A Trip to Hell von mystique (Die Leiden des Seto Kaiba ∼ KaibaxWheeler ∼) ================================================================================ Kapitel 9: Tag 6: Trugsch(l)uss ------------------------------- Tag 6: Trugsch(l)uss *~* Zum ersten Mal träumte ich etwas Anderes. Wieder Wheeler, wieder ich, doch keine Kaiba Corporation. Kein Dach. Stattdessen Wasser. Nacht. Schwaches Licht, das uns beschien. Wir saßen, lagen beinahe, in dem knietiefen Nass und küssten uns. Dann löste Wheeler sich von mir und seine Lippen verzogen sich zu einem gehässigen Grinsen, bevor seine Hand nach vorne schnellte, sich um meinen Hals legte und mich unnachgiebig unter Wasser drückte. Ich schnappte nach Luft, erfolglos, und dann war sein Griff unvermittelt verschwunden und ich fiel. „Guten Flug, Kaiba!“ *~* Der erstickte Ausruf schien noch immer auf meinen Lippen zu liegen, hatte meine Kehle kaum verlassen, da fand ich mich aufrecht sitzend in den Laken meines Bettes wieder, stieß mit meinem Kopf gegen den zu niedrigen Balken des Etagenbettes und verlor für weitere Sekunden ob der plötzliche eintretenden Schwärze die Orientierung. Knurrend und üble Verwünschungen ausstoßend, welche ich lediglich in Anwesenheit von Mokuba nicht auszusprechen gewagt hätte, hielt ich mir die malträtierte Stirn, welche nicht einmal die Möglichkeit gehabt hatte, sich von den Blessuren der ersten Nacht zu erholen. Mein Herz schlug hart gegen meine sich rasch hebende Brust und als meine Sicht sich klärte, der Schmerz dem Erträglichen wich und ich meine Orientierung soweit wieder gefunden hatte, um meinen derzeitigen Standort bestimmen zu können, begann das beklemmende Gefühl der aufwallenden Panik nachzulassen. Es wäre einer erfüllenden Ruhe gewichen, hätte eine Bewegung neben mir nicht meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Mein Blick folgte der Regung, meine Augen richteten sich auf ihren Urheber und die Zeit schien stillzustehen, als ich Joey Wheeler erblickte. Neben mir. In meinem Bett. Unter meiner Decke. Hier. Augenblicklich übermannte mich die Erkenntnis. Der vermeintliche Traum war kein Traum, er war eine Abfolge dessen, was sich letzte Nacht zugetragen hatte, eine Konsequenz der Ereignisse, die mein Bewusstsein bis ins Tiefste erschüttert hatten. Wheeler und ich. Ich und Wheeler. Küssend im Teich. Ein Würgen niederkämpfend presste ich mir eine Hand auf den Mund und wich so weit an den Rand des Bettes, wie möglich war. Nackte Panik, die ich in meinem Leben einzig in dem Moment verspürt hatte, als es um Mokubas Leben gegangen war, erfüllte mich, beschleunigte meinen Atem, raubte mir die Luft, ließ meinen Magen rebellieren. Zu meinem Entsetzen hatte ich durch meine unbedachte Bewegung Wheeler aufgeweckt. Er rührte sich zunächst kaum merklich, dann öffnete er die Augen und erblickte beinahe im selben Moment mich. Es war paradox, dass ich geradezu mit ansehen konnte, wie sein kümmerlicher Verstand zu arbeiten begann, wie sehr ihm dieses Unterfangen unmittelbar nach dem Aufwachen Probleme bereitete (nicht, dass es das im wachen Zustand anders gewesen wäre) und schließlich eine Reaktion verlange, welche eintrat. Er öffnete den Mund und seinen halbgeöffneten Lippen entwich ein raues: „Kaiba?“ Das war zuviel für mich. Voller Entsetzen, durchlief meinen Körper ein unkontrolliertes Zittern, die Übelkeit erreichte ein unerträgliches Maß, bevor abrupt jegliche Anspannung von mir fiel. Panik wich Gelassenheit, Übelkeit der vertrauten Rationalität. Es war, als prallte alles von mir ab. Ich konnte es mir nicht erklären, wollte es mir im selben Moment auch nicht erklären, da es nur unnötige Fragen aufgeworfen hätte. Fragen, für die ich in diesem Moment keine Zeit hatte. Ich ließ die Hand sinken und betrachtete Wheeler ausdruckslos. Eine innere Ruhe erfüllte mich, ich wusste, was ich zu tun hatte und es bestand kein Zweifel darin, wie ich es ausführen würde. „Steh auf“, befahl ich Wheeler. Er war noch immer nicht wach und brauchte dementsprechend, um meine Worte zu verarbeiten, bevor er reagieren konnte. „Du – was?!“ „Steh auf“, wiederholte ich eine Spur nachdrücklicher und er rappelte sich auf. Wie er so vor mir saß, mit zerzausten Haaren, zerknittertem Hemd und Nichtverstehen in jedem seiner Gesichtszüge, bestärkte er die kalte Wut in meiner Brust wie Öl das Feuer. „Und jetzt verschwinde.“ „Kaiba, was redest –“ „Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?“, zischte ich und beugte mich unheilvoll vor. Reflexartig wich er zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Wand. „Du sollst verschwinden.“ „Aber –“ „Wheeler.