A Trip to Hell von mystique (Die Leiden des Seto Kaiba ∼ KaibaxWheeler ∼) ================================================================================ Kapitel 2: Tag 2: Stadtbesuche - alles andere als harmlos --------------------------------------------------------- Tag 2: Stadtbesuche - alles andere als harmlos Draußen schien die Sonne. Einige Vögel zwitscherten. Der Himmel war blau. Es war Samstag. Und Wheeler war so gut wie tot! Mit vor Missbilligung verzogenem Mund betrachtete ich die, sich leicht bläulich verfärbende Stelle auf meiner Stirn im Spiegel das Waschraumes. Waschraum! Ich schnaubte. Was hatte ich erwartet? Das es in diesem Verschlag Badezimmer gab? Wohl kaum. Hätte ich das gewusst, hätte ich dafür gesorgt, dass die Kaiba Corporation die Schule in dieser Hinsicht finanziell unterstützt. Doch leider hatte ich in den Stunden, in denen es um die Zielortsbestimmung ging natürlich gefehlt. Typisch. Ich warf einen letzten Blick auf mein Spiegelbild, welches mir mürrisch entgegenblickte, strich mir meinen Pony so, dass er direkt über die geschundene Stelle fiel, wobei ich in Kauf nehmen musste, dass er heute nicht so perfekt aussah, wie sonst auch immer, drehte mich um und verließ den Waschraum. Es war Samstag, ich hatte Urlaub und wo befand ich mich? In einer schäbigen Herberge, am Rande von Ôsaka, mit der Dumpfbackenpatrouille schlechthin. „Morgen Kaiba, du siehst aber reichlich mitgenommen aus“, schlug es mir prompt entgegen, als ich den Speisesaal betrat. Obwohl man dieses Zimmerchen schlecht ‚Saal’ nennen konnte. Ich starrte Taylor durchdringend an und sandte ihm meinen gefährlichsten Blick, woraufhin er erblasste und rasch den Blick senkte. Schönen Dank auch Taylor, das hatte ich gebraucht. Ich ließ meinen Blick über das Buffet gleiten und verzog angesichts des spärlichen Angebotes den Mund. Na großartig. Ich griff nach einem Teller und nahm mir einige kümmerliche Krümel des Frühstücks. Er sah noch genauso leer aus, wie vorher. Ich füllte mir eine Tasse mit Kaffe, hoffte darauf, dass wenigstens dieser richtig zubereitet war und drehte mich, nach einem geeigneten Platz suchend. Muto und die anderen hatten einen Tisch für sich beansprucht und ich registrierte, dass ein Platz frei war. Wheeler hatte sich anscheinend noch nicht die Mühe gemacht, aufzustehen. Auch als ich das Zimmer verlassen hatte, welches ich zwangsläufig mit dem Köter teilen musste, hatte er auch noch mit einer unmöglichen Lautstärke geschnarcht. Ich hätte ihn mit meinem Kissen ersticken sollen ... Ich steuerte zielsicher auf den einzigen noch freien Tisch zu und ließ mich daran nieder. Ich starrte auf mein Frühstück hinab. Etwas fehlte. Meine Morgenzeitung. Ich knurrte. Spätestens ab morgen würde ich dafür sorgen, dass ich meine Zeitung bekam, das schwor ich mir. Missgestimmt begann ich zu frühstücken. „ESSEN!“ Alle Anwesenden, abgesehen von mir zuckten zusammen und ausnahmslos alle Köpfe ruckten in Richtung Tür, die zum Speisesaal führte. Dort stand ein keuchender, zerzauster Wheeler, der einen seltsamen Ausdruck in den Augen hatte und eine Hand in den Rahmen der Tür krallte. Gott, wie konnte ein einzelner Mensch nur derart versessen auf einen Lebensnotwenigen Vorgang sein? Ohne ihn weiter zu beachten, leerte ich meinen Teller, das Klirren, welches vom Buffet aus zu mir hinüber klang zeigte mir, dass Wheeler sich bereits bediente und somit jeder, der nun noch etwas würde essen wollen, seine Chance vertan hatte. Ich wischte mir mit der Serviette über den Mund, legte sie neben den Teller und nahem meinen letzten Schluck Kaffe. Anschließend stellte ich die Tasse auf den Tisch. Stapfende Schritte verrieten, dass der Köter offenbar gewählt hatte und nun sein allmorgendliches Ritual beginnen würde. Voll beladen kam er an meinem Tisch vorbei und ich warf ihm einen abwertenden Blick zu. „Pass auf Köter, wenn du zu viel frisst, wirst du zu fett und kannst nicht mehr aufrecht stehen“, bemerkte ich kühl. Er blieb direkt neben mir stehen und sah auf mich hinab. In seiner linken Hand balancierte er mehrere Teller und in der rechten hielt er sein Besteck. Er musterte mich eindringlich, dann grinste er und hob die Hand mit dem Besteck. „Aber, aber, Kaiba. Was ist denn das da auf deiner Stirn?“, er tippte mit seinem Zeigefinger gegen die bläulich verfärbte Beule und ich sog scharf die Luft ein. Muto und die anderen keuchten überrascht auf. Meine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Was bildete sich dieser dilettantische Schwachkopf eigentlich ein?! Mit einer blitzschnellen Bewegung packte ich ihn am Handgelenk und sah mit Genugtuung, wie der Ausdruck in seinen Augen zum Überraschten wechselte. Ich erhob mich ruckartig, der Stuhl rutschte ein Stück zurück, blieb jedoch stehen, hielt sein Handgelenk weiterhin fest und starrte ihn durchdringend an. „Wage es noch einmal und es wird sicher sehr unangenehm für dich“, zischte ich, ließ ihn los und verließ mit schnellen und bestimmten Schritten den Speisesaal, die Blicke meiner Mitschüler im Nacken. Meine Finger glitten über die Tastatur meines Laptops, meine Augen überflogen die geschriebenen Zeilen. Zufrieden lehnte ich mich auf dem Hocker zurück, las das Ergebnis meiner Arbeit noch einmal durch. Ja, genau das war es, was ich brauchte. Einen ruhigen Ort und meinen Laptop. Die Tür des Zimmers ging quietschend auf und ich verdrehte die Augen, bevor ich den Computer herunterfuhr. „Was ist?“, fragte ich unfreundlich, ohne mich umzudrehen. Auch ohne hinzusehen wusste ich, dass Wheeler in der Tür des Zimmers stand und mich missmutig anstarrte. „Unsere werte Frau Lehrerin lässt nach dir schicken. Wir wollen in die Stadt“, meinte er verdrießlich und ich musste schadenfroh grinsen, als mir auffiel, wie sehr ihm die Rolle als Bote zu missfallen schien. „Aha“, antwortete ich gedehnt, klang betont uninteressiert. „Und das heißt?