Weltenzerstörer von Talitha2 ================================================================================ Kapitel 1: Der Fremde --------------------- Kapitel 1 Der Fremde Die Sonne verschwand als rot glühender Feuerball am Horizont. Ein heißer Wind strich über das karge Land und wirbelte an einigen Stellen kleine Staubwolken auf. Entfernt hörte man das Brüllen eines Raubtieres, dessen Weg ein unvorsichtiges Opfer gekreuzt hatte. Afrika, der schwarze Kontinent, die Wiege allen Lebens, wo seit jeher nur ein Gesetz gilt; das Gesetz des Stärkeren. Und dies wusste auch die dunkle Gestalt, die im schwindenden Licht aus dem Nichts auftauchte und den Kopf erhob, so als wittere sie eine frische Fährte. Unbeweglich stand sie da. Und als die ersten Sterne am Himmel erschienen, hatte sie gefunden wonach sie suchte und wand sich einem Berg in der Ferne zu. Zur gleichen Zeit am anderen Ende der Welt in Heatherfield "Ich hab euch so vermisst!" rief Irma und stürmte in das Zimmer von Hay Lin, um ihre Freundinnen, von denen bereits zwei dort auf sie warteten, in eine feste Umarmung zu schließen. "Wird ja auch Zeit, dass du dich mal wieder blicken lässt" lachte Will, als sie von der Wucht der Wiedersehensfreude mitsamt Irma auf das Bett geworfen wurde. "Glaub mir, ich war nicht scharf darauf, die ganzen Ferien bei Großtante Martha zu verbringen" sagte Irma und rappelte sich auf "aber du weißt doch, dass unser Haus renoviert wurde und Dad war der Meinung, ein bisschen Landluft täte den Kindern gut". Bei den letzten Worten verzog sie das Gesicht und ahmte auf passende Weise ihren Vater nach. Alle lachten und Cornelia sagte: "Wie habe ich es nur die ganze Zeit ohne deine Witze ausgehalten?". Sie neigte den Kopf zur Seite und legte die Stirn in Falten. "Aber wenn ich so darüber nachdenke, war es die erholsamste Zeit seit langem." Es war kein Geheimnis, dass Irmas ausgelassenes Gemüt des Öfteren Cornelias Nerven strapazierte, was nicht selten in gegenseitigem Anschreien endete, aber als Irma nun in ein lächelndes Gesicht blickte, sagte sie nur: "Ich hab dich auch lieb Corny." und zwinkerte ihr zu. In diesem Moment ging die Tür auf und ihre beiden anderen Freundinnen kamen beladen mit Tellern und einem Tablett voll essen in das Zimmer. "Schön dass du wieder da bist Irma" sagte Taranee mit konzentrierten Gesichtsausdruck und versuchte durch geschicktes Balancieren zu verhindern, dass das Besteck von dem Tellerturm rutschte, den sie in ihren Händen hielt. "Super, unser I ist zurück, endlich wieder komplett!" rief Hay Lin mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht und stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Mit ihrer Bemerkung spielte sie auf den Namen W.I.T.C.H. an, den sie und ihre Freundinnen sich gegeben hatten, als sie herausfanden, dass sie die neuen Wächterinnen der Festung waren und die magischen Kräfte der Naturelemente besaßen. Will, die zugleich die Anführerin und Hüterin des Herzens von Kandrakar war, vereinte in sich die Kraft aller Elemente zur kosmischen Energie. Obwohl sie in ihrer menschlichen Gestalt eher ruhig und zurückhaltend war, besaß sie als Wächterin einen starken Willen und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Irma war in der Lage Wasser und alle anderen Flüssigkeiten zu beeinflussen. Und so wie Wasser sich rauschend, glucksend und unaufhaltsam seinen Weg bahnt, so war auch Irma, zumindest was das Reden anging. Stets hatte sie einen flotten Spruch auf Lager und ihr, manchmal gewöhnungsbedürftiger Humor blieb ihr auch als Wächterin erhalten. Taranee hatte die Kraft des Feuers, was auf den ersten Blick nicht recht zu ihr passen wollte, da sie von allen die Schüchternste war. Doch auch das Feuer ist solange ruhig, bis ein Funke überspringt und ein Flammenmeer entstehen lässt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie eine große Selbstkontrolle besaß und die Dinge immer erst von ihrer logischen Seite aus betrachtete. Dies und ihr enormes Wissen hatten Irma dazu veranlasst, ihr den Spitznamen "Wandelndes Lexikon" zu geben. Cornelia kontrollierte die Erde und alles, was aus ihr hervorging. Sie war eine ruhige und besonnene Person, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand und erst nachdachte, bevor sie handelte. Dies bewahrte die Wächterinnen oft davor, sich unüberlegt in Gefahr zu begeben. Wer sie nicht kannte, würde behaupten, dass sie kühl und unnahbar war, da es ihr häufig schwer fiel, ihre Gefühle offen zu zeigen. Durch ihre Freundinnen jedoch hatte sie gelernt, auch diese Seite von sich zuzulassen. Hay Lin besaß die Macht der Luft und konnte als einzige der fünf in Wächterinnen-Gestalt fliegen. Genau wie ihr Element war sie häufig etwas flatterhaft und zerstreut. Deshalb hatte sie auch immer einen Stift dabei, um sich auf den Handflächen wichtige Notizen machen zu können. Im Wesen war sie wie eine warme Frühlingsbrise, nie konnte sie jemandem böse sein und versuchte in allem nur das Gute zu sehen. Jede von ihnen war anders, einzigartig auf ihre Weise. Und doch jede Teil eines großen Ganzen. "Ich bin auch froh, wieder hier zu sein" sagte Irma, als sie Taranee und Hay Lin umarmt hatte. Sie fühlte sich, so wie die anderen auch, einfach wohler, wenn sie alle zusammen waren, da ihre Kräfte sich gegenseitig ergänzten und miteinander harmonierten. "Es ist toll zu wissen, dass man nie alleine ist" dachte sie und strahlte in die Runde. Sie griff nach ihrem Rucksack und holte vier Geschenkpäckchen hervor. "Ich habe euch auch was mitgebracht" verkündete sie und drückte jedem ein Päckchen in die Hand. Nach einigen Momenten stillen Papierraschelns rief Hay Lin: "Wie cool, das wollte ich schon immer haben" und hielt ein Buch mit dem Titel "Aliens - Fiktion oder Wahrheit?" in die Höhe. "Danke Irma!" Auch Will hatte ausgepackt und kam, ihre neue Froschwärmflasche fest an sich gedrückt, zu Irma hinüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Das ist lieb von dir. Nur weil ich mal erzählt habe, dass meine kaputt gegangen ist. Danke." Taranee hielt mit glänzenden Augen eine CD mit Tanzmusik in den Händen, hauchte ein "Danke" und Irma konnte ihr förmlich ansehen, dass sie am liebsten sofort loslegen wollte. "Treffer Nummer drei" dachte sie zufrieden bei sich und sah gespannt zu Cornelia hinüber. Für sie etwas Passendes zu finden war sehr schwierig gewesen und Irma wäre daran gescheitert, wenn sie es nicht zufällig in einem Trödelladen gesehen und sofort an die Erd-Wächterin hätte denken müssen. Nun hielt Cornelia ihr Geschenk in der Hand und blickte stumm darauf. Es war ein Armband aus Bernstein. Die honiggelben Stücke versteinerten Baumharzes passten genau zu ihrer Haarfarbe. Irma ging zu ihr hinüber und setzte sie neben sie. "Gefällt´s dir?" fragte sie unsicher. Cornelia schaute auf und zu Irmas Verwunderung sah sie Tränen in den blauen Augen ihrer Freundin. Ohne ein Wort schlang Cornelia die Arme um ihren Hals und flüsterte: "Es ist wunderschön." Sie löste sich von der überraschten Irma und sah wieder auf das Armband. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, denn dank ihres Elementes konnte sie die millionen Jahre alte Kraft der Erde, die in den Bernsteinen eingeschlossen war, pulsieren fühlen. Und als sie das Armband anlegte, war es, als ob die Energie im Einklang mit ihrem eigenen Herzen schlug. "Volltreffer!" dachte Irma glücklich und fügte laut hinzu: "So, nachdem ich euch nun alle zufrieden gemacht habe, lasst uns bitte endlich essen, mir hängt der Magen schon auf den Knien!" Etwas später irgendwo in Afrika Das Wesen, welches einfach aus dem Nichts aufgetaucht war, hatte sein Ziel erreicht. Der Berg türmte sich vor ihm auf, als wolle er den Weg versperren, aber das war nicht nötig. Es hatte gefunden, wonach es suchte. Die Gestalt kniete nieder und klauenartige Hände tasteten über den Boden, bis sie an einem Punkt innehielten. Rote Augen schlossen sich und der nicht-menschlichen Kehle entwand sich ein krächzender Singsang. Die Handflächen erglühten in einem strahlenden grün, senkten sich auf den Boden nieder und - die Erde schrie auf, wand sich im Griff des Fremden, der ihre Kräfte verzehrte, sie auslaugte, verbrannte - erfolglos. In Heatherfield sank Cornelia leblos zu Boden. Kapitel 2: Ein neuer Auftrag ---------------------------- Kapitel 2 Ein neuer Auftrag Um sie herum war nichts als Finsternis und Schmerz. Cornelia versuchte sich dagegen zu wehren und rief die Kräfte der Erde, aber ihre Versuche endeten damit, dass der Schmerz ins Unerträgliche wuchs und sie gequält aufschrie. Nun sah sie zwei glühend rote Augen vor sich und hörte eine flüsternde Stimme, die in ihre Seele zu dringen schien. "Gib auf kleine Wächterin, wehr dich nicht und die Schmerzen werden aufhören." Eine süße Versuchung. Es wäre so leicht, sich fallen zu lassen und in die Dunkelheit einzutauchen. Sie zögerte, aber die Finsternis zog immer stärker an ihr. Doch da sah sie einen winzigen Lichtpunkt in der Ferne, der rasch näher kam. "Cornelia, hörst du mich? Wach auf....Cornelia!" Das war Will´s Stimme und das Licht ging vom Herz Kandrakars aus, was nun vor ihrem Gesicht schwebte. Mühsam hob Cornelia ihre Hand. "Nein, lass das Licht, komm in die Dunkelheit!" ertönte wieder die unbekannte Stimme. Ihre Hand schien immer schwerer zu werden, je näher sie dem Herz kam. "Cornelia, wach auf...bitte!" Ihre Hand schloss sich um den Kristall. "Neiiiiiinnnnnnn!!" "Sie wacht auf! Corny, hörst du mich? Bitte sag was!". Irma strich ihrer Freundin, deren Kopf sie auf ihren Schoß gebettet hatte über das blonde Haar. Mühsam öffnete die Erd-Wächterin ihre Augen und blickte in die bleichen Gesichter der anderen, die sich über sie beugten. Hay Lins Wangen waren nass vor Tränen. "Dem Himmel sei Dank, ich hatte solche Angst." schniefte sie und ergriff Cornelias Hand. "Was ist passiert?" fragte Taranee, die trotz des Schreckens darauf bedacht war, möglichst schnell herauszufinden, was geschehen war, zumal Cornelia während der Bewusstlosigkeit ihre Kräfte eingesetzt hatte. Die Folge war, dass Hay Lins Zimmerpflanzen nun ein ausgeprägtes Wachstum an den Tag legten und teilweise ihre Töpfe gesprengt hatten. Cornelias Stimme war nur ein Flüstern. "Dunkelheit..... Eine Stimme..... Es tat so weh ... Ich wollte aufgeben, aber... dann habe ich Will gehört und ...das Herz von Kandrakar hat mich zurückgebracht." Will beugte sich vor. "Wie geht es dir?" "Ich fühle mich so schwach, ......als hätte ich eine Woche nicht geschlafen...... Könnt ihr mir bitte auf helfen?" Taranee und Will griffen Cornelia vorsichtig unter die Arme und halfen ihr, sich auf das Bett zu setzen. Sie schaute sich im Zimmer um und deutete auf die Pflanzen. "War ich das?" "Yep. Hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich hoffe das lag nicht an der Ente süß-sauer." antwortete Irma. Vier Augenpaare richteten sich auf sie und Irma wusste, dass sie besser den Mund gehalten hätte. "Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Witze" entgegnete Will ernst und fuhr sich mit der Hand durch ihr rotes Haar. "Was eben passiert ist, muss magischen Ursprungs gewesen sein. Warum hätte Cornelia sonst unbewusst ihre Kräfte eingesetzt und das Herz von Kandrakar gesehen?" "Will hat Recht" sagte Taranee "wir müssen herausfinden, was passiert ist und ich glaube es kann uns nur einer weiterhelfen. Das Ora......." "Wächterinnen der Festung, hört mich. Kommt nach Kandrakar." Die fünf Mädchen sahen sich an. Alle hatten den telepathischen Ruf des Orakels vernommen. "Sieht so aus, als würden wir unsere Antwort bald bekommen." sagte Will. In einem blauen Lichtblitz erschienen die Wächterinnen in einem der endlosen lichtdurchfluteten Gänge der Festung der Bruderschaft. "Dann wollen wir mal." seufzte Irma, die immer ein ungutes Gefühl hatte, wenn das Orakel nach ihnen rief. "Nicht so schnell Wächterin des Wassers" erklang eine bekannte Stimme hinter ihnen "zuerst möchte ich meine Enkelin umarmen." "Oma!" rief Hay Lin erfreut und lief zu ihrer Großmutter, der ehrwürdigen Yan Lin, die einst ebenfalls eine Wächterin war und nach ihrem Tode in den Rat der Weisen von Kandrakar aufgenommen wurde. "Es ist schön, euch alle zu sehen. Folgt mir, das Orakel und der Rat erwarten euch schon." sagte sie und die kleine Gruppe machte sich auf den Weg zur großen Halle. Keiner bemerkte den besorgten Blick, mit dem sie Cornelia betrachtete. Als sie die große, weiß strahlende Halle betraten, erstarb das Gemurmel der Ratsmitglieder die auf den Rängen saßen und Stille trat ein. "Seit Willkommen in Kandrakar, Wächterinnen." ertönte die sanfte Stimme des Orakels, welches in der Mitte des Raumes stand. Will trat vor. "Herr, wir brauchen eure Hilfe". Sie blickte zu Cornelia "Du musst nicht weiter sprechen, Hüterin des Herzens. Wir wissen, was geschehen ist". Und auf das Gesicht des Orakels legte sich ein Schatten. "Dann sagt uns, wer dafür verantwortlich ist, damit wir ihm in den Hintern treten können, bis er nicht mehr weiß, wo oben und unten ist!" brauste Irma auf. "Irma!" zischte Taranee. Das Orakel sah sie an. "Ich verstehe deine Wut und deinen Schmerz, aber wir haben es hier mit einer Macht zu tun, die nicht so leicht bezwungen werden kann. Einer Macht, die eure ganze Welt vernichten könnte. Und eine von euch hat diese Macht heute zu spüren bekommen." Es schritt auf die Gruppe der Wächterinnen zu, blieb dicht vor Cornelia stehen und nahm ihre Hände in die seinen. "Nicht wahr?". Die Erd-Wächterin nickte stumm und für einen Moment war es, als höre sie wieder die fremde Stimme, welche ihr Versuchungen ins Ohr raunte. Sie fühlte sich immer noch schwach, obwohl die Verwandlung sie sonst immer mit neuer Kraft erfüllte. "Die Erde hat nach mir gerufen. So viel Schmerz. Irgendetwas Schreckliches ist geschehen." sagte Cornelia und blickte in die blauen Augen des Orakels. Seine Gesichtszüge wurden weich und es strich ihr mit einer Hand über die Wange. "Ich teile deine Qual. Du musst stark bleiben Cornelia. Wandle nicht in der Dunkelheit, folge dem Herz von Kandrakar." Es wand sich um, schritt zurück an seinen Platz und erhob die Stimme. "Meine Brüder und Schwestern, eine große Gefahr ist über uns gekommen. Ein Wesen, wie wir sie seit Jahrtausenden von den Welten fernzuhalten versuchen, hat seinen Weg auf die Erde gefunden." "Was für ein Wesen, Herr?" fragte ein Ältester mit einem langen weißen Bart. Das Orakel blickte in die Runde. "Ein Shar-Ghul!" In der großen Halle wurden Rufe laut, Sitznachbarn diskutierten miteinander und viele sprangen von ihren Plätzen auf. "Ein Shar-was?" fragte Irma und sah ihre Freundinnen an, die aber genauso ratlos aussahen wie sie. "Ich werde es euch erklären." sagte Hay Lins Großmutter. "Ein Shar-Ghul ist ein Wesen, welches die elementaren Lebenskräfte eines Planeten in sich aufnimmt." "Also so