“ Es musste mein Tonfall gewesen sein oder etwas in meinem Blick, das ihn von dem Ernst der Situation überzeugte und dazu brachte, die Decke loszulassen und eilig das Bett zu verlassen. Er trug abgesehen von seinem Hemd nur eine Boxershorts (seine Hose musste er am vergangenen Abend abgelegt haben, da sie sich durch den Sturz in den Teich mit Wasser voll gesogen hatte) und im Gehen griff er nach einer trockenen Jeans auf dem Fußboden. Das Zuschlagen der Tür hallte unnatürlich in meine Ohren nach. Es mochten Sekunden oder Minuten vergangen sein, bevor ich mich wieder rührte. Mein Blick richtete sich auf die Betthälfte, auf der Wheeler zuvor geschlafen hatte. Das Kissen hatte dort wo sein Kopf gelegen hatte eine Kuhle. Der Teil der Decke, die er umklammert hatte, was zerknittert. Ich registrierte, dass es bereits ein eigenes Wunder war, dass er bei der geringen breite des Bettes überhaupt Platz neben mir zum Schlafen gefunden hatte. Knurren holte ich aus und schlug mit der geballten Faust auf das Kissen, bis die Kuhle nicht mehr zu erkennen war und somit jeglicher Beweis dafür, das Minuten zuvor Wheeler neben mir geschlafen hatte. Dass Wheelers Körper dicht bei meinem gelegen hatte. Dass Wheeler hier gewesen war. Wie in einem Puzzle fügten sich die Erinnerungen an den vergangenen Abend zusammen, ordneten sich zu einem Bild an, welches ich vehement zu verdrängen versuchte und endeten zwangsläufig jedes Mal dort, wo es angefangen hatte: Bei dem Kuss. Auf dem Rücken liegend und das Holz über mir abwesend betrachtend durchlebte ich die Stunden des Vorabends erneut, schickte meine Gedanken zurück an den Teich. Es war nicht bei dem einen Kuss geblieben, wie im Wahn hatten unsere Lippen sich wieder und wieder berührt. Nach Stunden, wie ich den Eindruck gehabt hatte, waren wir auf die Beine gekommen und hatten auf mir unbekannte Weise letztendlich den Weg in die Herberge zurück und in unser Zimmer gefunden, waren schließlich auf dem Bett gelandet. Es war erschreckend, wie irrational ich mich verhalten hatte, obwohl ich nicht einmal betrunken gewesen war, geschweige denn unter dem Einfluss irgendeiner anderen Droge gestanden hatte. Mein Handeln ließ sich nicht erklären, selbst jetzt wusste ich nicht zu sagen, welcher Teufel von mir Besitz ergriffen hatte, dass ich Wheeler freiwillig küsste und auch nur für einen Moment Gefallen daran fand. Aufstöhnend presste ich mir die Handballen auf die Augen, versuchte den Druck, der sich zunehmend hinter meinen Schläfen aufbaute und erneute Kopfschmerzen ankündigte, zu verringern, scheiterte jedoch kläglich daran und verleitete die Migräne zu einem Ausbruch. Was auch immer letzte Nacht geschehen war, was auch immer zwischen Wheeler und mir stattgefunden hatte, so beschloss ich, würde spätestens ab diesem Moment nicht mehr existent sein. Es war nie vorgefallen. Wheeler würde es rasch merken und akzeptieren müssen. Er hatte keine Wahl und sollte er sich weigern, würde ich ihn zu überzeuge wissen. Es war nie vorgefallen ... oOo Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich mich langsam erhob, die Decke achtlos neben mir zu Boden fallen ließ und ans Fenster trat. Den Vorhang zum ersten Mal seit Tagen beiseite schiebend, sah ich mich zunächst durch grelle Sonnenstrahlen geblendet und Sekunden verstrichen, bis meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Dann erst realisierte ich den Ausblick, den dieses Fenster bot. Entweder war ich ein Opfer der schlechten Laune des Zufalls oder mein Verstand spielte mir einen geschmacklosen Scherz, doch von dem Fenster dieses Zimmers aus hatte man einen hervorragenden Blick auf den Teich in mehr als fünfzig Metern Entfernung. Das Herbergsgelände war tatsächlich vergleichsweise groß und selbst die blühenden Büsche und Sträucher vermochten den Blick auf die hölzerne Brücke, das Schilfgras und die Seerosen – den gesamten verfluchten Teich – nicht zu trüben. Ich sah ihn gestochen scharf und den Bruchteil eines Moments, als eine Wolke vor die Sonne zog und ein Schatten sich über die Wasseroberfläche schob, meinte ich die schemenhaften Umrisse zweier Personen im Teich zu erkennen. Fluchend riss ich an dem Stoff, wollte ihn wieder vor das Fenster schieben, um nicht mehr nach draußen blicken zu müssen, doch die abgenutzten Halterungen des Vorhanges hielten meinem Griff nicht stand und brachen. Staub wirbelte auf, als der Vorhang flatternd auf mich hinab fiel und mich regelrecht unter sich vergrub. Hustend, keuchend und sämtliche Verkettungen von Umständen verfluchend befreite ich mich von dem dreckigen Stoff und warf ihn angewidert in die andere Ecke des Raumes. Schwer atmend starrte ich den dunklen Haufen neben der Tür mit aller Frustration, die mich in diesem Moment durchströmte, an, lenkte meine ganze Wut von Wheeler auf den Vorhang und ballte zitternd die Fäuste. Beherrschung, rief ich mich zur Ordnung, ich musste mich beherrschen. Es war nicht angebracht, den Kopf zu verlieren. Ich musste Haltung bewahren. Nichts war geschehen, es war nie vorgefallen, also gab es keinen Grund, sich damit zu befassen. Was nie vorgefallen war, besaß keinen Wert um sich damit auseinander zu setzen. Ein letztes Mal tief Luft holend warf ich jeden dieser verstörend verwirrenden Gedanken von mir und lenkte meine Aufmerksamkeit schließlich auf mein derzeitiges Äußeres. Die Hose war bis zu den Knien unangenehm feucht, mein Hemd hatte über die Nacht an Eleganz eingebüßt, war verknittert, die meisten