“ „Kannst du dir das nicht denken?“ Die Ungeduld war seiner Stimme deutlich zu entnehmen. „Nein“, entgegnete ich unschuldig, drehte mich auf dem Hocker um und sah ihn provozierend an. „Was denn?“ Ich hob die Augenbraue. „Verdammt, Kaiba, du sollst einfach mitkommen, kapiert?!“, fuhr er mich an und seine braunen Augen funkelten zornig. Meine Augenbraue schwang noch ein Stück weiter in die Höhe. „Na bitte, warum nicht gleich so, Wheeler?“ „Komm einfach mit, klar?“ „Na, na, nicht unfreundlich werden, Köter“, wies ich ihn tadeln zurecht, verstaute den Laptop in der für ihn vorgesehenen Tasche und erhob mich. Ich griff nach meinem weißen Mantel, den ich über den Stuhl geworfen hatte und zog ihn mir über. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Wheeler mich beobachtete. Skepsis lag in seinem Blick. „Das ist nicht dein Ernst oder? Du willst nicht wirklich mit diesem Ding in die Stadt?“ Ich verschränkte die Arme und sah ihn spöttisch an. „Wheeler, in den vielen Jahren, die wir uns schon kennen, solltest du langsam begriffen haben, dass ich das, was ich tue, immer absolut ernst meine.“ Einige Sekunden sehen wir uns stumm an, dann zuckt er die Achseln, dreht sich um und verlässt den Raum. „Tu was du nicht lassen kannst.“ Ich folge ihm und schließe die Tür hinter mir. „Immer, Wheeler.“ Die Sonne brannte vom Himmel und unsere Klasse hatte nichts Besseres zu tun, als in der Hitze vor sich hin zu brutzeln. Ich ließ meinen Blick über den lustlosen Haufen vor mir wandern und schnaubte verächtlich. Warum tat ich mir das ganze an? Wir waren nun schon seit zwei Stunden in der Stadt unterwegs, hatten uns in kleinere Gruppen aufgeteilt, um private Einkäufe und andere Dinge zu erledigen und nun waren alle am Treffpunkt eingetroffen. Nun würden wir die Sehenswürdigkeiten erkunden. Oh, wie ich mich freute. „So, liebe Schüler, nun sammelt euch bitte etwas, es geht weiter“, ergriff unsere werte Klassenlehrerin das Wort, unterstützt von unserem allseits geliebten Sportlehrer, Kaidou-sensei. Murrend rappelten die Schüler sich auf, bis schließlich alle mehr oder weniger aufrecht standen und warteten, was als nächstes kam. „Gut, und jetzt werden wir uns ein wenig von den Sehenswürdigkeiten ansehen“, verkündete Aoyagi-sensei und sah lächelnd in die Runde. „Was soviel bedeutet, wie, dass wir uns nun den Tsutenkaku-Turm, eines der Wahrzeichen von Ôsaka ansehen.“ Das Murren wurde lauter, schienen die anderen doch nicht im Geringsten Lust darauf zu haben einen, wie sie meinten, ‚dummen Turm anzugaffen’. Ich schüttelte abfällig den Kopf. Wenn es hart auf hart käme, würde ich behaupten, diesen Trupp einfach nicht zu kennen. „Wow, seht mal Leute, wie tief es hier runtergeht.“ Wheelers Ausruf ließ mich geringschätzig den Mund verziehen. Der Junge hatte doch keine Ahnung. Was waren den bitte vierundachtzig Meter? Das Hauptgebäude der Kaiba Corporation erreichte mindestens an die zweihundert Meter. Wheeler war einfach viel zu leicht zu beeindrucken. Doch was erwartete man von einem Köter, der sicher nicht viel mehr von der Welt gesehen hatte, als den Vorgarten seiner zugigen Hundehütte? Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich erwartete wahrlich nicht wesentlich mehr von ihm. „Ich kann von hier aus die Herberge sehen!“ „Sehr schön, Taylor“, lobte ich den Spitzkopf höhnisch, lehnte mich an die Balustrade hinter mir und sah ihn spöttisch an, „und jetzt erzähl und doch noch, dass wir uns hier in Ôsaka befinden, ich denke, das interessiert alle Anwesenden genauso, zumal dies ja eine erschreckende Neuigkeit ist.“ „Kaiba, musst du eigentlich zu allem deinen Senf zugeben?!“, mischte Wheeler sich nun ein, sah mich grimmig an, schien mir am liebsten an die Kehle zu springen. Mein Lächeln wechselte zum Herablassenden. Bevor du das wagst Wheeler, solltest du dir den daraus folgenden Konsequenzen bewusst werden. Ich hob die Augenbrauen und verschränkte die Arme. „Nun, Wheeler, ich gebe solange ‚meinen Senf dazu’, wie du es so konstruktiv ausdrückst, bis ihr endlich den Unterschien zwischen Dingen, die man laut aussprechen kann und Dingen, die kein geistig normaler Mensch hören will, begriffen habt.“ Ich konnte förmlich sehen, wie es hinter Wheelers Stirn zu arbeiten begann, als er versuchte, die Bedeutung meiner Worte zu verstehen und ich schnaubte. „Nur damit du es weißt Wheeler, das war kein Kompliment, bevor du noch auf falsche Gedanken kommst.“ Er stutzte, sah mich einige Sekunden fassungslos an, bevor er knurrte. „Das weiß ich selber, du arroganter Geldsack! Tu nicht so, als seien alle dümmer, als du!“ „Joey, lass dich doch nicht immer provozieren“, wandte Muto rasche in und packte ihn am Saum seiner Jacke, bevor er auf mich zustürzen konnte. Der Köter drehte sich empört zu Muto um. „Lass mich los, Yugi, der Kerl hat uns gerade beleidigt!“ „Ich bin sicher, er meint es nicht so, stimmt’s, Kaiba?“, der Kleine richtete sich nun an mich, ich stieß mich von der Balustrade ab und schritt an dem Trupp Versagern vorbei, ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen. „Was Wheeler angeht, ist es mein voller Ernst.“ Ich konnte hören, wie nun auch Taylor und Devlin eingreifen müssen, um Wheeler zurückzuhalten und es erfüllte mich mit Genugtuung. Gelangweilt stützte ich mich von der Balustrade ab und starrte auf die Stadt hinab. Die Menschen, nur noch unklare Schemen, gingen ihre Wege, schienen genau zu wissen, wo sie hinwollte. Die Autos stauten sich auf den Straßen, dabei war heute noch nicht einmal ein Arbeitstag. Der Wind wehte hier oben besonders stark, riss an meinem weißen Mantel, ließ ihn flattern. Ich kümmerte mich nicht darum, was der Rest der Klasse machte, war es mir doch egal. Wenn es nach mir ginge, könnten sie sich von diesem Aussichtsturm schmeißen, solange sie mich dabei nicht störten. Eine besonders heftige Windbö erfasste den Turm, ließ meine braunen Strähnen in meine Sicht wehen. Ich sah nach unten. Diese Situation kam mir bekannt vor. Ich stand auf dem Dach der Kaiba Corporation. Der Wind heulte um mich herum, ließ meine Haare vor und zurückwiegen. Der Himmel war blau, keine Wolke war zu sehen. „Kaiba.