wie wir?" fragte Hay Lin. "Oh nein, mein Engel." antwortete Yan Lin und ihr Gesicht verfinsterte sich. "Es stimmt zwar, dass auch ihr eure Kräfte von den Energien der Elemente erhaltet, aber ihr seit im Einklang mit ihnen. Ihr empfangt sie, benutzt sie und gebt sie wieder an ihren Ursprung zurück, so wie es der ewige Kreislauf gebietet. Ein Shar-Ghul hingegen ist wie ein Blutsauger. Er entzieht dem Planeten die Kraft und behält sie für sich, um immer mächtiger zu werden. Und wenn er alle Energie in sich aufgenommen hat, zieht er weiter und zurück bleibt Zerstörung, Chaos und ...... Tod." "Warum ist nur Cornelia von ihm betroffen und wir anderen nicht?" wollte Will wissen. "Nun, bei den Shar-Ghuls ist es wie bei den Wächterinnen. Sie sind an ein bestimmtes Element gebunden, in diesem Fall an die Erde. Verliert unser Planet die Kraft der Erde, wird das kosmische Gleichgewicht aus den Fugen geraten und die anderen Elemente werden sich gegenseitig verzehren und alles Leben vernichten." Cornelia, die bis jetzt im Hintergrund geblieben war, trat näher an Yan Lin heran. "Warum ist dies noch nicht geschehen? Das Orakel hat doch gesagt, dass der Shar-Ghul bereits auf der Erde ist. Warum hat er nicht schon alle Energie in sich aufgenommen?" Hay Lins Großmutter lächelte und sah die Erd-Wächterin an. "Wegen dir?" "Wegen mir? Was meinen Sie damit?" "Er wusste nicht, dass er sich ausgerechnet die Heimatwelt der Wächterinnen der Festung ausgesucht hat. Das ist unser Vorteil. Als er versuchte, alle Energie der Erde auf einmal in sich aufzunehmen, hat er, ohne es zu wollen, eine Verbindung zwischen sich selbst und dir hergestellt. Und du hast ihn zurückgedrängt." "Ohne die anderen hätte ich das nicht geschafft" sagte Cornelia leise. "Fast hätte er mich in die Finsternis geholt, wenn nicht das Herz von Kandrakar gewesen wäre." "Aber genau darum geht es, Cornelia." sagte Yan Lin sanft. "Nur zusammen seid ihr stark. Nur alle fünf Kräfte gemeinsam halten das Gleichgewicht." "Ich habe Angst." "Du bist nicht alleine" sagte Will und trat auf sie zu. "Wir sind bei dir." kam es von Taranee. Hay Lin legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Wir werden immer aufeinander aufpassen." "Und wem das nicht passt, der bekommt einen Tritt in den Hintern." schimpfte Irma. Sanft wurden alle von Cornelia in eine stumme Umarmung gezogen. Inzwischen war der Tumult in der großen Halle immer lauter geworden. "Schweigt!" rief das Orakel und augenblicklich trat Ruhe ein und alle kehrten auf ihre Plätze zurück. "Meine Freunde, ich verstehe eure Bestürzung, aber jeden Augenblick, den wir hier verschwenden, wird der Shar-Ghul zu seinem Vorteil nutzen. Dank den Wächterinnen wird er nur in der Lage sein nach und nach Energie in sich aufzunehmen. Das verschafft uns Zeit." Er wand sich an die fünf Freundinnen. "Wächterinnen, ein weiteres Mal ist Kandrakar auf eure Hilfe angewiesen. Ihr müsst den Shar-Ghul finden und aufhalten, oder eurer Heimatwelt steht die Vernichtung bevor." "Was müssen wir tun?" fragte Will. Sie war fest entschlossen alles zu tun, was nötig war, um ihre Welt zu retten. Das Orakel griff in die Luft und hielt wenige Augenblicke später einen faustgroßen Smaragd in der Hand. "Ihr müsst den Shar-Ghul schwächen und die Macht des Herzens von Kandrakar wird ihn in diesen Kristall bannen. Aber seid gewarnt, er ist ein mächtiger Gegner und wird skrupellos sein Ziel verfolgen. Aber vor allem müsst ihr Cornelia in ihrem Kampf beistehen." Es sah die Erd-Wächterin traurig an. "Da die Kraft der Erde mit deiner Lebensenergie verwoben ist, wirst du es jedes Mal miterleben, wenn er dem Planeten Energie entzieht. Dadurch wirst auch du immer schwächer und anfälliger für seine Angriffe werden. Er wird versuchen, dich zu überwältigen und in die Dunkelheit zu ziehen." Cornelias Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Schultern strafften sich, als sie laut sagte: "Das soll er nur versuchen. Ich werde ihm zeigen, was es heißt, eine Wächterin anzugreifen." Das Orakel lächelte. "Sei stark. Und denk immer daran, dass du diese Bürde nicht alleine tragen musst. Aber nun müsst ihr euch auf den Weg machen, die Zeit arbeitet gegen uns." "Was ist mit unseren Familien? Sie werden nach uns suchen." entgegnete Hay-Lin. "Macht euch keine Sorgen. Ich werde den Schleier des Vergessens über sie legen." "Und wohin geht die Reise?" fragte Irma gereizt, da sie es nicht mehr ertragen konnte untätig herumzustehen, während ein Verrückter ihrer Freundin die Lebensenergie aussaugte wie eine zu groß geratene Zecke. "Dorthin, wo sich einst das Leben erhob, wo die Kräfte der Erde noch rein und vom Menschen unbeeinflusst sind." "Weiß jemand von euch, wovon es redet?" presste Irma zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Es kann nur einen Ort meinen" sagte Taranee. "Afrika!" Lächelnd nickte das Orakel. "Wie sollen wir ihn dort finden? Afrika ist riesengroß!" "Das Schicksal wird euch einen Führer schicken. Habt Vertrauen." Kapitel 3: Am anderen Ende der Welt ----------------------------------- 3. Kapitel Am anderen Ende der Welt Der Junge schlich sich immer weiter an die Antilope und ihr Junges heran. Den Speer in seiner Hand hielt er fest umklammert. Er durfte nicht versagen, oder seine Familie und der Stamm müssten in den nächsten Tagen Hunger leiden. Im Schatten einer kleinen Baumgruppe verharrte er. Dank seiner dunklen Hautfarbe und den kurzen,schwarz gelockten Haaren war er fast nicht zu erkennen und der Wind stand ebenfalls günstig, so dass sein Geruch nicht zu den Tieren hinüber getragen wurde. „Wenn sie doch nur ein kleines Stück näher kommen würden.“ dachte der Junge und leckte sich nervös über die schweißnassen Lippen. Das Muttertier setzte sich in Bewegung und kam auf die Baumgruppe zu. Der Junge hob seinen Speer und ….. ein blauer Lichtblitz erstrahlte vor ihm und fünf Gestalten erschienen. Die Antilopen stoben davon und der junge Krieger verbarg sich erschrocken tiefer in den Schatten. Er betrachtete die Gestalten genauer. Es waren fünf Mädchen, von denen eine die gleiche dunkle Hautfarbe hatte wie er. Die anderen hatten jedoch eine helle Haut, wie er sie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Aber diese Wesen konnten keine richtigen Menschen sein. Sie waren aus dem Nichts aufgetaucht, trugen merkwürdige Kleidung und hatten, er sog scharf die Luft ein, auf ihren Rücken bunt schillernde Flügel. Waren das die Dämonen von denen die alten Legenden berichteten? Noch schienen sie ihn nicht bemerkt zu haben, denn sie kümmerten sich um das „Mädchen“ mit den langen sandfarbenen Haaren. Sie schien krank zu sein, denn kurz nach ihrer Ankunft war sie stöhnend in die Knie gegangen. „Cornelia, alles in Ordnung?“ fragte Hay Lin besorgt und kniete sich neben ihre Freundin. „Geht gleich wieder. Die Dislokation hat mich mehr mitgenommen, als ich gedacht hätte.“ antwortete die Erd-Wächterin und wischte sich mit zittriger Hand über die schweißnasse Stirn. „Es ist ziemlich heiß hier, findet ihr nicht?“ fragte sie mit einem gequälten Lächeln. Taranee schloss die Augen und hielt ihr Gesicht in die Sonne. „Ehrlich gesagt, ich finde es sehr angenehm.“ „Könnte dies vielleicht an der Tatsache liegen, dass du die Wächterin des Feuers bist und mit Feuerbällen jonglieren kannst ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen?“ grinste Hay Lin. Will sah sich um. Bis auf wenige kleine Baumgruppen und trockene Büschel gelb-braunen Grases war nur die endlose Ebene der Savanne zu sehen. Der erdige Boden war hart und trocken, so dass der heiße Wind kleine Staubwolken aufwirbelte. Die Luft am Horizont flirrte unter der gnadenlos brennenden Sonne und machte es unmöglich zu erkennen, was in der Ferne lag. „Ehrlich gesagt ist es mir auch zu heiß hier, aber wir haben keine Wahl. Die Zeit läuft uns davon und wir haben keine Ahnung, wo wir suchen sollen. Irma, wir brauchen Wasser bevor wir uns auf den Weg machen, kannst du welches finden?“ Die Wasser-Wächterin knackte mit den Fingerknöcheln und sah sich um. „Das dürfte nicht allzu schwer werden, wenn wir nicht gerade einen See brauchen. Dort stehen Bäume, also muss auch Wasser in der Erde sein.“ „Ich helfe dir, Irma. Der Boden ist hier so hart wie Stein.“ sagte Cornelia und erhob sich mit Hay Lins Hilfe. Taranee sah sie an. „Du solltest dich lieber etwas ausruhen.“ „Es geht mir schon wieder besser, mach dir keine Sorgen.“ Irma trat dicht an Cornelia heran, sah sie ernst an und sagte in schroffem Ton: „Erstens, DU tust hier gar nichts, das schaffe ich schon alleine. Zweitens, du musst deine Kräfte schonen bis wir auf diesen Shar-Dingsda treffen und drittens bist du eine verdammt schlechte Lügnerin, wenn du behauptest es ginge dir besser!“ „Aber….“ setzte Cornelia an. „Kein aber, Corny! Bitte tu nur einmal, was ich sage, ohne darüber zu diskutieren. Ich verspreche dir auch eine Woche lang keine Witze zu machen, wenn wir diese Sache hier hinter uns haben.“ „So ein Angebot kann ich wohl schlecht ausschlagen, oder?“ sagte sie und lächelte matt. „Exakt!“ antwortete Irma und schloss die Augen. Sie rief ihr Element an und lauschte innerlich, ob sie eine Antwort bekam. Sie ging ein paar Schritte auf eine kleine Baumgruppe zu. Der Junge packte den Speer fester, als er sah, dass eines der Wesen auf sein Versteck zukam. Irma stoppte. Hier war eine gute Stelle, der Boden war Dank der Baumwurzeln locker. Sie seufzte innerlich erleichtert auf. Auch wenn sie es nicht gerne tat, aber sie musste sich eingestehen, dass Cornelia Recht hatte und sie an einer anderen Stelle große Mühe gehabt hätte, den Boden zu durchdringen. Aber sie durfte nicht zulassen, dass die Erd-Wächterin sich anstrengte und der Shar-Ghul dies für seinen nächsten Angriff ausnutzte. Sie konzentrierte sich und lenkte das tief in der Erde ruhende Wasser durch Stein- und Sandschichten, bis es sich in einer kleinen Mulde an der Oberfläche sammelte. Der Junge in seinem Versteck wollte seinen Augen nicht trauen. Diese Wesen waren keine Dämonen, sondern Zauberinnen! Und bestimmt waren sie nicht böse, denn wer lebenspendendes Wasser zaubert, konnte unmöglich schlechte Absichten haben. Vielleicht waren sie die Antwort auf die Gebete des Medizinmannes. „Die Saftbar ist eröffnet!“ rief Irma ihren Freundinnen zu. Sie kamen herüber und schöpften mit der hohlen Hand Wasser aus dem natürlichen Becken. Nachdem alle ihren Durst gestillt hatten sahen sie sich um. „Was nun? Sollen wir einfach drauf los marschieren?“ fragte Hay Lin und schaute nach allen Seiten, nur um festzustellen, dass eine Richtung so gut war wie die andere. „Zuerst sollten wir uns um unseren Besucher kümmern, der sich hinter den Bäumen versteckt.“ flüsterte Cornelia. Als Wächterin konnte sie, auch ohne ihre Kräfte bewusst einzusetzen, fühlen, was in der näheren Umgebung mit ihrem Element geschah. Und eine unruhige Person, die ihre Finger in die Erde krallte, konnte so nicht unbemerkt bleiben. „Ich übernehme das.“ gab Taranee leise zurück. Sie drehte sich blitzschnell um und schleuderte einen Feuerball zwischen die Bäume. Auch wenn sie die Hitze so kontrollierte, dass er niemanden verletzen, oder die Bäume in Brand stecken konnte, reichte es doch aus, um den Beobachter vor Schreck aus seinem Versteck zu treiben. „Bleib stehen, oder der nächste trifft!“ rief die Feuer-Wächterin. Der junge Krieger sah die Mädchen voller Angst an und warf sich vor ihnen zu Boden. „Das ist ja noch ein halbes Kind.“ sagte sie überrascht. Will ging vor ihm in die Hocke. „Steh auf, wir tun dir nichts.“ sagte sie sanft. Der Junge blieb zitternd am Boden liegen. „Ähm, Will? Ich glaube er versteht uns nicht.“ bemerkte Hay Lin. Will legte die Stirn in Falten. Dann ließ sie das Herz von Kandrakar erscheinen und konzentrierte sich. Ein warmes Licht hüllte die Wächterinnen ein. „So, jetzt müsste es gehen.“ Sie wand sich erneut dem Jungen zu. „Hab keine Angst, wir tun dir nichts.“ Diesmal reagierte er und hob vorsichtig den Kopf. „Verzeiht mir große Zauberinnen. Ich wollte nicht lauschen, aber ihr…ihr seit einfach aufgetaucht und ich hatte Angst, ihr wärt Dämonen.“ „Für Dämonen sehen wir ja wohl eindeutig zu gut aus.“ bemerkte Cornelia trocken. Der Junge sah sie verwirrt an und stand langsam auf. „Beachte sie einfach nicht“ lachte Irma und stieß ihm den Ellenbogen in die Seite, woraufhin er ängstlich zusammenzuckte. „Sie reagiert immer etwas empfindlich, wenn es um ihr Äußeres geht.“ „Wie heißt du?“ fragte Will. „Matiku.“ „Es freut mich, dich kennen zu lernen Matiku. Ich bin Will. Und das sind Irma,….Taranee,…..Cornelia,…….und Hay Lin.“ „Es ist mir eine Ehre so mächtige Zauberinnen kennen zu lernen“ sagte Matiku und verbeugte sich vor jeder einzelnen. „Matiku, bitte lass das.“ sagte Taranee peinlich berührt. „Es stimmt zwar, dass wir besondere Kräfte haben, aber ansonsten sind wir ganz normale Menschen.“ Matiku sah sie mit großen Augen an. „Das kann ich nicht richtig glauben. Ich habe gesehen wie….Irma…“ er sprach ihren Namen zögerlich und schüchtern aus „Wasser gezaubert hat.“ Irma lächelte. „Nicht gezaubert. Es war schon die ganze Zeit in der Erde, ich habe es nur nach oben geholt…., so wie bei einem Brunnen.“ „…..Wie bei einem Brunnen…“ wiederholte Matiku leise, dann leuchteten seine Augen auf und er strahlte über das ganze Gesicht. „Ihr müsst mitkommen in mein Dorf. Wir brauchen eure Hilfe. Bitte kommt.“ Die fünf Wächterinnen blickten sich fragend an. Sie durften ihre Mission nicht vergessen. „Also ich finde wir sollten Matiku begleiten. Vielleicht können uns die Menschen im Dorf ein paar Hinweise auf den Shar-Ghul geben. Das ist auf jeden Fall Erfolg versprechender, als einfach loszugehen. Außerdem hat das Orakel gesagt, dass wir einen Führer finden würden.“ sagte Hay Lin und die anderen stimmten zu. Matiku war außer sich vor Freude. Er nahm seinen Speer auf und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Kapitel 4: Der Handel --------------------- Kapitel 4 Der Handel Schon von Weiten sahen die Dorfbewohner sie kommen. Aufgeregte Rufe wurden laut, die Männer griffen zu ihren Waffen und versammelten sich am Rande des Dorfes, wogegen sich die Frauen und Kinder in die Hütten zurückzogen. „Es ist besser, ihr wartet hier und lasst mich erst einmal mit ihnen reden.“ sagte Matiku und lief zu seinen Stammesmitgliedern hinüber. Die Freundinnen sahen, wie er aufgeregt und immer wieder in ihre Richtung deutend mit einem großen, üppig mit Ketten geschmückten, Mann sprach. Offenbar der Häuptling des Dorfes. Nach einer Ewigkeit, wie es schien, kamen er und Matiku alleine zu ihnen hinüber. Aus der Nähe konnten sie sehen, dass der Häuptling ein gütiges Gesicht und freundliche Augen hatte. Er verbeugte sich und sagte: „Es ist mir eine große Ehre, die mächtigen Zauberinnen, die uns die Ahnen geschickt haben, in unserem Dorf willkommen zu heißen. Ich bin Zimbatu, Sohn des Mik´laha, Häuptling dieses Stammes.