Knöpfe hatten sich aus den Löchern gelöst und mit einem Zischen registrierte ich, dass der oberste Knopf gänzlich fehlte. Wheeler. Ich zwang meinen Blick in eine andere Richtung, öffnete den Schrank und griff nach einer gewöhnlichen, dennoch teuren Markenjeans und, wie ich zu meinem Missfallen feststellte, meinem letzten unberührten, sauberen und noch dazu trockenen Oberteil. Alles, was mir sonst noch blieb war der weiße Anzug, welchen ich lediglich aus Gründen der – wie ich zugeben musste – eigenen Eitelkeit mitgenommen hatte. Ich warf mir die Kleidungsstücke über den Arm, und tastete nach einem Handtuch und den dazugehörigen Duschutensilien, bevor ich mich aufrichtete und den Raum in Richtung der Waschräume verließ. Es war eine geradezu lachhafte Fügung der Ereignisse, dass ich während der gesamten letzten Tage kein einziges Mal die Gelegenheit hatte, eine angebrachte Dusche zu nehmen. Wann immer der Gedanke bei mir auf Zustimmung gestoßen wäre, hatten Mitglieder der Dumpfbackenpatrouille wie auf einen unausgesprochenen Befehl hin dafür gesorgt, dass sie nicht mehr nötig war. Entweder sie ertränkten mich regelrecht im Meer und nahmen mir dadurch die Lust, in nächster Zeit auch nur in Kontakt mit Wasser zu kommen oder sie zogen mich zu sich in den Teich und beschlossen, umgeben von Fischen – Ich verzog den Mund und zwang mich, den Gedankengang nicht abzuschließen. Was nicht vorgefallen war, konnte auch die durch Devlin und Taylor hervorgerufene schwache Abneigung gegen zu viel Wasser an einer Stelle nicht bestärken. Während der folgenden Minuten verschwammen jegliche störenden und belastenden Gedanken, während kaltes Wasser über mein Gesicht lief und jegliche Spuren der vergangenen Tage und Ereignisse nicht nur physisch sondern auch psychisch von mir wusch. Als ich das Wasser abstellte hatte ich das befreiende Gefühl, alle schlechten Erinnerungen zusammen mit dem Wasser weggespült zu haben. Ich hob die Hand und fuhr mir durch die Haare. In diesem Moment war ich der festen Überzeugung, endlich den schlimmsten Tiefpunkt hinter mir gehabt zu haben. Von nun an konnte es nur besser werden. oOo Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hatte mich im Bezug auf diese Stufenfahrt bereits mehrfach geirrt, so auch in meiner – wie ich feststellen musste – äußerst dummen und kindischen Annahme. Sie war so beschränkt, dass sie regelrecht von Wheeler hätte stammen können. Es gab eine primitive Regel, die ich außer Acht gelassen hatte, als ich Wheeler heute Morgen aus dem Zimmer geschickt hatte: Fasst du den Köter an, bekommst du automatisch seine Flöhe. Die Flöhe erwiesen sich in diesem Fall natürlich als die Standartversion von Mutos Gefolgsleuten, bestehend aus Muto selbst, Gardner und Taylor, sowie der Erweiterung, Devlin und Bakura. Als weitaus hartnäckiger erwiesen sich jedoch drei von ihnen, namentlich Gardner, Taylor und Devlin. Sie waren ohnehin die Schutzbefohlenen des Köters, sobald er Probleme hatte und zögerten nicht, einer ausgebildeten Elite gleich, dem Problem entgegenzuwirken. Diesen Aspekt in mein Verhalten mit einberechnet, hätte ich am heutigen Morgen wahrscheinlich eine Sekunde mehr verstreichen lassen, bevor ich Wheeler des Zimmers verwiesen hätte, dennoch wäre mein endgültiger Beschluss derselbe gewesen. Nichtsdestotrotz war es überaus lästig. Ich hob die Tasse Kaffee an die Lippen, mir der starren Blicke zu meiner Rechten mehr als bewusst. Ich hätte ihnen keine weitere Beachtung geschenkt, wäre meine Morgenzeitung an diesem Tag nicht zufälligerweise unauffindbar gewesen und hätte die Migräne meine Selbstbeherrschung nicht zusätzlich bis aufs Äußerste strapaziert. Dadurch auf zwei Arten beeinflusst rann mir meine Geduld wie Sand durch die Finger, bis der Moment erreicht war, in dem das letzte Sandkorn meinem Sichtfeld entschwand. Klirrend fand die Tasse ihren ursprünglichen Platz auf der Untertasse und mein Blick richtete sich stechend auf die Auslöser meines Affekts. „Gibt es einen nennenswerten Grund für eure unnötig gebündelte Aufmerksamkeit?“ Tatsächlich erhielt ich nicht mehr als ein gedämpftes, knurriges Miauen als Antwort, wodurch sich in mir der Verdacht manifestierte, dass Mutos Anhängerschaft ausschließlich aus Tieren bestand. Ich hatte bis zu diesem Augenblick angenommen, der Köter sei ein Ausnahmefall, doch das Verhalten meiner Mitschüler bestätigte meine Vermutung. Ein Köter und streunende räudige Katzen. „Bemüht euch nur nicht um eine angemessene Artikulierung.“ „Lass sie in Ruhe, Kaiba!“ In vollkommenem Einklang mit den Worten richtete sich ein weiteres Paar Augen auf mich und sicherte der bereits bestehenden Starr-Front Unterstützung. Ich schenkte Wheeler keine Beachtung und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Muto, der sich meines Erachtens nach auffällig ruhig verhielt. „Hast du mir noch etwas zu sagen, bevor dein Gefolge sich dazu verpflichtet fühlt?