“ Beinahe wäre ich in diesem Moment wirklich zusammengezuckt, schaffte es jedoch, dies zu verhindern, fühlte mich ertappt bei etwas, an das ich nicht hatte denken dürfen. Ich wandte den Kopf und erblickte neben mir Muto, der sich ebenfalls von der Balustrade abstützte und auf die Stadt hinab sah. Was war denn hier los? Muto ganz alleine, ohne störende Anhängerschaft? „Was willst du?“, fragte ich desinteressiert, ließ meinen Blick über die Wolkenkratzer vor uns wandern. „Nichts, was soll ich schon wollen?“, entgegnete er unschuldig. Ich warf ihm einen gelangweilten Blick zu. „Komm schon Muto, warum kommst du wegen ‚Nichts’ zu mir?“ „Kannst du dir das denn nicht denken?“, stellte er die Gegenfrage und sah zu mir hinauf. Eine reichlich bizarre Situation, wenn man uns beide betrachtete. Ich stand hier mit meinem Rivalen in Duel Monsters an der Balustrade des Aussichtsturmes und wir sahen auf Ôsaka hinab. Absonderlich? Für meine Verhältnisse schon, standen wir doch nie einfach nur nebeneinander, ohne uns im nächsten Moment zu duellieren. Doch momentan verspürte ich auch nicht das geringste Bedürfnis, mein Deck zu zücken und ihn herauszufordern, zumal ich nicht einmal wusste, wo sich die nächste Duellarena befand. Meine Duel Disk hatte Mokuba vorsorglich vor der Klassenfahrt verschwinden lassen. Einzig mein Deck hatte ich noch retten können. Doch das brachte mir momentan nicht viel, ohne die Möglichkeit, es auch einsetzen zu können. Womit wir wieder am Anfang wären. Muto und ich nebeneinander und still. Was stimmte an dieser Szenerie nicht? Richtig. Alles. Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. „Muto, wenn du mir nichts zu sagen hast, dann tu mir den Gefallen und lass mich zufrieden.“ „Kaiba, entscheide dich doch einfach mal, was du willst.“ Mit diesen Worten drehte er dich um und ging, ließ mich einfach stehen. Einen Moment lang sah ich ihm beinahe fassungslos hinterher. Aus irgendeinem Grund beschlich mich der Verdacht, dass sich seine Worte nicht auf meine gleichgültigeArt, ihm gegenüber bezogen. Doch auf was dann? Ich war es gewohnt, dass Muto in Rätseln sprach, bekam ich doch von ihm immer wieder Predigten über sein und mein Schicksal zu hören, aber das hier? „Was ich will?“, wiederholte ich leise, hoffte vielleicht, durch das laute Aussprechen dieser Worte ‚Erleuchtung’ zu finden, doch vergebens. Was bildete Muto sich eigentlich ein? Nur weil er mich im Duel Monsters geschlagen hatte, nahm er sich die Frechheit, mir zu unterstellen, dass ich nicht wüsste, was ich will? Tze, ich besaß alles, was ich brauchte. „Guten Flug, Kaiba.“ Einzig ein Grab für Wheeler fehlte mir noch. Doch das ließ sich beschaffen. „Na, wie hat euch der Turm gefallen?“, fragte Aoyagi-sensei und blickte strahlend in die Runde wenig begeisterter Gesichter. Diese Frau war einfach zu jung und zu fröhlich für diesen Beruf. Sie hätte einen anderen Berufszweig wählen sollen. Ohnehin verstand ich nicht, wie man freiwillig Lehrer werden wollte. Den ganzen Tag mit nervigen, minderbemittelten Schülern verbringen wollte. Ich warf einen Blick auf die Uhr vor dem Platz, an dem der Turm in die Höhe ragte. Herrlich, erst zwei Uhr. Wie weit wollte dieser Tag sich eigentlich noch in die Länge ziehen? „Und nun denke ich, habt ihr es verdient, dass wir ein Eis essen gehen.“ Meine Augenbraue schwang in die Höhe. Bitte? Die Frau redete mit uns, als seinen wir Grundschüler, dabei gingen wir in die Oberstufe. Ein Eis? Welcher Idiot würde sich über dieses Angebot freuen? „Eis? Klasse!“ Nun gut, welcher Idiot außer Wheeler, natürlich? „Eis? Ja, super!“ „Abkühlung!“ „Immer her damit.“ „Wo?“ Ich widerrufe. Alle aus dieser Kinderklasse. So kam es, dass ich nun mitsamt meiner Klasse in einem kleinen Eiscafe saß, mich noch immer darüber wunderte, wie um alles in der Welt fünfundzwanzig Schüler in dieses Café passen können, ohne, dass es an Überfüllung zugrunde geht. Ich verfluchte innerlich unsere Lehrerin für diesen grandiosen Einfall, sich ausgerechnet das kleinste von allen Cafes auszusuchen, denn dieser Umstand führte dazu, dass ich mich zusammen mit Muto und seinen Jüngern an einen Tisch in der Ecke zwängen musste, da bereits alle anderen Plätze besetzt waren. Der Tag konnte nur noch besser werden. „Yoku irasshaimashita. Was darf ich ihnen bringen.“ Eine Bedienung war an unseren Tisch getreten und lächelte freundlich. Ich bekam aus den Augenwinkeln mit, wie Taylor und Devlin bei ihrem Anblick Stielaugen bekamen und ihre Münder beinahe aufklappten, bevor sie jeweils einen heftigen Stoß in die Rippen seitens Gardner bekamen, die zwischen ihnen saß. „Reißt euch zusammen Jungs, dass ist ja peinlich. Ich brauche dringend mehr Freundinnen.“ Ich warf einen Blick durch das Café und stellte fest, dass der Besitzer offenbar sein gesamtes Personal losgeschickt hatte, um unsere Klasse zu bedienen, hasteten doch mindestens sechs junge Bedienungen durch den kleinen Laden, verfolgt von den gierigen Blicken der Jungen. Ich wandte den Blick ab. Ich kannte diese Klasse nicht. Ich war nur zufällig hier. „Also“, begann Wheeler, der aufmerksam die Karte studierte, was mich die Augenbraue heben ließ. Der Köter konnte tatsächlich lesen? Aber wahrscheinlich nur im Bezug auf Essen, alles weitere bezweifelte ich stark. Da er allerdings nach dieser Aussage erst einmal schwieg, offenbar zu sehr in die Karte vertieft, veranlasste er Muto und die anderen dazu, selbst schon einmal zu bestellen. Ich wollte mir gerade einen Kaffee bestellen, da schien Wheeler offenbar aus den Tiefen seiner Versenkung zurückzukehren. „Ich hätte gerne einen Erdbeerbecher, einen Bananenbecher, eine Fruchtüberraschung, einen Schokobecher“ - die Bedienung versuchte hastig mitzuschreiben. Meine Augenbraue begann zu zucken. „Wheeler ...