“ Die Wächterinnen erwiderten die höfliche Begrüßung und stellten sich ebenfalls vor. Zimbatu machte eine einladende Geste Richtung Dorf. „Bitte kommt und seit unsere Gäste.“ Das Dorf bestand aus etwa fünfzehn kleinen Lehmhütten, die rund um einen freien Platz gebaut waren. Etwas abseits sahen sie ein Gatter aus krummen Ästen, in dem einige Ziegen meckerten. In der Mitte des Platzes befand sich ein großes Loch in der Erde. Die daneben stehenden Gefäße ließen vermuten, dass es sich um einen Brunnen handelte. Als die kleine Prozession ankam, wurden sie bereits erwartet. Die Waffen waren verschwunden und die Frauen und Kinder waren wieder hervorgekommen. Alle trugen einfache Kleidung und Schmuckstücke aus Stein und Knochen. Die Männer hatten außerdem kunstvolle Bemalungen aus roter und weißer Erde im Gesicht und auf dem nackten Oberkörper. „Meine Brüder und Schwestern!“ rief Zimbatu. „Die Ahnen haben unsere Gebete erhört und uns diese mächtigen Zauberinnen gesandt, um uns zu retten. Heißt sie willkommen.“ Schallende Jubelrufe hoben an und einer nach dem anderen verbeugte sich. „Können die das nicht mal lassen?“ flüsterte Taranee den anderen zu. „Es würde zu lange dauern, alles zu erklären. Lasst uns mitspielen und herausfinden, ob jemand etwas über den Shar-Ghul weiß.“ gab Will leise zurück. Nachdem sich die Aufregungen etwas gelegt und die Mütter ihre Kinder, welche unbedingt die bunt schillernden Flügel der Mädchen anfassen wollten, weggescheucht hatten, zogen sich die Wächterinnen mit Zimbatu und den Dorfältesten in eine Hütte zurück. Im Inneren war es kühl und fast dunkel, da es bis auf ein kleines Loch in der Decke keine Öffnungen gab, durch die Hitze und Licht hätten eindringen können. Es roch nach Lehm und Schweiß und die Decke war so niedrig, dass man nicht aufrecht stehen konnte. Nachdem sich alle gesetzt hatten, ergriff Will das Wort. „Verzeiht, wir möchten nicht unhöflich sein, aber wir haben einen wichtigen Auftrag und uns verrinnt die Zeit zwischen den Fingern. Matiku berichtete, dass ihr unsere Hilfe braucht. Nun, wenn es uns möglich ist, werden wir euch helfen.“ Ein zustimmendes Gemurmel kam von den Männern und Zimbatu sagte: „Unser aller Leben ist bedroht. Der Brunnen, der seitdem sich unser Volk hier niedergelassen hat stets Wasser spendete, ist versiegt. Die Götter zürnen uns, denn am heiligen Ort geht das Böse um und vergiftet die Erde.“ Bei diesen Worten horchten die fünf Mädchen auf. „Dieser heilige Ort von dem du sprichst, wo ist das?“ fragte Will und konnte ihre Erregung nicht ganz verbergen. „Die großen Zauberinnen behaupten also, nicht zu wissen, wo die heilige Städte sei? Ist ihre Macht vielleicht doch nicht so groß wie sie alle glauben lassen wollen?“ ertönte eine hämische Stimme und ein alter Mann, der ihnen als der Medizinmann des Dorfes vorgestellt worden war, schob sich weiter nach vorne. Er trug ein Löwenfell um die Schultern und hielt einen kunstvoll geschnitzten Elfenbeinstab in der Hand. Sein Haar war weiß und hob sich im Dämmerlicht gespenstisch von seiner dunklen Haut ab. Er schien der einzige zu sein, der nicht froh über ihre Ankunft war. Zimbatus Augen loderten vor Zorn, als er den Alten ansah, aber er sagte nichts, da der Medizinmann ein ebenso hohes Ansehen im Stamm genoss wie der Häuptling und die spirituelle Führung in seiner Hand lag. Stattdessen wandte er sich den Wächterinnen zu. „Das Stammesgesetz besagt, dass kein Fremder die Lage des heiligen Ortes ohne Erlaubnis des Medizinmannes erfahren darf. Nicht einmal mächtige Zauberinnen.“ fügte er betroffen hinzu. „Ihr versteht nicht!“ rief Irma laut. „Wenn wir nicht dorthin kommen und das Böse besiegen, wird alles vernichtet werden. Euer Dorf, das Land, die ganze Welt!“ Ein nervöses Geflüster erhob sich. „Lasst euch nicht von ihnen täuschen. Sie wollen uns nur das Geheimnis der heiligen Stätte entlocken. Wahrscheinlich sind sie gar keine Zauberinnen, sondern böse Dämonen!“ erklang wieder die Stimme des Medizinmannes. „Schweig!“ rief Zimbatu und Stille trat ein. „Du überschreitest deine Grenzen, Medizinmann.“ sagte er in einer Art, die eindeutig eine Drohung war. Um Schlimmeres zu vermeiden ging Will dazwischen. „Ehrenwerter Medizinmann, bitte, was können wir tun um euer Vertrauen zu gewinnen?“ In den Augen des Alten funkelte es hämisch und bevor der Häuptling etwas erwidern konnte, sagte er: „Meine Brüder, ich denke wenn sie dem Brunnen das Wasser zurückgeben, ist das ein ausreichender Beweis für ihre guten Absichten. Wer dafür ist, soll die Hand heben.“ Alle Dorfältesten hoben die Hand, nur Zimbatu nicht. Stattdessen sah er den Medizinmann unentwegt an. „Es ist nicht richtig, eine Gegenleistung zu fordern. Sie wollen uns alle retten.“ „Wie du siehst sind die anderen nicht deiner Meinung. Es ist beschlossen.“ „Der Opa wird gleich sein blaues Wunder erleben.“ sagte Irma, als die Männer gegangen waren und sie alleine in der Hütte zurückblieben um sich zu beraten. „Nur weil er es mit seinem Hokuspokus nicht geschafft hat, denkt er, dass auch wir scheitern werden und er so einen Grund hat uns nichts über diese heilige Stätte zu erzählen.“ „Bist du sicher, dass du das schaffst Irma? Das wird viel schwieriger, als etwas Trinkwasser zu besorgen.“ erwiderte Taranee. „Hey, vertraut ihr mir etwa nicht?“ gab sie gespielt beleidigt zurück. Mit einem funkelnden Blick sah sie Cornelia an, die gerade etwas sagen wollte. „Cornelia Hale, denk nicht einmal daran, klar?“ „Aber Irma…“ „Nein, das Thema hatten wir bereits und ich habe meine Meinung nicht geändert. Wie denkt ihr darüber Mädels?“ fragte sie die anderen. „Vielleicht ist es besser, wenn Irma es alleine versucht, Cornelia. Der Shar-Ghul würde die Situation bestimmt ausnutzen und angreifen.“ gab Will zu bedenken. Cornelia fuhr herum und funkelte sie böse an „Hört endlich auf, mich wie ein rohes Ei zu behandeln!“ schrie sie und schlug sich schluchzend die Hände vor das Gesicht. Alle sahen sich betroffen an. Hay Lin legte ihre Arme um die Erd-Wächterin. „Entschuldige bitte, aber wir machen uns doch nur Sorgen. Wir wollen nicht, dass dir was passiert.“ Cornelia sah auf und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie schmiegte sich an Hay Lins Schulter. „Warum behandle ich sie so?“ dachte sie. „Warum fällt es mir so schwer, ihre Besorgnis zu ertragen? Ich bin hilflos, das ist es! Ich habe das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Ich muss andere für mich kämpfen lassen und tatenlos zusehen, wie ein Feigling!“. Verzweiflung überkam sie. Doch da hörte Cornelia eine bekannte Stimme in ihrem Geist. „Sie kämpfen nicht für dich, sondern um dich. Sie kämpfen gemeinsam mit dir. Die Menschen denen du soviel bedeutest, dass sie ihr Leben für dich riskieren würden. Und für die du ohne Zögern deines geben würdest, weil sie das Wichtigste für dich sind. Weil du sie liebst und sie dich lieben.“ Die Stimme des Orakels war wie ein Sonnenstrahl, der die Finsternis durchdrang. „Das weiß ich doch“, sagte sie laut mit tränenerstickter Stimme „aber ich fühle mich so nutzlos. Und … ich habe schreckliche Angst das nicht durchstehen zu können.