“ Ich kannte Muto, ich hatte bereits überlegt, welches Ausmaß seine Ermahnung annehmen würde, hegte ebenso feste Vermutung, wie oft das Wort Schicksal fallen würde und wie lange es dauern würde, bis ich das Interesse an seinen Worten verlor – die Statistik schwankte zwischen fünf und sieben Sekunden – außerdem hatte ich lange darüber nachgedacht, wie er den Zwischenfall der vergangenen Nacht umschreiben würde. Mir war klar gewesen, in dem Moment als Wheeler heute Morgen beim überstürzten Verlassen des Raums die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, dass er zu seinen Freunden flüchten und ihnen alles beichten würde. Es war lächerlich, anzunehmen, der Fehler der letzten Nacht würde totgeschwiegen, wie ich es anstrebte und noch immer zu tun bereit war, darum galt es, sich rasch damit abzufinden, dass ich mich in Kürze mit den Konsequenzen konfrontiert sehen müsste. Bis jetzt hatte ich ausreichend Zeit gehabt, um mir die möglichen Folgen meiner Unachtsamkeit bewusst zu machen und war – ganz gleich, wie verschieden die einzelnen Abläufe waren – letztendlich immer zu demselben Resultat gekommen: Der Ruin meiner Firma, sollten Muto und seine Gefolgschaft sich nicht im Mindesten als bestechlich erweisen. Es war letztendlich eine sehr simple Abfolge von Ereignissen, unabhängig davon in welcher Reihenfolge sie stattfanden, doch sie enthielten dieselben Komponenten: Schädigung meines Images, Verlust der Autorität, sinkende Einnahmen meiner Firma, Wertverlust der Aktien, Bankrott. Hinzu kamen die unvermeidlichen Folgen, sollte ich meinen Einfluss und mein Ansehen verlieren - ich wäre nicht mehr in der Lage, Mokuba ein angemessener Vormund zu sein, geschweige denn meinen Status zu erhalten, von der Schädigung meines Stolzes und meiner Würde ganz zu schweigen. Ich hatte diese Gefahren bereits genauestens bedacht und war bereit, ein sehenswertes Schweigegeld zu zahlen, jedoch nur im äußersten der Fälle und keinesfalls, bevor ich mir nicht zweifellos sicher war, dass Wheeler und seine penetranten Freunde eine tatsächliche Bedrohung darstellten. Ich würde niemals voreilig handeln und ich würde vor allen Dingen nicht ohne zu überlegen die Dumpfbackenpatrouille begünstigen, indem ich ihnen leichtes Geld darbot. Viele Menschen verloren im Angesicht hoher Zahlen jegliche Rationalität, geschweige denn ihre Zurechnungsfähigkeit und ich zählte jeden von ihnen zu diesem Typ Mensch – die einzige mögliche Ausnahme boten vielleicht Bakura, da ich ihn nicht einzuschätzen vermochte, und Devlin, welcher selbst genug Geld besaß und zweifelsfrei noch einen (zugegeben kümmerlichen) Rest seines Verstandes behalten hatte. Ich löste mich von meinen Gedankengängen, welche ich bereits mehrfach durchlaufen hatte und konzentrierte mich stattdessen wieder auf Muto, dessen Predigt sich verzögerte. Er sah mich lediglich an, machte nicht einmal Anstalten, etwas zu sagen. Diese Tatsache beunruhigte mich mehr, als seine Worte es je hätten tun können. Muto schwieg nicht ohne Grund, er nutzte für gewöhnlich jede Möglichkeit, eine geschwollene Rede oder zumindest Anekdote über Voraussicht, Ethik oder Schicksal zum Besten zu geben, in gleichem Maße, in dem Gardner bei der Nennung eines Wortes, welches mit dem Buchstaben F begann, umgehend über Freundschaft zu philosophieren pflegte. Es war kein Zufall, dass Muto schwieg, genauso wie es kein Zufall war, dass er mich aus schmalen Augen ernst musterte, bevor er den Blick abwandte und sein Frühstück fortsetzte. Er ignorierte mich. Er ignorierte mich! Diese Unverschämtheit brachte mich an den Rand meiner Beherrschung. Ich hob eine Hand und machte eine abfällige Bewegung. „Wie ich sehe, hast du bereits eingesehen, dass es nichts bringt.“ Meine Mundwinkel zuckten kaum merklich. „Ganz im Gegensatz zur jämmerlichen Leibgarde des Köters.“ Ich warf Gardner, welche ohne Zweifel den Kopf jener Garde darstellte, einen verächtlichen Blick zu. „Müsst ihr eigentlich bei jedem kleinen Malheur für Wheeler in die Bresche springen? Ist der Möchtegern-Meisterduellant nicht in der Lage, ohne euch auszukommen?“ „Hast du dir eigentlich schon mal beim Reden zugehört, Kaiba?“, entgegnete Gardner und verschränkte die Arme. Ich schenkte ihr ein herablassendes Lächeln. „Mehrfach – und ich bin jedes Mal aufs Neue von meiner unvergleichlichen Ausstrahlung und Unfehlbarkeit angetan.“ Devlin verzog das Gesicht. „Was für eine Arroganz. In diesem Raum ist kein Platz für dich und dein Ego.“ Ich fixierte ihn stechend. „Und es ist genauso wenig Platz für unangebrachte Kommentare wie diesen. Devlin, an deiner Stelle würde ich meinen Kontostand ein letztes Mal überprüfen, er könnte sich in den nächsten Minuten drastisch verringern.“ Mit Genugtuung registrierte ich die zunehmende Blässe in seinem Gesicht. „Alles leere Drohungen, Kaiba.