einigermaßen hinnehmbare Schlafposition zu finden. Zwei der drei harten Polster der Sitzfläche schoben sich unter seinem Gezappel auseinander, sodass sein Arm durch den Spalt herab rutschte. Auf der darunter liegenden Lederfläche drückte sich etwas Kleines schmerzhaft in seinen Unterarm. Er tastete mit der Hand danach und holte es hervor. Im nächsten Moment entwich ihm ein wenig begeistertes „Uärgh.“ und betrachtete ein antikes Gummibärchen im kleidsamen lindgrün. Es war schon ganz klein geschrumpft und trocken wie Mäuseköttel. Während er aufstand, um die Bärchenmumie im Mülleiner der Küche beizusetzen, fragte sich Tai, ob sie von ihm stammte oder von dem Vorbesitzer des Sofas. Durch das Küchenfenster drang der leise Lärm der Straße zu ihm hinauf und das fahle Licht der Ampeln, Scheinwerfer und Neonschilder ließ die gegenüberliegende Wand aus weißen Kacheln bunt schillern. Tai beerdigte den Gummibär standesgemäß und schenkte sich dann ein Glas Wasser ein. Es war nicht so, dass er nicht müde war. Er konnte nur einfach nicht schlafen. Und langsam lohnte es sich auch nicht mehr wirklich. Der Kühlschrank summte leise. Aus Tais Schlafzimmer drang immer wieder ein leises Husten herüber. Ansonsten war es in der Wohnung völlig ruhig. Das Leben war schon seltsam, wer hätte gedacht, dass er einmal ausgerechnet Yamato Ishida, den Yamato Ishida, in seinem Bett liegen hatte. Wirklich etwas dafür kaufen konnte sich Tai zwar nicht, immerhin war es wegen Matts starkem Fieber, doch irgendwie war es etwas Besonderes. Wer konnte sowas schon von sich behaupten…abgesehen von den zwei bis fünf Dutzend Groupies, die der Leadsänger mal so für zwischen durch aufriss. Nun selbst die würde jener, wie Tai ihn einschätzte, nur auf ein Hotelzimmer mitnehmen, sie nachhause zu begleiten, schien bei dem kühlen Blonden ziemlich unwahrscheinlich. Das Wasserglas wurde in einem Zug geleert und mit einem hellen Klingen auf in die Spüle gestellt. Taichi seufzte. Der Gedanke daran, dass Yamato sein Lager mit jemandem teilte, war für ihn eine zugleich quälende und erregende Vorstellung. In seinem Kopf erschien das Bild von einem schlanken, milchweißen Leib, der sich anmutig an einen zweiten Körper schmiegte… Ihm entfuhr ein Fluchen und er verließ mit raschen Schritten die Küche, das Bild Yamato und der unbekannten Frau verdrängte er wenigstens ansatzweise, bevor er das Bad betrat. Für die zwei Stunden lohnte es sich nicht mehr zu schlafen zu versuchen, dann wäre er hinterher noch müder als jetzt. Beinahe hätte er vergessen die Tür zu schließen, ehe er sich zu entkleiden begann, doch dann erinnerte er sich daran nicht alleine zuhause zu sein und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss herum. Er war es nicht gewohnt, andere Menschen als seine Familie und sehr enge Freunde in seine vier Wände zu lassen und selbst dann vermied er es zu duschen. Taichi Yagami war ein sehr offener Mensch, der die Gesellschaft liebte und kaum alleine irgendwo anzutreffen war, aber auch er brauchte ab und zu etwas Ruhe. Seine Wohnung war sein Rückzugsort, wenn er die Welt nicht mehr anschauen wollte. Wenn es zu laut für seine lärmgewöhnten Ohren wurde, wenn es zu schnell wurde, als dass seine flinken Beine folgen könnten, wenn es seine fröhlichen Augen blendete