“ „Einen Vanille-Kirschbecher, einen Tropicbecher, ein Spaghettieis ...“ „Wheeler.“ „Einen Milchshake und –“ „Das reicht!“, fuhr ich ihm scharf dazwischen und er verstummte. Die Bedienung sah mich verschreckt an. Ich kochte innerlich, versuchte nach außen hin so gefasst wie möglich zu wirken. „Ich möchte einen Kaffee und dem da“, ich machte eine wegwerfende Geste in Richtung Wheeler, „bringen Sie einen Kinderbecher, ja?“ Das Mädchen nickte verschüchtert und eilte davon. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und schloss kurz die Augen. Alleine ein Besuch im Eiscafe mit diesem Haufen raubte einem die Nerven. „Kaiba!“ Ich öffnete die Augen und sah den Köter geringschätzig an. „Was, Wheeler?“, fragte ich teilnahmslos. Er war aufgestanden, stützte sich mit den Armen vom Tisch ab und funkelte mich voller Zorn an. „Was fällt dir ein, einfach über meine Bestellung zu entscheiden?!“ Ich lehnte mich lässig nach vorne und sah schräg zu ihm auf, legte den Kopf leicht schief. „Wheeler, das war schon keine Bestellung mehr, das war eine Massenlieferung“, berichtigte ich ihn sachlich. „Und wenn schon?!“, fauchte er mich über den Tisch hinweg an und beugte sich noch ein Stück weiter vor, sodass unsere Gesichter keine zwanzig Zentimeter mehr trennten. „Das kann dir doch egal sein. Dir ist doch sonst auch alles egal!“ „Mir ist es solange egal, wie es nicht lästig ist“, stellte ich meinen Standpunkt klar und registrierte mit Zufriedenheit, wie sich seine Augen verengten und das Braun eine Spur dunkler wurde. „Ach, und meine Bestellung ist dir also lästig?“, fragte er herausfordernd. Ich erwiderte den Blick gelassen und nickte. „Ja, denn sie hätte die Ankunft meines Kaffees verzögert. Zudem hätte sie dieses Café in den Ruin getrieben.“ „Was kümmert dich das? Solange du deinen Kaffee bekommst ist das doch egal.“ „Wenn dieser Laden hier Konkurs anmeldet, wegen deiner nicht zu stoppenden Fresssucht, ist es nicht egal, weil ich dadurch erstens keinen Kaffe bekomme und zweitens mein Name beschmutzt wird, da du dich zu der Zeit in meiner Gesellschaft befandest.“ „Hä?“ „Versuch besser gar nicht erst, das zu verstehen, Wheeler.“ „Tu nicht so, als wäre ich dumm!“ „Ich brauche gar nicht erst so zu tun Wheeler. Das geht so viel einfacher.“ „Na warte, du –“ „Hier ist Ihre Bestellung.“ Die Bedienung war mit einem vollen Tablett zu uns gekommen und stellte Muto, Gardner, Taylor, Devlin und Bakura ihre bestellten Fruchtbecher auf ihren Platz, bevor sie eine Tasse vor mir abstellte und schließlich ein kleines Schälchen mit Eis vor Wheeler platzierte. Sie verneigte sich eilends. „Lassen Sie es sich schmecken!“ Dann rauschte sie zum nächsten Tisch. Alle Augenpaare an unserem Tisch waren auf Wheelers Eisbecher gerichtet und auch der Köter konnte seinen entgeisterten Blick nicht von der Bestellung nehmen. Ich grinste hämisch. „Tja, Wheeler, sieht ganz so aus, als hätte man hier deine Anlagen erkannt.“ „Halt die Klappe!“, schleuderte der Köter mir prompt entgegen und warf mit dem Schirmchen nach mir, welches knapp neben meinem Kopf vorbei flog und einen unserer Mitschüler am Hinterkopf erwischte, welcher sich verwundert umsah. „Das ist alles diene Schuld, Kaiba!“ Ich sah ihn mit deutlichem Spott an. „Meine Schuld? Was kann ich dafür, wenn sogar die Besitzer dieses Cafés meinen, dir einen Hundebecher geben zu müssen?“ Interessiert musterte Muto Wheelers Eisbecher und auch die anderen konnten ein leichtes Kichern nicht unterdrücken. „Was gibt es da zu lachen?!“, fuhr Wheeler sie an. „Das ist verdammt noch mal nicht zum Lachen! Und was ist das überhaupt?!“ „Erkennst du das denn nicht?“, gluckste Taylor amüsiert und grinste Devlin viel sagend an. „Was soll ich bitte erkennen?!“ „Den Hund, Wheeler, den Hund“, gab ich hämisch zurück. „Das ist Pluto“, erklärte Gardner lächelnd. „Den kennst du doch.“ „Pluto?“, wiederholte Wheeler verständnislos. „Der Hund Pluto. Den gibt es immer bei den Kinderbechern“, meinte Muto belustigt. Ich lehnte mich wieder zurück, sah ihn schadenfroh an. „Sieh an Wheeler, ist doch wie für dich geschaffen. Kinderbecher und Hundenapf in einem.“ Er starrte mich an und ich konnte beobachten, wie sein Gesicht einen immer dunkleren Rot-Ton annahm. Ob dies nun vor Scham oder vor Wut kam war nicht zu sagen, dennoch musste ich zugeben, dass es ihm gut stand. Ein roter Köter war doch mal etwas anderes. Er ballte die Hände, mit denen er sich noch immer von dem Tisch abstützte, zu Fäusten und funkelte mich brennend vor Zorn an. „Na warte, Kaiba, was zuviel ist, ist zuviel!