“ Wheeler hatte wieder gesprochen und richtete somit meine Aufmerksamkeit auf ihn. Er begegnete meinem Blick ohne die geringste Spur von Unsicherheit, keine Anzeichen deuteten darauf hin, dass er vor wenigen Stunden noch vom Schlaf gezeichnet halb aufrecht in meinem Bett gesessen hatte und – „Sie sind nicht halb so leer, wie der Inhalt dieser nichtexistenten und dennoch bereits Minuten andauernden Konversation, Wheeler“, entgegnete ich und gebot den störenden Gedanken dadurch vorläufig Einhalt. Abwinkend biss er in sein Brötchen und mein Blick verfinsterte sich angesichts dieser Dreistigkeit. Er kaute sekundenlang, schluckte dann und fuhr fort: „Wenn dieses Gespräch dich so nervt, Kaiba, dann beenden wir es eben hier und jetzt.“ Er aß weiter und ich wartete auf weitere Worte, doch Wheeler war offensichtlich der Annahme unterlegen, das Gespräch sei tatsächlich beendet und schenkte mir keine Beachtung mehr. Sein Verhalten irritierte mich. Mehr als das, es störte mich. Warum gab er sich, als sei nichts geschehen? Ich hatte bei Wheeler – gerade bei ihm – mit vielen Reaktionen gerechnet, allen voran ein herausragender Wutausbruch, doch Gleichgültigkeit war etwas, das ich nicht in meine Berechnungen miteinbezogen hatte. Gleichgültigkeit passte nicht zu Wheeler, sie war ein Charakterzug von mir, aber an Wheeler hatte sie dieselbe Wirkung, als würde ich ohne Vorwarnung Taylors schlechten Kleidergeschmack aufgreifen, Mutos Worten Gehör schenken, Devlin ernst nehmen oder wohlmöglich mit Gardner über den tieferen Sinn der Freundschaft zu fachsimpeln. Es war falsch, so falsch, wie ... Wheeler. Und in diesem Moment erkannte ich, dass ich nicht der einzige war, der sich verstellen konnte. Dass selbst Wheeler, dass selbst er bereit und dazu in der Lage war, zu heucheln. Denn ob Gleichgültigkeit, Freude oder fehlinterpretierte Überzeugung, sobald man spürte, dass man es nur tat, um sich vor der unschönen Realität zu flüchten – mochte man noch so rational sein – war es nicht mehr als Heuchelei. Es war das erste Mal, dass ich eine Gemeinsamkeit, eine Parallele, bei Wheeler und mir fand: Wir waren beide Heuchler. Jeder auf seine ganz eigene Art. Wie pathetisch - mir wurde schlecht. oOo Ich musste zugeben, es erleichterte mich, dass die Fahrt sich ihrem Ende neigte. Wenn ich bedachte, durch welche Erniedrigungen ich hatte gehen müssen, welche Schläge ich hatte einstecken und erdulden müssen und wozu dies alles mich letztendlich gebracht hatte, so war der absolute Tiefpunkt unlängst überschritten und die Kurve auf dem Graphen mit der Beschriftung Stufenfahrt machte einen nicht zu bestreitenden Bogen nach oben. Je weiter der Morgen voranschritt, desto zuversichtlicher wurde ich, doch die Kurve sackte unvermittelt ab, als Aoyagi-sensei Wheeler und mich um 11 Uhr 47 und 23 Sekunden zu sich rufen ließ. Es war keine Überraschung, statistisch gesehen hatte die Wahrscheinlichkeit, dass es so kam, verhältnismäßig weit oben gelegen, dennoch störte es mich. Der Aufenthaltsraum war verlassen, viele der Schüler waren auf ihre Zimmer zurückgekehrt, um den Schlaf der vergangenen Nacht nachzuholen oder streiften über das Herbergsgelände und rauchten – sich vor den wachsamen Augen der Aufsichtspersonen duckend. Doch sie hatten nichts zu befürchten, Aoyagi-sensei saß vor uns auf einem der Stühle, Wheeler und mich streng musternd. „Ich verlange eine Erklärung.“ Weiter hinten im Raum saß Kaidou-sensei in einem der Sessel, vertieft in Sportteil der Zeitung – war das meine Zeitung?! – und schenke uns keine Beachtung. „Seto-kun, ich rede auch mit dir.“ Es kostete mich Überwindung, die Pädagogin direkt anzusehen, viel mehr beschäftigte mich die Frage, ob der Sport und Mathelehrer meiner Schule tatsächlich gemütlich in einem Ohrensessel saß und meine Morgenzeitung las. „Nicht alleine“, ergriff Aoyagi-sensei das Wort und erhob sich, „dass ihr gestern während der Nachtwanderung spurlos verschwindet und nicht wie eure Mitschüler zum vereinbarten Zeitpunkt hier erscheint, um euren Aufgabenzettel abzugeben.“ Mittlerweile lief sie vor uns auf und ab. „Nein, als wäre das nicht genug, berichtet mir der Herbergsleiter heute Morgen vollkommen außer sich, dass eine dreckige Wasserspur durch die halbe Herberge führt und schließlich vor eurem Zimmer endet.“ Sie blieb stehen und betrachtete uns anklagend. „Was in drei Teufelsnahmen habt ihr letzte Nacht getan?“ Diese Frage stellte ich mir seit Stunden und war noch zu keiner befriedigenden Antwort gekommen, wie konnte diese Frau also annehmen, ich würde auch nur im Mindesten eine Erwiderung zustande bringen? „Ich bin in den Teich gefallen.“ Nun, wo ich zögerte, schien Wheeler keine Hemmungen zu haben, die Wahrheit – in verkürzter und zweifellos zensierter Form - zum Besten zu bringen. Mir wurde ganz anders, als meine Gedanken reflexartig zu dem genannten Zeitpunkt in der vergangenen Nacht zurückkehrten. „Ich wollte mir die Kois näher ansehen und bin ausgerutscht. Kaiba meinte, es wäre unklug mit nasser Kleidung weiter zu suchen, darum sind wir zurückgegangen.“ Er lächelte sie entschuldigend an. „Und das Treffen nach der Nachtwanderung haben wir komplett verpennt.“ Ich verspürte ein unangenehmes Kratzen in meinem Hals, als ich daran dachte, welche Aktivität und das Treffen hatte vergessen lassen. Ich schüttelte den Kopf und verzog die Lippen. Es wurde Zeit, sich von diesen störenden und zunehmend penetranten Gedanken zu lösen. „Stimmst du Joey nicht zu, Seto-kun?