“ Es tat den anderen in der Seele weh, ihre Freundin so leiden zu sehen. Irma nahm Cornelia ebenfalls in den Arm und sprach leise zu ihr. „Glaub mir, es wäre mir auch lieber, wenn wir das Brunnenproblem zusammen lösen könnten, aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustößt, nur weil ich zu schwach war. Und egal, was passiert, wir sind bei dir und wir stehen das Ganze zusammen durch, bis zum Ende. Hast du gehört?“ Cornelia schaute Irma in die Augen und sah nun die ganze Sorge und Verzweiflung, die hinter den schroffen Worten der letzten Zeit gestanden hatten. Stumm nickte sie. Der ganze Stamm hatte sich auf dem Dorfplatz versammelt, um zu sehen, wie die Zauberinnen das Wasser zurückholen würden. Die fünf Wächterinnen schritten auf den Brunnen zu. Irma löste sich aus der Gruppe und trat an den Rand. Sie schluckte und blickte über die Schulter zu ihren Freundinnen. „Du schaffst es.“ empfing sie die telepathische Botschaft der vier. Sie streckte die Hände über den ausgetrockneten Brunnenschacht, schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihr Element. Ja, da war Wasser, aber es lag sehr tief und die Erde darüber hatte sich verändert und die ursprünglichen Wege nach oben versperrt. „Das kann ja lustig werden.“ dachte Irma und begann, dass Wasser in verschiedene Richtungen zu bewegen, um einen Durchlass zu finden. Die anderen Wächterinnen beobachteten ihre Freundin genau und auch die Dorfbewohner schwiegen ehrfurchtsvoll. Kein Laut war zu hören. Die Minuten zogen sich in quälende Länge, ohne dass etwas geschah. Auf Irmas Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet und ihre Hände begannen zu zittern. „Nun gut, dann eben mit Gewalt.“ knurrte sie und zog die unterirdischen Wassermassen zusammen, um so einen größeren Druck zu erzeugen, der die Erde hoffentlich aufreißen ließ. Doch nichts passierte. Irma ballte die Hände zu Fäusten und verstärkte den Druck noch einmal. Ein Stöhnen kam über ihre Lippen und sie atmete zusehends schwerer. Cornelia hielt es nicht mehr aus. Sie fühlte in die Erde hinein und spürte die ungeheure Macht, mit der ihre Freundin das Wasser nach oben zu treiben versuchte. Aber der Boden war eindeutig auf magische Weise verändert. Die Energie, die sonst von der Erde ausstrahlte war hier fast ganz erloschen und hatte sie erstarren lassen. Irma konnte es nicht alleine schaffen. Bevor die anderen sie aufhalten konnten rannte die Erd-Wächterin zum Brunnen, kniete sich an Irmas Seite nieder und legte die Hände auf den trockenen Boden. Mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, die schwindenden Energien der Erde zu wecken. Mit einem Knirschen tat sich am Schachtboden ein breiter Riss auf. „Verdammt, was tust du da?!“ schrie Irma. Cornelia nahm ihre ganze Kraft zusammen und trieb den Riss immer tiefer, bis er auch die letzte Erdschicht spaltete. Mit einem ohrenbetäubenden Donner stieg eine Wasserfontäne auf und durchnässte alle Menschen auf dem Platz. Rasch zog Irma sich zurück und die Fontäne versiegte. Der Brunnen führte wieder Wasser. Ein lauter Jubelschrei erklang, dem andere folgten. Die Dorfbewohner umarmten sich und begannen zu singen und zu tanzen. Viele liefen zum Brunnen und begannen Wasser zu schöpfen um ihren Durst zu stillen. Die Kinder planschten in den Pfützen und lachten. In diesem Moment griff der Shar-Ghul an. Auf diesen Augenblick hatte er gewartet. Die Wächterin hatte ihre Kräfte eingesetzt und war dadurch unaufmerksam geworden. Und dieses Mal würde sie ihm nicht entkommen. „Taranee, Hay Lin, Irma schnell! Wir müssen verhindern, dass sie das Dorf dem Erdboden gleich macht!“ schrie Will den anderen zu und stürmte in Richtung Cornelia, die sich auf dem Boden liegend vor Schmerz wand und mit ihren Kräften blind um sich schlug. Breite Risse bildeten sich im Boden um sie herum und die Erde bebte. Die Dorfbewohner bemerkten, dass etwas nicht stimmte und wichen ängstlich zurück. „Wir müssen ihr von unserer Kraft abgeben, fasst euch bei den Händen.“ befahl Will und die vier Wächterinnen stellten sich im Kreis um Cornelia auf. Will beschwor das Herz von Kandrakar. „Bitte hilf uns.“ flehte sie stumm. Eine Kugel aus weißem Licht hüllte alle ein und im nächsten Moment sahen sie um sich herum nur noch Finsternis. Einzig der zarte Schimmer des Herzens ließ sie sich gegenseitig erkennen. „Wo sind wir?“ fragte Hay Lin ängstlich und griff nach Irmas Hand. „Das muss der Ort sein, wo der Shar-Ghul Cornelia zum ersten Mal angegriffen hat.“ sagte Taranee. „Wir müssen sie finden, bevor er ihr etwas antut. Will unternimm was.“ drängte Irma. In Gedanken rief Will: „Herz von Kandrakar, bring uns zu Cornelia.“ Der Kristall strahlte hell auf und im nächsten Moment sahen sie ihre Freundin und den Shar-Ghul vor sich. Das fremde Wesen sah aus wie eine riesige auf zwei Beinen laufende, braune Echse, nur dass seine Beine nicht in Füßen endeten, sondern mit dem Boden zu verschmelzen schienen. Seine roten Augen loderten vor Hass, als er sie bemerkte. Der Shar-Ghul blickte auf das Herz von Kandrakar in Wills Hand und stieß ein zorniges Zischen aus. Er wand sich an Cornelia, die mit geballten Fäusten schwer atmend vor ihm stand. „Nun gut Wächterin“, zischelte er „du hast mir widerstanden und deine Freunde sind dir zu Hilfe gekommen, aber bald wirst du keine Kraft mehr haben und dann wird Finsternis über diese Welt kommen.“ Mit diesen Worten verschwand er und die Dunkelheit löste sich auf. Sie waren zurück in der realen Welt. Die Mädchen standen, sich immer noch an den Händen haltend um Cornelia, die gerade zu sich kam. Mit bleichen Gesichtern knieten sie sich neben sie, um zu sehen, ob ihr nichts fehlte. „Das war unheimlich.“ flüsterte Hay Lin. „Hat er dir sehr wehgetan?“ fragte Taranee und legte ihren Arm um Cornelias Schulter. Die Erd-Wächterin sah sehr müde aus. „Ich lebe noch, aber er hat Recht. Ich spüre, wie die Erde ihre Kraft verliert. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Liebevoll blickte sie in die Runde und dachte an die Worte des Orakels. „Danke, dass ihr bei mir wart. Ich wusste, dass ihr kommt.“ „War doch selbstverständlich, obwohl ich dir am liebsten ordentlich den Hintern versohlen würde.“ sagte Irma mit gespielter Strenge. „Was hatten wir gesagt von wegen Ich-mache-das-mit-dem-Brunnen-alleine?“ Cornelia knuffte ihr in die Seite. „Gib´s doch einfach zu, dass du es ohne mich eh nicht geschafft hättest. Außerdem“ sie deutete in Richtung der Dorfbewohner, die wieder begonnen hatten Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen „musste ich es tun. Sieh nur, wie glücklich sie sind.“ Kapitel 5: Der Weg ------------------ 5. Kapitel Der Weg „Im Namen meines ganzen Stammes danke ich euch für eure Hilfe. Ihr habt uns vor einem schlimmen Schicksal bewahrt.“ sagte Zimbatu feierlich, als sich alle Dorfbewohner am nächsten Morgen versammelt hatten, um sich von den Wächterinnen zu verabschieden. Sie hatten die Nacht im Dorf verbracht, da sie übereingekommen waren, dass alle etwas Ruhe und Schlaf nötig hätten. Zimbatu hatte sie am Abend in ihrer Hütte besucht und sie erzählten ihm, wer sie wirklich waren und versuchten dem Häuptling zu erklären, welch große Gefahr von der fremden Kreatur ausging, die am heiligen Ort ihr Unwesen trieb. Er hörte aufmerksam zu und erklärte ernst, dass er bereit sei, sich über das Stammesgesetz hinwegzusetzen und die Lage der heiligen Stätte preiszugeben, falls der Medizinmann sein Wort nicht halten würde. Im Stillen hofften alle, dass es nicht so weit kommen würde. Nun, da der Abschied nahe war, wand sich Zimbatu an den Medizinmann und sagte mit lauter Stimme: „Unsere Freunde haben die Forderung des Rates erfüllt. Nun stehe zu deinem Wort und gib den Weg preis.