oder er vor Dunkelheit nichts mehr sehen konnte, wenn die Gefühle, die von der Außenwelt auf ihn eindrangen zu intensiv wurden, dann verzog er sich in diese Wohnung, seinen Hort, seine sichere Zuflucht, bis der Sturm vorbei war. Rasch streifte er die Shirt und Boxers ab, ehe er unter die Dusche trat. Heiß prasselten die silbrigen Wasserschnüre auf seine Schultern und über seinen Rücken, ehe sie auf dem Boden in viele einzelne Perltropfen zersprangen. Tai schloss die Augen und fühlte wie die Wärme seine vor Müdigkeit verkrampften Glieder wieder entspannte, seine Muskeln und dem leichten Massieren des Einseifens wieder locker und geschmeidig wurden. Eine Muskelverhärtung konnte er momentan aber auch überhaupt nicht leisten. Erst als er etwa eine halbe Stunde später aus der Dusche stieg, viel ihm leicht bebend auf, dass er etwas vergessen hatte. Seine Kleider lagen im Kleiderschrank und Kleiderschrank stand im Schlafzimmer und im Schlafzimmer lag Yamato Ishida und schlief. Er schläft, beruhigte er sich, während er auf Zehenspitzen den Raum betrat und blindlings im dunklen Zimmer nach dem Schrank tastete. Als Matt hinter ihm leise hustete wäre er vor Schreck beinahe ausgerutscht, doch er konnte sich noch vergleichsweise leise an der Schranktür festklammen, während er begann in den Untiefen des Schrankchaos nach den verschiedensten notwendigen Kleidungsstücken zu fahnden. „Was machsn da?“ brummte es hinter mit ihm mit Reibeisenstimme, nachdem ihm lautstark ein Lederstiefel auf den kleinen Zeh gefallen war. „Nichts, schlaf weiter.“ quetschte schmerzhaft er zwischen den Zähnen hervor und hüpfte auf dem heilen Fuß auf und ab. „Hm… Okay.“ Brummte Matt unbeeindruckt und Tai glaubte zu sehen, wie sich Augen wieder schlossen. „Ich muss gleich zur Arbeit, du kannst nachher duschen wenn du willst, ich werde jemanden bitten, dass er nach dir schaut und bin dann heute Mittag wieder da.“ Erklärte er und hoffte, dass der Blonde ihn noch hörte. „Hm.“ ertönte es vom Bett her. Tai trat näher und beugte sich zu um herunter „Ruf Ilja an, wenn du noch was brauchst und…“ er stockte einen Moment, Yamato war schließlich kein kleines Kind mehr und sie kannten sich noch nicht mal sonderlich gut, dann fügte er noch hinzu „Und nicht weglaufen, du solltest in diesem Zustand noch nicht draußen herum laufen. Bleib bitte hier in der Wohnung und möglichst im Bett.“ Etwas schüchtern ruhte einen Moment seine Hand auf der nackten Schulter des Kranken und er spürte, wie die fiebrige Haut unter seinen Fingern brannte. Oder war es seine Hand selber die durch die Berührung unter Temperaturschwankungen zu leiden schien? „Schlaf gut und werd schnell wieder gesund!“ wisperte er, nachdem er hastig samt Klamotten zur Zimmertür geflitzt war. Das war aber auch alles verdammt seltsam. Kapitel 5: coffeetime --------------------- Matt erwachte vom fröhlichen Blubbern einer Kaffeemaschine ganz in seiner Nähe. Mit viel Barmherzigkeit gegenüber seinem dicken Kösel, der sich immer noch etwas schwerer anfühlte als im Normalfall, kam er in die Senkrechte und rieb sich die Augen. Positiv aufmerkend, dass sein Blick bei Weitem klarer war als am Abend zuvor, wühlte er sich auf dem Bettzeug hervor und schwang die Füße über die Bettkante. Mit dem Plan zu sehen, wer da Kaffee kochte und um eventuell auch etwas von dem koffeinhaltigen Gesöff abzustauben, machte er sich auf dem Weg, dem Brodeln der Kaffemaschine folgend. „Oh.