“, fragte Aoyagi-sensei, die mein Kopfschütteln missinterpretierte. „Doch, ich kann es nur noch nicht fassen, dass ich durch Wheelers Unfähigkeit ebenfalls ganz nass geworden bin“, log ich und erlag beinahe dem Drang, mir auf die Zunge zu beißen, als mir bewusst wurde, welche Worte ich von mir gegeben hatte. Ich spürte, dass Wheeler mich von der Seite anstarrte und mied es, ihn anzusehen. Es war sogar schon so weit gekommen, dass ich seinem Blick auswich. (Die Kurve des Graphen fiel soeben steil ab.) „Ich verstehe.“ Aoyagi-senseis Gesichtszüge entspannten sich und sie ließ sich auf einen der Stühle sinken. „Offen gesagt, bin ich erleichtert, dass der Grund für euer Fehlen derart trivial ist. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, immerhin sind Kaido-san und ich die Aufsichtspersonen und darum für jeden der Schüler verantwortlich.“ Diese Frau war tatsächlich im falschen Jahrgang. Sie verwechselte uns mit Grundschülern. „Trotzdem“, fuhr sie fort und richtete somit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, „kann ich euer Verhalten nicht gutheißen. Offen gesagt war es für euer Alter verantwortungslos.“ Ich musste meine Meinung revidieren, wenn es um Fehler ging, wusste sie eindeutig, in welchem Jahrgang sie sich befand. „Ich habe bereits mit dem Herbergsleiter gesprochen. Ihr werdet den Flur wischen, damit wäre alles Weitere geklärt.“ Wenn sie es sagte. „Ihr könnt gehen. Die Putzutensilien findet ihr in dem Besenschrank auf eurem Flur.“ Und wieder eine Information mehr, die ich unter normalen Umständen nicht in Geringsten zu wissen gewollt hätte. Diese Frau hatte es drauf, das musste man ihr lassen. Die Tür des Raumes schloss sich hinter uns. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, auf Wheeler zu warten und ging. Sollte er den Boden wischen, ich würde mich niemals dazu herablassen, etwas derart Erniedrigendes zu tun. Ich hatte bereits jegliche Grenze überschritten, als ich gestern den Flur gefegt hatte, ich würde mir unter keinen Umständen die Krone aller Lächerlichkeiten aufsetzen wollen. Niemals. „Kaiba.“ Wheeler griff nach meinem Arm und zog mich unsanft zurück. Ich stolperte, riss mich los und wirbelte zu ihm herum. „Bist du von allen guten Geistern verlassen, Wheeler?“, fuhr ich ihn an und spuckte seinen Namen aus, als wäre er etwas Schändliches. Zugegeben, der Konjunktiv erscheint weniger überzeugend, Wheeler war etwas Abscheuliches. „Stell dich nicht so an“, erwiderte er gereizt und verschränkte die Arme. An ihm wirkte es mehr lächerlich, denn selbstbewusst. „Und hör auf, dieses Gesicht zu ziehen. Man könnte meinen, du hättest etwas verschluckt!“ Ich konnte es nicht fassen, Wheeler war absolut dreist! Dieser infantile, kleine – „Erklär mir lieber, was in dich gefahren ist. Sag mal, hast du sie eigentlich noch alle?!“ Er ließ die Arme sinken – offenbar hatte er bemerkt, dass seine Pose nicht die geringste Wirkung auf mich hatte – und machte einen Schritt auf mich zu. „Dass du mich beleidigst kenne ich ja, aber dass du dich den ganzen Tag so verhältst, als hätte ich –“ Ich ließ ihm keine Chance, den Satz zu beenden, packte ihn fest am Kragen und zog ihn ruckartig nach vorne. „Noch ein Wort, und schwöre dir, Wheeler, du wirst dir wünschen, es nie ausgesprochen zu haben.“ Ein freundloses Lachen prallte von den Wänden des Flures ab. Mein Griff um Wheelers Hemd festigte sich merklich, meine Knöchel traten bereits weiß hervor. „Was soll ich aussprechen Kaiba? Was gibt es auszusprechen?“ Einen Moment lang war ich irritiert, doch ein Blick in sein Gesicht zeigte mir, dass er die Worte absolut ernst meinte. Mein Griff lockerte sich unvermittelt und ich stieß Wheeler von mir, als hätte ich mich an ihm verbrannt. „Zeitverschwendung“, murmelte ich abwesend und wandte mich ab. „Ich rate dir Wheeler, bleib mir fern.“ Ich sah ihn nicht an. „Es würde dir nur unnötig Probleme bereiten.“ „Deine Drohungen waren schon besser.“ Wieder fasste Wheeler mich an. Dieses Mal lag seine Hand schwer auf meiner Schulter. Den Bruchteil einer Sekunde lang hatte ich das befremdliche Gefühl, diese Situation schon einmal irgendwo anders erlebt zu haben, doch genauso schnell war diese Empfindung wieder verschwunden, als wäre es nie da gewesen. Wheelers Hand blieb. „Schon vergessen Kaiba? Wir sollten einen Flur wischen.“ „Falsch, du solltest einen Flur wischen.“ Er sollte nicht davon sprechen. Dadurch weckte er nur zum wiederholten Mal an diesem Tag unliebsame Erinnerungen. Ohnehin war alles seine Schuld, also würde er den Flur wischen müssen. Alleine. Ohne mich. „Das werden wir sehen“, sagte Wheeler und zog mich hinter sich her. Ich hatte kaum Zeit zu reagieren, geschweige denn, mich von ihm zu lösen – so schien es mir – da hielt ich bereits ein undefinierbares Objekt in Händen, welches einem Besen glich, jedoch aussah, als hätte es Bakuras misshandelten Haarschopf am Stielende. „Das ist ein Mob“, informierte Wheeler mich mit fachmännischer Miene und wich einem Moment später dem Mob aus, den ich ohne zu zögern nach ihm geworfen hatte. Er prallte gegen die Wand und rollte einige Meter über den Boden, bevor er reglos liegen blieb. „Nein“, korrigierte Wheeler und fuhr sich durch die zerzausten Haare, „dafür ist er definitiv nicht gedacht. Es ist erschrecken, in welchen Bereichen des Lebens du Wissenslücken vorzuweisen hast, Kaiba. Und ich dachte, du wärst allwissend.