“ Sich auf seinen Stab stützend trat der Alte vor und die Boshaftigkeit, die sie bei ihrem ersten Treffen gesehen hatten, war aus seinem Gesicht gewichen. Nun sah er aus, wie ein Mensch, der erkannte, dass er einen großen Fehler begangen hat. Er wirkte müde und in sich zusammengefallen. Doch als er sprach war seine Stimme fest und kraftvoll. „Ihr großen Zauberinnen, ich bitte euch, mir zu vergeben. Ich zweifelte an euren Fähigkeiten und brachte euch nichts als Spott und Hohn entgegen. Doch habt ihr unser aller Leben gerettet und eure Macht bewiesen. Ich verneige mich in Demut vor euch.“ Mit diesen Worten verbeugte er sich vor den Mädchen. „Weiser Medizinmann, wir wissen, dass du nur aus Sorge um dein Volk und seine Geheimnisse so gehandelt hast. Es freut uns, dass wir euch helfen konnten, aber nun müssen wir zu der heiligen Stätte und das Böse dort unschädlich machen, oder uns allen droht die Vernichtung. Und habt keine Angst. Wenn wir überleben, werden wir zu niemanden über euer Geheimnis sprechen“ entgegnete Will. Der alte Mann hob den Kopf und nickte. „Ich sehe nun, dass ihr reinen Herzens seid und keine schlechten Absichten hegt.“ sagte er und wies mit der Hand auf die weite Savanne. „Folgt dieser Richtung, bis die Sonne sich zur Ruhe begibt. Geht rasch und lasst euch nicht aufhalten. Der erste Stern am Firmament wir euch zur heiligen Stätte führen. Lebt wohl.“ Mit lauten Jubelrufen und Gesängen wurden sie zum Dorfrand begleitet und verabschiedet. Matiku gab ihnen drei gefüllte Wasserschläuche aus Ziegenleder und wünschte ihnen viel Glück. Zimbatu erhob beide Hände und sagte: „Möge die Sonne euren Weg erhellen und das Wasser dort fließen, wo ihr rastet. Mögen die Sterne eure Führer sein und die wilden Tier eure Freunde. Lebt wohl, Wächterinnen.“ „Warum musste sich der Shar-Ghul unbedingt Afrika aussuchen? Warum nicht einen Ort, an dem es nicht so heiß ist, Grönland zum Beispiel?“ stöhnte Hay Lin. Sie folgten nun schon seit Stunden dem Weg, den der Medizinmann ihnen genannt hatte. Bis auf Taranee machte die Hitze jedem zu schaffen und besonders Irma, deren Element das Wasser war, litt unter der brennenden Sonne. „Du hast doch gehört, was das Orakel gesagt hat.“ erklärte Taranee „Afrika ist der Ursprung des Lebens und nirgendwo anders auf der Welt sind die elementaren Kräfte der Erde so konzentriert gebündelt wie hier.“ „Ich liebe es, wenn du dich so gebildet ausdrückst.“ feixte Irma „Den Satz sollte ich mir für die nächste Geographie-Klausur merken.“ Obwohl niemandem so Recht danach zu Mute war, mussten doch alle lachen und sie vergaßen für einen Moment ihre trüben Gedanken. „Seht es doch mal von der positiven Seite. Manch einer würde ein halbes Vermögen bezahlen, um so einen Survival-Trip machen zu können. Und wir haben ihn umsonst.“ sagte Taranee und schob grinsend ihre Brille zurecht. „Das Blöde ist nur, dass es uns niemand glauben würde, wenn wir erzählen, dass wir per Kandrakar-Express nach Afrika gereist sind, einem Eingeborenenstamm ihren Brunnen repariert haben, hundert Kilometer durch die Savanne gelaufen sind und ganz nebenbei ein Wesen aus einer anderen Dimension mit unseren magischen Kräften besiegt und somit die Welt gerettet haben. Oder was glaubt ihr, würde Mrs. Knickerbocker dazu sagen?“ seufzte Hay Lin theatralisch. Bei dem Gedanken an die Reaktion der strengen Schuldirektorin vom Sheffield Institute lachten die Mädchen so sehr, dass sie anhalten und nach Luft schnappen mussten. „Sie würde uns sofort nach Hause schicken mit Verdacht auf hohes Fieber und Wahnvorstellungen!“ prustete Will. „Hey, die Idee ist gar nicht so schlecht. So könnte man ein paar freie Tage herausschlagen.“ sagte Irma und wischte sich Lachtränen aus den Augen. Plötzlich keuchte Cornelia auf und griff sich mit der Hand an die Brust. Mit der anderen Hand krallte sie sich in Wills Arm fest. Alarmiert schauten die anderen auf ihre Freundin, bereit ihr erneut beizustehen. Doch die Erd-Wächterin blieb mit geschlossenen Augen und konzentriertem Gesichtsausdruck aufrecht stehen. „Oh nein, nicht noch einmal.“ presste sie zwischen den Lippen hervor und nahm ihre ganze Kraft zusammen, um die Dunkelheit zurückzudrängen, die erneut nach ihr tastete. So plötzlich es begonnen hatte, so plötzlich war es auch wieder vorüber. Cornelia wankte und Will fing sie auf, bevor sie stürzte und ließ sie vorsichtig zu Boden sinken. „Das war er, oder?“ fragte Irma und stellte sich in die Sonne, so dass ihr Schatten auf Cornelia fiel und etwas Schutz vor der Hitze bot. „Ja. Er hat der Erde erneut Energie entzogen“ antwortete sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hay-Lin blickte sie fragend an. „Hat er nicht versucht, dich anzugreifen?“ Cornelia lächelte matt. „Anscheinend hat er nicht so leichtes Spiel, wenn er mich nicht überrumpeln kann. Seit dem letzten Mal warte ich nur darauf, dass er es wieder versucht. Aber das ändert nichts daran, dass er seinem Ziel wieder ein Stück näher gekommen ist. Wir haben nicht mehr viel Zeit, ich fühle es. Wir müssen weiter.“ Mit diesen Worten stand sie mühsam auf und blickte Will dankbar an, die sich ihren Arm über die eigenen Schultern legte und sie so beim laufen stützte. Da ertönte in der Ferne ein Grummeln, wie bei einem nahenden Gewitter. Der Himmel jedoch war strahlend blau und keine Wolke war zu sehen. „Leute, zittern meine Beine nur so, oder bebt die Erde tatsächlich?!“ fragte Irma erschrocken. Mit einem lauten Knirschen tat sich unweit der Wächterinnen ein großer Riss im trockenen Boden auf und breitet sich wie ein Spinnennetz nach allen Seiten aus. Rasch wichen die fünf zurück, doch da hörte das Beben schon wieder auf. „Schaut mich nicht so an, ich war das nicht.“ sagte Cornelia ernst. „Wir müssen den Shar-Ghul bald finden. Das war nur ein Vorbote dessen, was uns erwartet, wenn er sein Vorhaben zu Ende führt. Und er weiß, dass wir ihm auf der Spur sind.“ Durch das Erdbeben und die Worte des Medizinmannes zur Eile angetrieben, gingen sie weiter. Von Zeit zu Zeit benutzte Hay Lin ihre Kräfte um eine kühle Brise entstehen zu lassen, die für einen Moment die Hitze und die um sie herumschwirrenden Fliegen vertrieb. Abwechselnd stützten sie Cornelia, die das hohe Tempo zwar hielt, aber es war offensichtlich, dass sie zusehends schwächer wurde und es nur eine Frage der Zeit war, bis ihre Kräfte sie verlassen würden. Will wand sich besorgt von ihrer Freundin ab und sah zur Sonne, die sich nur langsam dem Horizont näherte. „Nun mach schon, geh endlich unter.“ dachte sie verzweifelt. „So, das war´s! Aus, Schluss, vorbei! Ich gehe keinen Schritt weiter!“ erklärte Irma einige Stunden später energisch und setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den staubigen Boden. Will, die sich ebenfalls setzte, bedachte sie mit einem Lächeln und sagte: „Dein Glück, dass die Sonne gerade untergegangen ist. Sonst hätten wir dich hier gelassen.“ „Ha, ha, sehr witzig.“ war die kurze mürrische Antwort. Neben ihr ließen sich die anderen erschöpft nieder und betrachteten die Landschaft, über die sich nun rasch Dunkelheit legte. „Mädels, haltet mich bitte nicht für verrückt, aber irgendwie wird mir jetzt kalt.