“ machte Matt, als er eine kleine Küche betrat und sah, dass es der jungen Frau, die dort stand, gelungen war einen hübschen, dampfenden Kaffee-Springbrunnen aus der Maschine zu basteln. Die Gute war offenbar viel zu beschäftigt, sich nicht zu verbrennen und gleichzeitig zu verhindern, dass ein brauner Nachbau der Niagarafälle über die Arbeitsfläche auf den Boden pladderte, als dass sie ihn bemerken hätte können. Sie wirkte etwas überfordert und so erlaubte sich Matt, sie sanft zur Seite zu schieben und die Kaffeemaschine kurzerhand in die Spüle zu stellen. Er fluchte leise, als er sich dabei versehentlich etwas heißen Kaffee auf die nackten Beine spritzte, machte sich aber trotzdem sofort daran, die kleine Seenlandschaft von Platte und Fliesen zu entfernen. Das Mädel stand indessen etwas verloren und hilflos herum und wusste offenbar nicht, was sie von der Situation halten sollte. „Möchten sie sich nicht erstmal anziehen und ich mach das sauber?“ fragte sie schließlich schüchtern und machte ihn dadurch darauf aufmerksam, dass seine Bekleidung nicht dem allgemeinen Dresscode für das Gegenübertreten einer wildfremden Dame entsprach. „Oh.“ machte Matt erneut und sah an sich herunter. Vielleicht war das gar kein schlechter Einfall sich etwas mehr als Boxers anzuziehen, dachte bei sich und schenkte der Frau ein Nicken. Dabei musterte sie unauffällig und stellte fest, dass sie wohl die Frau von dem Foto im Wohnzimmer sein musste. Sie war recht hübsch, noch sehr jung und hatte hellbraunes kinnlanges Haar. Das Hervorstechendste an ihr, war aber wohl eine deutlich sichtbare Wölbung unter ihrem kaffeefleckigen Pullover. Matt wandte sich ab, um sein den bitteren Zug um seine Augen zu verbergen. Irgendwie gefiel es ihm gar nicht, dass Tai offenbar bald Vater wurde. Hastig verließ er den Raum und machte sich auf in Taichis Schlafzimmer, wo seine Kleidung ordentlich über dem Fußende des Bettes geworfen war. Er ließ sich etwas Zeit beim Anziehen. Wies sich zurecht, dass es doch eigentlich doch recht nett von dem Mädel war, ihn hier in Ruhe schlafen zu lassen und er keinen Grund hatte sich ihr gegenüber ausfallend zu verhalten. Er hätte sich an ihrer Stelle wahrscheinlich sofort aus der Wohnung geschmissen. Und er fragte sich, warum ihn das Ganze überhaupt so wütend machte, er kannte weder Taichi noch seine Freundin besonders gut, warum sollte er sich derart aufregen, nur weil diese augenscheinlich ein Kind erwarteten? Er sollte ihnen danken, dass sie ihn aufgenommen hatten, und sich ansonsten aus ihren Leben heraushalten. Doch das war leichter gedacht als getan, Matt klang immer noch etwas unterkühlt, als er wieder in der Küche saß und der Schwangeren erklärte, wie man eine Kaffeemaschine bediente. Nun wo diese das Problem erkannt hatte, bestand sie darauf ihnen beiden einen Kaffee zu kochen und irgendwie konnte Matt nicht widersprechen, sodass sie kurz darauf jeder mit einem großen Milchkaffee vor der Nase an dem kleinen Küchentisch. Das Mädchen, von dem Matt nun wusste, dass es Kari hieß und gerade ihren Schulabschluss gemacht hatte, hatte noch etwas Tütensuppe in Taichis erschreckend leeren Küchenschrank gefunden und so frühstückten sie Kaffee und Nudelsuppe, während Kari den blonden Sänger darüber aufklärte, woher er Taichi kennen sollte. Taichi war DER Yagami. Dieser komische Typ, der es schaffte immer einen ganzen Schwarm Freunde zu sehr seltsamen Aktionen hinzureißen. DER Yagami, der bis zur Oberschule gemeinsam mit ihm die Schulbank gedrückt hatte. DER Yagami, der der letzte und erste Mensch gewesen war, mit dem sich Matt je geprügelt hatte. „Oh.