“ „Im Gegensatz zu dir, unterscheide ich wichtiges von unwichtigem Wissen, Wheeler“, bemerkte ich abfällig. „Und das Wissen um einen Mob und seine Verwendung mag bei dir der wichtigen Kategorie zugeordnet zu sein, ich jedoch mache mir nicht einmal die Mühe, mich darüber zu informieren, geschweige denn mir diese Informationen zu merken.“ „Puh, ein ganz schon verschachtelter Satz, für die einfache Aussage Ich hab keine Ahnung vom Putzen.“ „Wheeler ...“ „Welcher normale Mensch – welcher Mensch überhaupt – hat keinen blassen Schimmer, was ein Mob ist? Ich meine, du wüsstest nicht einmal, wie man fegt, wenn ich es dir nicht gezeigt hätte! Wie krank ist das denn?!“ „Du übertreibst wieder maßlos.“ „Sei still und nimm den Mob.“ Bevor ich protestieren konnte, hielt ich das Ungetüm wieder in Händen. Wheeler selbst besaß eine weiteren Mob, der mich beunruhigender weise entfernt an den Fanatiker Marik erinnerte. Rasch schüttelte ich den Kopf und vertrieb diesen störenden Gedanken. Wenigstens konnte ich mir jetzt ungefähr vorstellen, warum die Bezeichnung Mobbing eine derart schlechte Assoziation hervorrief. Halt, das war zu weit hergeholt, selbst für meine Verhältnisse. „Also Kaiba, Putzlektion Nummer zwei: Wie man mit einem Mob umgeht. Siehst du diese Eimer hier? Ja, man nennt es Eimer.“ „Ich weiß, was ein –“ „Du tauchst den Mob in einen der Eimer, wartest einige Sekunden, dann holst du ihn wieder raus, wringst ihn aus und –“ Ich ließ den Mob augenblicklich fallen. Wheeler hielt irritiert inne. „Was ist denn jetzt los?“ Ich wischte mir angewidert die Hände an der Hose ab (jedoch nur, weil Wheeler nicht in meiner unmittelbaren Nähe stand, sonst hätte er dafür hinhalten müssen). „Willst du mir sagen, dass man den Boden wischt, anschließend den Dreck im Eimer ausspült, mit den Händen diese verschmutzte Flüssigkeit aus dem Mob wringt und ihn daraufhin mit vom Dreckwasser nassen Händen wieder anfasst?!“ „Du hast eine destruktive Art, das auszudrücken.“ „Nein, du hast eine euphemistische Art, das Putzen zu etwas annähernd Sauberem zu machen.“ „Kannst du mal aufhören, mit Fremdworten um dich zu schmeißen? Du kannst auch normal reden und jeder wird dich verstehen.“ „Ich kann nicht fassen, dass ich so weit gekommen bin, dieses ... Ding überhaupt anzufassen!“ „Nur weil du zu verwöhnt bist, und nicht weißt, was putzen für eine Bedeutung hat, musst du dich jetzt nicht anstellen, wie eine Prinzessin, elender Pinkel.“ Wheeler versenkte den Mob mit einem wütenden Ruck im Eimer. Anschließend zog er ihn zurück und knallte ihn mit einem nassen Platschen auf den Flurboden. „Du hast vergessen, ihn auszuwringen“, bemerkte ich sachlich. „Ach, jetzt fang du noch an, mich zu kritisieren!“, entgegnete Wheeler und schleuderte den Mob regelrecht in schwungvollen Bewegungen über den Boden, bevor er ihn wieder in den Eimer donnerte, und den Vorgang wiederholte. Ich beobachtete ihn stumm dabei, sah zu, wie die schmutzigen Fußabdrücke nach und nach vom Boden verschwanden. „Willst du da den ganzen Tag stehen oder hilfst du mir gefälligst mal?!“, fuhr Wheeler mich ungehalten an. Ich musterte ihn herablassend. „Wieso denn? Du machst das ganz wunderbar. Ich würde beinahe so weit gehen und behaupten, du hast Talent, Wheeler. Scheint, als gäbe es doch etwas, wozu du zu gebrauchen bist. Wenn du die Schule hinter dir hast, solltest du in Betracht ziehen –“ Ich wusste, dass Wheeler die Beherrschung verloren hatte, als der nasse Putzlappen mich frontal im Gesicht traf. Ich stolperte vor Überraschung einige Schritte nach hinten, riss mir den Lappen vom Gesicht und schnappte hustend nach Luft. „Was zum -?! Wheeler!“, grollte ich und meine Haltung versteifte sich. Er schien nicht minder aufgebracht, hatte den Mob achtlos beiseite geworfen, dabei den Eimer umgeschmissen, dessen Inhalt sich nun langsam vor ihm verbreitete, seine Schuhe durchnässte. „Ich hab es satt!“, fluchte Wheeler und starrte mich wutentbrannt an. „Ich habe es so verdammt satt, Kaiba! Ich habe es verdammt noch mal versucht. Ich hab mich gleichgültig gegeben, hab dann versucht, so zu sein wie immer, ich war verflucht noch mal widerlich nett zu dir! Was willst du denn?!“ Er holte aus und trat nach dem Eimer, der gegen die Wand schlug und scheppernd von ihr abprallte. „Ich hab es so leid! Kannst du nicht zur Abwechslung wenigstens so tun, als ginge das alles dich etwas an?! Herrgott Kaiba, du kannst es nicht totschweigen! Wir sind hier nicht in irgendeinem Film, das hier ist das wahre Leben, da geht das alles nicht so einfach!