“ sagte Hay-Lin und schlang sich die Arme um den Oberkörper. „Du bist nicht verrückt“ antwortete Taranee in einer Art wie sie es immer tat, wenn sie zu einer fachlichen Erklärung ansetzte. „Es ist normal hier, dass die Temperatur schlagartig nach unten geht, sobald die Sonne verschwunden ist. Aber lass das meine Sorge sein“. Mit diesen Worten machte sie eine Handbewegung und schon waren sie von kleinen, in der Luft schwebenden Flämmchen umgeben. „Viel besser!“ freute sich Hay Lin und streckte ihre Hände einem der wärmenden Lichter entgegen. „Jetzt heißt es Augen auf, damit wir den ersten Stern nicht verpassen.“ sagte Will und trank ein paar Schluck von dem Wasser, welches Matiku ihnen mitgegeben hatte. „Keine Sorge, im Sterne beobachten bin ich mittlerweile ganz gut.“ antwortete Hay Lin, die mit ihrem Freund Eric oft den nächtlichen Himmel betrachtet hatte. Beim Gedanken an Eric durchfuhr sie jäh die bekannte Traurigkeit, die in der ersten Zeit, nachdem er Heatherfield verlasen hatte, ihr ständiger Begleiter gewesen war. Energisch wischte sie diese Gedanken beiseite. Andere Dinge waren nun wichtiger. „Will, Irma, Tara, Hay Lin?“ kam es in diesem Moment leise von Cornelia und die Angesprochenen wandten sich ihr zu. „Bevor wir auf den Shar-Ghul treffen, möchte ich euch noch etwas sagen.“ Sie hatte den Blick gesenkt und schaute auf ihre Hände, die sie ununterbrochen im Schoß knetete. Offensichtlich fiel es ihr nicht leicht weiterzusprechen. „Nun mach´s nicht so spannend.“ Kommentierte Irma, was ihr aber sogleich böse Blicke von den anderen einbrachte. „Ihr wisst ja, ich bin nicht so gut im Reden“, setzte Cornelia an „aber vielleicht ist dies die letzte Gelegenheit es euch zu sagen…“. Sie zögerte kurz und sah dann auf. „Ich bin von ganzem Herzen dankbar, dass ich euch habe. Auch wenn ich es nicht immer zeigen kann, aber ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich meine, natürlich liebe ich meine Familie über alles, aber das ist etwas anderes. In diese Familie wurde ich hineingeboren, aber ihr, WIR, haben uns bewusst dafür entschieden, gemeinsam den Weg zu gehen. Auch wenn wir unsere kleinen Differenzen haben, bessere Schwestern kann ich mir nicht vorstellen. Ich liebe euch… auch dich du Trampel.“ fügte sie an Irma gewandt hinzu. Die vier Mädchen waren sprachlos, selbst Irma brachte kein Wort heraus, aber alle dachten dasselbe. Cornelia, die allem und jedem sonst immer zurückhaltend und kühl begegnete, hatte gerade ihre tiefsten Gefühle offenbart. Sorgfältig gewählte Worte, die das ausdrückten, was sie sonst selten zu zeigen vermochte. Stumm griffen sich alle bei den Händen und der Feuerschein spiegelte sich in den Tränenspuren, die über ihre Gesichter liefen. Ein Blick in die Runde reichte, um zu erkennen und zu verstehen, dass Cornelia nur das laut ausgesprochen hatte, was jede tief in sich fühlte. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt, auch wenn sie dieses anfangs nur schwer annehmen konnten. Viele Male hatten sie sich schon in Gefahr begeben und das eigene Leben in die Hände der anderen legen müssen. Aber sie hatten es geschafft, sie hatten ihr Schicksal angenommen und gingen den, ihnen vorherbestimmten Weg gemeinsam Feuer, Wasser, Erde und Luft vereint zur kosmischen Energie, so war es jetzt und so würde es auch in Zukunft sein. „Seht mal!“ rief Irma plötzlich und der magische Augenblick löste sich auf. Sie deutete mit dem Finger in den nächtlichen Himmel. „Der erste Stern!“ Kapitel 6: Die Quasare ---------------------- 6. Kapitel Die Quasare Mitten im Zentrum der Unendlichkeit, in der Festung von Kandrakar blickte Yan-Lin voller Sorge hinauf zu den Quasaren der Elemente. Tiefer Kummer zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Die fünf Quasare, riesige Kugeln aus purer elementarer Energie und der Ursprung der Kräfte der Wächterinnen wurden in einer von weißen Säulen gesäumten Halle aufbewahrt. Nur ausgewählte Mitglieder des Rates hatten Zugang und Yan-Lin kam gerne hierher wenn sie etwas Abstand von der Ewigkeit suchte. Für gewöhnlich schwebten die Energiesphären in perfekter Harmonie auf einer kreisförmigen Bahn, denn sie symbolisierten die Verbundenheit, Freundschaft und Liebe, die zwischen den Mädchen herrschte. Yan-Lin erinnerte sich, wie die Quasare einst nur noch ein Schatten ihrer selbst waren. Kleine Kugeln, die in einer Kinderhand Platz gefunden hätten. Damals hatte Zwist und Misstrauen die Wächterinnen entzweit, wodurch sie fast ihre Kräfte verloren hätten. „Aber was zusammengehört, findet seinen Weg.“ dachte Yan-Lin und ein stolzes Lächeln huschte über ihr altes Gesicht. Doch dann wurde sie wieder ernst und legte erneut den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Die Quasare hatten ihre gewohnte Bahn verlassen. Feuer, Wasser, Luft und kosmische Energie, groß und stark wie eh und je hatten sich eng um die Erde formiert. „Wie ein Schutzschild.“ dachte Yan-Lin und es versetzte ihrem Herzen einen Stich, als ihr Blick wieder auf die Sphäre der Erde fiel, oder vielmehr auf das, was von ihr übrig war. Eine kleine grün flackernde Kugel, die zwischen ihren riesigen Geschwistern kaum zu sehen war. „Dies ist eine schwere Zeit für die Auserwählten“ erklang die sanfte Stimme des Orakels hinter ihr. Es trat neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Doch wir müssen Vertrauen haben. Nie zuvor war die Bindung unter den Wächterinnen stärker als heute. Sieh nur, wie sie sich gegenseitig beschützen“ sagte das Orakel und wies auf die Quasare. „Aber erkennt Ihr es denn nicht?!“ erwiderte Yan-Lin lauter und schärfer als sie es eigentlich gewollt hatte. „Cornelia ist am Ende ihrer Kraft. Wenn sie den Shar-Ghul nicht bald finden und aufhalten, wird ihr Quasar erlöschen und sie wird … sie wird …“ „Sterben.“ beendete das Orakel den Satz ruhig. „Und mit ihr das Leben auf der Erde.“ Bevor Yan-Lin Worte fand, sprach das Orakel weiter. „Ich weiß, wie schwer es für dich ist, sie leiden zu sehen“ es schaute Yan-Lin aus unergründlichen Augen an „Aber du weißt auch, dass Kandrakar sich selbst nie einmischen darf und das zu Recht. Wir müssen unvoreingenommen bleiben. Einmal überschritten ist die Grenze zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch schwer zu erkennen. Seit Anbeginn der Zeit obliegt es den Wächterinnen, diese Prüfung zu bestehen und den Welten Frieden zu bringen. Wir können nur hoffen und auf sie vertrauen. Und diese Kraft sollte nicht unterschätzt werden.“ Yan-Lin seufzte, aber sie erkannte die Wahrheit hinter seinen Worten und die Güte, die aus seinen Augen sprach beruhigte ihre aufgewühlte Seele. „Ihr habt Recht, Herr. Verzeiht mir, aber in solchen Augenblicken wird mir immer wieder bewusst, wie viel Kandrakar den Mädchen auferlegt und abverlangt.“ Erinnerungen nahmen vor Yan-Lins innerem Auge Gestalt an. - Sie selbst als junge Frau, als Wächterin von Kandrakar. Weinend und voller Schmerz berichtete sie dem Rat von Nerissas Verrat und Cassidys Tod. Die Ehre, aber auch die Bürde die ihr zuteil wurde, als das Orakel sie zur neuen Hüterin des Herzens bestimmte. Das Gefühl, ein Teil des eigenen Selbst verloren zu haben. - Tränen traten in ihre Augen. „Bewusst, was es bedeutet, Wächterin zu sein“ flüsterte sie. Sie spürte, wie die noch immer auf ihrer Schulter ruhende Hand des Orakels sanft zudrückte. Dann wand es sich um und ging. Yan-Lin blieb zurück und hörte seine leisen Worte nicht mehr. „Mir auch meine Freundin, mir auch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)