“ machte Matt zu dritten Mal und spürte, wie seine Kopfschmerzen stärker wurden, als die Erinnerungen zurückkehrten. „Ich bin nicht gut was das Merken von Gesichtern angeht.“ ließ er entschuldigend verlauten und runzelte die Stirn, während er an die zwei Situationen dachte, bei denen er wirklich in Kontakt mit dem jungen Taichi gewesen war. Die eine hatte er mit etwa elf Jahren erlebt. Sein Bruder hatte ihn besucht und sie waren gemeinsam in den Park gegangen. Takeru war von Taichis Ball getroffen worden und er, der wollte dass sein Bruder die knapp bemessene Zeit mit ihm als absolut perfekt in Erinnerung hatte, hatte dummerweise angefangen auf Schützen einzuschlagen. Das war natürlich das Gegenteil von perfekt, aber das war ihm erst bewusst geworden, als seine Mutter den Kleinen wieder abgeholt hatte und er wieder allein war. Auch sonst war eine dumme Idee sich mit Yagami zu prügeln, immerhin war der weitausgeübter was diese Tätigkeit anging und er war auch ein ganzes Stück stärker und geschickter. Matt erinnerte sich noch heute, wie ihm am nächsten Tag sämtliche Knochen wehgetan hatten und sie sich die nächsten Jahre gekonnt übersehen hatten. Auch die zweite Situation einige Jahre später hatte ihm Tags darauf leichte Schmerzen eingebracht. Als sie in der Mittelstufe waren und man allmählich begann sich für Partys zu interessieren, hatte Ilja Matt überredet gemeinsam auf die Geburtstagsfeier eines Freundes zu gehen. Matt kannte diesen Freund nicht einmal, doch das war nicht erstaunlich. Er selbst hatte nicht viele Freunde, eigentlich suchte er nur die Nähe seiner Bandmitglieder freiwillig, Ilja hingegen kannte scheinbar alles und jeden. Ein Umstand der ihm dann und wann doch etwas befremdlich erschien. Die Party war furchtbar gewesen. Die Musik war eine Katastrophe und Matt erlebte seinen ersten Vollrausch, was in ihm die Überzeugung reifen ließ, dass Alkohol ein von Grund auf böses und hinterhältiges Geschöpf war. An dem Abend selber hatte Matt keine Erinnerung er wusste nur noch, dass er am nächsten Morgen stinkend und unvollständig bekleidet neben beziehungsweise halb auf Taichi Yagami aufgewacht war. Sein Hintern brannte grauenhaft und er weigerte sich bis heute zuzugeben, was wohl in der Nacht zuvor geschehen war. Er hatte damals Fersengeld gegeben, bevor Yagami wach geworden war und hatte sich ab diesem Zeitpunkt erstrecht von jenem ferngehalten. Ausgerechnet DER Yagami, sollte zu Taichi mit der schönen Stimme und den strahlenden Augen geworden sein? Indes Matt seinen Gedanken nachhing, summte das Mädel fröhlich vor sich hin und beobachtete mäßig interessiert sein Mienenspiel, dass zwischen Irritation, Unglaube und leichter Verärgerung schwankte. „Ihr verstandet euch nicht so gut, nicht war? Dabei schien dich Tai eigentlich immer ganz interessant zu finden.