“ Er war kurz davor mich über den Tisch hinweg anzufallen. Doch da er zwischen Muto und Bakura stand, die rechts und links neben ihm saßen, hatte er keine Möglichkeit um den Tisch herum zu mir zu gelange, saß ich ihm doch direkt gegenüber auf einem der Stühle. Da auf dem Tisch die Eisbecher standen und die anderen, sprich Muto und Co., nicht davon ausgingen, dass Wheeler es wirklich darauf ankommen ließ, diese vom Tisch zu fegen, falls er mich doch auf diesem Weg würde anfallen wollen, widmeten sie sich getrost ihren Einbechern. Doch sie hatten nicht mit Wheelers aufbrausendem Temperament gerechnet, das ihn offenbar jeglichen rationalen Denkens beraubt zu haben schien, denn dem Köter schien die Eisbecher egal zu sein, machte er doch Anstalten, tatsächlich über den Tisch hinweg zu mir zu gelangen, dabei wütende Flüche in meine Richtung sendend. Vor Schreck aufjapsend hielten sie ihre Becher fest, doch ich, der ich in der Tat überrumpelt von Wheelers Reaktion war, hatte keine Gelegenheit nach meiner, durch die Erschütterung gefährlich schwankenden Kaffeetasse zu greifen. Wie in Zeitlupe sah ich, wie sich über den Rand des Tisches kippte und ihren Inhalt über mein Bein und meinen weißen Mantel verteilte. Brennende Hitze breitete sich dort aus, wo der Kaffee durch den Stoff meiner Kleidung drang und ich biss mir fest auf die Unterlippe, um nicht vor Schmerz aufzukeuchen. Musste dieser Kaffee denn derart heiß sein? Klirrend fiel die Tasse auf den Boden und zerbrach. Es war unangenehm still in dem Café, alle Anwesenden, sowohl meine Mitschüler, als auch die anderen Gäste hatten sich zu uns umgewandt, einige waren aufgestanden, um zu sehen, warum es so geklirrt hatte. Wheeler war mitten in der Bewegung eingefroren, einen Fuß auf der Bank, auf der er gesessen hatte, im Begriff, über den Tisch zu springen, Muto und der Rest hielten noch immer krampfhaft ihre Eisbecher umklammert, als fürchteten sie, auch diese könnten dem Schicksal meiner Tasse folgen und ich saß bebend auf meinem Stuhl. Ein Tropfen brauner Flüssigkeit löste sich vom Rand des Tisches, wurde durch die Erdanziehungskraft nach unten gezogen und landete leise platschend in der Pfütze aus Kaffee, in der die Scherben der Tasse verstreut lagen. Meine Augen waren starr auf meinen ruinierten Mantel gerichtet, ich versuchte krampfhaft das Brennen und Ziehen in meinem verbrühten Bein zu ignorieren, doch auch ein Seto Kaiba, wie ich es war, erreichte seine Grenzen. Mit einer plötzlichen Bewegung erhob ich mich, mein Bein zog und brannte bei dieser Bewegung noch heftiger, und ich sah Wheeler mit einem mörderischen Blick an. Dann brach die Hölle aus. Fluchend schleuderte ich den Mantel auf den Boden der Kabine. Großartig. Der einzige Mantel, den ich mithatte, gleich am ersten Tag ruiniert. „Kaiba ...“ „Was?!“, fauchte ich durch die geschlossene Tür der Toilettenkabine. Meine Nerven lagen momentan mehr als blank und bei seiner Stimme wurde ich zu einer potentiellen Gefahr für Unschuldige, soviel war derzeit sicher. Ich konnte hören, wie er vor der Kabine unruhig von einem Bein aufs andere Trat. Anscheinend saß ihm mein Ausbruch von eben noch tief in den Knochen. Recht so. Nachdem ich das gesamte Cafe darüber informiert hatte, was für ein infantiler, minderbemittelter, verdammter und geistesarmer Idiot er doch war, hatte Aoyagi-sensei ihn beauftragt, mich zur Toilette zu begleiten und das Problem zu beseitigen. „Die Bedienung hat mir ein nasses Handtuch gegeben, damit du die Verbrennung kühlen kannst.“ Als Antwort kam von mir nur ein missgelauntes Knurren. Dann war es still. Ich stöhnte. „Wheeler, dann gib endlich her, ich stehe hier nicht zum Spaß.“ Hastig bückte er sich und reichte mir das Handtuch unter der Tür hindurch. Ich riss es ihm aus der Hand und setzte mich auf den Deckel der Toilette. Phantastisch. Ich saß hier auf der Toilette eines winzigen Cafés in Ôsaka, mit einem verbrühten Bein, einem dreckigen Mantel und Wheeler vor der Kabine, der unruhig vor ihr auf und ablief, und mit einem nassen Handtuch in der Hand. Nachdem ich mein Bein teilweise aus der Hose befreit und die verbrannte rote Stelle mit einem genervten Blick gemustert hatte, presse ich das Stück Stoff darauf. Der Schmerz ließ nach, wechselte zum Erträglichen und ich schloss die Augen. „Tut es sehr weh?“ Beinahe im selben Augenblick öffnete ich sie wieder und starrte geradezu ungläubig auf die geschlossene Tür der Kabine, welche uns voneinander trennte. Wie war das? Hatte ich mich verhört? „Hast du was gesagt, Wheeler?“, fragte ich zu Sicherheit nach. Ich hörte, wie er stehen blieb und konnte unter der Tür hindurch sehen, dass er nun direkt vor der Kabine stand. „Nein, ich – ach, vergiss es.“ „Liebend gern.“ Ich schloss wieder die Augen, konzentrierte mich auf den allmählich abflauenden Schmerz in meinem Bein. Nu zu gerne würde ich diesen Tag aus meinem Gedächtnis streichen. „Und du bist sicher, dass das geht?“ „Ja doch, Wheeler.“ „Ganz sicher?“ „Hat man dich zu meinem Kindermädchen befördert oder was?“ Daraufhin schwieg er, vergrub die Hände in seinen Hosentaschen und knurrte etwas Unverständliches. Ich richtete meinen Blick auf den Weg vor uns. Den Mantel hatte ich so gut es ging zusammengefaltet und über meinen Arm gelegt und schleppte nun das beschmutzte Kleidungsstück mit Wheeler durch die Stadt, auf der Suche nach einer Reinigung. In einer Großstadt wie Ôsaka musste es doch einfach irgendwo eine Reinigung geben. Nachdem ich mit Wheeler von der Toilette zurückgekehrt was, dabei ein leichtes Humpeln zu unterdrücken versucht hatte, hatte ich Aoyagi-sensei und Kaidou-sensei knapp erklärt, dass ich den dreckigen Mantel unverzüglich in die Reinigung würde bringen wollen. Da ich in meiner ‚derzeitigen Verfassung’, wie sie es so schön ausgedrückt hatten, aber unmöglich alleine würde gehen können, hatten sie kurzerhand Wheeler zu meiner ‚Bewachung’ mitgeschickt, da er schließlich schuld an der ganzen Misere war. Ha, Wheeler als mein Bewacher. Wenn hier jemand auf jemanden aufpassen musste, dann doch wohl ich auf ihn. Hätte ich nicht ein wachsames Auge, hätte er sich hier in der Stadt doch mindestens nach jeder zweiten Ecke verlaufen. Doch ich hatte mir die Straßennamen und Läden gut eingeprägt und würde mit Leichtigkeit den Weg wieder zurückfinden. Ein Seto Kaiba verlief sich schließlich nie. „Äh Kaiba, wo müssen wir jetzt lang?“ „Nerv mich nicht Wheeler, ich weiß schon wo wir lang müssen.