“ Er bückte sich, griff nach einem weiteren, von Putzmittel und Wasser getränkte Lappen und warf ihn nach mir. Ich wich ihm aus und er traf mich am Arm. „Also hör auf, so abartig unbeteiligt zu sein!“ Ein weiterer Lappen traf mich an der Schulter, Wheeler schien absolut außer sich. „Steh da nicht so rum, du Mistkerl! Ich hab dein Gehabe so satt, als ob du der einzige wärst, der Fragen hat, der verwirrt ist oder was weiß ich?! Also hör gefälligst auf, dich –“ Er verstummte, als ihn derselbe Lappen, den er vor wenigen Sekunden geworfen hatte, an der Wange traf und mit einem nassen Klatschen in die Pfütze zu seinen Füßen fiel. Ich holte bereits zum nächsten Wurf aus. „Unbeteiligt?!“, echote ich und warf mit aller Kraft nach Wheeler. Er war nicht schnell genug, und der Lappen traf ihn an der Brust. „Du nennst mich unbeteiligt? Was sollte ich denn deiner Meinung nach sonst sein, Wheeler?! Nenne mir eine angebrachte Reaktion in anbetracht dessen“ – ich wich gerade noch rechtzeitig einem mit Wasser voll gesogenen Schwamm aus – „was passiert ist. Du hast doch nicht den blassesten Hauch einer Ahnung, was das für Konsequenzen haben kann. Und was ist falsch daran, etwas totzuschweigen, das niemals hätte passieren dürfen?!“ „Denkst du, ich bin glücklich?!“ „Woher soll ich das wissen? Und überhaupt, was kümmert es mich?! Ich bin es nicht!“ „Das ist ja nichts Neues! Offen gesagt, habe ich auch nie damit gerechnet! Du hast doch immer etwas zu beklagen! Ich hab die Nase voll von dir, Kaiba. Wenn es nach mir ginge, könntest du dich einfach in Luft auflösen, dann hätte ich ein Problem weniger!“ „Mir geht es genauso Wheeler. Wenn es dich nicht gäbe, wäre ich in den vergangenen Tagen überhaupt nicht erst von einer Misere in die nächste geraten!“ Ich redete mich in Rage, ich vergaß meine Selbstbeherrschung, hatte sie in dem Moment verloren, als der Lappen von Wheeler mich zum ersten Mal getroffen hatte und sprach nun aus, was mir durch den Kopf ging. Meine letzten Worte hatten eine ungemeine Wirkung auf Wheeler, denn er packte den wie durch ein Wunder noch stehenden halbvollen Eimer neben sich und schleuderte seinen Inhalt in meine Richtung. Eine Woge kalten, schaumigen Wassers traf meinen Oberkörper, durchnässte meine Haare, meine Kleidung und lief an mir hinab. Es wirkte auf mich wie ein Schlag und holte mich augenblicklich in die Realität zurück. Wheeler ließ den Eimer fallen und starrte mich unbewegt an. „Ohne mich, würdest du überhaupt nicht mehr leben“, sagte er und wirkte dabei seltsam steif auf mich. Er rührte sich nicht, starrte mich weiterhin unbewegt an und ich tat nichts weiter, als den Blick zu erwidern, mir langsam darüber bewusst werden, dass Wheeler mich mit dem Inhalt eines Putzeimers überschüttet hatte, dass ich komplett durchnässt war, dass einige Türen der angrenzenden Zimmer geöffnet waren und mindestens ein dutzend Augenpaare auf uns gerichtet waren. Ich hob eine Hand und strich mir die nassen, tropfenden Haare aus dem Gesicht, bevor ich einen Schritt auf Wheeler zumachte, einen Moment vor ihm stehen blieb. „Wisch das auf“, sagte ich leise, dann ging ich an ihm vorbei. Kurz bevor ich in unserem Zimmer verschwand, traf mein Blick auf den Mutos, der an seinem Türahmen lehnte, dann fiel die Tür von Wheelers und meinem Zimmer unnatürlich laut hinter mir zu. Auf dem Flur herrschte eine gespenstische Stille. Sekunden verstrichen, dann hörte ich, gedämpft durch das Holz, Devlin und Taylor auf Wheeler einreden. Sie bestürmten ihn mit Fragen doch er wich ihnen aus. Man hörte die metallenen Geräusche der Eimer, doch nahm ich sie kaum wahr. Ich lehnte schwer atmend an der Tür, dann ließ ich mich langsam und mit einem besonders lang gezogenen Ausatmen an ihr hinabsinken. Wasser tropfte von den Spitzen meiner Haare, bildete kleine nasse Flecken auf dem billigen Boden, auf dem ich saß, meine Kleidung klebte mir am Körper. Noch immer hörte ich Wheelers Worte, es war, als hätten sie sich in mein Gedächtnis gebrannt, Wort für Wort. Schmerzhaft. Real. Ich hörte Wheeler lachen, draußen vor der Tür, hörte reges Gemurmel, unterbrochen von Mutos nervig freundlicher Stimme. Wheelers Lachen klang befremdlich. Es war, als hätten seine Worte mich von einer Illusion befreit. Eine Illusion, die ich lieber behalten hätte. Ich hatte bereits heute Morgen bemerkt, dass sein Verhalten gekünstelt war, doch dass es ihn derart mitnahm, dass es ihn dazu brachte, sich vor mir derart zu vergessen, hatte etwas in mir getroffen. Wheeler, dieser elende, unfähige Nichtsnutz von einem Idioten. Wenn er doch nur etwas mehr Selbstbeherrschung besessen hätte. Wenn ich mich bloß zusammengerissen hätte. Jetzt hatte ich es gesehen, erlebte es noch immer und war unfähig das zu vergessen, was Wheeler mir durch seine Reaktion, ohne es tatsächlich zu wollen, bewusst gemacht hatte. Heuchler, wo man sah. Und ich war der Größte unter ihnen. ~*~*~ Save your sympathy Who do you think you're fooling? Everything is dead! Now you welcome me, To a town called hypocrisy! ~*~*~ (A Town Called Hypocrisy by Lostprophets) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)