“ Kari zog die Beine an und saß nun im Schneidersitz auf ihrem Küchenstuhl, wobei sich Matt fragte, wie sie das mit der Plauze schaffte. Aber er sprach diesen Gedanken nicht aus sondern nickte nur „Er hat meinen Bruder mal mit einem Fußball beschossen.“ stellte er kühl fest und nahm einen Schluck von seinem Kaffee, welcher inzwischen schon nur noch lauwarm war. Karis Blick wurde interessierter. „Ach, hat er das? Das sieht ihm ähnlich, er ist ständig mit dem Ball am Gange.“ „Er war der einzige Mensch mit dem ich mich je geprügelt habe…“Irgendwie musste Matt grinsen, er war schon verdammt komisch was Takeru anging. „Eigentlich ist sowas unter meinem Niveau, aber wenn’s um meinen Bruder geht…“ Sie nickte verstehend „Geht mir ähnlich.“ grinste sie und Matt war schon ein bisschen irritiert, dass sie ihm so zustimmte, wo er sich doch mit ihren Freund geschlagen hatte. „Tai hat mir das auch erzählt, als ich ihm T.K. vorgestellt habe.“ Sie gluckste leise „Ich glaub T.K. war das ziemlich peinlich.“ „T.K.?“ „Takeru, dein Bruder. Wir kennen uns aus der Schule.“ „Oh.“ machte Matt und kratzte sich am Kopf. Das Mädel kannte also seinen Bruder und schien sich offenbar recht gut mit diesem zu verstehen. Er überlegte einen Moment, wie er auf die Information reagieren sollte, beschloss aber dann sie einfach nur zur Kenntnis zu nehmen und das Thema zu wechseln. Er wusste nicht viel über das Leben seines Bruders, sie waren sich fremd wie flüchtige Bekannte, auch wenn sie sich mochten. Etwa zwei bis dreimal im Jahr besuchten sie sich gegenseitig, ansonsten gestaltete jeder von ihnen seinen Alltag ohne, dass sich ihre Tätigkeitskreise schnitten. „Wie hat Taichi eigentlich auf deine Schwangerschaft reagiert? Ihr scheint ja nicht zusammen zu wohnen, lebst du noch bei deinen Eltern?“ wollte er wissen und hoffte insgeheim, ihr dadurch nicht zu nahe getreten zu sein. Im Übrigen war er selber erstaunt, wie leicht es sich mit Kari reden ließ. „Ja, ich…“ begann Kari. Sie wurde jedoch von einem fröhlichen „Na was wohl er hat sich gefreut, eine kleine Nichte zu bekommen. Was denkst du denn?“ unterbrochen. Den Kopf in die Richtung wendend, aus der die Stimme kam, erkannte Matt Taichi, welcher grinsend im Türrahmen lehnte. „Oh.“ machte Matt und wusste nicht genau, ob er jetzt lachen oder verlegen sein sollte. „ich dachte, das Kind wäre von dir.“ meinte er schließlich sehr kleinlaut und kratzte sich am Hinterkopf, worauf die beiden übrigen zu lachen anfingen. Jetzt, wo er sie neben einander sah, erkannte Matt tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit, sie lachten beide gleich. Matt mochte dieses Lachen und irgendwie konnte er sich selber nicht ganzerklären, warum es ihn so erleichterte, dass Taichi weder Vater wurde, noch eine Partnerin hatte. Er merkte wie ein seltenes Lächeln seine Mundwinkel nach oben zwang und er nahm schnell einen Schluck Kaffee um es hinter seinem Becher zu verstecken. Wäre ja noch schöner, wenn er Freude darüber signalisierte, dass man ihn auslachte! „Nein, T.K. ist der Vater.“ kicherte Kari und versuchte offensichtlich wieder zu Atem zu kommen. Nachdem Matt vor überraschend den Kaffee ausgeprustet und ihm dadurch eine unfreiwillige Gesichtsdusche verpasst hatte, ebbte auch Taichis Lachen ab. „Schlucken, nicht blasen.