“ Ein Seto Kaiba verlief sich nie. „Kaiba, ich glaube an diesem Laden sind wir schon drei Mal vorbeigekommen...“ „Ôsaka ist eine große Stadt, natürlich gibt es da einige Läden mehrmals, Wheeler!“ Niemals. „Kaiba, gibt es in so einer Stadt auch Menschen mehrmals? An diesem Straßenmaler sind wir nämlich schon einmal vorbeigekommen.“ Ich blieb stehen. Meine Schultern bebten und ich musste mich stark beherrschen, um ihn nicht zu erwürgen. Ein Seto Kaiba verlief sich nie, nur in Ôsaka. „Kennen Sie den Weg zur nächsten Reinigung?“, fragte ich eine ältere Dame und sie wich bei meinem schroffen Tonfall leicht vor mir zurück. Eine Hand legte sich auf meine Schulter und ich tat es beinahe der Frau gleich, war kurz davor zusammenzuzucken. Langsam wandte ich den Kopf und drehte mich nach und nach um. Ich blickte in braune Augen, die mich belustigt anfunkelten, sah weiße Zähne, die mir durch ein breites Grinsen entgegenstrahlten. „Entschuldigen Sie bitte seine Unfreundlichkeit“, meinte Wheeler an die Dame gewandt und lächelte sie charmant an. „Er kann seine Launen einfach nicht beherrschen.“ Sie starrte ihn einige Sekunden perplex an, dann lächelte auch sie und nickte verstehend. „Ja, ja, so ist das heutzutage. Sie suchen die Reinigung?“ „Ja.“ „Nun, da muss ich sie enttäuschen. Die Reinigung wenige Straßen weiter hat vor einigen Tagen geschlossen. Wir haben hier in Ôsaka nur noch eine Reinigung und diese befindet sich am nördlichen Rand der Stadt.“ Innerlich stöhnte ich. Das bedeutete, am anderen Ende von Ôsaka. Na herrlich. Leb wohl Mantel, es war schön mit dir, doch ich konnte mir schlecht vorstellen, in den nächsten Tagen irgendwie dorthin zu gelangen. Bevor ich die Buslinien, die dafür erforderlich waren, fand, waren wir sicherlich schön längst wieder zuhause. „Das ist schade. Trotzdem vielen Dank“, sagte Wheeler mit, meines Erachtens, Ekel erregender Freundlichkeit und winkte der Dame zum Abschied. Kaum war sie außer Sichtweise, wurde ich mir der Hand Wheelers bewusst, die tonnenschwer auf meiner Schulter zu liegen schien. „Kaiba.“ Niemand hatte mich anzufassen, doch ihn schien dies nicht zu interessieren. Sein Grinsen gewann an Umfang und ich meinte, einen hämischen Ausdruck in seinen Augen erkennen zu können, bevor er mich unvermittelt von sich stieß. Gab es ein Déjà-Vu mit einem Traum? Ich fühlte mich momentan schwer daran erinnert. Vor meinem inneren Auge sah ich mich vom Dach der Kaiba Corporation stürzen und hastig riss ich mich von Wheeler los. Verwirrt starrte Wheeler mich an, ließ seine Hand sinken. „Kaiba, alles okay?“ Ich verkniff mir den Kommentar, dass nichts okay war, da mein Bein verbrüht, mein Mantel ruiniert und meine Nerven am Ende waren und wandte ihm demonstrativ den Rücken zu. „Lass uns gehen, Wheeler.“ Im Grunde war es mir egal, ob er mir folgte oder nicht, ich wollte bloß seine Aufmerksamkeit von dem eben geschehenen lenken. Ich konnte förmlich spüren, wie er zögerte. „Weißt du denn, wo wir lang müssen?“ Himmel, Wheeler, konntest du nicht einfach mal dir Klappe halten und meine strapazierten Nerven zur Ruhe kommen lassen? Was das denn zuviel verlangt? Offenbar schon. „Sei zur Abwechslung einfach mal ruhig und komm.“ „Kaiba, wir laufen jetzt schon eine geschlagene Stunde durch diese Stadt und sind immer noch nicht an der Herberge.“ Meine Hände gruben sich krampfhaft in den weißen Mantel, während ich meine Schritte beschleunigte. Ich tat so, als hätte ich Wheeler nicht gehört, meine Augen überflogen die Straßenschilder, ich versuchte fieberhaft die richtige Reihenfolge der Namen wieder zu finden. „Gib doch einfach zu, dass du dich verlaufen hast.“ Ich blieb unvermittelt stehen und Wheeler wäre beinahe in mich hineingelaufen, doch mein wutentbrannter Blick ließ ihn zurückweichen. „Nur zu deiner Information, Wheeler: Ich. Verlaufe. Mich. Nie.“ Wann lernte dieser Narr endlich, im richtigen Moment seinen Mund zu halten? Mit Argwohn beobachtete, wie Wheeler die Arme hinter dem Kopf verschränkte und unschuldig in den Himmel sah. „Wenn das der Fall ist, warum laufen wir dann schon so lange hier rum?“ Zum Teufel mit seiner widerlichen Unschuldsmine. Zum Teufel mit diesem unbeteiligten Grinsen, dass mein sonst so kühles Blut zum Kochen brachte. Zum Teufel mit ihm! „Ich verlaufe –“ „Dich nie, ich weiß. Anscheinend trifft das aber auf Ôsaka nicht zu, was?“ Jetzt wusste es also auch Wheeler. Herrlich. Bals wusste es die ganze Welt. Seto Kaiba verlief sich nie, nur in Ôsaka. Die Zeitungen würden sich vor Freude überschlagen, wenn ihnen diese Geschichte in die Hände fiel. Besäße ich nicht exzellente Anwälte, die den Klatsch und Tagesblättern deutlich zu verstehen gegeben hatten, dass es, sobald es zu derartigen Artikeln kommen sollte, Klagen und Bußgelder hageln würde, so würde ich spätestens jetzt beginnen, mich um mein Renommee zu sorgen. Da allerdings Wheeler gegenüber diese Tatsache ans Licht gekommen war, verspürte ich nun eine fürchterliche Übelkeit in mir aufsteigen. Als er mich dann ohne Vorwarnung direkt ansah, schien diese sich nur noch zu verstärken. Stunden schienen wir uns bloß anzuschauen, Menschen liefen an uns vorbei, schenkten uns keine Beachtung. Dann wandte er sich Schulter zuckend ab. „Tja, da werden wir wohl einen Einheimischen fragen müssen. Wie wär’s mit dem Straßenmaler, da wir ja ohnehin gleich zum dritten Mal an ihm vorbeikommen?“ Und in diesem Moment konnte ich einfach nur seinen Rücken anstarren, während der Knoten, der sich in Meinem Magen gebildet hatte, sich nicht lösen wollte. „Na bitte, diesen Akt hätten wir gemeistert.