“ brummte jener und wischte sich die Tropfen aus den Augenbrauen. Matt rollte gekonnt die Augen, niveauloser ging es ja nicht mehr. Trotzdem musste nun auch er sich ein Grinsen verkneifen, Tai sah mit dem hellbraunen Kaffee-Milch-Gemisch aber auch wirklich aus, wie ein begossener Pudel. „Tai, das ist eklig.“ wies eine ebenfalls breitgrinsende Kari ihren Bruder zurecht und holte den Scheuerlappen aus der Spüle und begann ihm das Gesicht damit abzuputzen. Matt erwischte sich bei dem Gedanken, dass es doch sehr niedlich war, wie Tai das Gesicht verzog, als der nasse, kalte Lumpen über sein Gesicht gezogen wurde. „Irrtum, DAS ist eklig! Nimm das Stinkeding weg!“ legte Taichi Widerspruch ein und versuchte vergeblich seiner putzwütigen Schwester zu entkommen. Für ihren Zustand war das Mädchen wirklich verdammt flink und wendig, dachte Matt verwundert, während er den beiden zusah. „Warum bist du eigentlich jetzt schon da?“ fragte Kari ihren Bruder, nachdem sie ihre kleine Verfolgungsjagd beendet hatten und beide am Tisch platzgenommen hatten. Matt war es, als würde Tai einen Moment zögern und die braungebrannten Ohren seines Gegenübers einen Hauch Rosa bekommen. „Stimmt, deine Sendung geht doch eigentlich bis frühen Nachmittag, oder?“ pflichtete er Kari bei, nachdem er einen Blick auf die Küchenuhr beworfen hatte. Die beiden sahen ihn erstaunt an. „Woher weißt du, wann ich auf Sendung bin, Yamato?“trug Tai nun seinerseits dazu bei, dass sich Matts Ohrläppchen verlegen färbten. Einen Moment brachte Matt der irritierend sanfte Unterton in Taichis Stimme aus der Fassung, doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und er sah die beiden recht kühl an. Er würde sich jetzt ganz bestimmt keine Blöße geben und zugeben, wie häufig er vor dem Radio saß, nur um seine Stimme zu hören. „Man mag es nicht glauben, aber ich besitze einen Radiowecker.“ Offenbar etwas erschrocken aufgrund Matts Stimmungswechsels beeilte sich Tai den Gesprächsschwerpunkt wieder auf sein frühes Erscheinen zu lenken. „Ich wusste ja nicht, wie es Yamato geht und dass du kommst.“ erklärte er an Kari gewandt „Also habe ich meine Beiträge für diesen Tag ausnahmsweise im Voraus aufgenommen, sodass der Regisseur nur noch Knöpfchen drücken muss, damit die Leute mich hören.“ Matt lauschte schweigend. Irgendwie ahnte er, dass dem Sprechenden viel leichter fiel, mit Kari darüber zu sprechen, dass er sich Sorgen um ihn, Ishida Yamato, gemacht hatte, als ihm selbst erzählen, dass er so schnell wie möglich wieder bei ihm hatte sein wollen. Trotzdem konnte er nicht um hin, sich insgeheim darüber zu freuen. „Danke.“ entfleuchte es ihm leise. Matt bedankte sich nicht oft und er hätte das Wort am liebsten gleich wieder zurück genommen. Nicht aus dem Grund, dass er nicht so meinte, sondern viel mehr aus dem Grund, dass Taichi ihn ansah, wie ein Mischung aus einem Alien und einem besonders schönen Geburtstagsgeschenk. Matt spürte, wie sein Gesicht abermals eine rosa Färbung annehmen wollte und verfluchte insgeheim seine helle Haut, während er Kari glucksen hörte. Erst als sie einen brüderlichen Rippenstoß abbekam schwieg sie schlagartig uns begann zu schmollen, während Tai ihr einen bösen Blick zuwarf. „Gut dann geh ich halt…“ maulte sie und schob geräuschvoll den Stuhl zurück, was Tai mit einem Heben der Augenbrauen quittierte und einem wenig beeindruckten „Du musst sowieso noch zum Arzt. Ma, hat mich vorhin angerufen, ob ich dich fahren würde.“ „Tss, kann ich alleine.“ Kari zog einen Flunsch und verschwand ein flüchtiges Winken in Matts Richtung werfend aus dem Raum. Hätte sie ihm nicht kurz amüsiert zugezwinkert, er hätte gedacht, sie wäre tatsächlich einsthaft beleidigt gewesen. Und das wollte er, jetzt da er wusste, dass sie die zukünftige Mutter seiner Nichte war, eigentlich doch vermeiden. „Hm.“ brummte er und während er die Tür ansah, durch die Kari gerade verschwunden war. „Mein Bruder hat schon einen individuellen Frauengeschmack.“ stellte er nachdenklich fest, ohne Taichi anzusehen. „Aber sie hat auch eine schöne Stimme.“ fügte er dann leise hinzu. Kapitel 6: Tell me... --------------------- Offenbar schien die Neuigkeit, dass er Onkel wurde, seinen blonden Gast nachdenklich gemacht, denn die nächsten Minuten nach Karis Weggang saß er Taichi schweigend gegen über. Taichi nutzte die Stille um seinerseits das Yamato zu mustern. Noch zeichneten fahle Purpurschatten die ohne schon blasse Haut des Sängers und zeugten von dessen angeschlagener Konstitution, doch er wirkte weitaus gesünder als gestern. Er war Tai gestern so zerbrechlich und klein vorgekommen, dass er ihn nur hatte bemuttern wollen, so war er nun wieder der Mensch, welcher er eigentlich war. Yamato war nicht kleiner als Taichi und schwächer war er eigentlich auch nicht, dessen war sich Taichi sich sicher. Eigentlich war es ganz schön anmaßend von ihm den Blondschopf so einfach in seine Wohnung zu „entführen“, ohne diesen vor um Erlaubnis zu bitten. Wäre Yamato bei vollem Bewusstsein gewesen, er hätte sich sicher gewehrt. Nun, in einem solchen Fall hätte er Matt in dem gestrigen Zustand aber trotzdem mitgenommen, dachte er leicht reumütig. Er hätte ihn gezwungen, hätte es ausgenutzt, dass er der Erfahrenere im Bezug auf direkte körperliche Auseinandersetzung war. Gestern hatte Matt ihm aber auch wirklich Angst gemacht, so wie er da blass auf den Stufen einen Hauseingang gehangen hatte. Nun wirkte er wieder stark und unnahbar, wie ihn Tai ihn kannte und irgendwie auch kennen wollte. Die Vorstellung eines schwachen Yamato gefiel ihm überhaupt nicht. Zu sehr verehrte er den erfahrenen und soviel lebensweiseren Yamato, den er aus der Ferne immer hatte bestaunen dürfen. Jener Gleichaltrige, der alles alleine zu schaffen, keine Hilfe zu brauchen schien, war ihm während ihrer gemeinsamen Schulzeit auf seltsame Art und Weise Ansporn und Gegenspieler gewesen. Dieser wusste höchstwahrscheinlich gar nicht, welchen Einfluss er auf den heranwachsenden Taichi Yagami gehabt hatte. Der Blonde war immer da, immer in seiner Nähe. Die gesamten Jahre hatte er mit ihm gemeinsam die Schule besucht und ebensolang fühlte Tai den Wunsch von Matt wahrgenommen zu werden. Egal ob er es mit guten Noten und wichtigen Positionen im Schüleralltag oder allen möglichen Dummheiten versuchte, Yamato blieb unerreichbar. Er war Schüler- und Klassensprecher gewesen, hatte das Fußballteam der Schule und die Physik-AG geleitet, hatte sogar die Fühler nach den wenigen Leuten ausgestreckt, welche Matt als seine Freunde