“ Grinsend marschierte Wheeler den Kiesweg zur Herberge hinauf, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben und leise vor sich hinsummend. Mürrisch folgte ich ihm, verschwendete keinen Atem damit, ihm zu antworten. Schön, dank des Einheimischen hatten wir den Weg zur Herberge in weniger als einer halben Stunde gefunden, aber früher oder später hätte ich uns genauso gut hierher führen können. „Ob die anderen sich wohl schon Sorgen gemacht haben?“, sinnierte Wheeler weiter vor sich hin, während er nachdenklich auf den Boden starrte. „Immerhin waren wir ziemlich lange weg...“ Ohne ein weiteres Wort schritt ich an ihm vorbei in die Herberge, machte mich, ihn keines Blickes würdigend, auf direktem Weg in mein Zimmer. Auch wenn ich es mir zwangsläufig mit ihm teilen musste - schien er doch ebenso wenig begeistert von dieser Tatsache, wie ich - sah ich nicht ein, dieses Zimmer auch als seins anzuerkennen. Es war und blieb meins. Achtlos riss ich die Tür des Raumes auf und schlug sie ebenso gleichgültig hinter mir zu. Den weißen Mantel warf ich wutentbrannt in die nächst beste Ecke, bevor ich mich geschlagen auf mein Bett sinken ließ und den Kopf in den Händen vergrub. Was geschah nur mit mir? Dieser ‚Urlaub’, wie Mokuba ihn genannt hatte, entwickelte sich mehr und mehr zu einer Katastrophe, nicht zuletzt dank Wheeler. Unsinn, einzig und alleine wegen Wheeler. Was geschah als nächstes? Würde ich wohlmöglich weich - noch schlimmer - vielleicht freundlich werden? Ein Schauer überrollte mich. Nein, alles, bloß das nicht. Ein freundlicher Seto Kaiba? Unmöglich. Nicht machbar. So würde ich keinen weiteren Tag mit meiner Firma überleben, wäre gefundenes Fressen für meine Feinde. Nein, so weit würde ich es niemals kommen lassen, das schwor ich mir in jenem Moment. Mochte kommen, was wollte. Nachdem ich mich die nächsten Stunden niemandem mehr zeigte und auch Wheeler nicht in das Zimmer zurückkehrte - was mich offen gestanden in gewisser Hinsicht erleichterte, war ich somit nicht genötigt, mit ihr zu reden -, verließ ich erst gegen sieben Uhr das Zimmer, um mich notgedrungen dem Abendessen anzuschließen. Nicht, dass ich großartig viel Lust darauf hatte, aber mein Magen rebellierte bereits seit längerem und somit musste ich mich zwangsläufig geschlagen geben. Als ich durch die Tür des Speisesaals trat, war ich kurz versucht, direkt auf dem Absatz kehrtzumachen, da mir mit einem Blick klar wurde, dass der Speisesaal bereits voll war. Kein Tisch war mehr frei und auf der Suche nach einem leeren Platz musste ich zu meinem Missfallen feststellen, dass nur an Mutos Tisch noch ein Platz unbesetzt war. Und dieser war definitiv nicht für Wheeler reserviert, da dieser bereits mit an dem Tisch saß. Ich schloss einen Augenblick die Augen, wollte mich schon von diesem Haufen abwenden, als mich die Stimme meiner Lehrerin zurückhielt. „Seto-kun, setz dich doch. Dort hinten ist noch ein Platz frei.“ Nun waren die Augen der meisten meiner Mitschüler erwartungsvoll auf mich gerichtet, worauf ich nur zu gerne verzichtet hätte, musste ich doch nun an dieser Mahlzeit teilnehmen, ob ich wollte oder nicht. Ich setzte mich in Bewegung, meinen Blick starr geradeaus gerichtet, versuchte meine Umgebung zu ignorieren und schritt direkt auf den freien Platz zu. „Hab ich etwas im Gesicht, oder was ist?“, fragte ich missgestimmt an Muto und den Rest gewandt und ließ mich auf dem Platz nieder, warf allen einen desinteressierten Blick zu, woraufhin sie sich abwandten und in eine andere Richtung sahen. Als wäre mein Platznehmen der Startschuss für alle, begannen meine Mitschüler mit dem Abendessen. Da wir heute Mittag nicht in der Herberge gewesen waren, gab es jetzt die warme Mahlzeit. Doch bestand diese nicht, wie ich erwartet oder auch gehofft hatte, aus typisch japanischen Gerichten, wie Reis oder ôsakaschen Spezialitäten. Skeptisch musterte ich den undefinierbaren Inhalt einer Schale unmittelbar vor meinem Teller. Konnte man dieses – was immer es war – essen? „Lecker!“ Mein Blick wanderte an der Schale vorbei, zu Wheeler, der sich eifrig große Mengen diese Substanz einverleibte und mein Mund verzog sich leicht vor Abscheu. Dieses Verhalten war einfach nicht mehr menschlich. „Wheeler, wärst du bitte so freundlich nicht ganz so zu schlingen. Es grenzt ja beinahe schon an Körperverletzung, dir dabei zuzusehen.“ Mitten im Kauen hielt er inne, löste den Blick von seinem Teller und sah mich verärgert an. Seine Hände, in denen er Messer und Gabel hielt, ließ er sinken. „Dann gug dosch weg, wennsch dir nisch pascht, Gaiba!“ Ich war mir sicher, dass mein Blick puren Ekel widerspiegelte. „Wärst du auch in der Lage, deinen Bissen runterzuschlucken, bevor du den Mund aufmachst?“ Er schluckte, sah mich mit einer Mischung aus Trotz und Ärger an, bevor er knurrte. „Kaiba, reiz mich nicht.“ Oh, war der Köter heute in Kämpferstimmung? Das klang doch schon mal interessant. Mal sehen, was sich noch aus diesem Gespräch holen ließ. „Was ist dann, Wheeler? Kaust du mir dann einen vor?“ Seine Hände verkrampften sich um sein Besteck und bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, dass er leicht zitterte. Sehr schön, ich war also wiederholt im Vorteil. „Wie geht’s deinem Bein Kaiba? Soll ich dir vielleicht Tee über das andere kippen, damit es passt?“ Autsch, dieser Punkt ging an ihn. Doch ein blinder Köter fand auch mal einen Knochen. „Wie wäre es, wenn ich dir mit dem Brot deinen vorlauten Mund stopfen würde, Wheeler, da du ihn ja offensichtlich nie halten kannst?“ Ha, wieder ein Punkt für mich. Na, was war nun mit Wheeler? „Ach ja? Dann verpasse ich dir noch eine Beule, damit die Teufelshörner auch passen!“ Na, na, war da heute jemand besonders redegewandt? Nahm Wheeler heimlich an einer Fortbildung in Sachen Wortgefechte teil? Nein, soviel wollten wir dem Köter gar nicht erst zumuten. Da blieb ich lieber rational. Nur nichts überschätzen. „Man sollte einen Maulkorb für dich besorgen, Wheeler. Vielleicht bist du dann endlich für einen längeren Zeitraum still. Wie wäre es, Muto, warum übernimmst du das nicht?