bezeichnete und hatte sich mit ihnen angefreundet. Und doch hatte der Blonde nie Notiz von ihm genommen. Tai wusste gar nicht, was es genau war, das den Sänger für ihn so anziehend gemacht hatte. Vielleicht war aber gerade diese Unnahbarkeit, die in dem ansonsten recht beliebten Taichi den Widerspruchsgeist geweckt hatte. Aber was auch immer der ursprünglich ausschlaggebende Punkt gewesen war, der Yamato Ishida eine so zentralen Position in Taichis Entwicklung eingebracht hatte, mit den Jahren, war noch ein zweiter nicht zu unterschätzender Grund hinzugekommen, warum es unmöglich war ihn zu ignorieren. Yamato Ishida war schon immer jemand gewesen, nach dem sich die Menschen umdrehten. Als Tai nun in das Alter kam, in dem die meisten seiner Altersgenossen Mädchen nicht mehr ganz so blöd und unnötig fanden, bemerkte er, dass der Blonde nicht nur hübsch sondern schön war. Dass der Anblick von Yamatos Lippen zum Küssen einluden und das obwohl er doch gar kein Mädchen war, war für Tai zu Anfang keine süße Pille, die er zu schlucken hatte. Es hatte einige Zeit gedauert, bis er gewisse Dinge bezüglich seiner sexuellen Orientierung akzeptieren konnte, auf die ihn Yamatos Anwesenheit im Klassenzimmer stieß. Tais Blick huschte über die schlanke aber eindeutig männliche Gestalt seines Gegenübers und musste sich wohl übel eingestehen, dass jene Anziehungkraft von damals durchaus nicht verschwunden war. Irgendwas an Matt machte, dass alles für Tai viel heller war, wenn er anwesend war. Auch wenn er längst nicht mehr so unschuldig war wie mit vierzehn, er hatte in den folgenden Jahren auch seine Erfahrungen gemacht, so blieb die Affinität zu jenem allerersten, als sexuell attraktiv wahrgenommenen Menschen doch eine Konstante. „Möchtest du dich vielleicht nochmal hinlegen?“, fragte er, als Yamato noch einer Weile immer nichts gesagt hatte. Jener zuckte regelrecht zusammen und sah erschrocken von der intensiven Betrachtung seiner halbleeren Kaffeetasse auf, dann schüttelte er stumm den Kopf. „Aber, hör mal…“ ,wollte Tai zu denken geben, doch er wurde unterbrochen. „Ich will nicht schlafen, hab schon genug geschlafen.“ grummelte Matt bissig und stand auf. Tai machte sich schon bereit, Yamato in dem Fall, dass er nach Hause aufbrechen wollte, gewaltsam zurück zu halten. „Aber vielleicht, wäre es nicht schlecht wenn ich mich ausruhen würde…“, gab der nächste Satz des Blonden Entwarnung. Tai war ein bisschen irritiert, über das schiefe Grinsen, das sich auf Matts Gesicht gestohlen hatte. Irgendetwas plante er… „Allerdings nur wenn du mit kommst…“ Tais Gesichtsfarbe hätte bei diesen Worten wohl perfekt mit einem frischlackierten Löschzug harmoniert und er stotterte leicht plan- und zusammenhanglos herum. In seinem Hirn schob sich die Erinnerung an jene Nacht vor circa einem halben Jahrzehnt zwischen Hirn und Zunge. Yamato lachte, als er die verwirrte Miene des Anderen. Offenbar ging es ihm tatsächlich besser, wenn er schon wieder scherzen konnte. „Naja, ich dachte, daran dass du mir zum Beispiel etwas erzählen könntest… ist doch langweilig da alleine rumzuliegen.“ Erklärte er, nachdem er fertig gelacht hatte. „Oh.“ ,machte Tai, fand die Bitte zwar immer noch etwas seltsam, doch er nickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)