“, richtete ich mich an meinen Rivalen, der unruhig unserem Gespräch gefolgt war und mich nun vorwurfsvoll ansah. „Kaiba.“ Herrgott, was hatten neuerdings alle mit meinem Namen? Konnte man einen Satz nicht auch anders formulieren, anstatt ihn mit nur einem Wort und dann auch noch mit meinem Namen zu füllen?! „Kaiba!“ Nicht jetzt auch noch Wheeler. „Wheeler.“ Was er konnte, das konnte ich auch. Mit leichter Verwunderung registrierte ich, wie er nach dem Wasserglas griff, das vor ihm stand und mich heraufordernd anfunkelte. Die Erkenntnis traf mich ohne Vorwarnung. Meine Augen verengten sich. „Wage es, Wheeler und du bist tot.“ Seine Augenbrauen hoben sich und er grinste mich triumphierend an, schwenkte das Glas hin und her. „Was denn Kaiba? Angst vor Wasser?“ „Joey, lass gut sein“, wandte Muto zaghaft ein, doch Wheeler ignorierte ihn. Meine Auenbraunen zogen sich bedrohlich zusammen. „Nein, aber du solltest Angst vor den Konsequenzen haben. Sofern du überhaupt soweit denken kannst.“ „Na, da ist aber jemand sehr unvorsichtig“, meinte Wheeler und hob tadelnd den Zeigefinger. „Noch so ein Satz und du wirst feuchte Bekanntschaft machen, Kaiba.“ „Joey“, mischte sich nun auch Taylor ein, der mittlerweile auf unser Gespräch aufmerksam geworden war. „Sei vorsichtig. Tu nichts Unüberlegtes.“ „Ja Joey“, stimmte Muto eifrig nickend zu, „sonst kommst du wieder in Schwierigkeiten.“ „Ja Wheeler, hör auf deine kleinen Freunde“, meinte ich und warf ihm einen spöttischen Blick zu, „sonst könnte dir noch was passieren und das wollen wir doch nicht, oder?“ „Hör auf, dich über mich lustig zu machen!“, fauchte er und knallte das Glas auf den Tisch, wobei die Hälfte des Inhaltes überschwappte. „Ich wusste doch, dass du nicht den Mumm dazu hast, Wheeler“, entgegnete ich herablassend. „Ein ängstlicher Hund bleibt nun einmal ein ängstlicher Hund.“ „Kaiba!!!“ Wieder dieses Wort. Hörte das denn nie auf? Gelangweilt ließ ich meinen Blick durch den Raum streifen. Klein, heruntergekommen, spärlich eingerichtet, wie unser Zimmer. Notgedrungen richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere Lehrerin. Diese saß auf einem Stuhl, meine Mitschüler auf dem Boden vor ihr und starrten sie gebannt an. Irritierenderweise erinnerte mich diese Szenerie an eine Kindergartengruppe, die gespannt einer Geschichte ihrer Erzieherin folgte. Doch bei genauerem Betrachten der Tatsachen wurde mir klar, dass diese Annahme gar nicht mal so abwegig war, war diese Klasse doch tatsächlich in gewisser Weise eine Horde idiotischer Einfallspinsel, die mehr an Kleinkinder, denn an Oberschüler erinnerten. Genervt die Augen verdrehend wandte ich den Blick von diesem Bild ab, begann ich dadurch doch nur unnütze Gedankengänge und setzte mich ein wenig aufrechter in den Sessel. Zu meinem Glück saß ich recht abseits von der Gruppe, sodass ich nicht mit einbezogen wurde. „Und morgen werden wir das Aquarium besuchen“, schloss Aoyagi-sensei ihren Vortrag, unterstützt durch das Nicken von Kaidou-sensei, welcher neben ihrem Stuhl stand. Begeistertes Gemurmel schwoll an, erstarb jedoch, als Kaidou-sensei die Hand hob (bei ihm fielen die anderen nur ungern schlecht auf. Ich war glücklicherweise nicht von etwas Derartigem betroffen.) „Gibt es irgendwelche Einwende gegen diese Planung oder sind alle damit einverstanden?“ Ich widerstand dem Drang, erneut die Augen zu verdrehen, durfte ich mir diese Gestik doch nicht zur Angewohnheit machen, und legte geschlagen den Kopf in den Nacken. Sah dieser studierte Pädagoge nicht von selbst, dass keinerlei Widerspruch kam? Oder kam da etwa wieder die Rolle als Demokrat in ihm hoch? „Was ist mit dir, Seto-kun?“ Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass Aoyagi-sensei nun mit mir sprach. Ich ließ meinen Kopf nach vorne fallen und blickte sie beinahe schon ungläubig an. Bitte? Fragte die Frau gerade wirklich, was ich von der Idee hielt, ein primitives Planschbecken zu besichtigen? Nicht ernsthaft. Offenbar schon, da mehr als drei Viertel aller Augenpaare auf mich gerichtet waren. Ich gab einen abfälligen Laut von mir, machte eine wegwerfende Geste mit der Hand und schloss die Augen. „Bitte, tun Sie, was immer Sie für richtig halten. Ich bin sicher, meine Mitschüler werden begeistert sein.“ Offenbar entging ihr der herablassende Tonfall, mit dem ich besonders den letzten Satz bestückt hatte, doch einem entging er nicht. Um mich zu korrigieren: Sechs Personen entging er nicht. „Kaiba.“ „Ich weiß, wie ich heiße, ja?“, fuhr ich Muto gereizt an und sah mit Genugtuung, wie er leicht zurückzuckte, als ihn mein ruppiger Tonfall traf. Oh ja, ich war gereizt, angespannt, enerviert. Und in erster Linie war ich es leid, dauernd meinen Namen ohne irgendeinen sinnvollen Hintergrund zu hören. „Kaiba.“ Ohne auf die verwirrten, verdutzten und sprachlosen Gesichter meiner Mitschüler zu achten, erhob ich mich aus meinem Sessel und verließ wortlos den Gemeinschaftsraum. Bevor die Tür meines Zimmers krachend hinter mir ins verrostete Schloss fiel, ich mich schnaubend auf mein Bett fallen ließ und entkräftet die Augen schloss, einen kurzen Augenblick der Schwäche zuließ – nur dieses eine Mal - fragte ich mich, ob es normal war, den eigenen Namen derart zu verachten. *~*~* Something has been taken From deep inside of me A secret, I’ve kept locked away No one can ever see Wounds so deep, they never show They never go away Like moving pictures in my head For years and years they've played *~*~* (Zum Lied: Linkin Park - Easier to run) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)